© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 139/20 Einzelaspekte betreffend die Auslieferung durch die Schweiz im Falle von Steuer- und Betrugsdelikten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 2 Einzelaspekte betreffend die Auslieferung durch die Schweiz im Falle von Steuer- und Betrugsdelikten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 139/20 Abschluss der Arbeit: 15. Dezember 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtslage im Falle direkter Steuern 4 3. Rechtslage im Falle indirekter Steuern 6 4. Rechtslage im Falle eines Betrugs 9 5. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 4 1. Einleitung Im Folgenden wird allgemein und summarisch erörtert, ob die Schweiz an Deutschland bei bestimmten Steuerdelikten oder bei Betrug ausliefert. Dabei soll die Rechtslage in Bezug auf Verstöße betreffend direkte Steuern (2.), indirekte Steuern (3.) sowie für den Fall des Betrugs (4.) gesondert beleuchtet werden. 2. Rechtslage im Falle direkter Steuern Das Schweizer Rechtshilfegesetz (IRSG)1 regelt nach dessen § 1 Abs. 1, soweit andere Gesetze oder internationale Vereinbarungen nichts anderes bestimmen, alle Verfahren der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Strafsachen, insbesondere auch die Auslieferung strafrechtlich verfolgter oder verurteilter Personen (zweiter Teil des IRSG). Als internationale Vereinbarungen, die anderes bestimmen, kommen insbesondere das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EAUe)2 und das Zweite Zusatzprotokoll zum EAUe3 in Betracht . Sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz sind diese Vereinbarungen in Kraft getreten .4 Nach Art. 5 des EAUe wird in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen die Auslieferung unter den Bedingungen dieses Übereinkommens nur gewährt, wenn dies zwischen Vertragsparteien für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist. Eine in Art. 5 EAUe beschriebene Vereinbarung hat die Schweiz bislang aber nicht abgeschlossen .5 Zwar regelt das Zweite Zusatzprotokoll zum EAUe in Kapitel II, Art. 2, dass Art. 5 des 1 Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (Stand am 1. März 2019), SR 351.1, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19810037/index.html, letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 15. Dezember 2020. 2 Europäisches Auslieferungsübereinkommen, abgeschlossen in Paris am 13. Dezember 1957, von der Bundesversammlung genehmigt am 27. September 1966, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 20. Dezember 1966, in Kraft getreten für die Schweiz am 20. März 1967 (Stand am 1. November 2016), SR 0.353.1, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19570239/index.html. 3 Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen, abgeschlossen in Strassburg am 17. März 1978, von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1984, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 11. März 1985, in Kraft getreten für die Schweiz am 9. Juni 1985 (Stand am 15. September 2020), SR 0.353.12, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19780061/index.html. 4 Vgl. Internetseite des Europarats, in Bezug auf das EAUe abrufbar unter https://www.coe.int/de/web/conventions /full-list/-/conventions/treaty/024/signatures?p_auth=XCFfcNfU und in Bezug auf das Zweite Zusatzprotokoll zum EAUe abrufbar unter https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/098/signatures ?p_auth=XCFfcNfU. 5 Schweizerisches Bundesgericht (BGer), Urteil vom 13. April 2010, 1C_163/2010 (im Folgenden: BGer, Urteil vom 13. April 2010), E.3.1, abrufbar https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index .php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=3&from_date=13.04.2010&to_date=13.04.2010&sort=relevance &insertion_date=&top_subcollection_aza=all&query_words=&rank=22&azaclir=aza&highlight _docid=aza%3A%2F%2F13-04-2010-1C_163-2010&number_of_ranks=26. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 5 EAUe durch bestimmte Regelungen ersetzt wird, die bei Abgaben-, Steuer-, Zoll-, oder Devisenstrafsachen Auslieferungen durch die Vertragsparteien unter den dort genannten Voraussetzungen vorsehen. Allerdings hat die Schweiz erklärt, Kapitel II des Zusatzprotokolls zum EAUe nicht anzunehmen.6 Somit findet grundsätzlich Art. 3 Abs. 3 IRSG Anwendung. Danach wird einem Ersuchen nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Maßnahmen verletzt. Sofern ein Fiskaldelikt (im Schweizer Recht ein Verhalten, das auf die Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint, vgl. Art. 3 Abs. 3 IRSG)7 vorliegt, wird somit eine Auslieferung durch die Schweiz „grundsätzlich abgelehnt, soweit nicht im Bereich indirekter Steuern (Mehrwertsteuer , Zoll, Verbrauchsteuern)8 nach Art. 63 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)9 eine Verpflichtung hierzu besteht“ (vgl. zu dieser Verpflichtung Gliederungspunkt 3 des Sachstands).10 Eine Auslieferung im Falle von Steuerdelikten bei direkten Steuern (Einkommen - und Vermögensteuern) ist ausgeschlossen.11 Es erfolgt dann sowohl bei Steuerhinterziehung als auch Abgabebetrug (bzgl. letzterem vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 lit. a IRSG: nur „andere Rechtshilfe “ nach dem Dritten Teil des IRSG) keine Auslieferung.12 6 Vgl. „Vorbehalte und Erklärungen“, Zweites Zusatzprotokoll zum EAUe, abrufbar unter https://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/19780061/index.html. 7 Holenstein, Schweiz: Sukzessive Öffnung auch bei der Auslieferung in Steuerstrafsachen, Fachbeitrag vom 21.05.2012, PStR 2012, 151 ff. (im Folgenden: Holenstein, PStR 2012, 151 ff.), Gliederungspunkt 3, abrufbar unter https://www.iww.de/pstr/schwerpunktthema/steuerhinterziehung-schweiz-sukzessive-oeffnung-auch-beider -auslieferung-in-steuerstrafsachen-f57463. 8 Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 5. 9 Schengen-Besitzstand - Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen , Amtsblatt Nr. L 239 vom 22/09/2000 S. 0019 - 0062, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:42000A0922(02)&qid=1607345328080&from=DE. 10 Hackner, in: Janovsky/Schmitt/Wabnitz (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Auflage 2020, 25. Kapitel. Internationale Rechtshilfe Rn. 164. 11 Vgl. Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 2 und 4. 12 Vgl. Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 2; vgl. auch BGer, Urteil vom 18. August 2005, 1A.194/2005 /gij, E.2.3, abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index .php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F18-08-2005-1A-194- 2005&lang=de&type=show_document&zoom=YES&. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 6 3. Rechtslage im Falle indirekter Steuern Allerdings ist die Schweiz gegenüber Deutschland nach Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 SDÜ „zur Auslieferung in den dort genannten Fällen der indirekten Fiskalität verpflichtet“.13 Die Vertragsparteien des SDÜ verpflichten sich gemäß Art. 63 SDÜ, nach Maßgabe der in Art. 59 SDÜ erwähnten Übereinkommen, also insbesondere des EAUe,14 die Personen auszuliefern, die durch die Justizbehörden der ersuchenden Vertragspartei im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung nach Art. 50 Absatz 1 SDÜ verfolgt werden oder zur Vollstreckung einer aufgrund einer solchen Handlung verhängten Strafe oder Maßnahme gesucht werden. Nach Art. 50 Abs. 1 Satz 1 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien, Rechtshilfe (…) zu leisten wegen Verstößen gegen die gesetzlichen Bestimmungen und Vorschriften im Bereich der Verbrauchsteuern, der Mehrwertsteuern und des Zolls (indirekte Steuern15). Nach Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (Schengen-Assoziierungsabkommen , im Folgenden: SAA)16 werden die in Anhang A des SAA aufgeführten Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, die für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten, von der Schweiz umgesetzt und angewendet. Hierzu zählen auch die Art. 50 Abs. 1, 59 und 63 SDÜ (vgl. Teil 1 des Anhangs A des SAA).17 Alle Bestimmungen, die im Anhang A des SAA enthalten sind, gelten nach Art. 15 Nr. 1 SAA in Zusammenschau mit Art. 1 Abs. 1 eines Beschlusses des Rates (der Europäischen Union) vom 27. 13 BGer, Urteil vom 13.04.2010, E.3.2; vgl. auch Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, Anlage II – Länderteil des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Stand: März 2014, Schweiz (Schweizerische Eidgenossenschaft), Gliederungspunkt I.1., abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/RiVaSt/Schweiz.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 14 BGer, Urteil vom 13.04.2010, E.3.3. 15 Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 4. 16 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, abgeschlossen am 26. Oktober 2004 von der Bundesversammlung, genehmigt am 17. Dezember 2004, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 20. März 2006, in Kraft getreten am 1. März 2008 (Stand am 5. November 2019), SR 0.362.31, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /20042363/index.html. 17 BGer, Urteil vom 13.04.2010, E.3.2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 7 November 200818 für die Schweizerische Eidgenossenschaft in ihren Beziehungen unter anderem zur Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 12. Dezember 2008.19 Die Bestimmungen des Kapitels 4 des SDÜ (Art. 59-66 SDÜ) sollen gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 1 SDÜ das EAUe ergänzen und seine Anwendung erleichtern. Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EAUe wird wegen Handlungen ausgeliefert, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden sichernden Maßnahme im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind. Sofern ein Steuerpflichtiger nur bestimmte Einkünfte nicht meldet, liegt nach dem Schweizer Recht eine (einfache) Steuerhinterziehung vor,20 der lediglich (Geld-)21Buße vorsieht, vgl. auch Art. 56 des Schweizer Steuerharmonisierungsgesetzes (StHG)22, Art. 175 des Schweizer Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG)23 und Art. 96 des Schweizer Mehrwertsteuergesetzes (MWStG)24. Dies spricht dafür, dass die einfache Steuerhinterziehung nach Schweizer Recht wohl keine Auslieferung nach sich ziehen dürfte.25 Gleichwohl finden sich Literaturstimmen, die die Auffassung vertreten, eine Auslieferung durch die Schweiz erfolge nicht nur wegen fiskalischer Straftaten, sondern auch „in Verfahren wegen fiskalischer Ordnungswidrigkeiten nach Maßgabe des Art. 50 Abs. 5 SDÜ“.26 Unabhängig von der Frage, ob eine Auslieferung bei einer Steuerhinterziehung nach Schweizer Recht erfolgt, liegt ein Abgabebetrug gemäß Art. 14 Abs. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)27 vor, wenn der Täter durch sein arglistiges Verhalten bewirkt, dass dem Gemeinwesen unrechtmäßig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es 18 Beschluss des Rates vom 27. November 2008 über die vollständige Anwendung der Bestimmungen des Schengen -Besitzstands in der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2008/903/EG), ABl. L 327 vom 05.12.2008, S. 15- 17, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv %3AOJ.L_.2008.327.01.0015.01.DEU&toc=OJ%3AL%3A2008%3A327%3ATOC. 19 BGer, Urteil vom 13.04.2010, E.3.2. 20 Bielefeld, Prinz, Riskante Hilfe zur Hinterziehung deutscher Steuern aus dem Ausland?, DStR 2008, 1122, 1127. 21 Ruhmannseder, Sahan: Steuerstrafrechtliche Risiken für Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfers in die Schweiz, IStR 2009, 715, 718. 22 Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, vom 14. Dezember 1990 (Stand am 1. Januar 2020), SR 642.14, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation /19900333/index.html. 23 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990 (Stand am 1. September 2020) SR 642.11, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19900329/index.html. 24 Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer vom 12. Juni 2009 (Stand am 1. Januar 2020), SR 641.20, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20081110/index.html. 25 Vgl. hierzu auch Breitenmoser, Jutzeler, Straub, Repetitorium Europarecht, 1. Auflage 2018, S. 295. 26 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht mit Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 399 AO Rn. 144. 27 Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974 (Stand am 1. Januar 2020), SR 313.0, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19740066/index.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 8 sonst am Vermögen geschädigt wird. Voraussetzung ist dabei eine arglistige Täuschung, wobei „immer besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze Lügengebäude erforderlich“ sind.28 Im Falle des Abgabebetrugs ist die Strafe nach Art. 14 Abs. 2 VStR Gefängnis bis zu einem Jahr oder Buße bis zu 30.000 Franken. In Deutschland wird die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO)29 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Sofern das Verhalten, welches die Steuerhinterziehung nach deutschem Recht verwirklicht, zugleich einen Abgabebetrug nach schweizerischem Recht darstellt und indirekte Steuern betroffen sind, kommt eine Auslieferung in Betracht.30 Mitunter wird die Ansicht vertreten, dass die Auslieferungspflicht der Schengen-Assoziierten grundsätzlich „durch Vorbehalt auf die Hinterziehung von Verbrauchsteuern und Mehrwertsteuer über 25.000 Euro und von Zöllen auf einen Warenwert von über 100.000 Euro“ nach Art. 63 i.V.m. Art. 50 (wohl Abs. 4) SDÜ beschränkt werden könne.31 Auch die Schweiz sei ab einer Umsatzsteuerhinterziehung von mehr als 25.000 Euro aufgrund entsprechender Abkommen zur Auslieferung verpflichtet.32 Weiterhin sieht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 lit. b IRSG vor, dass einem Ersuchen nach allen Teilen dieses Gesetzes (also auch nach dem Zweiten Teil: „Auslieferung“) entsprochen werden kann, wenn ein qualifizierter Abgabebetrug im Sinne von Artikel 14 Absatz 4 VStrR Gegenstand des Verfahrens ist. Es wird vertreten, dass diese innerstaatliche Regelung wohl für den Fall des qualifizierten Abgabebetrugs in Bezug auf indirekte Steuern gelte.33 28 BGer, Urteil vom 30.10.2002, 1A.124/2002 /zga, vgl. 2.1, abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider /live/de/php/aza/http/index.php?lang=de&type=highlight _simple_query&page=1&from_date=&to_date=&sort=relevance&insertion_date=&top_subcollection _aza=all&query_words=Urteil+vom+30.+Oktober +2002%2C+1A.124%2F2002+%2Fzga&rank=1&azaclir=aza&highlight_docid=aza%3A%2F%2F30-10-2002- 1A-124-2002&number_of_ranks=116957; Hackner, in: Janovsky/Schmitt/Wabnitz (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts - und Steuerstrafrecht, 5. Auflage 2020, 25. Kapitel. Internationale Rechtshilfe Rn. 165. 29 Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2668) geändert worden ist. 30 BGer, Urteil vom 13.04.2010, vgl. A., E 3.3; vgl. auch Abgabebetrug: Deutscher wird ausgeliefert, Artikel vom 29.04.2010, abrufbar unter https://www.tagblatt.ch/schweiz/abgabebetrug-deutscher-wird-ausgeliefertld .712262; vgl. auch Ambos, König, Rackow (Hrsg.), Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Auflage 2020 Rn. 952. 31 Hackner, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Auflage 2020, 25. Kapitel. Internationale Rechtshilfe Rn. 140. 32 Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, § 399 AO Rn. 134, wohl auch Rn. 143. 33 Kuster, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen – ein Fremdwort?, S. 11, abrufbar unter http://www.asefid.ch/files/907/kuster-susanne-internationales-steuerstrafrecht.pdf; Holenstein, PStR 2012, 151 ff., vgl. Gliederungspunkt 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 9 4. Rechtslage im Falle eines Betrugs Weiterhin kommt eine Auslieferung im Falle der Begehung eines gemeinrechtlichen Betrugs in Betracht34, welcher nach Art. 146 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs35 grundsätzlich mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Auch in Deutschland wird der Betrug gemäß § 263 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs36 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Beim gemeinrechtlichen Betrug greift Art. 3 Abs. 3 IRSG wohl nicht37, sodass eine Auslieferung nach dem Zweiten Teil des IRSG in Betracht kommen dürfte. Denn eine Verkürzung fiskalischer Abgaben im Sinne des Art. 3 Abs. 3 IRSG ist gegeben, „wenn der Private dem Staat nicht das leistet , was er ihm aufgrund der maßgebenden Abgabegesetze schuldet“, nicht aber, wenn ein Privater den Staat zu einer Leistung veranlasst, welche ohne täuschende Machenschaften nicht erhältlich wäre.38 Sofern durch Täuschung im Rahmen eines Rückerstattungsverfahrens, welches „dem Steuerpflichtigen durch einen vorangehenden Steuerabzug aufgezwungen wurde“, eine rechtswidrige Rückerstattung von Steuern bewirkt wird, ist ein Fiskaldelikt gegeben.39 Wenn sich der Täter aber „aus eigener Initiative entschlossen hat, durch Irreführung der Behörden sich unrechtmäßig zu 34 Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 4. 35 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Juli 2020), SR 311.9, abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html. 36 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. November 2020 (BGBl. I S. 2600) geändert worden ist. 37 Vgl. Holenstein, PStR 2012, 151 ff. Gliederungspunkt 3. 38 Vgl. Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 3, mit Verweis auf BGer, Urteil vom 22.01.1986, BGE 112 Ib 55, 56 (zum Subventionsbetrug), vgl. E 5.d.aa, Auszug abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider /live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=highlight _simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1954&to_year=2020&sort=relevance&insertion _date=&from_date_push=&top_subcollection _clir=bge&query_words=112+Ib+55&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation =&rank=1&highlight_docid=atf%3A%2F%2F112-IB-55%3Ade&number_of_ranks=1&azaclir=clir. 39 Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 3, vgl. auch BGer, Urteil vom 18.01.1984, BGE 110 IV 24, 28 ff., E.2.e, Auszug abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index .php?lang=de&type=highlight _simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1954&to_year=2020&sort=relevance&insertion _date=&from_date_push=&top_subcollection _clir=bge&query_words=110+IV+24&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation =&rank=1&highlight_docid=atf%3A%2F%2F110-IV-24%3Ade&number_of_ranks=9&azaclir=clir. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 139/20 Seite 10 bereichern, indem er fiktive Rückerstattungsansprüche geltend macht und mittels falscher Urkunden die Auszahlung erwirkt“, liegt dagegen ein gemeinrechtlicher Betrug vor.40 5. Fazit Eine Auslieferung durch die Schweiz an Deutschland ist im Falle einer Steuerhinterziehung oder eines Abgabebetrugs nach schweizerischem Recht in Bezug auf direkte Steuern wohl nicht vorgesehen . Sofern indirekte Steuern betroffen sind, kommt eine Auslieferung zumindest im Fall eines Abgabebetrugs in Betracht. Wenn ein gemeinrechtlicher Betrug nach schweizerischem Recht vorliegt , dürfte eine Auslieferung durch die Schweiz ebenfalls möglich sein. *** 40 Holenstein, PStR 2012, 151 ff., Gliederungspunkt 3, mit Verweis auf BGer, Urteil vom 18.01.1984, BGE 110 IV 24, 28 ff., E.2.e, Auszug abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index .php?lang=de&type=highlight _simple_query&page=1&from_date=&to_date=&from_year=1954&to_year=2020&sort=relevance&insertion _date=&from_date_push=&top_subcollection _clir=bge&query_words=110+IV+24&part=all&de_fr=&de_it=&fr_de=&fr_it=&it_de=&it_fr=&orig=&translation =&rank=1&highlight_docid=atf%3A%2F%2F110-IV-24%3Ade&number_of_ranks=9&azaclir=clir; vgl. auch BGer, Urteil vom 18.08.2005, 1A.194/2005 /gij, 3.1.4, abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider /live/de/php/aza/http/index.php?lang=de&type=highlight _simple_query&page=1&from_date=18.08.2005&to_date=18.08.2005&sort=relevance&insertion _date=&top_subcollection_aza=all&query_words=1A.194%2F2005&rank=1&azaclir=aza&highlight _docid=aza%3A%2F%2F18-08-2005-1A-194-2005&number_of_ranks=1 sowie BGer, Urteil vom 13.01.2006, 1A.297/2005 /ggs, 3.3, abrufbar unter https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index .php?lang=de&type=highlight_simple_query&page=1&from_date=13.01.2006&to_date=13.01.2006&sort=relevance &insertion_date=&top_subcollection_aza=all&query_words=297%2F2005&rank=1&azaclir=aza&highlight _docid=aza%3A%2F%2F13-01-2006-1A-297-2005&number_of_ranks=23.