© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 126/17 Zivilrechtliches Vorgehen gegen Plakate Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 2 Zivilrechtliches Vorgehen gegen Plakate Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 126/17 Abschluss der Arbeit: 10. Oktober 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anspruch 4 2.1. § 823 Absatz 1 BGB (Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts) 4 2.2. § 823 Absatz 2 BGB (Strafbare Äußerungen) 5 2.3. Rechtsfolgen 6 3. Anspruchsdurchsetzung 6 3.1. Grundsatz: keine eigenmächtige Rechtsdurchsetzung 6 3.2. Zivilverfahren und Einstweiliger Rechtsschutz 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 4 1. Einleitung Immer wieder werden in der Öffentlichkeit zur Schau gestellte Plakate aufgrund der in ihnen dargestellten Inhalte durch Teile der Öffentlichkeit oder einzelne Bürger als missliebig wahrgenommen . Nicht selten wird etwa geltend gemacht, die Plakate seien gegenüber bestimmten Personengruppen herabwürdigend oder beleidigend oder erfüllten sogar Straftatbestände – so etwa bei bestimmten Wahlplakaten den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB1). Vor diesem Hintergrund wird vorliegend summarisch dargestellt, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen sich aus dem Zivilrecht eine Handhabe gegen das Aufhängen und öffentliche Zeigen von entsprechenden Plakaten grundsätzlich ergeben kann.2 2. Anspruch Das Zivilrecht kennt keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Voraussetzung für einen Anspruch – also das Recht, auf zivilrechtlichem Weg von einem anderen Privatrechtssubjekt ein Tun oder ein Unterlassen verlangen zu können (§ 194 Absatz 1 BGB) – ist das Bestehen einer einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage gegen den Anspruchsgegner. Bei Fehlen einer vertraglichen Beziehung zum Anspruchsgegner kann sich eine Anspruchsgrundlage grundsätzlich nur aus einem so genannten gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben.3 In dem Fall, dass jemand Plakate missliebigen Inhalts öffentlich sichtbar aufhängt, kommt als Anspruchsgrundlage gegen den Handelnden oder den Eigentümer des Plakats im Wesentlichen das Verbot unerlaubter Handlungen (§§ 823 ff. BGB) in Betracht. So ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen nach § 823 Absatz 1 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 823 Absatz 2 BGB denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz (sog. Schutzgesetz) verstößt. 2.1. § 823 Absatz 1 BGB (Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts) Voraussetzung für einen Anspruch aus § 823 Absatz 1 BGB ist, dass eines der dort aufgezählten „absoluten“ Rechte verletzt wird. Bei mittels eines Plakats getroffenen Äußerungen kommt als tangiertes Rechts im Sinne des § 823 Absatz 1 BGB das so genannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht in Betracht. Es schützt das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität sowie Entfaltung und Entwicklung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202) geändert worden ist. 2 Die mit der vorliegenden Art von Plakaten verbundenen besonderen öffentlich rechtlichen Implikationen werden vorliegend nicht erörtert (vergleiche hierzu den Sachstand „Verbot von Wahlplakaten mit ehr- oder menschenwürdeverletzenden Inhalten“, WD 3-3000-184/17). 3 Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. 2017, Überbl v § 311 Rdn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 5 Staat und im privaten Rechtsverkehr.4 Im Bereich der Sozialsphäre schützt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich auch die persönliche Ehre und kann damit einen Abwehranspruch gegen ehrverletzende Äußerungen einräumen.5 Ob eine mittels eines Plakats öffentlich getätigte Meinungsäußerung eine im Ergebnis tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, kann dabei nur konkret im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Grundsätzlich muss die Beeinträchtigung eine konkrete Person betreffen, was etwa bei der Verwendung einer Kollektivbezeichnung in der Regel nicht der Fall ist, wenn es sich um einen unüberschaubaren Personenkreis handelt.6 Wenn eine konkrete Person betroffen ist, so ist in der nachfolgenden Gesamtabwägung unter anderem auch von Bedeutung, welchen Zweck der Äußernde verfolgt hat und in welcher Art und Weise der Eingriff erfolgt ist.7 So genießen Beiträge zur Auseinandersetzung mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage höheren Schutz als die Verfolgung lediglich privater Interessen, ebenso wie Artikel 5 GG8 im Rahmen des geistigen Meinungskampfes und freier Diskussion bei wertenden Urteilen über Fragen von allgemeiner Bedeutung auch hinsichtlich der Art und Form der Äußerung große Freiheit gewährt:9 „Die subjektive Meinung darf gerade in Streitpunkten des allgemeinen Interesses hart, scharf und überspitzt, provokativ, abwertend, übersteigert, polemisch und ironisch geäußert werden . Auch abwertende Kritik darf, solange sie sachbezogen ist, scharf, schonungslos, ausfällig sein. Die Meinungsfreiheit hat im Grundsatz Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz, soweit eine Äußerung … Bestandteil der für eine freiheitliche demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden ständigen geistigen Auseinandersetzung in Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung ist.“10 2.2. § 823 Absatz 2 BGB (Strafbare Äußerungen) Ein Anspruch nach § 823 Absatz 2 BGB setzt voraus, dass der Handelnde mit dem Zurschaustellen des Plakats gegen ein Schutzgesetz verstößt. Als Schutzgesetz kommen hierbei insbesondere auch Straftatbestände in Betracht. 4 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 86. 5 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 87. 6 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 93 m.w.N. 7 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 99 ff. 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist. 9 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 99 f. 10 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 103. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 6 Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass der Straftatbestand zumindest auch gerade dazu dient, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen und dass der Anspruchsteller in den persönlichen Schutzbereich des Schutzgesetzes fällt.11 Als Schutzgesetze in diesem Sinne kommen aus dem Strafgesetzbuch namentlich § 185 StGB (Beleidigung), § 186 StGB (Üble Nachrede) und § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) in Betracht.12 Der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) hingegen – sollte er überhaupt im Einzelfall vorliegen13 – zählt nicht hierzu. 2.3. Rechtsfolgen Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 BGB vor, gewährt er einen Anspruch auf Schadensersatz . Bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann dies je nach Fallkonstellation Unterlassung, Beseitigung, Gegendarstellung und Geldentschädigung umfassen.14 3. Anspruchsdurchsetzung 3.1. Grundsatz: keine eigenmächtige Rechtsdurchsetzung Dem staatlichen Gewaltmonopol entsprechend stehen der Schutz und die Durchsetzung von Rechten grundsätzlich nicht dem jeweiligen Gläubiger selbst zu, sondern sind Aufgabe des Staates , der zu diesem Zweck das in den Prozessgesetzen geordnete Gerichts- und Vollstreckungsverfahren zur Verfügung stellt.15 Gläubigern ist es daher grundsätzlich untersagt, Ansprüche im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen.16 Missliebige Plakate dürften mithin nicht einfach unkenntlich gemacht oder abgerissen werden. 3.2. Zivilverfahren und Einstweiliger Rechtsschutz Grundsätzlich ist zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus § 823 BGB das – regelmäßig zeitintensive – ordentliche Zivilverfahren zu beschreiten. Daneben gewährt die Zivilprozessordnung unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes. 11 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 58 f. 12 Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 525. 13 Vgl. etwa OLG München, NJW 2010, 2150. 14 Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 129 f. 15 Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, Überbl v § 226 Rdn. 1. 16 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 916–945 b ZPO Rdn. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 126/17 Seite 7 Namentlich bei Unterlassungsansprüchen kommt hierfür das Beantragen einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO17 in Betracht. Das Verfügungsverfahren ist ein summarisches Verfahren; ein Verfügungsantrag ist begründet, wenn der Verfügungsgläubiger einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft macht (§§ 936, 920 Absatz 2 ZPO).18 Der Grund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung liegt in einem solchen Fall im drohenden, in Kürze zu befürchtenden oder andauernden Rechtsverstoß, weshalb ein Hauptsacheverfahren nicht rechtzeitig durchgeführt werden kann.19 Zu beachten ist im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens grundsätzlich das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache: Einstweilige Verfügungen bezwecken die Sicherung einer späteren Befriedigung des Gläubigers, nicht die Befriedigung selbst; die Verfügungsentscheidung soll die in der Hauptsache zu treffende Entscheidung nicht ersetzen, sondern inhaltlich hinter ihr zurückbleiben , weshalb grundsätzlich keine irreversiblen Maßnahmen angeordnet werden sollen.20 Gerade bei persönlichkeitsrechtsbezogenen Unterlassungsansprüchen kann aber der Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache aufgrund des durch Zeitablauf drohenden Zustands je nach Fallkonstellation auch zurücktreten: So sei namentlich bei „drohenden nicht unerheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzungen … in der Regel ohne Weiteres ein irreparabler Schaden anzunehmen.“21 * * * 17 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 18 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 935–945 b ZPO Rdn. 9. 19 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rdn. 21. 20 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rdn. 33. 21 Haertlein, in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2015, § 935 ZPO Rdn. 42.