© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 128/18 Öffentliches Billigen oder Gutheißen von Straftaten Strafrechtliche Aspekte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 2 Öffentliches Billigen oder Gutheißen von Straftaten Strafrechtliche Aspekte Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 128/18 Abschluss der Arbeit: 8. Juni 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Potentiell tangierte Straftatbestände 4 2.1. § 111 StGB – Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 4 2.2. § 140 StGB – Belohnung und Billigung von Straftaten 7 3. Aktuelle Rechtsprechung 9 3.1. Zu § 111 StGB 9 3.2. Zu § 140 StGB 10 4. Schrifttum und Reformüberlegungen 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 4 1. Einleitung Immer wieder kommt es vor, dass Personen Handlungen Dritter, die als Straftaten zu klassifizieren sind, im Nachhinein durch Äußerungen billigen oder gar begrüßen. Werden solche Äußerungen in der Öffentlichkeit getätigt, können sich hierdurch möglicherweise wiederum andere potenzielle Täter ermutigt fühlen, ihrerseits entsprechende Straftaten zu begehen. Vorliegend wird beleuchtet, welche strafrechtlichen Aspekte ein solches Verhalten nach geltendem Recht aufweisen kann und ein Überblick über einschlägige Reformen und Reformvorhaben der Vergangenheit gegeben. 2. Potentiell tangierte Straftatbestände 2.1. § 111 StGB – Öffentliche Aufforderung zu Straftaten Gemäß § 111 Absatz 1 StGB1 wird wie ein Anstifter bestraft, wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Wenn die Aufforderung ohne Erfolg bleibt, wird die Tat mit bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (§ 111 Absatz 2 StGB). Auffordern im Sinne des § 111 StGB „setzt zwar nicht voraus, dass der Entschluss zu der (nicht notwendigerweise zur Ausführung gelangenden) Tat erst durch den Auffordernden geweckt wurde … Doch kann weder eine nur allgemeine Befürwortung bestimmter Taten oder schädlicher Folgen (vgl. BGH 32, 311, Karlsruhe NStZ 93, 390) noch die nur psychische Unterstützung eines fremden Tatentschlusses genügen. Verlangt wird vielmehr eine appellartige Einwirkung auf andere Personen mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss hervorzurufen, strafbare Handlungen zu begehen (KG StV 81, 525, Stuttgart NStZ 08, 36, LG Koblenz NJW 88, 1609, Ostendorf NStZ 12, 532, Paeffgen NK 12). (…) Gefordert wird … eine Kundgebung mit „Appellcharakter“ (KG NStZ-RR 02, 10), indem der Wille des Täters erkennbar wird, dass von den Adressaten seiner Äußerung strafbare Handlungen begangen werden (Köln MDR 83, 339, Stuttgart NStZ 08, 36, Kostaras aaO 147; Rosenau LK 17 f., weitgergeh. Bosch MK 7; vgl. auch Köln NJW 88, 1103 zu Volkszählungsboykott ), und zwar nicht erst in unbestimmter Zukunft, sondern als unmittelbare Konsequenz der Aufforderung (Karlsruhe NStZ 93, 390 f. zu Fahnenflucht, Stuttgart NStZ 08, 36 zu geplanter, aber nach Ort und Zeit noch nicht festgelegten Boykott-Aktion). § 111 ist insoweit enger als § 26, bei dem jede Methode der Beeinflussung anderer ausreicht. Andererseits braucht die Aufforderung bei § 111 nicht mit gleicher Präzision, wie dies für § 26 erforderlich wäre, auf bestimmte Taten und Täter ausgerichtet zu sein (vgl. u. 4, 13 sowie Bay JR 93, 119, NJW 94, 396, aber auch Dreher Gallas-FS 322 f., Rosenau LK 17).“2 Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundsatzentscheidung betont, dass ein bloßes Einverständnis mit bzw. das Gutheißen einer Straftat nicht hinreiche: 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 2 Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 111 Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 5 „Die Formulierungen “Tod dem Klerus” und “Tod Wehner und Brandt” lassen zwar erkennen , daß der Tod der beiden Politiker und des Personenkreises, der mit dem Begriff Klerus umrissen ist, nach Meinung des sie Äußernden erwünscht ist. Vom Wortsinn her bleibt aber offen, ob der Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt werden soll. Bei beiden Parolen kommt hinzu, daß sie verbal nicht zu einer Handlung auffordern und deshalb lediglich das Erwünschtsein des Todes der genannten Personen zum Ausdruck bringen. Auch wenn dennoch das Einverständnis mit einer Straftat gemeint sein sollte, so wäre das bloße Gutheißen solcher Straftaten nicht mit einer Aufforderung dazu gleichzusetzen. Die Erklärung, eine Straftat sei begrüßenswert, notwendig oder unvermeidbar, ist, wenn in ihr nicht die Kundgebung liegt, einen anderen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen (vgl. von Bubnoff, in: LK § 111, Rdnr. 9), keine Aufforderung zu Straftaten, sondern lediglich die Befürwortung von solchen (BGHSt 28, 312 (314) = NJW 1979, 1556).“3 Die Tat ist nur bei vorsätzlicher Begehung strafbar (§ 15 StGB). Der Vorsatz muss dabei „neben den Modalitäten der Ausführung … und der Konkretisierung auf eine bestimmte Art von Straftaten auch deren Strafbarkeit umfassen, da die Tat gerade auf dem strafrechtswidrigen Charakter der angesonnenen Tat beruht (vgl. BGH LM Nr. 6 zu § 129; and. Braunschweig NJW 53, 714, Celle NJW 88, 1102, Karlsruhe Justiz 89, 66, LG Bremen StV 86, 440, Bosch MK 27, Fischer 6, Dreher Gallas-FS 327, L-Kühl 6, Rosenau LK 66, Zielinski AK 15; diff. Kostaras aaO 129). Glaubt der Täter zB, das Verhalten, zu dem er auffordert, sei erlaubt, so ist der Tatbestand nicht erfüllt (diff. Horn/Wolters SK 7). Hinsichtlich der Strafbarkeit der Tat und der Modalität der Tatbegehung genügt Eventualvorsatz (vgl. aber auch Bosch MK 27).“4 Allerdings muss der Täter „beabsichtigen …, dass durch sein Verhalten der Entschluss zur Tat gefasst wird, und zwar muss er deren Vollendung wollen (vgl. Dreher Gallas-FS 328; and. SSW-Fahl 9 mwN); die Vorstellung, es werde nur zu einem untauglichen Versuch kommen, reicht nicht aus, ebensowenig nur bedingter Vorsatz (vgl. Paeffgen Honach-FS 620 f.; and. Frankfurt NStZ-RR 03, 327, Hamm NStZ 10, 453, Fischer 6, L-Kühl 6, Ostendorf NStZ 12, 532, Rosenau LK 66).“5 Unterschiedlich beurteilt wird, welche Rolle der Verfolgung „legitimer politischer Ziele“6 im Rahmen einer Beurteilung nach § 111 StGB zukommen kann. Während die herrschende Meinung eine Relevanz grundsätzlich verneint7, hat sich das Kammergericht in einem Urteil aus dem Jahr 3 BGH, Urteil vom 14.03.1984 - 3 StR 36/84 (= BGHSt 32, 310). 4 Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 111 Rn. 16. 5 Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 111 Rn. 17. 6 Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 111 Rn. 36. 7 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 111 Rn. 18; Paeffgen, in: Kindhäuser /Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 111 Rn. 36; Bosch, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 111 Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 6 2001 betreffend den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr unter Verweis auf Artikel 5 GG8 zu einer tiefergehenden Prüfung veranlasst gesehen: „Das BVerfG hat in langjährig gefestigter Rechtsprechung (grundlegend: BVerfGE 7, 198 [210ff.] = NJW 1955, 511) immer wieder nachdrücklich betont, dass bei der Auslegung von Meinungsäußerungen, die in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage eine Einflussnahme auf den Prozess allgemeiner Meinungsbildung zum Ziel haben und von hier aus dem Schutzbereich des Art. 5 I GG unterfallen, der Inhalt der Erklärung unter Heranziehung des gesamten Kontexts, in dem sie steht, und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen , sozialen und politischen Geschehens, in dem sie gefallen sind, zu ermitteln ist (vgl. BVerfGE 93, 266 [297] = NJW 1995, 3303 = NStZ 1996, 26). Demzufolge darf eine am Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 I GG) orientierte Auslegung von Straftatbeständen nicht sklavisch am Wortlaut einer Äußerung festhalten, sondern hat den gewollten spezifischen Erklärungsinhalt zu ergründen und dabei auch den Kontext der gesamten Erklärung mit zu bedenken. Für die Ermittlung des Aussageinhalts von Flugblättern und ähnlichen Aufrufen ist daher darauf abzustellen, wie die Erklärung von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird (vgl. BGH, NJW 2000, 3421). Dabei ist die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils (vorliegend etwa die Forderung: „Entfernen Sie sich von der Truppe”) in aller Regel nicht zulässig. Mitzuberücksichtigen ist der gesamte Kontext samt aller erkennbaren sonstigen Umstände. Für die insoweit gebotene Abwägung kommt es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an, wobei es - anders als bei reinen Tatsachenbehauptungen – grundsätzlich keine Rolle spielt, ob die pointiert vorgetragene Meinung im Einzelfall „richtig” ist oder nicht. Da es Sinn jeder zur Meinungsbildung betragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, teilweise auch überpointierte Formulierungen hinzunehmen (vgl. BVerfGE 82, 236 [267]; BVerfGE 24, 278 [286] = NJW 1969, 227). Dies gilt insbesondere, wenn der Äußernde damit nicht eigennützige Ziele verfolgt, sondern sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage dient (vgl. BGH, NJW 2000, 3421 [3422]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des BVerfG und - ihm folgend - des BGH wertet der Senat den hier in Rede stehenden Aufruf trotz der Formulierungen „Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle!” und „Entfernen Sie sich von der Truppe!” lediglich als kritische Meinungsäußerung in einer politisch über Deutschland hinaus hoch brisanten und für die gesamte Weltöffentlichkeit bedeutungsvollen Frage. Die Deutung, dass es den Mitunterzeichnern des Aufrufs gerade darauf ankam, einzelne Soldaten zum Desertieren zu bewegen, wäre zu eng und würde dem Gewicht des Art. 5 GG nicht gerecht. Den Unterzeichnenden ging es ersichtlich um pazifistische Ziele und nicht darum, in einer militärischen Auseinandersetzung einer Seite zum Nachteil der gegnerischen durch massenhafte Befehlsverweigerungen oder Fahnenflucht zum Sieg zu verhelfen. Auch im Hinblick darauf, dass die Bundesregierung - wie allgemein bekannt - nur Freiwillige zum Kosovo-Einsatz herangezogen hat, ist zu bezweifeln, dass ernsthaft eine konkrete Handlungsweisung zu kriminellem Verhalten bezweckt war. Die Veröffentlichung der inkriminierten Anzeige gerade in der „…”, einer dem politisch „linken” Spektrum zuzurechnenden Ta- 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 7 geszeitung, ist ein weiteres Indiz, dass nicht ernsthaft mit der Gefahr massenhafter Befehlsverweigerungen zu rechnen war und die Unterzeichner dies auch nicht beabsichtigten (vgl. Busse, NStZ 2000, 635). Für eine bloße Meinungsäußerung spricht ferner trotz der zum Teil überspitzten Formulierungen die Sorgfalt der Begründung, die zwar in vielen Einzelaussagen höchst umstritten ist, aber von namhaften Vertretern in Wissenschaft und Politik mit vertreten wird (vgl. dazu unten b). Ein weiteres Beweisanzeichen ergibt sich aus der Auswahl der Institutionen und Organisationen, denen der Aufruf zusätzlich zur Veröffentlichung in der „…” zur Kenntnis gebracht wurde; auch insoweit liegt der Schluss nahe, dass es den Unterzeichnern mehr um Unterstützung im politischen Streit oder Sensibilisierung bisher Andersdenkender ging, als darum, taugliche Täter für eine Massen-Fahnenflucht zu finden. Zusammenfassend ist der inkriminierte Aufruf als Appell an das Gewissen aller Beteiligten zu charakterisieren ; er drückt allgemeine Ablehnung gegen militärische Lösungen als Mittel politischer Konfliktbewältigung aus und ist bestrebt, über dieses Ziel eine geistige Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit herbeizuführen, kann aber nicht als rechtsfeindliche „Aufforderung ” zu kriminellem Verhalten gewertet werden. Dem ist auch nicht entgegenzuhalten, dass die Unterzeichner des Aufrufs ihren Standpunkt auch durch vorsichtigere Formulierungen hätten verdeutlichen, insbesondere hätten darauf verzichten können, gerade zur Fahnenflucht aufzufordern. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG sind selbst weit überzogene Formulierungen noch von Art. 5 GG gedeckt, sofern damit gerade eine bestimmte Meinungsbildung in einer die Allgemeinheit tief berührenden Frage bezweckt wird (vgl. BVerfGE 82, 236 [267]).“9 2.2. § 140 StGB – Belohnung und Billigung von Straftaten Nach § 140 StGB wird wegen der Belohnung oder Billigung von Straftaten mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative StGB und in § 126 Absatz 1 StGB genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Absatz 3 StGB, nach den §§ 176a und 176b StGB, nach § 177 Absatz 4 bis 8 StGB oder nach § 178 StGB, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist, belohnt oder in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich , in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften billigt. Als Bezugstaten kommen somit ausschließlich in Betracht: – Hochverrat in den Fällen der §§ 81 bis 83 Absatz 1 StGB – Landesverrat oder Gefährdung der äußeren Sicherheit in den Fällen der §§ 94 bis 96, 97a oder 100 StGB – Geld- oder Wertpapierfälschung in den Fällen der §§ 146, 151, 152 StGB, Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks in den Fällen des § 152b Absätze 1 bis 3 StGB – Aggression (§ 13 des VStGB10) 9 Urteil vom 29.06.2001, Aktenzeichen: (3) 1 Ss 388/00 (115/00). 10 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3150) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 8 – Besonders schwerer Landfriedensbruch gemäß § 125a Satz 2 Nr. 1 bis 4 StGB – Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB), Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) – Schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) – Eine Straftat gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 232 Absatz 3 Satz 2 StGB, des § 232a Absatz 3, 4 oder 5 StGB, des § 232b Absatz 3 oder 4 StGB, des § 233a Absatz 3 oder 4 StGB, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b StGB – Raub oder räuberische Erpressung (§§ 249 bis 251 oder 255 StGB) – Ein gemeingefährliches Verbrechen in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Absätze 1 bis 3 StGB, des § 308 Absätze 1 bis 3 StGB, des § 309 Absätze 1 bis 4 StGB, der §§ 313, 314 oder 315 Absatz 3 StGB, des § 315b Absatz 3 StGB, des § 316a Absatz 1 oder 3 StGB, des § 316c Absatz 1 oder 3 StGB oder des § 318 Absatz 3 oder 4 StGB – Ein gemeingefährliches Vergehen in den Fällen des § 309 Absatz 6 StGB, des § 311 Absatz 1 StGB, des § 316b Absatz 1 StGB, des § 317 Absatz 1 StGB oder des § 318 Absatz 1 StGB – Besonders schwerer Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindern (§ 176 Absatz 3 StGB) – Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern (§ 176a StGB) – Sexueller Mißbrauch von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB) – Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung in den Fällen von § 177 Absätze 4 bis 8 StGB – Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB) Ein Belohnen im Sinne von § 140 StGB liegt vor, wenn der Täter einem Tatbeteiligten unmittelbar oder mittelbar nachträglich einen vorher nicht versprochenen Vorteil zuwendet.11 Weil der Vorteil keinen materiellen Wert haben muss, kann auch eine demonstrative Auszeichnung genügen – nicht jedoch ein bloßes Lob.12 Billigen bedeutet grundsätzlich ein „nachträgliches Gutheißen der Tat“13. Das Tatbestandsmerkmal ist „nicht zuletzt im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und den ultima-ratio-Charakter des Strafrechts restriktiv auszulegen. Tatbestandsmäßig sind dementsprechend nur solche Äußerungen , die „aus sich heraus verständlich“ sind und „als solche unmittelbar und ohne Deuteln erkannt “ werden. Ein Billigen erfordert die Kundgabe der Zustimmung des Äußernden, dass die 11 Heuchemer, in: BeckOK StGB, 37. Edition, Stand: 01.02.2018, § 140 Rn. 10. 12 Heuchemer, in: BeckOK StGB, 37. Edition, Stand: 01.02.2018, § 140 Rn. 10. 13 Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 140 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 9 Tat begangen worden ist, und zwar dergestalt, dass er sich damit moralisch hinter den Täter stellt.“14 Gerade, wenn sich die Äußerungen nicht in einer direkten und isolierten Zustimmung erschöpfen , sondern sich in einen breiteren Kontext einordnen und gegebenenfalls auch auf die Ursachen der Bezugstat eingehen, kann dies einer Einordnung als „Billigen“ im Sinne des § 140 StGB entgegen stehen: So sollen Äußerungen, die eine begangene Vortat reflektieren und deren Für und Wider abwägen, nur dann ein tatbestandsmäßiges Billigen darstellen, wenn die Zustimmung zur Tat im Vordergrund steht.15 Ebenfalls liegt ein Billigen nicht vor, wenn die Äußerung eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen der Bezugstat erkennen lässt.16 Die geäußerte Billigung muss schließlich in einer Weise erfolgen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, unter dem sowohl der Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger als auch das im Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer dieses Zustandes begründete Sicherheitsgefühl verstanden wird.17 Bei der – nur im jeweiligen Einzelfall möglichen – Beurteilung, ob dies der Fall ist, ist „nicht allein der Inhalt der Äußerung relevant. Beachtung finden müssen vielmehr auch die konkreten Umstände der Situation, in der die Billigung kundgetan wurde. Für die Qualifizierung einer Äußerung als zur Friedensstörung geeignet, kommt es daher ua darauf an, in welchem Umfang diese Äußerung Verbreitung fand, welche Personen dem angesprochenen Adressatenkreis angehören sowie unter welchen gesellschaftlichen und massenpsychologischen Bedingungen sie erfolgte. Nur dann, wenn unter Berücksichtigung all dieser Aspekte die Billigung die Gefahr begründet, das Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand der Rechtsgüter zu stören bzw. ein die Begehung gleichartiger Straftaten begünstigendes Klima zu schaffen, kann eine Eignung zur Störungen des öffentlichen Friedens angenommen werden.“18 3. Aktuelle Rechtsprechung 3.1. Zu § 111 StGB Das Oberlandesgericht Celle hat 2013 in einem Beschluss19 hinsichtlich der Unterstützung eines Aufrufs zum „Castorschottern“ festgestellt, dass mit der Eintragung in die im Internet frei zugängliche und für jedermann einsehbare Unterstützerliste für eine Kampagne, welche die Störung eines öffentlichen Betriebs i.S.v. § 316b Absatz 1 Nr. 1 StGB beabsichtigt, der Unterzeichner gemäß § 111 StGB öffentlich zu einer Straftat auffordert, wenn der mitunterzeichnete Aufruf die 14 Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 140 Rn. 14. 15 Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 140 Rn. 16. 16 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2002, Aktenzeichen: 1 Ws 179/02 = NJW 2003, 1200. 17 Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 140 Rn. 22. 18 Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 140 Rn. 22. 19 Beschluss vom 14.03.2013, Aktenzeichen: 32 Ss 125/12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 10 Schwelle von der Meinungsäußerung oder der bloßen Befürwortung von Straftaten zur strafrechtlich relevanten Aufforderung überschritten hat. Eine solche Aufforderung liege vor, wenn der Aufruf für einen unvoreingenommenen Dritten durch seine detaillierte Beschreibung der angesonnenen Handlung als ernst gemeinter Appell zu verstehen ist, an einem bestimmten Tattag und an einem bereits festgelegten Tatort die in dem Aufruf näher bezeichnete strafbare Handlung zu begehen. In einer weiteren Entscheidung20 hat das OLG Celle festgestellt, dass der einen entsprechenden Aufruf unterstützende Landtagsabgeordnete nicht durch Indemnität (§ 36 StGB) oder eine entsprechende Bestimmung der Landesverfassung vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt war, da es sich nicht um eine Äußerung im Parlament selbst handelte bzw. der funktionale Schutzbereich der Landesverfassungsnorm nicht eröffnet war, da der Angeklagte seine Äußerung weder im Landesparlament oder einem seiner Ausschüsse noch im Rahmen der Ausübung seines Mandates getätigt habe. Ausweislich von Medienberichten sind verschiedene Bundestags- und Landtagsabgeordnete wegen des Aufrufs zum „Schottern“ verurteilt worden.21 3.2. Zu § 140 StGB 2017 hat das Kammergericht einen seit Ende der 1970er Jahre in der „Antifa-Szene“ aktiven Angeklagten vom auf Äußerungen in einem Interview gestützten Vorwurf der Billigung von Straftaten nach § 140 StGB freigesprochen.22 Der Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB könne nur als erfüllt angesehen werden, wenn die gebilligte Tat entweder in der Äußerung selbst so konkret beschrieben werde, dass sie ohne zusätzliches Wissen unter einen der in § 140 StGB genannten Tatbestände subsumiert werden könne oder aber durch ihre herausragende Prominenz und andauernde Bedeutung für den aktuellen politischen Diskurs praktisch jedem durchschnittlich informierten Adressaten sofort vor Augen stehe und zudem eine Katalogtat im Sinne des § 140 StGB darstelle. Dies sei im Falle des Angeklagte, der sich wohlwollend zu Anschlägen auf Strukturen der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ geäußert hatte, nicht der Fall. Ebenfalls 2017 hat das OLG Karlsruhe einen Angeklagten, der sich in einem Internet-Kommentar zu Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte geäußert hatte, vom Vorworf nach § 140 StGB 20 Urteil vom 15.11.2013, Aktenzeichen: 32 Ss 135/13. 21 Vgl. „Linken-Politikerinnen wegen Aufruf zum ‚Schottern‘ verurteilt“, Spiegel Online vom 23.04.2013 (abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linken-abgeordnete-wegen-aufruf-zum-schottern-verurteilt-a- 896141.html); „Linke-Politiker Dehm wegen ‚Schotter‘-Aufruf verurteilt“, sueddeutsche.de vom 21.05.2013 (abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/protest-gegen-castor-transport-linke-politiker-dehm-wegenschotter -aufruf-verurteilt-1.1677149); „Linke-Abgeordneter wegen Aufruf zum Schottern verurteilt“, Zeit online vom 10.04.2013 (abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-04/linke-van-aken-schottern); „Indemnität schützt Abgeordnete nicht immer“, Legal Tribune Online vom 18.11.2013 (abrufbar unter https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-celle-urteil-32-ss-135-13-immunitaet-indemnitaet-landtagsabgeordneter -schottern-castor-internetaufruf/). 22 Beschluss vom 18.12.2017, Aktenzeichen: (2) 161 Ss 104/17 (6/17). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 11 freigesprochen.23 Im Falle der Mehrdeutigkeit dürfe bei einer Äußerung im Lichte der durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit nur dann von einer zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden könnten. Wenn es sich bei einer Äußerung eines Angeklagten nicht ausschließbar um eine im Grunde nur beschreibende Darstellung im Sinne eines Erklärungsmodells für eine Reaktionsweise von Staatsbürgern im Falle einer angeblich mangelnden politischen Teilhabe handele, komme keine Verurteilung nach § 140 StGB in Betracht. 2016 hat sich auch das Bundesverfassungsgericht mit einer Verurteilung nach § 140 StGB befasst: In einem Nichtannahmebeschluss24 stellte das Gericht fest, dass in der erfolgten Verurteilung25 wegen § 140 StGB aufgrund des öffentlichen Anklebens von Plakaten, die auf im Hamburger Schanzenviertel begangene Straftaten Bezug nahmen und dies mit dem Aufruf „Schanze abwerten !“ verknüpften, keine Verletzung der Meinungsfreiheit vorliege. 4. Schrifttum und Reformüberlegungen Soweit ersichtlich, waren weder § 140 StGB noch § 111 StGB in jüngerer Vergangenheit Gegenstand einer rechtswissenschaftlichen Debatte dergestalt, das Strafbarkeitslücken diagnostiziert und/oder eine „Weiterentwicklung“ dieser Tatbestände erörtert würden.26 Eine angenommene Strafbarkeitslücke in diesem Bereich lag jedoch einer Strafrechtsreform in den 1970er Jahren zugrunde. So wurde 1976 in Gestalt eines § 88a StGB eine Norm eingeführt, die auch das bloße Befürworten von – bestimmten – Straftaten unter Strafe stellte: § 88a Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten27 (1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Befürwortung einer der in § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten rechtswidrigen Taten enthält und bestimmt sowie nach den Umständen geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern, sich durch die Begehung solcher Taten für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 23 Beschluss vom 11.05.2017, Aktenzeichen: 2 Rv 9 Ss 177/17. 24 Beschluss vom 25.01.2016, Aktenzeichen: 1 BvR 1373/15. 25 OLG Hamburg, Beschluss vom 31.03.2015, Aktenzeichen: 1 Rev 62/14. 26 Eine grundsätzliche Bestandsaufnahme erfolgte zuletzt 2010 durch Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB): Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert. Die Autorin diagnostiziert darin allerdings keine Strafbarkeitslücke, sondern kommt im Gegentei zu dem Schluss, die § 111 StGB und § 140 StGB seien einschränkend zu überarbeiten oder gar aufzuheben, vgl. Kolbe a.a.O., S. 181 ff. 27 In der Fassung des 14. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 22.04.1976 (BGBl. I, S. 1056), in Kraft ab dem 01.05.1976. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 12 3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 oder 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung die Begehung einer der in § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten rechtswidrigen Taten befürwortet, um die Bereitschaft anderer zu fördern, sich durch die Begehung solcher Taten für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen . (3) § 86 Abs. 3 gilt entsprechend. Parallel wurde § 130a StGB eingeführt, der im einschlägigen Regierungsentwurf noch das Befürworten von Straftaten als dritten Absatz enthalten hatte: § 130a Befürwortung von Straftaten; Anleitung zu Straftaten28 (1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Befürwortung einer der in § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten rechtswidrigen Taten oder die Anleitung zu einer solchen Tat enthält und bestimmt sowie nach den Umständen geeignet ist, die Bereitschaft anderer zu fördern, solche Taten zu begehen, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 3. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 oder 2 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) § 86 Abs. 3 gilt entsprechend. (3) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung 1. die Begehung einer der in § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten rechtswidrigen Taten befürwortet oder 2. zu einer solchen Tat eine Anleitung gibt, um die Bereitschaft anderer zu fördern, solche Taten zu begehen. Begründet wurden die Neuregelungen zum damaligen Zeitpunkt damit, dass „ein Teil der in den letzten Jahren festgestellten, überwiegend vorgeblich politisch motivierten Gewalt- und Terrorakte mit auf Äußerungen zurückgeführt werden könne, welche die Anwendung von Gewalt als 28 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes, BT-Drs. 7/3030 vom 23.12.1974, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 13 Mittel zur Lösung von politischen, sozialen und individuellen Konflikten propagieren. Eine Verbreitung solcher Äußerungen könne die Bereitschaft gerade von jungen Menschen fördern, die Gewaltanwendung als zulässiges politisches Mittel zu betrachten. Bei der Gewaltanwendung könne leicht auf Methoden und Verfahren zurückgegriffen werden, die — ebenfalls in zunehmendem Maße — in der Öffentlichkeit als besonders erfolgversprechend angepriesen würden.“29 Die vorhandenen Straftatbestände ließen einen „straffreien Raum, der sich empfindlich bemerkbar“30 mache: „Die ‚Befürwortung‘ noch nicht begangener Gewalttaten oder die ‚Anleitung‘ zu Gewalttaten ist — abgesehen von den weitergehenden Vorschriften des Waffengesetzes — nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 48, 49 a (künftig §§ 26, 30) oder 111 StGB strafbar; diese Tatbestände sind häufig deshalb nicht erfüllt, weil die Propagierung der Gewalt so formuliert ist, als handele es sich um eine theoretische Abhandlung über den Ablauf von Revolutionen und der dabei anzuwendenden Methoden. In diesen Fällen liegt regelmäßig keine Anstiftung zu bestimmten Straftaten vor; aber auch das Merkmal des ‚Aufforderns‘ nach § 111 StGB ist häufig nicht gegeben, weil es an einem Appell an die Motivation des anderen, strafbare Handlungen zu begehen, fehlt. Bei der Prüfung der Frage, wie die festgestellte Lücke zu schließen ist, dürfen die Möglichkeiten des Strafrechts nicht überschätzt werden. Die in Frage kommenden Strafvorschriften müssen dem Schutz individueller Rechtsgüter und der öffentlichen Sicherheit Rechnung tragen, dürfen jedoch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung in seinem unantastbaren Wesensgehalt nicht gefährden. Eine solche Gefährdung könnte jedoch gegeben sein, wenn der Gesetzgeber — wie teilweise gefordert — pauschal den „Verbalterror" oder die ‚Befürwortung von Gewalttätigkeiten‘ oder die ‚Anleitung (Empfehlung) zu Gewalttätigkeiten‘ unter Strafe stellen würde. Der Begriff ‚Verbalterror‘ wirft für das Strafrecht nicht nur kaum abgrenzbare Auslegungsschwierigkeiten auf, sondern erfaßt wohl auch die Fülle von Unmutsäußerungen oder Kraftausdrücken, die der besonderen Situation in politischen Versammlungen , bei Demonstrationen oder Streiks entspringen. Die Verfolgung solcher Äußerungen würde die Strafverfolgungsorgane überfordern. Auch die Glaubwürdigkeit des Strafrechts würde leiden, wenn es Strafen für Fälle androhte, die als geringfügig empfunden werden. Der Gesetzgeber kann aber auch nicht alle Fälle der ‚Befürwortung von Gewalttätigkeiten‘ mit Strafe bedrohen. Soweit darin eine ‚Aufforderung zu strafbaren Gewalttätigkeiten‘ enthalten ist, ist eine neue Strafvorschrift nicht erforderlich, weil dieser Bereich strafrechtlich bereits durch § 111 StGB abgedeckt ist. Darüber hinaus können nicht alle Fälle der ‚Befürwortung von Gewalttätigkeiten‘ pönalisiert werden, weil dann auch Fälle erfaßt würden, die sich auf jeden Fall einer strafrechtlichen Bewertung entziehen sollten.“31 Da sich im Laufe der damaligen Gesetzesberatungen die Ansicht herausbildete, dass das Tatbestandsmerkmal „Befürwortung“ seinem begrifflichen Inhalt nach sehr weit sei, wurde der in Absatz 3 von § 130a StGB-Entwurf enthaltene Regelungsteil herausgelöst und als § 88a StGB unter diversen Tatbestandseinschränkungen in einem eigenen Tatbestand neu gefasst und dem Staatsschutzstrafrecht zugeordnet: 29 BT-Drs. 7/3030, S. 5. 30 BT-Drs. 7/3030, S. 5. 31 BT-Drs. 7/3030, S. 5 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 14 „Im Hinblick darauf, daß das Tatbestandsmerkmal ‚Befürwortung‘ seinem begrifflichen Inhalt nach sehr weit ist, muß der Tatbestand in verschiedener Hinsicht eingeschränkt werden, um Gefahren für die grundgesetzlich garantierten und geschützten Bereiche der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre zu vermeiden . Solche Gefahren können schon durch die Einleitung von Ermittlungsverfahren entstehen . Die Meinungs- und Pressefreiheit stellen wichtige Elemente des demokratischen Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Bürger müssen grundsätzlich die Freiheit haben und behalten, sich auch zu dem Problem der Gewaltanwendung frei zu äußern. In der abendländischen künstlerischen und philosophischen Literatur spielt die Gewaltproblematik darüber hinaus seit altersher eine wesentliche Rolle. Diese Frage könne nicht mit Mitteln des Strafrechts gelöst werden. Aus diesen Gründen und weil der weite Begriff ‚Befürwortung‘ keine befriedigend scharfe Abgrenzung der Meinungsäußerungen, künstlerischen Darstellungen usw. von einem strafbedürftigen Gutheißen von Gewalttaten erlaube, hat die Mehrheit neben den im Regierungsentwurf bereits enthaltenen Einschränkungen die Aufnahme eines weiteren den Tatbestand begrenzenden Merkmals für erforderlich gehalten. Als ein solches Merkmal betrachtet die Ausschußmehrheit die in § 88 a geforderte Zielrichtung der Befürwortung : die Bereitschaft anderer zu fördern, sich durch die Begehung von Gewalttaten für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einzusetzen.“32 Unter „Befürworten“ im Sinne von § 88a StGB wurde dabei verstanden ein auf künftige Taten gerichtetes Gutheißen oder Bejahen einer Tat als begrüßenswert, zumindest als notwendig oder unvermeidbar.33 Schon 1981 wurde § 88a StGB dann aber wieder aufgehoben.34 Die Aufhebung wurde im wesentlichen darauf gestützt, dass sich gezeigt habe, dass für den Straftatbestand kein hinreichendes Bedürfnis bestehe35, er aber andererseits die Meinungsfreiheit beeinträchtigt habe36: „Die Mehrheit hält die §§ 88 a und 130 a des Strafgesetzbuchs für überflüssig und schädlich. Der sozialschädliche Kern der Befürwortung von und Anleitung zu Gewalttaten werde schon von anderen Straftatbeständen erfaßt, insbesondere von § 111 StGB — öffentliche Aufforderung zu Straftaten —, § 126 StGB — Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten —, § 130 StGB – Volksverhetzung —, § 131 StGB — Verherrlichung von Gewalt —, § 140 StGB — Billigung von Straftaten —, § 21 in Verbindung mit § 6 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, § 53 Abs. 1 Nr. 5 des Waffengesetzes. Es habe bisher nur je eine Verurteilung nach § 88 a und nach § 130 a des Strafgesetzbuchs gegeben; es habe auch nur wenige Fälle gegeben, in denen nicht auch wegen anderer mit den §§ 88 a oder 32 Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes - Drucksache 7/3030 -, BT-Drs. 7/ 4549, S. 7. 33 Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 40. Auflage 1981, § 88a Rn. 4. 34 19. Strafrechtsänderungsgesetz vom 07.08.1981 (BGBl. I, S. 808), in Kraft ab dem 14.08.1981. 35 Vgl. auch Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 40. Auflage 1981, § 130a Rn. 1. 36 So der Abgeordnete Gnädinger (SPD), Plenarprotokoll 9/21, S. 893. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 15 130 a des Strafgesetzbuchs zusammenhängender schwererer Delikte ermittelt worden sei. Dies zeige, daß den Vorschriften nur eine verschwindend geringe kriminalpolitische Bedeutung zukomme. Entscheidender Grund für die Aufhebung sei auch, daß die Vorschriften für das Ansehen des Strafrechts und das Ansehen des Staates mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht hätten. So sei zwar eine erhebliche Anzahl von Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, die mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen verbunden gewesen seien und dadurch zu großer Unruhe bei den Betroffenen geführt hätten. Diese Verfahren hätten jedoch überwiegend ohne Ergebnis wieder eingestellt werden müssen, weil entweder das Privileg des § 86 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs gegriffen habe oder den Betroffenen nicht habe nachgewiesen werden können, daß sie den Inhalt kannten oder gar billigten. Das wiederum habe bewirkt, daß sich auch Personen mit den Betroffenen gegen den Staat, der angeblich seine Befugnisse überschritten habe, solidarisiert hätten, die bisher keine Sympathie für die Verfasser von Gewaltliteratur aufgebracht hätten. Die beabsichtigte Wirkung, das Umfeld des Terrorismus ‚auszutrocknen‘, sei geradezu in ihr Gegenteil verkehrt worden. Die negativen Wirkungen der Vorschriften, insbesondere auf das geistige Klima, und die Gefahren für die Meinungsfreiheit stünden in keinem angemessenen Verhältnis zum kriminalpolitischen Nutzen. Die Mehrheit ist der Ansicht, daß die Auseinandersetzung in diesem Bereich politisch geführt werden müsse. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD und FPD (Drucksache 8/3565) zum Ausdruck gebracht, daß keine Bedenken gegen eine Streichung der Vorschriften bestünden. Der Bundesminister des Innern hat sich für eine Streichung des § 88 a des Strafgesetzbuchs ausgesprochen (vgl. Drucksache 8/3565, S. 9).“37 Die damalige Opposition teilte diese Bewertung in den Beratungen nicht. Insbesondere berechtige die geringe Zahl von Verurteilungen nicht zu dem Schluss, die Vorschriften hätten keine praktische Bedeutung gehabt – vielmehr spreche dies im Gegenteil dafür, dass sie präventive Wirkung entfaltet hätten.38 Eine Wiedereinführung der Vorschriften erfolgte nach dem Regierungswechsel 1982 dann zwar nicht – ein neuerlicher Anlauf für die Einführung eines Straftatbestandes , mit dem die Befürwortung von Straftaten unter Strafe gestellt werden sollte, wurde jedoch 1988 unternommen. So schlug der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten39 die Einführung eines § 130b StGB vor: § 130b Befürwortung von Straftaten40 (1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu för- 37 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Zwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes (20. StrÄndG) - Drucksache 9/23 (BT-Drs. 9/135), S. 3. 38 BT-Drs. 9/135, S. 3. 39 BT-Drs. 11/2834 vom 26.08.1988. 40 BT-Drs. 11/2834, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 16 dern oder zu wecken, durch die Begehung einer solchen Tat den öffentlichen Frieden zu stören , verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht oder 2. öffentlich oder in einer Versammlung die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet, um die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, durch die Begehung einer solchen Tat den öffentlichen Frieden zu stören. (3) § 86 Abs. 3 gilt entsprechend. In der Begründung hierzu hieß es, der Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele habe zugenommen. Hinsichtlich der Ausgestaltung wurde explizit auch auf den gestrichenen § 88a StGB Bezug genommen: „Die Propagierung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele hat nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren ein bisher nicht gekanntes Ausmaß angenommen . Insbesondere politisch motivierte Straftäter versuchen durch Flugschriften und andere Drucksachen, die Notwendigkeit ihrer Aktivitäten zu begründen, den Staat einzuschüchtern und Anhänger für ihre Ziele zu gewinnen. In zahlreichen dieser Druckerzeugnisse wird von den Verfassern die Begehung von Gewalttaten begrüßt oder indirekt dazu aufgefordert; Anschläge auf Menschen oder Sachen werden als vorbildhaft hingestellt, der militante revolutionäre Kampf gegen staatliche oder gesellschaftliche Institutionen wird befürwortet. Die Gefährlichkeit und besondere Sozialschädlichkeit solcher Äußerungen steht außer Frage. Wenn gegenüber dafür empfänglichen Personen immer wieder propagiert wird, daß auf demokratischen Wegen nicht durchsetzbare Ziele auch den bewaffneten Kampf rechtfertigen, wird damit eine wesentliche Ursache für kriminelle Anschläge, für Sabotageakte und militante Auseinandersetzungen geschaffen. Die vorgesehene neue Strafvorschrift eines § 130 b StGB soll Lücken im Strafrechtsschutz vor derartigen gewaltbefürwortenden Äußerungen schließen. Das „Befürworten" von Straftaten erfaßt dasjenige fördernde Einwirken auf andere, das als Sonderform des Veranlassens fremder Straftaten unterhalb der Schwelle der Anstiftung (§ 26 StGB) und der Aufforderung (§ 111 StGB) liegt. Der Entwurf unterscheidet, ähnlich wie der frühere — durch das 19. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7. August 1981 (BGBl. I S. 808) aufgehobene — § 88a zwischen der Gewaltbefürwortung in Schriften (Absatz 1 und 2 Nr. 1) und mündlichen gewaltbefürwortenden Äußerungen (Absatz 2 Nr. 2), um den jeweiligen Besonderheiten von schriftlichen und von mündlichen Äußerungen Rechnung zu tragen.“41 41 BT-Drs. 11/2834, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 128/18 Seite 17 Die entsprechenden Gesetzesvorschläge wurden in der damaligen Literatur „mit großer Besorgnis aufgenommen und erhebliche Vorbehalte geltend gemacht“42. Die Ausschussberatungen führten im Ergebnis dazu, dass der federführende Rechtsausschuss empfahl, § 130b StGB des Regierungsentwurfs nicht zu verabschieden.43 Zur Begründung wurde insbesondere auch auf die Erfahrungen mit § 88a StGB alter Fassung verwiesen: „Die Beratungen im Ausschuß führten zum Vorschlag von Mehrheit und Minderheit, auf die Vorschrift zu verzichten, wie dies auch der Bundesrat angeregt hatte. Der Vorschlag wurde gestützt auf die Erfahrungen mit früheren vergleichbaren Bestimmungen und die in der Anhörung vorgetragenen Argumente. Insbesondere sei zweifelhaft, ob die Vorschrift überhaupt praktische Bedeutung erlangen könne. Schon die 1981 wieder aufgehobene Vorgängerregelung in § 88 a StGB habe kaum zu Verurteilungen geführt. Zu erwarten seien allenfalls Durchsuchungen und Beschlagnahmen, die letztlich ohne Ergebnis bleiben dürften, in den betroffenen Kreisen, z. B. des Buchhandels, aber verunsichernd wirken würden.“44 Dieser Beschlussempfehlung wurde im Plenum gefolgt, so dass § 130b StGB-Entwurf nicht in Kraft trat.45 * * * 42 Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB): Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert, 2010, S. 157 ff. m.w.N. 43 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss), BT-Drs. 11/4359 vom 18.04.1989. 44 BT-Drs. 11/4359, S. 16 f. 45 Vgl. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der StrafprozeBordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. Juni 1989, BGBl. I, S. 1059.