© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 131/20 Straßenverkehrsrechtliche Einzelfragen im Kontext einer nicht zu ermittelnden Fahrereigenschaft Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 2 Straßenverkehrsrechtliche Einzelfragen im Kontext einer nicht zu ermittelnden Fahrereigenschaft Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 131/20 Abschluss der Arbeit: 26. November 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Relevante gesetzliche Grundlagen de lege lata 4 2.1. Allgemeines zur Haftung im Straßenverkehr 4 2.2. Die individuelle Vorwerfbarkeit einer (verkehrsrechtswidrigen) Handlung 5 2.3. Keine Strafe ohne Schuld (nulla poena sine culpa) 6 2.4. Keine grundsätzliche Pflicht des Fahrzeughalters zur Benennung des Fahrzeugführers 7 2.5. Rechtsfolgen einer ausbleibenden Benennung des Fahrzeugführers 8 3. Diskussionsansätze einer möglichen Ausweitung der Halter-Kostenhaftung auf Verstöße im fließenden Verkehr 10 3.1. Zur Möglichkeit einer Ausweitung im Allgemeinen 11 3.2. Diskussionsansätze einer Ausweitung des § 25a StVG 12 3.3. Mögliche Ausweitung auf einzelne Teilnehmergruppen 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 4 1. Einleitung Fahrzeugführer, die straßenverkehrsrechtliche Verstöße begehen, sollen für diese Verstöße zur Rechenschaft gezogen werden. Die hierzu notwendige Identifikation der Fahrzeugführer kann für die zuständigen staatlichen Stellen im Einzelfall jedoch zu besonderen Herausforderungen führen . So kann es etwa trotz des Vorliegens von Fotografien oder Filmaufnahmen des Fahrzeugs beziehungsweise des Fahrers dazu kommen, dass eine Identifikation des Fahrzeugführers anhand dieser Aufnahmen nicht möglich ist, etwa weil das Gesicht und/oder andere individualisierende Merkmale, beispielsweise aufgrund des Tragens von Schutzausrüstung, insbesondere Motorradhelmen , nicht ohne weiteres zweifelsfrei – und damit rechtssicher – erfolgen kann.1 Nachfolgend sollen rechtliche Einzelfragen dieser Nachweisproblematik überblicksartig dargestellt werden. Um ein besseres Gesamtverständnis zu ermöglichen, werden zunächst relevante rechtliche Grundlagen dieser Thematik erörtert. Abschließend sollen in Literatur und Rechtsprechung diskutierte Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge aufgezeigt werden. Bereits an dieser Stelle ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine politischen Konzeptionen fertigen. Eine rechtliche Detailprüfung etwaiger zukünftiger Regelungsansätze, insbesondere im Hinblick auf die Ausweitung beziehungsweise Beschränkung bestehender gesetzlicher Vorschriften, kann mithin nicht erfolgen. Die enthaltenen Ausführungen beinhalten daher insoweit vielmehr eine summarische Darstellung von Einzelaspekten der in Literatur und Rechtsprechung diskutierten Ansätze sowie grundsätzliche Möglichkeiten einer erweiterten Sanktionierung etwaiger straßenverkehrsrechtlicher Verstöße. 2. Relevante gesetzliche Grundlagen de lege lata 2.1. Allgemeines zur Haftung im Straßenverkehr Wer am Verkehr teilnimmt hat sich nach der Grundregel des § 1 Abs. 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)2 so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Wird dieser Grundregel nicht entsprochen, kann dies in erster Linie eine Verkehrsordnungswidrigkeit begründen, mitunter aber auch eine 1 Vgl. ablehnende Begründung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur Petition Pet 1-19-12-921- 004629 (Straßenverkehrsrecht) vom 26. September 2019, S. 2, abrufbar unter: https://epetitionen.bundestag .de/petitionen/_2018/_03/_13/Petition_77272.abschlussbegruendungpdf.pdf (letzter Abruf dieses und aller weiteren Links am 26. November 2020) sowie ergänzend zur allgemeinen Problematik der Identifikation im Straßenverkehr auch Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, Zeitschrift für Verkehrssicherheit (ZVS) 2010, S. 28, 29. 2 Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 20. April 2020 (BGBl. I S. 814) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/stvo_2013/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 5 Strafbarkeit nach sich ziehen (vgl. etwa bei verursachten Personen- oder Sachschäden oder Trunkenheit im Verkehr die §§ 315b, 315c oder 316 Strafgesetzbuch (StGB)3. Eine etwaig darüber hinaus in Betracht kommende zivilrechtliche Haftung bleibt hiervon unberührt.4 Im Folgenden soll im Hinblick auf die Fragestellung das Ordnungswidrigkeitenrecht näher thematisiert werden. 2.2. Die individuelle Vorwerfbarkeit einer (verkehrsrechtswidrigen) Handlung Die ordnungsrechtliche Sanktionierung einer verkehrsrechtswidrigen Handlung – beispielsweise ein Verstoß gegen Lärm- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen – setzt nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)5 eine Handlung voraus, die einen Bußgeldtatbestand erfüllt, rechtswidrig und vorwerfbar ist.6 Der Begriff der Vorwerfbarkeit erfüllt dabei dieselbe Funktion wie der im Strafrecht gängige Begriff der Schuld, der insoweit synonym zu verstehen ist,7 denn Schuld im strafrechtlichen Sinn heißt Vorwerfbarkeit.8 Entscheidendes Kriterium einer (im Folgenden stets unterstellten) verkehrsrechtswidrigen Handlung ist damit insbesondere auch die persönliche Eigenschaft – hier also die Fahrereigenschaft – die Grundlage der Vorwerfbarkeit einer konkreten Handlung ist.9 Für im Straßenverkehr begangene Ordnungswidrigkeiten kann daher – wie im Strafrecht – grundsätzlich nur der jeweilige Fahrzeugführer zur Verantwortung gezogen werden, da er derjenige ist, der den vorgeworfenen Verstoß auch begangen hat10 (zur nur kostenrechtlich wirkenden Ausnahmeregelung des § 25a Abs. 1 Satz 1 StVG vgl. nachfolgend Ziffer 2.4). Dies gilt gleichermaßen auch für Verfahrenskosten; auch diese können grundsätzlich nur demjenigen auferlegt werden, der die dem Verfahren zugrundeliegende 3 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648, 1652) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/. 4 So haftet der Fahrzeugführer etwa gemäß § 18 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gegenüber dem Geschädigten oder dessen Versicherung für Sach- und Personenschäden, die bei Betrieb des von ihm geführten Fahrzeugs im Straßenverkehr entstanden sind. Auch der Fahrzeughalter ist unter gleichen Voraussetzungen für die gleichen Schäden nach § 7 Abs. 1 StVG verantwortlich. 5 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 185 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/. 6 Vgl. dazu auch Coen, in: Beck’scher Online-Kommentar zum OWiG, 28. Edition, Stand: 1. Oktober 2020, § 12 OWiG, Rn. 1 m.w.N. 7 Vgl. Coen, in: Beck’scher Online-Kommentar zum OWiG, 28. Edition, Stand: 1. Oktober 2020, § 12 OWiG, Rn. 1 m.w.N. 8 Vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 18. März 1952, Az.: GSSt. 2/51, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1952, S. 593, 594. 9 Vgl. insoweit auch Rengier, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 12 OWiG, Rn. 1 m.w.N. 10 Vgl. hierzu auch die Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, „Halterhaftung bei Ordnungswidrigkeiten“, WD 7 - 3000 - 160/17, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource /blob/538836/4218580415250481a84880f2549c9aa7/WD-7-160-17-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 6 rechtswidrige Handlung vorwerfbar verursacht hat (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 465 Abs. 1, 469 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO)11).12 2.3. Keine Strafe ohne Schuld (nulla poena sine culpa) Vorstehende Erwägungen fußen dabei maßgeblich auf dem strafrechtlichen Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld“ (lat.: „nulla poena sine culpa“). Dieser auf das Rechtsstaatsprinzip zurückzuführende Grundsatz von Verfassungsrang13 besagt, dass die Strafe als staatlicher Eingriff eine Vorwerfbarkeit, also eine strafrechtliche Schuld voraussetzt.14 Starck führt insoweit aus: „Strafe setzt Vorwerfbarkeit, also strafrechtliche Schuld voraus. Dies begründet das Bundesverfassungsgericht mit dem Rechtsstaatsprinzip, dessen Verletzung einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 auslöst. Die Schuldangemessenheit der Strafe folgt aber auch unmittelbar aus dem in Art. 2 Abs. 1 geschützten Persönlichkeitsrecht. Dass Strafe Schuld voraussetzt, kann man auch unmittelbar aus dem Freiheitsprinzip des Art. 2 Abs. 1 ableiten, wenn man nach dem notwendigen Grund für einen die freie Entfaltung beschränkenden Strafausspruch sucht. – Schuld ist nicht nur Voraussetzung für Strafe. Art. 2 Abs. 1 verlangt ferner unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, dass die gesetzlich angedrohte und die im Urteil verhängte Strafe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen (…).“15 Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Kriminalstrafen, sondern auch für strafähnliche Sanktionen und somit auch für Ordnungswidrigkeiten, die im Straßenverkehr begangen werden.16 11 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 9. Oktober 2020 (BGBl. I S. 2075) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/. 12 Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. 13 Vgl. unter anderem BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1966, Az.: 2 BvR 506/63, NJW 1967, S. 195, 196. 14 Vgl. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 2 GG, Rn. 127 m.w.N. 15 Vgl. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 2 GG, Rn. 127 m.w.N. 16 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1966, Az.: 2 BvR 506/63, NJW 1967, S. 195, 196 mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1959, Az.: 1 BvR 197/53, NJW 1959, S. 619. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 7 2.4. Keine grundsätzliche Pflicht des Fahrzeughalters zur Benennung des Fahrzeugführers Ein Fahrzeughalter kann grundsätzlich (außerhalb der nur generell wirkenden polizeilichen Mitwirkungspflichten 17) nicht bußgeldbewährt dazu verpflichtet werden, den Fahrzeugführer zum Zeitpunkt des verkehrsrechtlichen Verstoßes zu benennen.18 Dies folgt bereits aus dem ihm zustehenden Aussage-19 beziehungsweise Zeugnisverweigerungsrecht20. Der Grundsatz, sich selbst oder nahe Angehörige nicht belasten zu müssen, findet auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. §§ 52 - 55 StPO), zumal das Aufklärungsinteresse an verwaltungsrechtlichen Verstößen im Allgemeinen als geringer angesehen wird, als an der Aufklärung von Straftaten.21 Gehrmann führt insoweit aus: „Grundsätzlich dürfen aus dem Schweigen eines Betroffenen keine nachteiligen Schlüsse in Bezug auf das Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht gezogen werden (…). Gibt der Halter eines Kraftfahrzeugs mit Rücksicht auf sein Aussageverweigerungsrecht keine Erklärungen zu der Person des nicht bekannten Fahrers ab, so darf nicht von der Halter- auf die Fahrereigenschaft geschlossen werden (…). Spricht alles gegen den Halter als Täter, so bleibt der Fahrzeugführer unbekannt.“22 Die ermittelnde Behörde treffen keine weiterreichenden Ermittlungspflichten, wenn sie alle zumutbaren und je nach Einzelfall angemessenen Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers 17 Die sog. polizeiliche Mitwirkungspflicht ergibt sich aus der sinngemäßen Anwendung der Vorschriften der StPO über die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen (vgl. § 46 OWiG). So müssen Zeugen auf Ladung durch die Verwaltungsbehörden erscheinen und zu Sache aussagen, es sei denn sie können sich auf ein Schweigerecht nach §§ 52-55 StPO berufen. Der Verwaltungsbehörde steht bei einer ungerechtfertigten Aussageverweigerung im Gegensatz zu der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren nur die Festsetzung eines Ordnungsgeldes als Sanktion zu (vgl. § 161a Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 51, 70, 77 StPO). Vgl. hierzu weiterführend Euler, in: Beck’scher Online-Kommentar zum OWiG, 28 Edition, Stand 1. Oktober 2020, § 59 OWiG, Rn. 1. 18 Vgl. hierzu etwa auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 29. Juni 2007, Az.: 15809/02 u. 25624/02, O’Halloran u. Francis / Vereinigtes Königreich, NJW 2008, S. 3549, zum Road Traffic Act, welcher nach Ansicht des EGMR durch eine strafangedrohte Mitwirkungspflicht des Fahrzeughalters bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht das Schweigerecht aus Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. 19 Das Aussageverweigerungsrecht (vgl. § 55 StPO) umfasst das Recht eines Beschuldigten, in Strafverfahren sowie bei Ordnungswidrigkeiten, keine Angaben zu dem ihm zur Last gelegten Sachverhalt machen zu müssen. 20 Das Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. insbesondere §§ 52 ff. StPO) umfasst das Recht eines Zeugen vor Gericht oder anderen staatlichen Stellen, bei Vorliegen bestimmter Bedingungen die Auskunft in Bezug auf sich oder einen Dritten zu verweigern. 21 Vgl. Lutz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 59 OWiG, Rn. 22. 22 Vgl. Gehrmann, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 42. Ergänzungslieferung August 2020, § 31a StVZO, Rn. 13. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 8 ergriffen hat.23 Sofern dessen Feststellung jedoch nur durch eine Benennung durch den Fahrzeughalter möglich ist und diese unterbleibt, kann der eigentliche, im ruhenden oder fließenden Verkehr begangene, verkehrsordnungsrechtliche Verstoß mithin nicht aufgeklärt werden. 2.5. Rechtsfolgen einer ausbleibenden Benennung des Fahrzeugführers Die vorstehend überblicksartig beschriebenen Aussage- beziehungsweise Zeugnisverweigerungsrechte schützen den Fahrzeughalter folglich zwar vor einer Verfolgung aufgrund des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, „nicht aber vor den Maßnahmen der verkehrsordnungsrechtlichen vorbeugenden Gefahrenabwehr nach dem Straßenverkehrszulassungsrecht“.24 Denn der „gesetzlich geregelte Schutz vor Selbstbezichtigungen hat (…) nur in dem jeweiligen Rechtsgebiet günstige Folgen, er hat keinen doppelten Effekt zugleich für andere Rechtsgebiete, so führt er nicht zur Freistellung von Gefahrenabwehrmaßnahmen ordnungsrechtlicher Art aufgrund einer bestimmten Einschätzung von Straßenverkehrsrisiken“.25 Der zuständigen Stelle ist es daher gegenüber dem Fahrzeughalter insbesondere möglich, nach § 31a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO)26 die Führung eines Fahrtenbuchs anzuordnen . In einem solchen Fahrtenbuch muss der Fahrzeughalter für jede einzelne Fahrt unter anderem Namen und Anschrift des jeweiligen Fahrzeugführers, sowie Datum und Uhrzeit der Fahrt festhalten (vgl. § 31a Abs. 2 StVZO). Sofern es sich um einen unaufgeklärten Verstoß im ruhenden Verkehr handelt, ist nach § 25a StVG zudem die Auferlegung der Kostentragung für den Fahrzeughalter möglich. § 25a Abs. 1 Satz 1 StVG lautet: „(1) Kann in einem Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Parkverstoßes der Führer des Kraftfahrzeugs, der den Verstoß begangen hat, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden oder würde seine Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern, so werden dem Halter des Kraftfahrzeugs oder seinem Beauftragten die Kosten des Verfahrens auferlegt; er hat dann auch seine Auslagen zu tragen.“ Die Regelung soll insbesondere den erschwerten Ermittlungsbedingungen bei Park- beziehungsweise Halteverstößen Rechnung tragen, da die Aufklärung regelmäßig von der Mitwirkung des 23 Vgl. Gehrmann, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 42. Ergänzungslieferung August 2020, § 31a StVZO, Rn. 15. 24 Vgl. Gehrmann, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 42. Ergänzungslieferung August 2020, § 31a StVZO, Rn. 13; Hervorhebung durch Verfasser der Ausarbeitung. 25 Zitiert nach Gehrmann, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 42. Ergänzungslieferung August 2020, § 31a StVZO, Rn. 13, mit Verweis auf BVerfG (Vorprüfungsausschuss), Beschluss vom 7. Dezember 1981, Az.: 2 BvR 1172/81, NJW 1982, S. 568. 26 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. April 2012 (BGBl. I S. 679), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 26. November 2019 (BGBl. I S. 2015) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stvzo_2012/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 9 Halters abhängig ist und nicht durch Lichtbildaufnahmen erleichtert wird, wie dies etwa bei Geschwindigkeitsüberschreitungen oder ähnlichen Verstößen der Fall ist.27 Die Kostentragungspflicht umfasst zudem die durch das Bußgeldverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen nach § 107 Abs. 3 OWiG.28 Die Regelung gilt sowohl für Bußgeldverfahren gegen Fahrzeughalter als auch für Verfahren gegen Dritte, wenn diese aus den gleichen oben genannten Gründen des § 25a Abs. 1 Satz 1 StVG eingestellt wurden.29 Im Einzelfall kann nach § 25a Abs. 1 Satz 2 StVG aus Billigkeitsgründen von der Kostenauferlegung abgesehen werden. § 25a Abs. 1 Satz 1 StVG stellt seiner Systematik nach keine Sanktion für die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit , sondern nur eine subsidiäre Kostenregelung dar, die erst nach Beendigung des Bußgeldverfahrens eingreift.30 Der Fahrzeughalter muss demnach nicht für das eigentliche Bußgeld der (zuvor nicht zu ahndenden) Verkehrsordnungswidrigkeit aufkommen, sondern nur für diejenigen Kosten eines behördlichen Ermittlungsverfahrens, die als Folge des Verstoßes entstanden sind. § 25a StVG stellt mithin vielmehr eine rein präventive Maßnahme dar, die keinen ethischen Schuldvorwurf enthält und folglich auch nicht mit der Verhängung einer Kriminalstrafe oder vergleichbaren Sanktion gleichgesetzt werden kann.31 Auch zu den oben unter Ziffer 2.4 dargestellten Schweigerechten des Fahrzeughalters steht dies nicht im Widerspruch. Denn der Halter ist nach der Beendigung des Bußgeldverfahrens nur noch bloßer Kostenschuldner, sodass seine etwaigen Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte nach §§ 52, 55 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG insoweit unberührt bleiben.32 § 25a StVG bewirkt keinen faktischen Zwang zur Selbstbezichtigung, sondern ordnet die Kostentragung nur aufgrund der Mitverantwortlichkeit des Halters für sein eigenes Fahrzeug und die damit verursachten Verkehrsverstöße an.33 Zudem soll aufgrund der (in der Regel) bestehenden Geringfügigkeit der 27 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. 28 Vgl. Euler, in: Beck’scher Online-Kommentar OWiG, 28. Edition Stand 1. Oktober 2020, § 25a StVG, Rn. 6. 29 Vgl. Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, §25a StVG, Rn. 13 m.w.N. 30 Vgl. Euler, in: Beck’scher Online-Kommentar OWiG, 28. Edition Stand 1. Oktober 2020, § 25a StVG, Rn. 1 m.w.N. 31 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679, 2680. 32 Vgl. Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, §25a StVG, Rn. 1a m.w.N. 33 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679, 2680. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 10 in Betracht kommenden Kostenlast durch die Regelung keine ernsthafte Konfliktsituation entstehen , die das Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf nahe Angehörige verhindern will.34 Gleiches gilt auch für die Auflage zur Führung eines Fahrtenbuchs nach § 31a StVZO.35 Eine darüberhinausgehende öffentlich-rechtliche Störerhaftung des Fahrzeughalters kommt daneben nicht in Betracht. Die Konzeption dieses polizeirechtlichen Instituts (auch Polizeipflichtigkeit oder Verantwortlichkeit genannt) geht davon aus, dass nur derjenige Adressat einer ordnungsrechtlichen Maßnahme sein kann, der eine Gefahr durch sein Verhalten (Verhaltensstörer) oder durch seine Sachen (Zustandsstörer) kausal verursacht.36 Für die Störerhaftung ist daher stets eine Gefahr im ordnungsrechtlichen Sinne erforderlich, mithin eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines zukünftigen Schadens.37 Gefahrenabwehr auf der Grundlage der Störerhaftung stellt daher einen präventiven Eingriff zur Unterbrechung eines zu einem Schaden führenden Kausalverlaufs dar, den die Behörden mit Gefahrbeseitigungsmaßnahmen zu unterbinden versuchen. 3. Diskussionsansätze einer möglichen Ausweitung der Halter-Kostenhaftung auf Verstöße im fließenden Verkehr Bereits vor der Einführung der Kostenregelung des § 25a StVG wurde eine weitergehende (generelle ) Haftung von Fahrzeughaltern diskutiert.38 So wird unter anderem seit den 1990er Jahren 34 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679, 2680. 35 Vgl. BVerfG (Vorprüfungsausschuss), Beschluss vom 7. Dezember 1981, Az.: 2 BvR 1172/81, NJW 1982, S. 568. 36 Vgl. Möstl, in: Beck’scher Online-Kommentar Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 15. Edition Stand 1. September 2020, Systematische und begriffliche Vorbemerkungen, Rn. 40, m.w.N. 37 Vgl. Möstl, in: Beck’scher Online-Kommentar Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 15. Edition Stand 1. September 2020, Systematische und begriffliche Vorbemerkungen, Rn. 35 m.w.N. 38 Eine Kostentragung des Halters für sämtliche im ruhenden und fließenden Verkehr begangenen Verstöße im Umfang der Verwaltungskosten sah etwa bereits der erste abgelehnte Gesetzesentwurf des § 25a StVG vor. Vgl. Müller, „Ausdehnung der Halter-Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr“, Straßenverkehrsrecht (SVR) 2018, S. 201 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 11 die Ausweitung auf eine generelle Kostenhaftung des Fahrzeughalters, auch für aus dem fließenden Verkehr resultierende Verstöße, vorgeschlagen.39 Zuletzt forderten unter anderem der Bundesrat 40 und die Verkehrsministerkonferenz41 die Einführung einer neuen Form der Halterhaftung , um Verkehrsverstöße effektiver zu ahnden. Auch wurde im September 2019 ein Petitionsverfahren des Deutschen Bundestages zu diesem Themenkomplex abgeschlossen.42 Nachfolgend soll der gegenwärtige Diskussionsstand, zunächst zur Ausweitung im Allgemeinen, im Anschluss in Bezug auf einzelne Verkehrsteilnehmer überblicksartig dargestellt werden. 3.1. Zur Möglichkeit einer Ausweitung im Allgemeinen Mit der dem o.g. genannten Verfahren zugrunde liegenden Petition wurde gefordert, im Straßenverkehrsrecht eine Halterhaftung einzuführen. Der Straßenverkehr würde so sicherer und die Ahndung von Delikten für den Steuerzahler günstiger und das Straßenverkehrsrecht folglich gerechter für alle Verkehrsteilnehmer werden.43 „Innerhalb der Europäischen Union sei die Halterhaftung Standard. Sie führe zu größerer Gerechtigkeit bei der Ahndung von Straßenverkehrsdelikten und habe zudem weitere Vorteile: So seien Ordnungswidrigkeits- und Bußgeldverfahren einfacher zu bearbeiten, langwierige Ermittlungs- und Gerichtsverfahren könnten vermieden werden. Ferner ließen sich Steuergelder sparen. Zudem erschwere die (…) [Halterhaftung]44 es ausländischen Verkehrsteilnehmern , der Strafverfolgung zu entgehen. Gleiches würde für Motorradfahrer gelten.“45 Die Petition wurde durch den Deutschen Bundestag mit Beschluss vom 26. September 2019 abgeschlossen , weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.46 Zur Begründung führte der 39 Vgl. etwa zu verschiedenen Ergebnissen der Deutschen Verkehrsgerichtstage Müller, Ausdehnung der Halter- Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr, SVR 2018, S. 201 m.w.N. 40 Vgl. Entschließung des Bundesrates zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm vom 4. Mai 2020, Bundesratsdrucksache 125/1/20, abrufbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen /2020/0101-0200/125-1-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 41 Vgl. Verkehrsministerkonferenz, Sammlung der im Umfrageverfahren der Verkehrsministerkonferenz gefassten Beschlüsse am 26. März 2020, S. 37, abrufbar unter: https://www.verkehrsministerkonferenz.de/VMK/DE/termine /sitzungen/20-03-26-27-vmk/20-03-26-27-beschluss.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 42 Vgl. ablehnende Begründung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur Petition Pet 1-19-12-921- 004629 (Straßenverkehrsrecht) vom 26. September 2019, abrufbar unter: https://epetitionen.bundestag.de/petitionen /_2018/_03/_13/Petition_77272.abschlussbegruendungpdf.pdf. 43 Vgl. ablehnende Begründung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur Petition Pet 1-19-12-921- 004629 (Straßenverkehrsrecht) vom 26. September 2019, S. 1. 44 Anmerkung durch Verfasser der Ausarbeitung. 45 Vgl. ablehnende Begründung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur Petition Pet 1-19-12-921- 004629 (Straßenverkehrsrecht) vom 26. September 2019, S. 1. 46 Vgl. Plenarprotokoll des 19. Deutschen Bundestages vom 26. September 2019 (19/115), S. 14032, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19115.pdf#P.14031 sowie Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses vom 11. September 2019, Bundestags-Drucksache 19/13127, abrufbar unter: https://dipbt.bundestag .de/doc/btd/19/131/1913127.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 12 Petitionsausschuss – unter Einbeziehung der seitens der Bundesregierung angeführten Aspekte – im Wesentlichen wie folgt aus: „Der Petitionsausschuss weist einführend darauf hin, dass die Einführung einer Halterhaftung bei Verstößen im Straßenverkehr in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch ist. Dem Täter wird ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht. Solch ein Vorwurf setzt aber die persönliche Schuld des Täters voraus. Anderenfalls wäre die Strafe eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung für einen Vorgang, den der Betroffene nicht zu verantworten hat. Eine Haftung des Halters ohne eigenes Verschulden zur Verbesserung der Verkehrssicherheit wäre auch aus folgendem Grund nicht sinnvoll: Ziel einer Geldbuße oder Strafe ist es, Verhaltensänderungen beim Täter zu erzielen und dafür zu sorgen, dass dieser sich in Zukunft verkehrskonform verhält. Dieser Erziehungsgedanke würde bei der Sanktionierung des Fahrzeughalters, der selbst keinen Verkehrsverstoß begangen hat, nicht greifen. (…). Verkehrsverstöße von Motorradfahrern werden – wie die anderer Kfz-Führer – im Rahmen allgemeiner Kontrollen und der Beobachtung des Verkehrs durch die Polizei festgestellt und geahndet. Die Überwachungsintensität unterscheidet sich insoweit nicht von der im Pkw-Bereich. Verstöße von Motorradfahrern können allerdings in der Regel dann nicht verfolgt werden, wenn die Kontrollen automatisiert (ohne das Anhalten des Kraftfahrers) ablaufen . Das betrifft insbesondere Geschwindigkeitskontrollen. (…).Mit den Ländern wurden in der Vergangenheit wiederholt Möglichkeiten für deren verstärkte Überwachung diskutiert. Dabei kam man zu der Auffassung, dass es erforderlich sei, vermehrt Anhaltekontrollen durchzuführen, insbesondere an den örtlich bekannten Unfallschwerpunkten. Dies haben die Länder zugesagt. Außerdem sollen die Länderbehörden Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen so ausstatten, dass sie zusätzlich zur Frontfotografie Heckfotos ermöglichen, um das Kennzeichen festzustellen. Dann können die Behörden den Halter befragen. Gibt der Halter den Verstoß nicht zu und benennt er auch den Fahrer nicht, so kann bei bedeutenden Zuwiderhandlungen die Fahrtenbuchauflage angeordnet werden.“47 3.2. Diskussionsansätze einer Ausweitung des § 25a StVG Die Verfassungsmäßigkeit der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens viel diskutierten Regelung des § 25a StVG wurde durch das Bundesverfassungsgericht bereits ausdrücklich bestätigt.48 Die Regelung verstoße insbesondere weder gegen die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips noch gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)49.50 Im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG konnte das Bundesverfassungsgericht insbesondere durch die Beschränkung auf den ruhenden Verkehr keinen Verstoß erkennen, da die Abweichung von der 47 Vgl. ablehnende Begründung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages zur Petition Pet 1-19-12-921- 004629 (Straßenverkehrsrecht) vom 26. September 2019, S. 1 ff. 48 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. 49 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/gg/BJNR000010949.html. 50 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 13 Systematik des OWiG, in allen sonstigen Fällen nur Verfahrenskosten für in Bußgeldverfahren tatsächlich festgestellte Verstöße aufzuerlegen, in dem für den Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraum liege und auch nicht willkürlich sei.51 Die Unterscheidung beruhe auf sachgerechten Erwägungen, da die Kostenregelung des OWiG sonst der Ermittlungssituation bei Parkoder Haltesituationen nicht gerecht werden würde, weil solche Verstöße im ruhenden Verkehr nur mit Hilfe des Halters aufzuklären sind.52 Zudem liege auch kein Verstoß gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Schuldgrundsatz vor, da die auferlegte Kostenlast nur der Abhilfe des Behördenaufwands diene und nicht der Ahndung rechtswidrigen Verhaltens. Andere Mittel (etwa die Parkralle oder eine Auskunftspflicht des Halters) würden zu einer weitaus empfindlicheren Beeinträchtigung führen.53 Befürwortung erfährt eine mögliche Ausdehnung der Kostentragungsregelung aktuell insbesondere innerhalb der Grenzen des Verwarnungsverfahrens, also bis zu einer Grenze des höchstmöglichen Verwarngeldes von derzeit 55,00 Euro (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG).54 Hierfür spreche unter anderem eine daraus folgende Effektivitätssteigerung der polizeilichen Verkehrsüberwachung .55 Auch würde dies eine Ausweitung den Normbefolgungswillen im Straßenverkehr erhöhen , was vor allem vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG wichtig sei.56 Eine derartige Ausweitung verstoße zudem nicht gegen das Schuldprinzip, die Unschuldsvermutung oder den Grundsatz , sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, da diese Grundsätze im Ordnungswidrigkeitsverfahren nur sehr abgeschwächt gölten.57 Das Ordnungswidrigkeitenverfahren sei vom Strafverfahren zu unterscheiden, da es unter anderem nicht die Schuld für rechtswidrige Taten zuweise, sondern eine Verantwortlichkeit fordere (vgl. § 12 OWiG).58 Die ausgeweitete Kostentragung würde daher – analog zu der bereits vorhandenen Regelung - nicht gegen das Schuldprinzip verstoßen .59 51 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. 52 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679. 53 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 1989, Az.: 2 BvR 239/88 und 2 BvR 1205, 1533, 1095/87, NJW 1989, S. 2679, 2680. 54 Vgl. Müller, „Ausdehnung der Halter-Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr“, (SVR) 2018, S. 201, 206 m.w.N. 55 Vgl. Müller, Ausdehnung der Halter-Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr, SVR 2018, S. 201, 202. 56 Vgl. Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, ZVS 2010, S. 28, 29. 57 Vgl. Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, ZVS 2010, S. 28, 30. 58 Vgl. Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, ZVS 2010, S. 28, 29. 59 Vgl. Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, ZVS 2010, S. 28, 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 14 Andere stehen einer Ausweitung bei Verstößen im fließenden Verkehr aufgrund des fehlenden Bagatellcharakters eher kritisch gegenüber.60 So würde eine Ausweitung Schweigerechte gegenüber Familienmitgliedern letztlich beschneiden und den betroffenen Halter möglicherweise faktisch zu Aussagen zwingen.61 Es fehle außerdem an faktischer Relevanz für eine Ausweitung, da die Einstellungsquote für nicht aufgeklärte Verstöße im fließenden Verkehr gering sei.62 Die vom 48. Deutschen Verkehrsgerichtstag geforderte Datenerhebung zur Einstellungspraxis der Bußgeldbehörden brachte nach Aussage der beauftragten Bundesanstalt für Straßenwesen keine aussagekräftigen Ergebnisse zur Bearbeitung digital erfasster Straßenverkehrsverstöße vor, da die bisher erhobenen Daten nicht repräsentativ waren.63 Die vorliegenden Daten zeigten bei insgesamt 10,7 % eingestellten Verfahren lediglich 2,5 % an Verfahren, bei denen der Fahrzeugführer nicht vor dem Ablauf der Verjährungsfrist ermittelt werden konnte.64 3.3. Mögliche Ausweitung auf einzelne Teilnehmergruppen Eine Ausweitung der Kostenregelung des § 25a StVG auf einzelne Straßenverkehrsteilnehmergruppen , beispielsweise nur auf Halter von Motorrädern, müsste ebenso wie die Ausweitung auf den gesamten fließenden Verkehr insbesondere der Prüfung des Gleichheitssatzes aus Artikel 3 Abs. 1 GG standhalten, da insofern nur die Halter von Motorrädern von einer solchen Ausweitung betroffen und mithin potentiell sanktioniert würden. Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG gewährleistet die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und bindet alle Staatsgewalt an diesen Grundsatz.65 Er gebietet nach ständiger Rechtsprechung, „Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln“.66 Der Gesetzgeber kann daher Personen(gruppen) oder Sachverhalte nur ungleich behandeln, wenn diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich geboten ist. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich dabei unterschiedliche Grenzen 60 Vgl. Müller, „Ausdehnung der Halter-Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr“, SVR 2018, S. 201, 202. 61 Vgl. Manssen, „Halterhaftung in Deutschland - Grundgesetz kontra Verkehrssicherheit?“, ZVS 2010, S. 28, 29. 62 Vgl. Müller, „Ausdehnung der Halter-Kostenhaftung des § 25a StVG auf Verstöße im fließenden Verkehr“, SVR 2018, S. 201, 203. 63 Vgl. Müller, „Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr“, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, September 2014, Heft M 250, S. 22. 64 Vgl. Müller, „Ausdehnung der Kostentragungspflicht des § 25a StVG auf den fließenden Verkehr“, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, September 2014, Heft M 250, S. 57. 65 Vgl. Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 40 ff. m.w.N. 66 Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. März 1976, Az.: 2 BvR 804/75, NJW 1976, S. 1391. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 131/20 Seite 15 für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.67 Für sachverhalts- und verhaltensbezogene Ungleichbehandlungen gilt dabei der Maßstab des Willkürverbots, wobei für personenbezogene Ungleichbehandlungen ein strengerer Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt sein darf.68 Bei der Einordnung einer potenziellen Unterscheidung von Haltern von Motorrädern und den Haltern von anderen Fahrzeugen wäre der Gleichheitssatz mithin etwa dann verletzt, wenn kein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung vorliegen würde, sie also willkürlich wäre. Zudem wäre der Gleichheitssatz verletzt, wenn zwischen beiden Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.69 Argumentativ ließe sich hier etwa anführen, dass sowohl Motorrad- als auch sonstige Kraftfahrer gleichberechtigt am Straßenverkehr teilnehmen würden und die Gesamtausrichtung des Straßenverkehrsrechts beziehungsweise der StVO und ihrer zentralen Ermächtigungsnorm des § 45 StVO daher grundsätzlich als präferenz- und privilegienfeindlich angesehen werden kann.70 Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber bei der Entscheidung darüber, ob er bestimmte gesetzliche Regelungen schafft und wie er diese ausgestaltet, regelmäßig ein weiter Spielraum (Einschätzungsprärogative) zukommt, dem rechtlich im Wesentlichen durch die einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes und die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Grenzen gezogen sind. Ob beziehungsweise in welchem Umfang eine entsprechende haftungs- oder kostenrechtliche Regelung daher zulässig wäre, könnte deshalb nur anhand eines konkreten Gesetzentwurfs beurteilt werden. * * * 67 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1993, Az.: 1 BvL 38/92, NJW 1993, S. 1517. 68 Vgl. Britz, „der allgemeine Gleichheitssatz in der Rechtsprechung des BVerfG“, NJW 2014, S. 346 mit Verweis auf Beschluss des BVerfG vom 7. Oktober 1980, Az.: 1 BvL 50, 89/79 und 1 BvR 240/79, NJW 1981, S. 271. 69 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1980, Az.: 1 BvL 50, 89/79 und 1 BvR 240/79, NJW 1981, S. 271, 272. 70 So etwa entschieden vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) für Privilegien im Parkraum, Urteil vom 22. Januar 1971, Az.: VII C 42/70, NJW 1971, S. 1419.; vgl. auch Steiner, „Innerstädtische Verkehrslenkung durch verkehrsrechtliche Anordnungen nach § 45 StVO“, NJW 1993, S. 3161 m.w.N sowie Brenner, in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Bundestags-Drucksache 18/11285), abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/499580/b52eed09f9e87b776213ce3136c5cb87/104_sitzung _brenner-data.pdf.