© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 123/19 Gesetzliche Grundlage und Rechtsprechung zur DNA-Analyse Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 2 Gesetzliche Grundlage und Rechtsprechung zur DNA-Analyse Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 123/19 Abschluss der Arbeit: 21. August 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzliche Grundlage zur DNA-Analyse 5 2.1. Eingriffe im laufenden Strafverfahren 5 2.2. Eingriffe im Rahmen von Reihengentests 7 2.3. Eingriffe für die Wiedererkennung in künftigen Strafverfahren 8 3. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens 9 4. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 4 1. Einleitung Die molekulargenetische Untersuchung (sog. „genetischer Fingerabdruck“) von Körperzellen zum Nachweis der Identität eines Spurenlegers ist heutzutage eines der effektivsten Mittel der Strafverfolgung .1 Durch die DNA-Analyse wird der kleinste Baustein menschlicher Zellstruktur durch Analyse eines Makromoleküls, der sog. „Desoxyribonukleinsäure“ (DNS; engl. desoxyribonucleic acid – DNA) untersucht.2 In der DNA ist die gesamte menschliche Erbinformation gespeichert und sie kann in Form von Gewebsteilen wie Blut, Haut, Haar, Speichel oder Sperma vorliegen.3 Die DNA-Moleküle bestehen aus einem äußerst kleinen Anteil von codierenden Bereichen und aus einem ganz überwiegenden Teil aus nicht-codierenden Bereichen.4 Auf dem codierenden Bereich befinden sich die Gene, das heißt die gesamte genetische Information für die Bildung von Proteinen, die für das individuelle Erscheinungsbild einer Person verantwortlich ist.5 Auf dem nicht-codierenden Bereich liegt nach dem jetzigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand keine Erbinformation und wird als bloßes Füllmaterial, dem keine bestimmte Funktion zugesprochen wird, betrachtet.6 Bei der DNA-Analyse wird derzeit ausschließlich der nicht-codierende Bereich untersucht.7 Die Abschnitte dieses Bereiches sind von Mensch zu Mensch so unterschiedlich, dass sie einem herkömmlichen Fingerabdruck vergleichbar für eine Identifizierung ausreichen.8 Allerdings hat der Gesetzgeber bewusst auf eine Unterteilung in codierende und nicht-codierende Bereiche der DNA verzichtet: Einerseits soll neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen damit Rechnung getragen werden und andererseits lässt auch der nicht-codierende Bereich Rückschlüsse auf schützenswerte Persönlichkeitsmerkmale zu.9 Vor diesem Hintergrund sollen die gesetzliche Grundlage und die Rechtsprechung zur DNA-Analyse dargestellt werden. 1 Vgl. Frister in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 296. 2 Vgl. Mohr in: Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, DNA-Analyse. 3 Pommer: Die DNA-Analyse im Strafprozess – Problemfelder der §§ 81e ff. StPO, Juristische Arbeitsblätter (JA), 2007, 621, 622. 4 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2019, Rn. 1683. 5 Schneider: DNA-Analyse und Strafverfahren de lege ferenda, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2018, 682, 693. 6 Beck: Forensic DNA-Phenotyping – Bestimmung äußerer Merkmale aus der DNA, Kriminalpolitische Zeitschrift (KriPoZ) 2017, 160, 161. 7 Pommer: Die DNA-Analyse im Strafprozess – Problemfelder der §§ 81e ff. StPO, JA, 2007, 621, 622; Schreiber: Einführung des „genetischen Steckbriefs, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 2019, 105, 105. 8 Vgl. Volk: DNA-Identitätsfeststellungsgesetz – Kein Ende der Begehrlichkeiten, NStZ 2002, 561, 562. 9 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes – DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck“) – (StVÄG) (BT Drs. 13/667), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/13/006/1300667.pdf [zuletzt abgerufen: 21. August 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 5 2. Gesetzliche Grundlage zur DNA-Analyse Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz (GG)10 verleiht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren. Wenn und soweit der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, sind die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG von der Gesetzgebung ausgeschlossen. Durch die Einführung der §§ 81e und f Strafprozessordnung (StPO)11 durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 17. März 1997 wurde die Entnahme von DNA-Proben und die DNA-Analyse als Bereich des Strafverfahrens bundesgesetzlich geregelt.12 Heute regeln die §§ 81e - h StPO die Untersuchung genetischen Materials. Bei der DNA-Analyse ist zwischen Eingriffen für die Zwecke des laufenden Strafverfahrens und Eingriffen für die Wiedererkennung in künftigen Strafverfahren zu unterscheiden.13 Ferner besteht die Möglichkeit der Durchführung freiwilliger Massentests. 2.1. Eingriffe im laufenden Strafverfahren Im Rahmen der DNA-Analyse für die Zwecke des laufenden Strafverfahrens ergibt sich die Ermächtigung zur Entnahme der erforderlichen Körperzellen aus den allgemeinen Regelungen der körperlichen Untersuchung nach den §§ 81a, 81c StPO. § 81e StPO regelt gesondert lediglich die Ermächtigung zur Vornahme der DNA-Analyse. Gemäß § 81e Abs. 1 StPO kann eine DNA-Analyse sowohl an nach § 81a StPO entnommenen Körperzellen des Beschuldigten als auch an aufgrund von § 81c StPO gewonnen Proben von „anderen Personen“ (Zeugen oder Opfer) durchgeführt werden. Nach Abs. 1 Satz 1 dürfen mittels DNA-Analyse „das DNA-Identifizierungsmuster, die Abstammung und das Geschlecht der Person festgestellt und diese Feststellungen mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden, soweit dies zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist“. „Andere Feststellungen dürfen nicht erfolgen; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig“, § 81e Abs. 1 Satz 2 StPO. Seit der Neufassung durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens 10 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 21. August 2019]. 11 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066), abrufbar unter: http://www.gesetze-iminternet .de/stpo/BJNR006290950.html [letzter Abruf: 21. August 2019]. 12 Senge: Strafverfahrensänderungsgesetz – DNA-Analyse, Neue Juristische Wochenschrift (NJW), 1997, 2409, 2409 f.; Trück in: Kudlich, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, §§ 1-150 StPO, 1. Auflage 2014, § 81e StPO, Rn. 5. 13 Frister in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 297. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 6 im Jahre 201714 erklärt § 81e Abs. 2 Satz 1 StPO, dass eine nach Abs. 1 zulässige Untersuchung „an aufgefundenem, sichergestelltem oder beschlagnahmtem Material durchgeführt werden“ darf. Durch die Verweisung des Abs. 2 Satz 2 auf Abs. 1 Satz 2 gilt auch hier, dass andere Feststellungen nicht erfolgen dürfen und hierauf gerichtete Untersuchungen unzulässig sind. Satz 2 verweist zudem auf § 81a Abs. 3 StPO: „Dem Beschuldigten entnommene Blutproben oder sonstige Körperzellen dürfen nur für Zwecke des der Entnahme zugrundeliegenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens verwendet werden: sie sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind.“ Ist bekannt, von welcher Person dieses Material stammt, stellt § 81e Abs. 2 Satz 3 StPO dies durch Verweisung auf § 81f Abs. 1 StPO unter einen grundsätzlichen Richtervorbehalt. Molekulargenetische Untersuchungen in konkreten polizeilichen Ermittlungsverfahren dürfen damit „ohne schriftliche Einwilligung der betroffenen Person nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden“. Willigt der Betroffene in die DNA-Analyse ein, ist eine richterliche Anordnung entbehrlich. „Die einwilligende Person ist darüber zu belehren, für welchen Zweck die zu erhebenden Daten verwendet werden“, § 81f Abs. 1 Satz 2 StPO. Nach § 81f Abs. 2 StPO ist die Bestimmung des DNA-Identifizierungsmusters durch ein dafür geeignetes Institut durchzuführen. Das Gesetz verlangt für die Anordnung keinen besonderen Verdachtsgrad, sodass ein einfacher Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten genügt. Zwar ist sie im Gegensatz zu § 81g Abs. 1 StPO nicht an Delikte mit qualifiziertem Schweregrad gebunden, allerdings darf sie bei dem Vorwurf von Bagatelldelikten nicht vorgenommen werden.15 Nicht vorausgesetzt ist, dass andere Erkenntnismöglichkeiten zuvor ausgeschöpft wurden.16 Die Anordnung der DNA- Analyse muss in Bezug auf die Bedeutung der aufzuklärenden Tat verhältnismäßig sein.17 Durch die ausdrückliche Zweckbindung der DNA-Analyse – „soweit dies zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist“, § 81e Abs. 1 Satz 1 a.E. StPO – wird ihr gesetzlich zulässiger Umfang der Informationsgewinnung beschränkt.18 Dadurch wird ermöglicht, dass der Kernbereich der Persönlichkeit in Form von schutzbedürftigen genetischen Anlagen des Betroffenen und genetisch bedingten schutzbedürftigen Persönlichkeitsmerkmalen dem Zugriff und der Ausforschung entzogen wird.19 Die dadurch erreichte Zweckbindung verhindert weitgehende Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit 14 Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017, BGBl. I, S. 3202, abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s3202.pdf%27% 5D__1565770620688 [letzter Abruf: 21. August 2019]. 15 LG Ravensburg, Beschluss vom 9. März 2009 – 2 Qs 22/09, NStZ-RR 2010, 18, 18. 16 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Auflage 2017, Rn. 1682. 17 VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 2005 - 113/05, 113 A/05, NJW 2006, 1416, 1419 18 Trück in: Kudlich, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, §§ 1-150 StPO, 1. Auflage 2014, § 81e StPO, Rn. 1. 19 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes – DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck“) – (StVÄG) (BT Drs. 13/667, 6), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/13/006/1300667.pdf [zuletzt abgerufen: 21. August 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 7 Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)20.21 Zudem lässt die derzeitige DNA-Analyse keinen Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zu, da sie keinen Rückschluss auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten ermöglicht .22 Die Untersuchung des nicht-codierenden Bereiches der DNA hat lediglich die Abschnitte des DNA-Moleküls zum Gegenstand, die nach derzeitigem Wissensstand nicht Träger der Informationen über die erheblichen Eigenschaften des Menschen sind.23 Die DNA-Analyse ist auch geeignet, den Gesetzeszweck zu erreichen, da der genetische Fingerabdruck Hinweise auf die Täterschaft eines Verdächtigen geben kann.24 Sie ist erforderlich, um die Wahrheit zu erforschen , und für Betroffene zumutbar, da durch die Entnahme von Speichel- oder Blutproben in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nur geringfügig eingegriffen wird.25 2.2. Eingriffe im Rahmen von Reihengentests Nach § 81h Abs. 1 StPO dürfen DNA-Reihenuntersuchungen mit schriftlicher Einwilligung der Betroffenen durchgeführt werden, wenn dies zur Aufklärung eines durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdachts eines Verbrechens „gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung“ erforderlich ist und „die Maßnahme insbesondere im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Personen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat steht“. Ungeachtet einer vorliegenden Einwilligung bedarf sie nach § 81h Abs. 2 StPO einer schriftlich zu erteilenden und zu begründenden gerichtlichen Anordnung , in der die betroffenen Personen anhand bestimmter Prüfungsmerkmale zu bezeichnen sind. Eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen gibt es nicht. Seit der Neufassung durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahre 201726 kann das Material des Probengebers auch auf seine bloße geneti- 20 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 21. August 2019]. 21 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes – DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck“) – (StVÄG) (BT Drs. 13/667, 5), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/13/006/1300667.pdf [zuletzt abgerufen: 21. August 2019]. 22 BVerfG, Urteil vom 18. September 1995, 2 BvR 103/92, NJW 1996, 771, 772 f. 23 VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 2005 - 113/05, 113 A/05, NJW 2006, 1416, 1417 24 BVerfG, Beschluss vom 2. August 1996, 2 BvR 1511/96, NJW 1996, 3071, 3073. 25 BVerfG, Urteil vom 18. September 1995, 2 BvR 103/92, NJW 1996, 771, 772 f. 26 Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017, BGBl. I, S. 3202, abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s3202.pdf%27% 5D__1565770620688 [letzter Abruf: 21. August 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 8 sche Ähnlichkeit mit dem gefundenen Spurenmaterial untersucht werden. Damit kann festgestellt werden, ob dieses von einem Verwandten des Probengebers in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad stammt. Als besondere Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit regelt § 81h Abs. 1 StPO, dass die Maßnahme erforderlich sein muss, um festzustellen, ob Spurenmaterial von dem betroffenen Personenkreis stammt und dass dieser zahlenmäßig in vertretbarer Relation zur Schwere der Tat stehen muss.27 Aufgrund der potentiellen Betroffenheit einer großen Anzahl von unverdächtigen Personen kommt ein Reihengentest nur als ultima ratio in Betracht.28 Für die Relation von Tatschwere und Personenkreis ist Intensität, Art und Umfang der infrage stehenden Rechtsgutsverletzung sowie Art und Anzahl der Tatopfer maßgeblich.29 2.3. Eingriffe für die Wiedererkennung in künftigen Strafverfahren Die DNA-Analyse für die Wiedererkennung in künftigen Strafverfahren ist in §§ 81a, 81c StPO nicht geregelt. Daher bedürfen sowohl die Entnahme der erforderlichen Körperzellen als auch die Vornahme der DNA-Analyse einer besonderen Regelung. Diese befindet sich in § 81g StPO. Gemäß §81g Abs. 1 Satz 1 StPO können dem Beschuldigten auch in einem anhängigen Strafverfahren , das eine „Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung “ zum Gegenstand hat, „zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden“. Voraussetzung ist, das „wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind“. Bei Wiederholungstätern reichen allerdings nach § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO auch andere Straftaten aus, wenn sie „im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen“. Erhebliche Bedeutung hat eine Tat, wenn sie zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.30 Nach § 81g Abs. 3 Satz 1 StPO wird auch die Entnahme der Körperzellen unter den grundsätzlichen Richtervorbehalt gestellt, wenn der Beschuldigte nicht eingewilligt hat. Der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen kommt lediglich eine Eilkompetenz für die Entnahme von Körperzellen, allerdings nicht für die eigentliche An- 27 Gesetzentwurf zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse (BT Drs. 15/5674, 13), abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/doc/btd/15/056/1505674.pdf [letzter Abruf: 21. August 2019]. 28 Trück in: Kudlich, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, §§ 1-150 StPO, 1. Auflage 2014, § 81h StPO, Rn. 7. 29 Saliger/Ademi: Der Massengentest nach § 81h StPO, Juristische Schulung (JuS) 2008, 193, 196. 30 BVerfG Beschluss vom 14. Dezember 2000, 2 BvR 1741/99, BVerfGE 103, 21, 34. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 9 ordnung der DNA-Analyse zu, vgl. § 81 Abs. 3 Satz 2 StPO. Die dadurch erhobenen DNA-Identifizierungsmuster dürfen nach § 81g Abs. 5 Satz 1 „beim Bundeskriminalamt gespeichert und nach Maßgabe des Bundeskriminalamtsgesetzes verwendet werden“. Ein einfacher Tatverdacht reicht für eine DNA-Analyse aus, aus dem sich aber eine sog. Negativprognose ergeben muss: Aufgrund von persönlichen, tatbezogenen oder sonstigen Umständen muss die Annahme im Rahmen einer Einzelfallprüfung begründet sein, dass gegen den Betroffenen künftig erneut ein Strafverfahren geführt werden wird.31 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit muss es sich bei der Anlasstat um ein Delikt handeln, bei dem typischerweise Identifizierungsmaterial am Tatort hinterlassen wird.32 3. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens Nach aktueller Rechtslage ist die Erstellung eines Täter-Phantombildes, das aus dem am Tatort aufgefundenen DNA-Spurenmaterial erstellt werden kann, unzulässig. Nach den §§ 81e ff StPO kann der genetische Fingerabdruck, die Abstammung und das Geschlecht festgestellt werden und mit der gewonnenen DNA des Beschuldigten, Zeugen oder Opfers oder mit der beim Bundeskriminalamt gespeicherten DNA-Analyse-Datei abgeglichen werden. Für diese Ermittlung genügt der nicht-codierende Bereich des DNA-Moleküls aus. Nach dem Anfang 2018 ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD soll die DNA-Analyse auf äußerliche Merkmale (Haar, Augen, Hautfarbe) und Alter ausgeweitet werden.33 Die Bundesregierung hat am 23. Mai 2019 ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafverfahrens 34 vorgelegt, das eine Erweiterung der DNA-Analyse vorsieht. Hieraus ergab sich der Referentenentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens, den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am 8. August 2019 veröffentlicht hat.35 Eine Änderung des § 81e Abs. 2 StPO soll zukünftig die molekulargenetische Untersuchung an aufgefundenem, sichergestellten und beschlagnahmten Material auch zur Bestimmung der Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie des biologischen Alters des Spurenlegers ermöglichen. Für diese geplante DNA-Phänotypisierung ist nun aber der Rückgriff auf den codierenden Bereich des DNA-Moleküls, der für 31 Frister in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 309 f. 32 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessänderung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz) (BT Drs. 13/10791, 5), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/13/107/1310791.pdf [letzter Abruf: 21. August 2019]. 33 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, Seite 123, abrufbar unter: https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1 [letzter Abruf: 21. August 2019]. 34 Vorlage der Bundesregierung: Eckpunkte zur Modernisierung des Strafverfahrens (BT Drs. 19/10388), abrufbar unter:https://kripoz.de/wp-content/uploads/2019/05/bt-drs-19-10388.pdf [letzter Abruf: 21. August 2019]. 35 Referentenentwurf des BMJV: Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2019/08/refe-modernisierung-des-strafverfahrens.pdf [letzter Abruf: 21. August 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 123/19 Seite 10 das individuelle Erscheinungsbild einer Person verantwortlich ist, nötig.36 Grenzen für die DNA- Phänotypisierung finden sich wie auch für die derzeitige DNA-Analyse im Recht auf informationelle Selbstbestimmung.37 4. Fazit Die DNA-Analyse hat einen hohen kriminalistischen Nutzen.38 Allerdings unterliegt sie auch strengen Voraussetzungen und zahlreichen Grenzen. In den letzten Jahren hat das Recht der DNA-Analyse zahlreiche Änderungen erfahren. Der Gesetzgeber hat erst mit der Reform vom 17. August 201739 die DNA-Analyse erweitert, sodass mit deren Inkrafttreten auch Beinahetreffer, die ein Verwandtschaftsverhältnis aufzeigen, als Beweismittel verwendbar sind.40 Eine geplante Änderung des § 81e Abs. 2 StPO soll zukünftig auch die Bestimmung der Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie des biologischen Alters des Spurenlegers durch Untersuchung an aufgefundenem, sichergestellten und beschlagnahmten Material ermöglichen. *** 36 Schneider: DNA-Analyse und Strafverfahren de lege ferenda, NStZ 2018, 682, 693. 37 Vgl. eine Abhandlung einer Grundrechtsprüfung zur geplanten Ausweitung der DNA-Analyse: Schreiber: Einführung des „genetischen Steckbriefs“, ZRP 2019, 105. 38 Vgl. Frister in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Auflage 2018, Rn. 296. 39 Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017, BGBl. I, S. 3202, abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s3202.pdf%27% 5D__1565770620688 [letzter Abruf: 21. August 2019]. 40 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur effektiven und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (BT Drs. 18/11877, 22), abrufbar unter: https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/112/1811277.pdf [letzter Abruf: 21. August 2019].