© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 132/20 Einzelaspekte des Weltrechtsprinzips im Strafrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 132/20 Seite 2 Einzelaspekte des Weltrechtsprinzips im Strafrecht Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 132/20 Abschluss der Arbeit: 21. Dezember 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 132/20 Seite 3 1. Einleitung Das deutsche Strafrecht gilt nach § 3 des Strafgesetzbuchs (StGB)1 für Taten, die im Inland begangen werden. Die Norm setzt das sogenannte Territorialitätsprinzip um.2 Im Völkerrecht sind neben diesem verschiedene weitere Anknüpfungsprinzipien anerkannt, welche die Begründung einer Strafgewalt legitimieren.3 Hierzu zählt auch das sogenannte Weltrechtsprinzip (bzw. Weltrechtsgrundsatz 4 oder Universalitätsprinzip).5 Dieses ermöglicht „die weltweite Verfolgung extraterritorialer Taten unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit von Täter bzw. Opfer“.6 Hierbei handelt der Staat nicht nur im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Staatengemeinschaft , wobei sowohl gemeinsame Sicherheitsinteressen als auch universell anerkannte Rechtsgüter bzw. als gemeinsam anerkannte Werte betroffen sein können.7 Im deutschen Strafrecht findet sich das Weltrechtsprinzip in § 6 StGB und § 1 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB)8 wieder.9 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden befragt, inwieweit aufgrund der Regelungen zum Weltrechtsprinzip in Deutschland Handlungen wie willkürliche Tötungen, Folter, Körperverletzungen und willkürliche Inhaftierungen strafrechtlich verfolgt 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. November 2020 (BGBl. I S. 2600) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/BJNR001270871.html, letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 21. Dezember 2020; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Juni 2019 (BGBl. I S. 844), abrufbar unter https://www.gesetzeim -internet.de/englisch_stgb/englisch_stgb.html. 2 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, Vorbemerkungen zu §§ 3ff. Rn. 16. 3 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, Vorbemerkungen zu §§ 3ff. Rn. 15. 4 Ambos, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3 Rn. 46. 5 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, Vorbemerkungen zu §§ 3ff. Rn. 15, 21. 6 Ambos, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3 Rn. 46. 7 Ambos, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 3 Rn. 46. 8 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3150) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/vstgb/BJNR225410002.html. 9 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, Vorbemerkungen zu §§ 3ff. Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 132/20 Seite 4 werden können. Dieser Sachstand behandelt im Wesentlichen die insoweit relevanten grundlegenden Vorschriften des StGB und zeigt Besonderheiten der Strafprozessordnung (StPO)10 im Hinblick auf das Weltrechtsprinzip auf. Nähere völker(straf-)rechtliche Ausführungen erfolgen gesondert durch den hierfür zuständigen Fachbereich WD 2. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nehmen nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine Einzelfallprüfung vor. Die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung und die prozessualen Besonderheiten sollen daher nachfolgend nur allgemein und summarisch erörtert werden. 2. Weltrechtsgrundsatz im Strafgesetzbuch Nach § 6 Nr. 1 bis 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts, für bestimmte Taten, die im Ausland begangen werden: Hierzu zählen beispielsweise Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen in den Fällen der §§ 307 und 308 Abs. 1 bis 4 StGB, des § 309 Abs. 2 StGB und des § 310 StGB, Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr, Menschenhandel, unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln oder Geld- und Wertpapierfälschung. Weiterhin sind nach § 6 Nr. 9 StGB Taten umfasst, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden, wobei teilweise vertreten wird, dass § 6 Nr. 9 StGB nicht (nur) auf das Weltrechtsprinzip zurückzuführen sei, da die vertragliche Verfolgungspflicht auch an andere Umstände, wie z. B. die Staatsangehörigkeit des Täters, anknüpfen könne.11 Über die Verweisung in § 6 Nr. 9 StGB wird allerdings kein strafrechtlicher Tatbestand geschaffen .12 Sofern sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zum Erlass eines Straftatbestands verpflichtet hat, aber ein solcher noch nicht erlassen wurde, soll dieser nicht angewendet werden dürfen (Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2 10 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2678) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/BJNR006290950.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 3 des Gesetzes vom 11. Juli 2019 (BGBl. I, S. 1066), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stpo/englisch_stpo.html. 11 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 6 Rn. 17; für ein Beruhen der Vorschrift auf dem Vertragsprinzip und nicht auf dem Weltrechtsprinzip Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 30. Auflage 2019, § 6 Rn. 10; für ein Beruhen der Vorschrift auf dem Weltrechtsgrundsatz dagegen wohl Heger, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Auflage 2018, § 6 Rn 1 sowie Heintschel-Heinegg, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Strafgesetzbuch, 48. Edition, Stand: 01.11.2020, § 6 Rn. 1, 10. 12 Ambos, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2020, § 6 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 132/20 Seite 5 des Grundgesetzes (GG)13).14 Gleichwohl wird vertreten, dass das deutsche Strafrecht im Falle von Auslandstaten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Nr. 9 StGB selbst dann Anwendung finde, wenn im deutschen Recht ein der Deliktsbeschreibung des zwischenstaatlichen Abkommens entsprechender Straftatbestand fehle, aber „die deutsche Strafvorschrift (als lex generalis ) zumindest teilweise mit dem internationalen Delikt inhaltlich übereinstimmende Tatbestandsmerkmale “ enthalte.15 3. Annexkompetenz zum Weltrechtsgrundsatz im Völkerstrafgesetzbuch Nach § 1 Satz 1 VStGB gilt das VStGB für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht , für Taten nach den §§ 6 bis 12 VStGB auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für mit dem jeweils einschlägigen Delikt nach den §§ 6 bis 12 VStGB in Tateinheit stehende Straftatbestände des StGB kann das Weltrechtsprinzip wohl aufgrund einer Annexkompetenz ebenfalls gelten. So führte der Bundesgerichtshof (BGH) aus: „Deutsches Strafrecht ist nach dem in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzip anwendbar . […] Für die gefährlichen Körperverletzungen, die trotz idealkonkurrierender Tatbestandsverwirklichung an sich gesondert zu beurteilen sind […], folgt die Geltung des Weltrechtsprinzips aus einer Annexkompetenz: Die Annahme, § 1 S. 1 VStGB erfasse auch tateinheitlich mit dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gem. § 7 I Nr. 5 VStGB begangene Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB, rechtfertigt sich daraus, dass – wegen der weitgehenden Identität der Tatbestandsmerkmale – der Sachverhalt, der für eine Verurteilung wegen des Menschlichkeitsverbrechens ermittelt und festgestellt werden muss, auch eine Verurteilung wegen (zumindest einfacher) Körperverletzung trägt (s. – für § 6 Nr. 1 StGB aF im Verhältnis von Völkermord gem. § 220 a I Nr. 1 StGB aF zu tateinheitlich begangenen Verbrechen nach §§ 211, 212 StGB – BGHSt 45, 64 [69 f.] = NStZ 1999, 396 = NJW 2000, 2517 Ls.).“16 4. Prozessuale Besonderheiten In strafprozessualer Hinsicht sind in Bezug auf das Weltrechtsprinzip die §§ 153c und 153f der StPO zu beachten, welche die Möglichkeit des Absehens von einer Verfolgung bei Auslandstaten 13 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/gg/BJNR000010949.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung (en) des Gesetzes durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gg/englisch_gg.html. 14 Heintschel-Heinegg, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Strafgesetzbuch, 48. Edition , Stand: 01.11.2020, § 6 Rn. 10. 15 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 6 Rn. 21. 16 BGH, Beschluss vom 06.06.2019, Az. StB 14/19, NJW 2019, 2627, 2634 Rn. 71. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 132/20 Seite 6 bzw. bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch regeln. Beispielsweise kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO von der Verfolgung von Straftaten absehen, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der StPO begangen sind oder die ein Teilnehmer an einer außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der StPO begangenen Handlung in diesem Bereich begangen hat. Nach § 153c Abs. 1 Satz 2 StPO gilt für Taten, die nach dem Völkerstrafgesetzbuch strafbar sind, § 153f StPO. § 153f StPO „flankiert das in § 1 VStGB verankerte Weltrechtsprinzip“ und begrenzt das grundsätzlich nach § 153c StPO bei Auslandstaten bestehende Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft für Auslandstaten, welche sich nach dem VStGB richten.17 Die Staatsanwaltschaft kann gemäß § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO von der Verfolgung einer Tat, die nach den §§ 6 bis 15 VStGB strafbar ist, unter anderem in den Fällen des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO absehen, wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Ist in den Fällen des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO der Beschuldigte Deutscher, so gilt dies nach § 153f Abs. 1 Satz 2 StPO jedoch nur dann, wenn die Tat vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird. Die Staatsanwaltschaft kann nach § 153f Abs. 2 Satz 1 StPO insbesondere von der Verfolgung einer Tat, die nach den §§ 6 bis 12, 14 und 15 des Völkerstrafgesetzbuches strafbar ist, unter anderem in den Fällen des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO absehen, wenn kein Tatverdacht gegen einen Deutschen besteht (Nr. 1), die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde (Nr. 2), kein Tatverdächtiger sich im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist (Nr. 3) und die Tat vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird (Nr. 4). Dasselbe gilt gemäß § 153f Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn sich ein wegen einer im Ausland begangenen Tat beschuldigter Ausländer im Inland aufhält, aber die Voraussetzungen nach § 153f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 StPO erfüllt sind und die Überstellung an einen internationalen Gerichtshof oder die Auslieferung an den verfolgenden Staat zulässig und beabsichtigt ist. *** 17 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, 63. Auflage 2020, § 153f StPO Rn. 1.