© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 128/20 Einzelfragen zur Kriminalität ethnisch abgeschotteter Subkulturen (Clankriminalität) Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 128/20 Seite 2 Einzelfragen zur Kriminalität ethnisch abgeschotteter Subkulturen (Clankriminalität) Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 128/20 Abschluss der Arbeit: 11. November 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 128/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Definitionsansätze von Clankriminalität 4 3. Beispiele von Strategien und Maßnahmen gegen Clankriminalität 4 4. Keine besonderen gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit Clankriminalität 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 128/20 Seite 4 1. Einleitung Neben den traditionellen Erscheinungsformen Organisierter Kriminalität werden von den Strafverfolgungsbehörden sowie der Politik auch aktuellere Erscheinungsformen beobachtet. Bund und Länder haben daher vereinbart, dass im Zuge der Datenerhebung für das zuletzt im Jahr 2019 aktualisierte Bundeslagebild Organisierte Kriminalität (BKA-Lagebild, abrufbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Organisierte Kriminalitaet/organisierteKriminalitaetBundeslagebild2019.html?nn=27988) auch gezielt Daten zur Erscheinungsform der Kriminalität von Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen (sog. Clankriminalität, vgl. BKA-Lagebild, S. 28) sowie der möglichen Auswirkungen der Zuwanderung auf die Organisierte Kriminalität in Deutschland erhoben werden. Nachfolgend sollen Einzelfragen der Clankriminalität in Deutschland überblicksartig und summarisch beantwortet werden. Zudem werden ergänzende Quellen aufgeführt, die ein detailliertes Bild der aktuellen Sach- und Rechtslage vermitteln. 2. Definitionsansätze von Clankriminalität Eine bundesweit verbindliche Definition des Begriffs der Clankriminalität besteht nicht (vgl. BKA-Lagebild, S. 28). Dennoch haben die zuständigen Bundes- und Landesbehörden bestimmte Zuordnungskriterien und Indikatoren für Clankriminalität erstellt, die eine bessere Darstellung im Kontext Organisierter Kriminalität gewährleisten sollen (vgl. BKA-Lagebild, S. 28). Clankriminalität ist danach insbesondere: „die Begehung von Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Subkulturen. Sie ist bestimmt von verwandtschaftlichen Beziehungen, einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und einem hohen Maß an Abschottung der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert oder die Aufklärung der Tat erschwert wird. Dies geht einher mit einer eigenen Werteordnung und der grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung. Dabei kann Clankriminalität einen oder mehrere der folgenden Indikatoren aufweisen: – eine starke Ausrichtung auf die zumeist patriarchalisch-hierarchisch geprägte Familienstruktur , – eine mangelnde Integrationsbereitschaft mit Aspekten einer räumlichen Konzentration, – das Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen , – die Ausnutzung gruppenimmanenter Mobilisierungs- und Bedrohungspotenziale.“ (vgl. BKA-Lagebild, S. 29). 3. Beispiele von Strategien und Maßnahmen gegen Clankriminalität Nach einem im April 2019 erschienenen Positionspapier des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK-Positionspapier, abrufbar unter: https://www.bdk.de/der-bdk/wer-wir-sind/positionen /2019-04-29-bdk-positionspapier-clankriminalitaet.pdf) existieren in Deutschland in den einzelnen Bundesländern verschiedene Bekämpfungs- und Präventionsansätze. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 128/20 Seite 5 So wird etwa in Berlin bereits seit den 1990er Jahren von der Berliner Polizei das sog. Intensivtäterprogramm praktiziert und täter- bzw. tätergruppenorientiert ermittelt. „In der Fortentwicklung dieser Konzepte wurde u. a. die frühe Intervention im Bereich der Jugendkriminalität gestärkt. So wurde die Anwendung der Diversion auch jenseits der täterorientierten Ermittlungen mehr in den Fokus gerückt. Das vereinfachte Jugendverfahren (§ 76 ff. JGG), bekannt als „Neuköllner Modell“, wurde umgesetzt. Bei der Intensivtäterbekämpfung wurden mehrere Abstufungen (kiezorientierte Mehrfachtäter, Schwellentäter, Intensivtäter) vorgenommen, um auch hier zielgenauer täterorientiert vorgehen zu können. In der jüngeren Vergangenheit sind hier Ansätze zur Prävention durch sogenannte Täterorientierte Intervention (…) im Rahmen der Gefahrenabwehr hinzugekommen, bei der insbesondere kindliche Tatverdächtige in den Blick genommen werden und durch gezielte Frühintervention in Zusammenarbeit mit den Jugendbehörden, Schulen und Eltern von der Begehung weiterer Straftaten abgebracht werden sollen. Es bestehen weitere Überlegungen im Hinblick auf die Harmonisierung der behördenübergreifenden Bearbeitungszuständigkeiten bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern, die sich mit der Abkehr vom Tatortprinzip und der Hinwendung zum Wohnortprinzip als entscheidendes Kriterium befassen (…). Grundgedanke ist eine Verstetigung der Fallbearbeitung von der Polizei über die Staatsanwaltschaft bis hin zum Jugendgericht . Auch das Modell „Kurve kriegen“ aus Nordrhein-Westfalen ist Teil dieser Überlegungen , bei dem Teams u. a. aus Polizei- und Sozialarbeit gemeinsam präventiv mit Betroffenen arbeiten “(vgl. BDK-Positionspapier, S. 14 m.w.N.). Daneben bestehen in anderen Bundesländern weitere Ansätze, um insbesondere durch die Verbesserung der Kommunikation sowie der Koordinierung unterschiedlicher Behörden zu einer Bekämpfung von Clankriminalität beizutragen (vgl. hierzu insbesondere BDK-Positionspapier, S. 14 ff.). Zudem existiert seit 2019 beispielsweise eine behördenübergreifende Initiative zur Bekämpfung von Clankriminalität („BLICK“), an der neben den Polizeien des Bundes und der Länder auch das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt beteiligt sind. Durch diese Initiative soll insbesondere der Austausch von Ermittlungsergebnissen gestärkt werden (vgl. schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 12. Oktober 2020 eingegangenen Antworten der Bundesregierung (BT-Drs. 19/23454, S. 48, abrufbar unter: https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/19/234/1923454.pdf). Weitere Hintergrundinformationen und Materialien zur Historie, der Analyse sowie Ansätzen zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen in einzelnen Bundesländern sind unter anderem aus den folgenden Links ersichtlich: – https://polizei.nrw/artikel/lagebild-clankriminalitaet, – https://kripoz.de/2020/07/20/die-bekaempfung-von-clankriminalitaet-in-deutschland-verbundkontrollen -im-kriminalpolitischen-und-gesellschaftlichen-diskurs/, – https://www.presseportal.de/download/document/707785-brosch-re-arabische-clans.pdf, – https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2019/september/detailansicht-september/artikel /clankriminalitaet-in-deutschlandeine-bestandsaufnahme-teil-1.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 128/20 Seite 6 4. Keine besonderen gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit Clankriminalität Die deutsche Strafprozessordnung (StPO, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/stpo/) sieht keine speziellen Regelungen vor, die sich ausschließlich auf Clankriminalität beziehen. Vielmehr finden diejenigen allgemeinen strafprozessualen und strafrechtlichen Vorschriften Anwendung, die auch bei der Bekämpfung bzw. Ahndung anderer Straftaten einschlägig sind. Dies gilt mithin auch in Bezug auf im Zusammenhang mit Clankriminalität erfolgende Zeugenaussagen . Denn Zeugen haben grundsätzlich die staatsbürgerliche Pflicht, zu ihrer Vernehmung vor Gericht zu erscheinen und zur Sache auszusagen, sofern ihnen keine gesetzlich normierte Ausnahme die Aussageverweigerung gestattet (vgl. § 48 StPO). Zur Vernehmung gehört dabei auch die Angabe der Personalien des Zeugen (§ 68 Abs. 1 StPO). Besteht durch die Zeugenaussage jedoch begründeter Anlass zur Gefährdung des Zeugen oder einer anderen Person an deren Leben, Leib oder Freiheit, kann das Gericht dem Zeugen gestatten, bei der Befragung anstatt seines Wohnorts eine andere ladungsfähige Anschrift anzugeben (vgl. § 68 Abs. 2 StPO). Im Einzelfall kann die Identität des Zeugen sogar insgesamt geheim gehalten werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011, Az.: 5 StR 292/11, NStZ 2012, S. 168). Zudem kann ein Angeklagter während einer Vernehmung unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Sitzungszimmer entfernt werden, wenn zu befürchten ist, dass ein Zeuge oder Mitangeklagter bei Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit aussagen wird (vgl. § 247 StPO). Auf der Straffolgenseite sieht das Strafrecht in den §§ 73 ff. Strafgesetzbuch (StGB, abrufbar unter : https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/) zudem die Abschöpfung von rechtswidrig erlangten Vermögensvorteilen aus Straftaten vor. Danach können die Strafgerichte etwa Taterträge, die der Täter durch eine Straftat erlangt hat oder Tatmittel (also insbesondere auch Waffen), die zur Begehung einer Straftat gebraucht worden sind, einziehen. Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit wurden zudem die Bemühungen um die Einziehung inkriminierten Vermögens intensiviert und stellen zunehmend ein wichtiges Bekämpfungselement der Clankriminalität dar (vgl. etwa BDK-Positionspapier, S. 16). Nach dem zum 1. Juli 2017 neu eingefügten Fassung des § 76a StGB können Vermögenswerte aus bestimmten rechtswidrigen Taten nun auch dann durch das Gericht eingezogen werden, wenn wegen einer Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Diese Neuregelung ermöglicht mithin eine erleichterte Beweisführung und insbesondere die erleichterte Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft. Sie bildete „die Grundlage auch für die Finanzermittlungen gegen Mitglieder einer arabischen Großfamilie, die am 18. Juli 2018 in die vorläufigen Sicherungen von 77 Immobilien im Wert vom ca. zehn Millionen Euro mündeten“ (vgl. BDK-Positionspapier, S. 16 sowie Pressemitteilung des Kammergerichts Berlin vom 7. Oktober 2020, abrufbar unter: https://www.berlin .de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2020/pressemitteilung .1000825.php). ***