© 2019 Deutscher Bundestag WD 7-3000 – 126/19 Maßnahmen gegen illegale Aktivitäten ausländischer Geheimdienste Anknüpfungspunkte für eine Strafbarkeit nach deutschem Recht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 2 Maßnahmen gegen illegale Aktivitäten ausländischer Geheimdienste Anknüpfungspunkte für eine Strafbarkeit nach deutschem Recht Aktenzeichen: WD 7 - 3000 – 126/19 Abschluss der Arbeit: 28.08.2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Mögliche Anknüpfungspunkte der strafrechtlichen Sanktionierung 4 2.1. Begriff des Staatsgeheimnisses – § 93 StGB 4 2.2. Landessverrat – § 94 StGB 5 2.3. Landesverräterische Ausspähung – § 96 Abs. 1 StGB 6 2.4. Landesverräterische Agententätigkeit – § 98 StGB 7 2.5. Preisgabe von Staatsgeheimnissen – § 97 StGB 7 2.6. Geheimdienstliche Agententätigkeit – § 99 StGB 8 3. Prozessuale Besonderheiten 9 3.1. Zuständigkeiten 9 3.2. Legalitäts- und Opportunitätsprinzip 9 4. Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 4 Einleitung In dem nachfolgenden Sachstand soll zunächst dargestellt werden, welche strafrechtlichen Bestimmungen in Betracht kommen, um illegale Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland zu sanktionieren. Zudem sollen strafprozessuale Besonderheiten sowie der grundsätzlich bestehende Ermittlungszwang staatlicher Institutionen abgebildet werden . Abschließend soll ein genereller Überblick über die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts hinsichtlich von im Ausland gegen deutsche Staatsbürger verübter Delikte gegeben werden . Mögliche Anknüpfungspunkte der strafrechtlichen Sanktionierung Zur möglichen strafrechtlichen Sanktionierung der Aktivitäten ausländischer Geheimdienste stehen im Wesentlichen die Straftatbestände zur Verfügung, die die Straftaten gegen die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffen, namentlich die sog. Staatsschutzdelikte der §§ 93 ff. des Strafgesetzbuchs (StGB)1. Begriff des Staatsgeheimnisses – § 93 StGB Den Staatsschutzdelikten gemein ist, dass die Strafbarkeit an den in § 93 StGB legal definierten Begriff des Staatsgeheimnisses anknüpft: (1) Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. (2) Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse . Als Objekt des Staatsgeheimnisses nennt das Gesetz Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Gemeint ist damit jeder Umstand mit beschreibbarem Inhalt. Ausgenommen sind mit der Verwendung des Begriffs Tatsache, der voraussetzt, dass sie wahr sind, unwahre Tatsachenbehauptungen , gefälschte oder verfälschte Gegenstände und Erkenntnisse.2 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1371 vom 19.06.2019 (BGBl. I S. 844), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ (letzter Abruf: 28.08.2019). 2 Lampe/Hegmann, in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 93, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 5 Diese Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse müssen zum Zeitpunkt der Tat noch geheim sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Tatsachen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind.3 Weiter müssen sie vor einer fremden Macht geheim gehalten werden. Fremde Macht im Sinne der Vorschrift sind ausländische Staaten, ausländische Regierungen sowie ausländische staatliche Einrichtungen. Exilregierungen oder aufständische Gruppen können ebenfalls hierunter fallen , soweit sie staatliche Aufgaben wahrnehmen.4 Auf das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu dem betreffenden ausländischen Staat kommt es dabei nicht an, so dass auch befreundete oder verbündete Staaten wie EU-Mitgliedstaaten oder NATO-Bündnispartner als fremde Macht gelten.5 Weiter muss die Geheimhaltung erforderlich sein, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Hierfür genügt eine abstrakte Gefahr. Das Offenbarwerden des Geheimnisses muss also geeignet sein, einen solchen Nachteil herbeizuführen. Als schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit kommen nur Nachteile von wirklich gewichtiger Bedeutung in Betracht.6 Betroffen ist die äußere Sicherheit, wenn die Fähigkeit, sich gegen Angriffe, Störungen oder Einflussnahmen von außen zur Wehr zu setzen, beeinträchtigt werden kann. Ein schwerer Nachteil für diese wird in der Regel vorliegen, wenn militärische Planungen bekannt und dadurch Gegenmaßnahmen ermöglicht werden.7 Leichte außenpolitische Verstimmungen genügen ebenso wenig wie ein Bekanntwerden von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Politikers (z.B. Bestechlichkeit, Überschuldung, sexuelle Neigungen).8 Landessverrat – § 94 StGB (1) Wer ein Staatsgeheimnis 1.einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder 2.sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. 3 Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 93, Rn. 4. 4 a.a.O., Rn. 15. 5 a.a.O., Rn. 16. 6 Lampe/Hegmann, in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 93, Rn. 22. 7 Paeffgen, in NomosKommentar, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 93, Rn. 23. 8 Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 93, Rn. 20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 6 (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. Der Landesverrat ist nach § 94 StGB strafbar. Tatobjekt kann nur ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 StGB sein. Tathandlung ist das Mitteilen, also die Bekanntgabe, gegenüber einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen sind Mittelsmänner solche Personen , von denen zu erwarten steht, dass sie das Staatsgeheimnis an die zuständigen Organe der fremden Macht weiterleiten werden.9 Sie sind zu unterscheiden von den Repräsentanten der fremden Macht. Wichtig ist diese Abgrenzung, weil Mittelsmänner, die Staatsgeheimnisse an Repräsentanten oder andere Mittelsmänner weitergeben, sich wiederum selbst als Täter nach § 94 Abs. 1 StGB strafbar machen. Repräsentanten der fremden Macht sind nur solche Personen, die der Leitung der Exekutive auf höchster Ebene angehören.10 Denn erst von diesen gehen die Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus, vor denen § 94 StGB schützen will, weil nur sie über die entsprechende Machtfülle verfügen.11 Angehörige ausländischer Geheimdienste sind demnach grundsätzlich als Mittelsmänner einzuordnen.12 Landesverräterische Ausspähung – § 96 Abs. 1 StGB (1) Wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, um es zu verraten (§ 94), wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Die Vorschrift des § 96 Abs. 1 StGB stellt Vorbereitungshandlungen zum Landesverrat nach § 94 StGB unter Strafe. 9 BGH, Urteil vom 30.07.1993, Az.: 3 StR 347/92, Neue Juristischen Wochenschrift (NJW) 1993, 3147, 3151. 10 a.a.O. 11 a.a.O. 12 a.a.O., S. 3152. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 7 Tatobjekt kann nur ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 StGB sein. Sichverschaffen erfordert ein aktives Tätigwerden. Durch dieses muss das Staatsgeheimnis in irgendeiner Form in den Einflussbereich des Täters gelangen. Dass er selbst Kenntnis davon erlangt, ist jedoch nicht erforderlich . Er muss lediglich die Möglichkeit zur Weitergabe haben.13 Dabei muss der Täter im Zeitpunkt des Sichverschaffens mit Verratsabsicht handeln. Er muss also beabsichtigen, das Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem derer Mittelsmänner mitzuteilen (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder sonst an einen Unbefugten gelangen zu lassen oder öffentlich bekanntzumachen, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Landesverräterische Agententätigkeit – § 98 StGB (1) Wer 1. für eine fremde Macht eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren; § 94 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 gilt entsprechend . […] Die nach § 98 StGB strafbare landesverräterische Agententätigkeit erfasst aktives Täterverhalten im Vorfeld der Delikte des Landesverrats (§ 94 StGB) und der landesverräterischen Ausspähung (§ 96 Abs. 1 StGB). Ist eine Tat bereits nach diesen Vorschriften strafbar, tritt die Strafbarkeit nach § 98 StGB zurück. Wegen landesverräterischer Agententätigkeit nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der eine Tätigkeit ausübt, die darauf gerichtet ist, Staatsgeheimnisse im Sinne von § 93 StGB zu erlangen oder mitzuteilen – ungeachtet des Erfolgs dieser Bestrebungen. Preisgabe von Staatsgeheimnissen – § 97 StGB (1) Wer ein Staatsgeheimnis, das von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch fahrlässig die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. […] 13 Lampe/Hegmann, in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 96, Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 8 Wegen Preisgabe von Staatsgeheimnissen macht sich nach § 97 Abs. 1 StGB strafbar, wer vorsätzlich ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 StGB preisgibt und dadurch fahrlässig eine Gefährdung der Staatssicherheit herbeiführt. Zusätzlich muss das Staatsgeheimnis von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung tatsächlich geheim gehalten werden. Die Tat wird nach § 97 Abs. 3 StGB nur mit Ermächtigung der Bundesregierung verfolgt. Geheimdienstliche Agententätigkeit – § 99 StGB (1) Wer 1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder 2. gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1, in § 97a oder in § 97b in Verbindung mit § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder 2. durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt. […] Die Vorschrift des § 99 StGB bildet einen Auffangtatbestand. Sie stellt Spionagetätigkeiten aller Art gegen die Bundesrepublik Deutschland unter Strafe. Nicht erforderlich ist, dass ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 StGB betroffen ist. Vielmehr sollen jegliche nachrichtendienstliche Tätigkeiten bekämpft und aus diesen resultierende Nachteile verhindert werden.14 Der Täter muss für den Geheimdienst einer fremden Macht handeln. Der Täter muss selbst eine geheimdienstliche Tätigkeit ausüben, die in der Regel durch Heimlichkeit und konspiratives 14 Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 99, Rn. 1, 1a. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 9 Handeln gekennzeichnet sein wird, dies aber nicht zwingend sein muss. Schließlich muss sich die geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland richten.15 Prozessuale Besonderheiten Zuständigkeiten Für die Taten nach §§ 94 bis 100a StGB sind nach § 120 Abs. 1 Nr. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)16 grundsätzlich die Oberlandesgerichte (OLG) zuständig, in deren Bezirk die jeweilige Landesregierung ihren Sitz hat. Revisionsinstanz ist nach § 135 Abs. 1 GVG der Bundesgerichtshof . Für das Ermittlungsverfahren zuständig ist nach § 142a Abs. 1 S. 1 GVG der Generalbundesanwalt . Nach § 142a Abs. 2 Nr. 1 GVG gibt der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren im Fall von Straftaten nach §§ 98, 99 StGB vor Anklageerhebung an die Landesstaatsanwaltschaft ab. Eine Pflicht zur Abgabe besteht jedoch erst, sobald abschließend geklärt ist, dass über eine Anklageerhebung entschieden werden kann.17 Bei anderen Straftaten wie §§ 94, 96 Abs. 1 und § 97 StGB besteht eine Abgabepflicht, wenn die Sache gemäß § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG von minderer Bedeutung ist. Legalitäts- und Opportunitätsprinzip Grundsätzlich gilt im Strafverfahren das Legalitätsprinzip. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet ist, § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO)18. Allerdings sieht die StPO für bestimmte Fälle Ausnahmen vom Legalitätsprinzip vor, um andere staatliche Interessen im Einzelfall angemessen zu berücksichtigen, die schwerer wiegen als das Interesse des Staates an einer lückenlosen Strafverfolgung. Diese Interessen können ganz unterschiedlicher Natur sein. Vielfach geht es darum, die Gerichte in Fällen von Kleinstkriminalität vor Überlastung und den betroffenen Bürger vor Kriminalisierung zu schützen, vgl. §§ 153, 153a StPO. 15 Kühl, in Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2018, § 99 Rn. 3, 4. 16 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 8 Abs. 1 des Gesetzes zur weiteren Ausführung der EU-ProspektVO und zur Änderung von Finanzmarktgesetzen vom 08.07.2019 (BGBl. I S. 1002), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/ (letzter Abruf: 28.08.2019). 17 Brocke, in Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Auflage 2018, § 142a GVG, Rn. 12. 18 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.04.1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.07.2019 (BGBl. I S. 1066), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/ (letzter Abruf: 28.08.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 126/19 Seite 10 Auch bei den Staatsschutzdelikten durchbricht der Gesetzgeber das Legalitätsprinzip und hat der Staatsanwaltschaft erweiterte Einstellungsmöglichkeiten eröffnet. Der Generalbundesanwalt kann dabei etwa von der Verfolgung einer Tat absehen, die im Ausland begangen wurde (§ 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO). Zudem kann er auch bei einer Tat von der Verfolgung absehen, die im räumlichen Geltungsbereich der StPO durch eine außerhalb dieses Bereichs ausgeübte Tätigkeit begangen ist, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen (§ 153c Abs. 3 StPO). Gleiches gilt für alle Staatsschutzdelikte (§ 153d Abs. 1 StPO i.V.m § 120 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Bei der Frage, ob überwiegende öffentliche Interessen der Verfolgung entgegenstehen, hat die Staatsanwaltschaft das Verfolgungsinteresse gegen die Gefahr diplomatischer Verwicklungen oder wirtschaftlicher Nachteile abzuwägen.19 Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts Deutsches Strafrecht ist zunächst auf alle im Inland begangenen Taten anwendbar, § 3 StGB. Nach § 5 Nr. 4 StGB sind die oben unter 2 dargestellten Straftatbestände aber auch auf im Ausland begangene Taten anwendbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Tat auch am Tatort unter Strafe steht. Im Ergebnis können die o.g. Straftatbestände also auf alle denkbaren Sachverhalte weltweit Anwendung finden. *** 19 Peters, in Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Auflage 2016, § 153c StPO, Rn. 26.