WD 7 - 3000 - 119/20 (5. November 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Gefragt war, welche erweiterten Rechte der Strafprozessordnung (StPO) einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss bei der Beweiserhebung in Steuerangelegenheiten, insbesondere im Hinblick auf das Steuergeheimnis gemäß § 30 Abgabenordnung (AO), zukommen. In der StPO gibt es keine besonderen Regelungen für parlamentarische Untersuchungsausschüsse Nach Artikel 44 Abs. 2 Satz 1 GG finden die Vorschriften über den Strafprozess auf Beweiserhebungen durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse aber sinngemäß Anwendung. Der in Artikel 44 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene Verweis erstreckt sich dabei auf alle befugnisbegründenden und -begrenzenden Bestimmungen in der StPO, die die Beweiserhebung regeln (vgl. BVerfG 2009, S. 1354). Das Beweiserhebungsrecht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse umfasst auch das Recht auf Aktenvorlage (vgl. BVerfG 1984, S. 2273). Dieses Recht gehört zum „Wesenskern des Untersuchungsrechts“(vgl. Partsch). Einschränkung erfährt dieses Recht wiederum durch die befugnisbegrenzende Regelung des § 96 StPO (BVerfG 1984, S. 2272). Danach darf die Aktenvorlage nämlich etwa dann nicht gefordert werden, wenn das Bekanntwerden des Akteninhalts nachteilig für das Wohl des Bundes wäre. Das Bundeswohl umfasst auch das Steuergeheimnis im Sinne des § 30 AO, da die Regelung neben privaten Geheimhaltungsinteressen auch höherrangigem Interesse dient, wie etwa dem Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit, um so das Steuerverfahren zu erleichtern und eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen (BVerfG 1984, S. 2275). Gleichwohl ist eine pauschale Ablehnung einer Übermittlung von dem Steuergeheimnis unterliegenden Dokumenten unter Berufung auf das Wohl des Bundes grundsätzlich nicht möglich . „Die Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes gegenüber dem Parlament kann mithin in aller Regel dann nicht in Betracht kommen, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen werden. (…) Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in der Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes , wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist“ (vgl. AO-Handbuch des BMF, Ziffer 2.2.1). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Anwendung der Strafprozessordnung bei der Beweiserhebung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Steuerangelegenheiten Kurzinformation Anwendung der Strafprozessordnung bei der Beweiserhebung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Steuerangelegenheiten Fachbereich WD 7 (Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können daher auch solche Akten zur Vorlage angefordert werden, deren Inhalt dem Steuergeheimnis nach § 30 AO unterliegt, sofern folgende Voraussetzungen vorliegen: – der Untersuchungsausschuss muss im Rahmen politischer (und nicht administrativer) Kontrolle handeln, – der aufzuklärende Sachverhalt muss abgeschlossen sein, – es muss ein Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und der erbetenen Auskunft bestehen und – das Auskunftsbegehren darf sich nicht auf Informationen erstrecken, deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist (vgl. BVerfG 1984, S. 2273 ff. sowie AO-Handbuch des BMF, Ziffer 2.2.2). Unter Beachtung der Grundrechte der Betroffenen wird daher in der Regel ein Aktenvorlagerecht zu bejahen sein, wenn die o.g. Voraussetzungen vorliegen und ausreichende Vorkehrungen zum Geheimschutz getroffen wurden (vgl. BVerfG 1984, S. 2273 ff. sowie AO-Handbuch des BMF, Ziffer 2.2.2). Quellen: – Strafprozessordnung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648, 1651) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/ (letzter Abruf dieses und aller weiteren Links am 5. November 2020). – Abgabenordnung vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 613), die zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 12. August 2020 (BGBl. I S. 1879, 1886) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/. – Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-iminternet .de/gg/index.html. – Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Juni 2009, Az.: 2 BvE 3/07, NVwZ 2009, S. 1353 ff. – Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Juli 1984, Az.: 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, NJW 1984, S. 2271 ff. – Partsch, Gutachten für den 45. Deutschen Juristentag (DJT), Verhandlungen des 45 DJT, Bd. I, Teil 3, S. 126 f. – Bundesministerium der Finanzen, Amtliches AO-Handbuch, Ausgabe 2020, Anhang 44: Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Parlamenten, abrufbar unter: https://ao.bundesfinanzministerium.de/ao/2020/Anhaenge /BMF-Schreiben-und-gleichlautende-Laendererlasse/Anhang-44/anhang-44.html. ***