© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 135/20 Der Ausschluss von der Teilnahme am Vergabeverfahren nach § 124 Absatz 1 Nr. 3 GWB Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Grundsätzliche Bedeutung Gemäß § 122 Absatz 1 GWB1 werden öffentliche Aufträge „an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind.“ Während § 123 GWB zwingende Ausschlussgründe enthält, führt § 124 GWB fakultative Ausschlussgründe auf. Liegt ein solcher fakultativer Ausschlussgrund bei einem Unternehmen vor, hat der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob er das Unternehmen von dem laufenden Vergabeverfahren ausschließt.2 2. Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit § 124 Absatz 1 Nr. 3 GWB sieht als – bislang in der Praxis bedeutsamsten3 – fakultativen Ausschlussgrund vor, dass „das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird“. 2.1. Verfehlung Bei dem Begriff der schweren, die Integrität des Unternehmens infrage stellenden Verfehlung handelt es sich um einen die Tatbestandsseite betreffenden unbestimmten Rechtsbegriff.4 Sein Vorliegen oder Nichtvorliegen unterliegt der Überprüfung durch die Vergabekammern, wobei dem Auftraggeber nach herrschender Meinung ein Beurteilungsspielraum zukommt.5 Die Qualifikation einer Verfehlung als „schwer“ „richtet sich sowohl nach objektiven Faktoren wie Anlass und Auswirkungen als auch nach dem Verschuldensgrad. Ohne schuldhaftes Verhalten kann eine Verfehlung nie schwer sein. Auch leichte Fahrlässigkeit steht der Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals in der Regel entgegen.“6 Nach der Rechtsprechung ist eine Verfehlung dann schwer, 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 12. November 2020 (BGBl. I S. 2392) geändert worden ist. 2 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB vor Rn. 1; Ley, in: Reidt/Stickler/Glahs (Hrsg.), Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rn. 1. 3 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB vor Rn. 29. 4 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 46. 5 Opitz, in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2017, § 124 GWB Rn. 14; Ley, in: Reidt/Stickler /Glahs (Hrsg.), Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB Rn. 13; Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 46. 6 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 5 „wenn sie schuldhaft begangen wurde und erhebliche Auswirkungen hat (…). Darüber hinaus müssen nachvollziehbare sachliche Gründe dafür vorliegen, dass aufgrund der nachweislichen Pflichtverletzung in der Vergangenheit auch für den zu vergebenden Auftrag schwere Zweifel an der Integrität des Bewerbers bestehen (…).“7 Nach der Gesetzesbegründung kommt eine schwere Verfehlung bei der „Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtungen … in Betracht, die eine solche Intensität und Schwere aufweisen , dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf.“8 Angesichts des Verhaltens des Unternehmens darf dem öffentlichen Auftraggeber nicht zugemutet werden können, mit diesem in vertragliche Beziehungen zu treten.9 Ob eine festgestellte schwere Verfehlung die „Integrität des Unternehmens“ infrage stellt, erfordert im jeweiligen Einzelfall eine Bewertung mit prognostischem Charakter.10 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Frage, ob ein bestimmtes Fehlverhalten die Integrität des Unternehmens infrage stellt, eng mit der Schwere des Fehlverhaltens einerseits sowie dessen Bezug zur beruflichen Tätigkeit andererseits zusammen hänge: Soweit beide Voraussetzungen erfüllt seien, beeinträchtige dies in der Regel auch die Integrität des Unternehmens.11 2.2. Nachweis Dem Tatbestand zufolge muss die schwere, die Integrität des Unternehmens infrage stellende Verfehlung „nachweislich“ begangen worden sein. Bereits hieraus ergibt sich, dass ein bloßer 7 OLG München, Beschluss vom 21.04.2017 – Verg 2/17, BeckRS 2017, 107792, Rn. 128. 8 Gesetzesbegründung zu § 124 GWB, BT-Drs. 18/6281, S. 105. 9 OLG München, Beschluss vom 21.04.2017 – Verg 2/17, BeckRS 2017, 107792, Rn. 128. 10 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 48. 11 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 6 Verdacht nicht ausreicht. Den öffentlichen Auftraggeber trifft vielmehr die Darlegungs- und Beweislast .12 Für eine hinreichende Nachweisbarkeit der schweren Verfehlung sind nach der herrschenden Meinung konkrete, nachweisbare objektivierte Anhaltspunkte erforderlich.13 Die einschlägigen Indiztatsachen müssen „einiges Gewicht“ haben.14 Der Rechtsprechung zufolge nicht erforderlich ist hingegen, dass einschlägige behördliche Verfahren , die entsprechende Vorwürfe zum Gegenstand haben, rechtskräftig abgeschlossen wurden oder bestandskräftig sind15: – „Das OLG München ließ insoweit den Verweis auf einen gegen den Geschäftsführer erlassenen Haftbefehl genügen, wobei das Gericht in diesem Zusammenhang das richterliche Ermessen sowie den erforderlichen dringenden Tatverdacht besonders hervorhob (OLG München NZBau 2013, 261; in diese Richtung auch OLG Düsseldorf BeckRS 2018, 34753; VK Bund BeckRS 2016, 107974).“16 – „Der pauschale Verweis darauf, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, welches seit geraumer Zeit andauere, genügt indes nicht (VK Bund BeckRS 2016, 107974).“17 – „Dasselbe gilt für Ermittlungsverfahren, die mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO bzw. gem. § 153a StPO eingestellt wurden (OLG Celle BeckRS 2019, 13155).“18 – „Dagegen sah das LG Berlin (NZBau 2006, 397) die schwere Verfehlung aufgrund der staatsanwaltlichen Anklageschrift als nachgewiesen an. Dieser Schluss erscheint in seiner Pauschalität mit Blick auf den geringen Verdachtsgrad („hinreichender Tatverdacht“, vgl. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1, 163 Abs. 3 StPO) aber zumindest nicht unproblematisch. Zu fordern ist daher in diesem Kontext jedenfalls, dass der Auftraggeber die der Anklageschrift 12 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB Rn. 38. 13 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB Rn. 39 m.w.N. Weitergehend Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 54: Der Auftraggeber müsse Tatsachen und Beweismittel präsentieren, die keine vernünftigen Zweifel an der schuldhaften Begehung einer als schwer zu qualifizierenden Verfehlung mehr zulassen (dringender Tatverdacht). 14 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB Rn. 39. 15 Friton, in: Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), BeckOK Vergaberecht, 16. Edition, Stand: 30.04.2020, § 124 GWB Rn. 40 m.w.N. 16 Friton a.a.O. 17 Friton a.a.O. 18 Friton a.a.O.. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 7 zugrundeliegenden Nachweise eigenständig im Hinblick auf die schwere berufliche Verfehlung bewertet.“19 Diesen Anwendungsbeispielen kann entnommen werden, dass für den Nachweis des Ausschlussgrundes zwar einerseits kein rechts- und bestandskräftiger formaler Abschluss eines in Bezug auf die fragliche Verfehlung in Gang gesetzten Verfahrens erforderlich ist – etwa in Gestalt einer rechtskräftigen Verurteilung. Andererseits aber dürfte bei der Bezugnahme auf erfolgte Untersuchungen Dritter zumindest eine finale – gegebenenfalls behördliche – Überzeugung dieser zu fordern sein, dass eine Verfehlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit tatsächlich begangen wurde – belegt etwa durch den Erlass eines Haftbefehls oder durch eine Anklageerhebung. Die bloße Aufnahme behördlicher Ermittlungen – etwa wegen des Verdachts der Verletzung gesetzlicher und/oder berufsrechtlicher Vorgaben – dürfte nach diesen Maßstäben für sich genommen in der Regel keinen hinreichenden Nachweis im Rahmen eines Ausschlusses nach § 124 Absatz 1 Nr. 3 GWB darstellen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Verhängen einer Auftragssperre aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen einen im Rahmen des § 823 Absatz 1 BGB20 relevanten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen kann.21 3. Rechtsfolge Bejaht der Auftraggeber zutreffend das Vorliegen einer schweren Verfehlung im Sinne des § 124 Absatz 1 Nr. 3 GWB, kommt ihm hinsichtlich des „Ob“ des Ausschlusses ein Ermessensspielraum zu22: „Es steht im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers zu entscheiden, ob aufgrund des Fehlverhaltens des Unternehmens, das einen fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 begründet, die Zuverlässigkeit des Unternehmens zu verneinen ist. Dabei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung dahingehend, ob von dem Unternehmen trotz des Vorliegens eines fakultativen Ausschlussgrundes im Hinblick auf die Zukunft zu erwarten ist, dass es den öffentlichen Auftrag gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführt.“23 Die öffentlichen Auftraggeber haben bei der Anwendung fakultativer Ausschlussgründe insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.24 Kleinere Unregelmäßigkeiten sollen deshalb nur in Ausnahmefällen zum Ausschluss eines Unternehmens führen, wobei aber 19 Friton a.a.O. 20 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. November 2020 (BGBl. I S. 2392) geändert worden ist. 21 Kammergericht, Urteil vom 17.01.2011 − 2 U 4/06, NZBau 2012, 56, 59. 22 Opitz, in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 124 GWB Rn. 14. 23 Gesetzesbegründung zu § 124 GWB, BT-Drs. 18/6281, S. 104. 24 BT-Drs. 18/6281, S. 104. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 8 wiederholte Fälle kleinerer Unregelmäßigkeiten durchaus einen Ausschluss rechtfertigen können .“25 In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass aufgrund der verschiedenen wertenden Elemente bereits auf der Tatbestandsebene von § 124 GWB jedenfalls in der Praxis ein Ausschluss die Regel sei, wenn ein Auftraggeber vom Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ausgeht: „Hat der Auftraggeber alle Tatbestandsmerkmale des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB bejaht, steht es theoretisch in seinem Ermessen, ob er das Unternehmen auch tatsächlich ausschließt. Weil aber bereits auf der Tatbestandsebene nahezu alles Berücksichtigung finden kann, was für ein Unternehmen spricht, engt die Bejahung aller Tatbestandsmerkale den Ermessensspielraum praktisch erheblich ein, so dass der Ausschluss die Regel ist.“26 Darüber hinausgehend soll in extremen Einzelfällen auch eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich eines unvermeidlichen Ausschlusses möglich sein: „Im Einzelfall und abhängig von dem anwendbaren Ausschlussgrund kann das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers auf Null reduziert sein, so dass nur ein Ausschluss ermessensfehlerfrei ist.“27 Andererseits aber kann der Ausschluss eines Unternehmens sich als unverhältnismäßig erweisen , „wenn das Unternehmen ernsthafte und erfolgversprechende Bemühungen für eine Selbstreinigung in Gang gesetzt hat, die aber noch nicht ausreichen, um die Voraussetzungen des § 125 GWB zu bejahen.“28 Nach § 125 GWB schließen öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 124 GWB vorliegt, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren aus, wenn das Unternehmen sog. Selbstreinigungsmaßnahmen nachgewiesen hat, d.h. dass es – für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, – die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat, und – konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. 25 BT-Drs. 18/6281, S. 104. 26 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 49. 27 BT-Drs. 18/6281, S. 104. 28 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 124 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 9 Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB ergriffen hat, sind zudem die höchstzulässigen gesetzlichen Ausschlussfristen des § 126 GWB zu beachten (sog. Anwendungsverjährung29). So darf es nach § 126 Nr. 2 GWB bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden (bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 GWB darf ein Ausschluss nach § 126 Nr. 1 GWB für höchstens fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung erfolgen). „Soweit nach den §§ 123 und 124 GWB ein Ausschlussgrund vorliegt, durch den die Zuverlässigkeit oder „Integrität“ eines Unternehmens in Frage gestellt wird, hat dies nicht nur in einem einzigen Vergabeverfahren, sondern für eine gewisse Dauer Bedeutung. Urteile über die Zuverlässigkeit oder Integrität eines Unternehmens prägen das Bild eines Unternehmens für eine gewisse Zeit und müssen nicht bei jeder Vertragsanbahnung erneut begründet werden . Deshalb kann ein Unternehmen auch wegen eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Im Ergebnis macht es allerdings keinen Unterschied, ob ein Unternehmen in einem aktuellen Vergabeverfahren wegen einer in der Vergangenheit liegenden Verfehlung oder ein Unternehmen wegen einer aktuellen Verfehlung bei zukünftigen Aufträgen ausgeschlossen wird. Der letztgenannte Fall wird als „Auftragssperre“ oder „Vergabesperre“ bezeichnet. § 126 GWB regelt beides. Den Zeitraum , innerhalb dessen das Vorliegen eines Ausschlussgrundes von einem öffentlichen Auftraggeber in einem konkreten Vergabeverfahren noch berücksichtigt werden darf und die Höchstdauer von Auftragssperren.“30 Auftragssperren sind nach der Rechtsprechung dabei als bloße Ankündigungen eines tatsächlichen Verhaltens zu verstehen, die nicht auf eine Rechtsgestaltung abzielen, sondern dem gesperrten Unternehmen erklären, dass es für eine Auftragserteilung jedenfalls vorerst nicht mehr in Betracht kommt.31 Die Anwendungsverjährung gilt jeweils nur solange, wie die Unternehmen keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB ergriffen haben (vgl. § 126 GWB erster Halbsatz). 4. Fazit Der den Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren ermöglichende Tatbestand des § 124 Absatz 1 Nr. 3 GWB ist geprägt durch den unbestimmten Rechtsbegriff der schweren, die Integrität des Unternehmens infrage stellenden Verfehlung – hinsichtlich dessen dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird – sowie durch das jenem eingeräumte Ermessen . Ob auf dieser Grundlage der (durch die aufgezeigten gesetzlichen Höchstfristen zeitlich befristete ) Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren möglich ist, kann nur im jeweiligen Einzelfall unter Einbeziehung aller relevanten Umstände beurteilt werden. Stets erforderlich 29 Summa, in: Heiermann/Zeiss/Summa (Hrsg.), jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 126 GWB (Stand: 11.08.2020), Rn. 24. 30 Opitz, in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2017, § 126 GWB Rn. 7. 31 Leinemann, Klammer, in: Leinemann (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 6. Auflage (Stand August 2016), Rn. 2509 mit Verweis auf Urteil des Kammergerichts vom 17.11.2011 − 2 U 4/06, NZBau 2012, 56 u.a. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 135/20 Seite 10 ist, dass hinsichtlich der Verfehlung nicht lediglich ein bloßer Verdacht besteht, sondern dass sie durch konkrete, nachweisbare objektivierte Anhaltspunkte belegt ist. * * *