© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 137/19 Zur Zulässigkeit von Negativzinsen Zivilrechtliche Implikationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 2 Zur Zulässigkeit von Negativzinsen Zivilrechtliche Implikationen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 137/19 Abschluss der Arbeit: 17. September 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zivilrechtlicher Zinsbegriff 4 3. Zulässigkeit von Negativzinsen nach geltendem Recht 5 4. Spielraum des Gesetzgebers 7 5. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund aktueller geldpolitischer Entwicklungen haben sich verschiedene Geschäftsbanken Berichten zufolge dazu entschlossen, unter bestimmten Voraussetzungen Negativzinsen auf Einlagen auf Giro- und/oder Tagesgeldkonten zu erheben.1 Dies wirft die Frage auf, wie die grundsätzliche Zulässigkeit von Negativzinsen zivilrechtlich zu beurteilen ist und welche Spielräume der Gesetzgeber insofern hat. 2. Zivilrechtlicher Zinsbegriff Trotz einer Vielzahl zinsbezogener Normen wird der Zinsbegriff als solcher gesetzlich nicht legal definiert. Wirtschaftswissenschaftliche Zinsbegriffe können zum Verständnis zwar ergänzend herangezogen werden, entscheidend ist jedoch nur die Auslegung der jeweils einschlägigen Einzelnorm .2 Das Reichsgericht (RG) definierte einen Zins im Jahr 1942 noch als „die vom Schuldner fortlaufend zu entrichtende Vergütung für den Gebrauch eines in Geld oder anderen vertretbaren Sachen bestehenden Kapitals, ausgedrückt in einem im voraus bestimmten Bruchteil der geschuldeten Menge“.3 Diese Definition ist seitdem durch Rechtsprechung und Literatur fortwährend angepasst und korrigiert worden. Insbesondere das Kriterium einer fortlaufenden Entrichtung der Zinsen und das Erfordernis einer Vergütung, die in einem im Voraus bestimmten Bruchteil der geschuldeten Menge ausgedrückt ist, sind mittlerweile entfallen.4 Als Ergebnis dieser Weiterentwicklung definiert der Bundesgerichtshof (BGH) Zins im Rechtssinne heute als die nach einer Laufzeit bemessene, gewinn- und umsatzunabhängige Vergütung für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen Kapitals. 5 Unter „Negativ“- oder „Strafzinsen“ (nachfolgend nur noch Negativzinsen) werden demgegenüber in der Literatur Zinsen verstanden, mit denen Kapital belastet wird.6 Solche Zinsen sind demnach nicht von demjenigen zu entrichten, der Kapital zur Verwendung empfängt, sondern von demjenigen, der es zur Verwendung zur Verfügung stellt.7 Ob sich Negativzinsen überhaupt unter den oben genannten zivilrechtlichen Zinsbegriff subsumieren lassen, ist in der Literatur 1 So etwa Biallo et al., „Aufgedeckt: Diese 128 Banken und Sparkassen erheben Negativzinsen“, 12.09.2019, abrufbar unter: https://new.biallo.de/geldanlage/ratgeber/so-vermeiden-sie-negativzinsen/ (letzter Abruf: 17.09.2019). 2 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2019, § 246 BGB, Rn. 3. 3 RG, Urteil vom 29.01.1942, Az.: II 118/41, RGZ 168, 284, 285, juris. 4 Vgl. Hingst/Neumann, Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (BKR) 2016, 95. 5 Vgl. BGH, Urteil vom 24.01.1992, Az.: V ZR 267/90, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR) 1992, 591, 592 sowie BGH, Urteil vom 16.11.1978, Az.: III ZR 47/77, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1979, 540, 541. 6 Vgl. Hingst/Neumann, BKR 2016, 95. 7 Vgl. Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 96. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 5 wiederum umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden.8 Gegenstand der Diskussion ist insoweit insbesondere, ob eine Vergütung im Sinne der vorstehend genannten Definition des BGH überhaupt negativ ausfallen kann.9 Auffassungen, die dies verneinen, stellen daher die Erhebung von Negativzinsen bei einzelnen Vertragstypen bereits grundsätzlich in Frage.10 3. Zulässigkeit von Negativzinsen nach geltendem Recht Wenn auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)11 den Begriff „Negativzins“ als solchen nicht kennt, führt die Regelung des Basiszinssatzes in § 247 BGB doch dazu, dass das BGB Negativzinsen zur Geltung beruft. Denn zwar beträgt der Basiszinssatz dem Wortlaut von § 247 Absatz 1 Satz 1 zufolge „3,62 Prozent“. Gemäß § 247 Absatz 1 Sätze 2 und 3 BGB verändert er sich aber zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres „um die Prozentpunkte, um welche die Bezugsgröße seit der letzten Veränderung des Basiszinssatzes gestiegen oder gefallen ist. Bezugsgröße ist der Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der Europäischen Zentralbank vor dem ersten Kalendertag des betreffenden Halbjahrs.“ Diese ständige Anpassung hat dazu geführt, dass der Basiszinssatz nach § 247 BGB bereits seit dem 1. Januar 2013 negativ ist und sich derzeit auf - 0,88 Prozent beläuft.12 Auch der BGH geht grundsätzlich davon aus, dass es einen negativen Zinssatz geben kann.13 Den zahlreichen zinsbezogenen Normen im Gesetz ist gemein, dass Höhe und nähere Ausgestaltung der individuellen Zinsansprüche grundsätzlich nicht starr vorgegeben werden, sondern regelmäßig vertraglichen Abreden zwischen den jeweiligen Parteien vorbehalten bleiben. Bei der Frage der Vereinbarkeit von Negativzinsen mit dem geltenden Recht ist daher zuvörderst auf den Normzweck der jeweils einschlägigen Regelung abzustellen.14 Nach ganz überwiegender Ansicht im Schrifttum ist jedenfalls bei der Frage der Zulässigkeit von Negativzinsen im klassischen privaten Bankgeschäft zwischen sog. Sichteinlagen – also Geldeinlagen , auf die der Bankkunde jederzeit zugreifen kann, zum Beispiel ein Girokonto oder Tagesgeldkonto – und Termineinlagen – also insbesondere Festgeldkonten, auf denen Kapital länger- 8 Vgl. Wagner, BKR 2017, 315, 320. 9 Vgl. Radke, BKR 2019, 178, 179. 10 Vgl. Suendorf-Bischof, BKR 2019, 279, 281. 11 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.01.2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes zur Förderung der Freizügigkeit von EU-Bürgerinnen und ‑Bürgern sowie zur Neuregelung verschiedener Aspekte des Internationalen Adoptionsrechts vom 31.01.2019 (BGBl. I S. 54), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/ (letzter Abruf: 17.09.2019). 12 Stand: 17.09.2019. 13 BGH, Urteil vom 13.04.2010, Az.: XI ZR 197/09, BKR 2010, 300, 303. 14 Vgl. Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 98. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 6 fristig angelegt ist – zu differenzieren, da diese jeweils unterschiedlichen zivilrechtlichen Regelungen unterliegen.15 Maßgeblich soll das wirtschaftliche Interesse der Parteien im Einzelfall sein.16 Sofern der Kapitalgeber beabsichtigt, einen Liquiditätsüberschuss sicher zu hinterlegen, und hierfür bereit ist, weitgehend oder vollständig auf Zinsen zu verzichten, soll es sich demnach im Regelfall um eine unregelmäßige Verwahrung im Sinne von § 700 Absatz 1 Satz 1 BGB handeln.17 Wenn dagegen der konkrete Kapitalbedarf des Kapitalnehmers überwiegt und dieser daher zur Zahlung eines Zinses bereit ist, soll es sich demgegenüber im Regelfall um ein Darlehen im Sinne von § 488 BGB handeln.18 Ausgehend von dieser Differenzierung wird die grundsätzliche Zulässigkeit von Negativzinsen unterschiedlich beurteilt. Während vereinzelte Stimmen in der Literatur davon ausgehen, dass Negativzinsen im Rahmen von Darlehensverträgen bereits dem gesetzlichen Leitbild des Vertragstypus – Vergütung für die Überlassung des Kapitalnutzungsrechts – widersprechen und demnach nicht mit dem Normzweck vereinbar und mithin unzulässig seien, gehen andere Ansichten wiederum von einer grundsätzlichen Zulässigkeit aus und sehen die möglichen Grenzen vornehmlich im Bereich der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle.19 Die hierzu umfangreich geführte – vornehmlich bankrechtlich geprägte – Diskussion offenbart, dass die Zulässigkeit von Negativzinsen im geltenden Recht jeweils anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen ist. Maßgeblich sind hier insbesondere die vertraglichen Regelungen im Einzelfall.20 Das Ergebnis dieser im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung kann dann insoweit von völliger Unschädlichkeit der entsprechenden vertraglichen Regelung über die Anfechtbar- und Kündbarkeit bis hin zur anfänglichen Unwirksamkeit des gesamten Vertrages führen.21 Exemplarisch wird die vorzunehmende Einzelfallbetrachtung auch durch mehrere Urteile des Landgerichts Tübingen deutlich. So wurde dort etwa im Zusammenhang mit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Zinsanpassungsklauseln entschieden, dass die Einführung von Negativzinsen bei bestehenden Verträgen zumindest dann nicht der in § 307 BGB geregelten Inhaltskontrolle standhalte und mithin unzulässig sei, sofern hiervon jeweils auch Altverträge des 15 Vgl. Schürmann/Langner, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Auflage 2017, 3. Abschnitt , 14. Kapitel, § 70, Rn. 25. 16 Vgl. Freitag, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2015, § 488 BGB, Rn. 51. 17 Vgl. etwa Henssler, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Auflage 2017, § 700 BGB, Rn. 16. 18 Vgl. etwa Vogel, BKR 2018, 45, 48. 19 Vgl. hierzu insgesamt Vogel, BKR 2018, 45, 48 ff. 20 Vgl. Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 101. 21 Vgl. Hingst/Neumann, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 7 Bankkunden betroffen sind und dadurch nachträglich in das Gefüge der jeweils vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten eingegriffen werde.22 Neuverträge werden hingegen als weniger kritisch und die Vereinbarung von Negativzinsen zumindest grundsätzlich – als echte Hauptpreisabrede – als zulässig erachtet.23 Ebenso hat das Landgericht Tübingen entschieden, dass die Erhebung von Negativzinsen im Wege eines Preishaushangs bei Einlagen auf einem Girokonto, für welches bereits Kontoführungsgebühren erhoben werden, zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kapitalgebers führe.24 Hierin sah das Landgericht im konkreten Fall eine doppelte Bepreisung derselben Leistung, was insbesondere mit § 307 Absatz 2 Nr. 1 sowie Absatz 1 Satz 1 BGB unvereinbar sei.25 In einem weiteren Urteil schließlich lag dem Landgericht Tübingen eine vertragliche Klausel über sog. Riester-Sparverträge zur Entscheidung vor, die eine Verzinsung des Kapitals vorsah, die sich aus Grundzinsen sowie aus Bonuszinsen zusammensetzte und bei denen die Grundzinsen negativ wurden.26 Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Absatz 1 BGB hat das Landgericht Tübingen in diesem Fall verneint, da die insoweit vorzunehmende Gesamtbetrachtung im konkreten Fall zu einem Ausgleich der Parteiinteressen und mithin nicht zur Unwirksamkeit der entsprechenden Klausel führe.27 4. Spielraum des Gesetzgebers Verschiedentlich wird derzeit erwogen, Negativzinsen gegenüber Bankkunden per Gesetz zu verbieten .28 Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber , ob er bestimmte gesetzliche Regelungen schafft und wie er diese ausgestaltet, regelmäßig ein weiter Spielraum zukommt, dem rechtlich im Wesentlichen durch die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes und die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Grenzen gezogen sind. Ob bzw. in welchem Umfang eine entsprechende zivilrechtliche Regelung zulässig wäre, könnte deshalb nur anhand eines konkreten Gesetzentwurfs beurteilt werden. Grundsätzlich zu beachten sein dürfte bei einem entsprechenden Gesetzgebungsvorhaben der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser gewährleistet neben der Vertragsbegründungsfreiheit, der 22 LG Tübingen, Urteil vom 26.01.2018, Az.: 4 O 187/17, BKR 2018, 128, 131. 23 LG Tübingen, Urteil vom 26.01.2018, Az.: 4 O 187/17, BKR 2018, 128, 131. 24 LG Tübingen, Urteil vom 25.05.2018, Az.: 4 O 225/17, juris. 25 LG Tübingen, Urteil vom 25.05.2018, Az.: 4 O 225/17, juris. 26 LG Tübingen, Urteil vom 29.06.2018, Az.: 4 O 220/17, BKR 2018, 386. 27 LG Tübingen, Urteil vom 29.06.2018, Az.: 4 O 220/17, BKR 2018, 386, 388f. 28 Vgl. exemplarisch „Scholz prüft mögliches Verbot von Strafzinsen für Kleinsparer“ in SPIEGEL ONLINE vom 22.08.2019, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/olaf-scholz-prueft-moegliches-verbotvon -strafzinsen-fuer-kleinsparer-a-1283091.html (letzter Abruf: 17.09.2019) sowie „Bayern will Strafzinsen bis 100.000 Euro verbieten“ in ZEIT ONLINE vom 21.08.2019, abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/deutschland /2019-08/markus-soeder-kleinsparer-strafzinsen-csu-geldanlage (letzter Abruf: 17.09.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 8 Kontrahentenwahlfreiheit, der Formfreiheit und Abänderungs- und Endigungs- (oder auch Auflösungs -)freiheit vor allem auch die vertragliche Gestaltungsfreiheit.29 Die Vertragsfreiheit bildet dabei ein grundlegendes, ungeschriebenes und verfassungsrechtlich gewährleistetes – vgl. Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG)30 – Prinzip der deutschen Rechtsordnung.31 Vom Grundsatz der Vertragsfreiheit umfasst und verfassungsrechtlich geschützt ist mithin auch die vertragliche Zins-Gestaltungsfreiheit, denn aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ergibt sich, dass es im bestehenden „System der Zinsfreiheit“32 nach dem Parteiwillen grundsätzlich auch möglich sein muss, negative Zinsen zu vereinbaren.33 Vorausgesetzt, dass hierbei eine gerechte materielle Selbstbestimmung herrscht, soll aus dem Vertragsabschluss gleichzeitig auch eine „Richtigkeit des Vertrages mittels Ausgleich der Parteiinteressen“34 folgen. Gleichwohl ist auch die Vertragsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet und kann daher mit entsprechender Begründung grundsätzlich eingeschränkt werden. 35 In der Literatur wird unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich möglicher staatlicher Einschränkungen der Vertragsfreiheit insoweit zusammenfassend folgendes ausgeführt: „… wenn die Vertragsfreiheit und die Privatautonomie die freie Selbstbestimmung des Einzelnen zur Regelung seiner Rechtsbeziehungen garantiert, dann kann den Staat … die Pflicht treffen, dafür Sorge zu tragen, dass es nicht aufgrund eines fehlenden Kräftegleichgewichts und damit aufgrund sog. gestörter Vertragsparität zwischen den Vertragspartnern im Ergebnis zu einer Fremdbestimmung des „Schwächeren“ durch den „Stärkeren“ kommt. Nach der aus Artikel 2 Absatz 1 GG abzuleitenden grundrechtlichen Schutzpflicht müssen staatliche Stellen verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung umkehrt. Es geht also einerseits um die Pflicht zur Schaffung von staatlichen Regelungen (auch auf Ebene der Privatrechtsordnung), um einem sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewicht entgegenzuwirken und hierüber der in Artikel 2 Absatz 1 GG gewährleisteten 29 Busche, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2018, vor § 145 BGB, Rn. 2. 30 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Änderungsgesetzes zu den Artikeln 104b, 104c, 104d, 125c und 143e vom 28.03.2019 (BGBl. I S. 404), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/ (letzter Abruf: 17.09.2019). 31 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.11.1958, Az.: 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts , Band 8, 275, 328; Busche, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2018, vor § 145 BGB, Rn. 3. 32 Schmidt, Juristen Zeitung 1982, 829, 830. 33 Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 98. 34 Hingst/Neumann, a.a.O. 35 Vgl. Grundmann, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2019, § 246 BGB, Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 9 Privatautonomie im Sinne eines Schutzes vor Fremdbestimmung in einem bestimmten verfassungsrechtlich gebotenen Untermaß zu sichern.“36 Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit auf lediglich positive Zinsen oder zumindest Nullzinsen setzte nach den vorstehenden Grundsätzen grundsätzlich voraus, dass dies aufgrund des Schutzinteresses einer der Vertragsparteien erforderlich wäre, wobei hier wohl die Schutzinteressen des Negativzinsschuldners – also des Kapitalgebers – in Betracht kommen dürften. Nach der einschlägigen Literatur erscheinen hier vornehmlich Erwägungen in Bezug auf eine mögliche Ausbeutung des Kapitalgebers vor dem Hintergrund der Sittenwidrigkeit (§ 138 Absatz 1 BGB), des Wuchers (§ 138 Absatz 2 BGB) oder nach dem Gedanken der Zinsklarheit diskussionswürdig.37 Gegen die guten Sitten verstößt ein Rechtsgeschäft, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.38 Ob die Erhebung bzw. die Weitergabe von Negativzinsen an Privatkunden gegen dieses Anstandsgefühl verstoßen kann, ist fraglich. Auch das dem Wuchertatbestand innewohnende Kriterium der Ausbeutung erscheint als Anknüpfungspunkt eines Verbots von Negativzinsen fraglich. Ausbeutung ist die bewusste Ausnutzung der Situation des Bewucherten – seiner Zwangslage, seiner Unerfahrenheit usw.39 –, wobei für eine Ausbeutung ein auffälliges Missverhältnisses der beiderseitigen Leistungen erforderlich ist.40 Eine solche Situation ist jedoch nach in der Literatur vertretenen Meinungen etwa auf Seiten eines Kapitalgebers – und damit potentiellen Schuldners der Negativzinsen – nicht zwangsläufig erkennbar.41 So wird etwa betont, dass zum einen kein Anlagezwang des einzelnen bestehe und zum anderen auch keine moralische Verpflichtung der privatwirtschaftlich betriebenen Finanzinstitute ersichtlich sei, wonach ihnen im Rahmen der Einlagefazilität entstehende Kosten nicht an die Kunden weitergegeben werden könnten: „Der schlichte Wunsch, sein Vermögen anzulegen, kann (für eine Einschränkung der Vertragsfreiheit , Anm. d. Verf.) nicht genügen, ebenso wenig wie das Interesse, eigenes Kapital einem bestimmten, etwa als besonders zahlungskräftig eingeschätzten Vertragspartner anzuvertrauen . Denn dieser ist aufgrund seiner eigenen negativen Vertragsfreiheit zur Annahme von Geldern schon gar nicht verpflichtet. Dass sich eine solvente Partei die Frage stellt, „wohin mit meinem Geld?“, mag daher allenfalls ein Luxusproblem begründen, jedoch nicht die Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen.“42 36 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand 05.2019, Artikel 2 Absatz 1 GG, Rn. 107. 37 Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 98. 38 BGH, Urteil vom 18.12.2008, Az.: VII ZR 201/06, NJW 2009, 835, 836. 39 Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2018, § 138 BGB, Rn. 154. 40 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 19.06.1990, Az.: XI ZR 280/89, NJW-RR 1990, 1199, 1200; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Auflage 2018, §138 BGB, Rn. 23. 41 Hingst/Neumann, BKR 2016, 95, 98. 42 Hingst/Neumann, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 137/19 Seite 10 5. Fazit Ob Negativzinsen aktuell gegenüber Privatanlegern rechtmäßig erhoben werden können, ist im jeweiligen Einzelfall anhand des jeweiligen Vertragstypus und der zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Regelungen zu beurteilen. In Ermangelung höchstrichterlicher Rechtsprechung werden in der Literatur und in der Instanzenrechtsprechung im Einzelnen unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum zur Vornahme zivilrechtlicher Regelungen hat, bedürfen Eingriffe in die verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung. ***