Deutscher Bundestag Änderung der Privilegierung von Bauvorhaben im Außenbereich Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 115/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 2 Änderung der Privilegierung von Bauvorhaben im Außenbereich Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 115/12 Abschluss der Arbeit: 25. Mai 2012 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Inhalt und Zweck der Novellierung 4 3. Verfassungskonformität der Novellierung 5 3.1. Gleichheitsgrundsatz 5 3.2. Eigentumsgarantie 6 3.3. Rechtsweggarantie 6 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung behandelt die Verfassungsmäßigkeit des im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) verfassten Referentenentwurfs eines „Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ nach dem Stand vom 14. Februar 20121, soweit dort eine Änderung von § 35 Abs. 1 Nr.4 Baugesetzbuch (BauGB)2 vorgesehen ist. Nach § 35 Abs. 1 Nr.4 BauGB in seiner derzeit gültigen Fassung ist im Außenbereich „ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll.“ Im Referentenentwurf (Nummer 14 Buchstabe a) ist vorgesehen, nach dem Wort „soll“ ein Komma und die Wörter „ es sei denn, es handelt sich um die Errichtung oder Änderung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt“ einzufügen. 2. Inhalt und Zweck der Novellierung Der Referentenentwurf strebt eine Begrenzung der Tierhaltungsbetriebe im Außenbereich auch solcher Betriebe an, die keiner Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)3 unterliegen. Von der Regelung soll die Errichtung oder Änderung entsprechender Anlagen erfasst werden, nicht aber Nutzungsänderungen. Die vorgeschlagene Regelung will für UVP-pflichtige Anlagen künftig die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans erforderlich machen. Wie der Einzelbegründung zu Nummer 14 Buchstabe a des Referentenentwurfs zu entnehmen ist, hat die Anzahl der errichteten und beantragten Betriebe im Außenbereich, die nicht landwirtschaftlich, sondern gewerblich bzw. industriell betrieben werden, in den letzten Jahren stark zugenommen, sodass eine Begrenzung der Privilegierung durch eine gesetzgeberische Initiative angezeigt erscheine. Das Bestehen einer UVP-Pflicht richtet sich nach den §§ 3a – 3f UVPG. Weiter heißt es dazu im Referentenentwurf: „Hängt nach diesen Vorschriften die Durchführung einer UVP von dem Ergebnis einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls ab, ist nach § 3c Satz 1 UVPG darauf abzustellen , ob das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund einer überschlägiger Prüfung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 UVPG zu berücksichtigen wären. Die entsprechenden Prüfkriterien sind ausdrücklich gesetzlich geregelt in der Anlage 2 zum UVPG. Sofern eine standortbezogene Vorprüfung vorgesehen ist, gilt nach § 3c 1 http://www.krautzberger.info/file/page/blog/baugb-novelle-2012-in-vorbereitung/Ref- Entwurf%20BauGB%202012_120214.pdf. 2 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. Juli 2011 (BGBl. I S. 1509) geändert worden ist. 3 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), das zuletzt durch Art. 5 Abs. 15 des Gesetzes vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 5 Satz 2 UVPG Entsprechendes, wenn aufgrund besonderer örtlicher Gegebenheiten gemäß den in Nummer 2 der Anlage 2 zum UVPG aufgeführten Schutzkriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Bereits im Rahmen der Vorprüfung ist nach § 3c Satz 3 UVPG zu berücksichtigen, inwieweit Umweltauswirkungen durch die vom Vorhabenträger vorgesehenen Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen offensichtlich ausgeschlossen werden. Bei der allgemeinen Vorprüfung ist nach § 3c Satz 4 UVPG auch zu berücksichtigen, inwieweit die Prüfwerte , die die Vorprüfung eröffnen, überschritten werden. Zur Durchführung der Vorprüfung wird auf den „Leitfaden zur Vorprüfung des Einzelfalls im Rahmen der Feststellung der UVP-Pflicht von Projekten“ vom 14. August 2003 (nachfolgend: „Leitfaden“) hingewiesen4. Zuständig zur Durchführung der Vorprüfung – ggf. auf Antrag des Vorhabenträgers (vgl. § 3a Satz 1 UVPG) – ist die Genehmigungsbehörde. Erforderlich für die Annahme einer UVP-Pflicht ist die plausible Erwartung, dass eine Realisierung des Vorhabens zu erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen führen kann (vgl. Leitfaden, S. 2). Die Neuregelung soll im Allgemeinen nicht dazu führen, dass Flächennutzungspläne, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung zur Ansiedlungssteuerung entsprechender Tierhaltungsanlagen mit den Rechtswirkungen des § 35 Absatz 3 Satz 3 aufgestellt worden sind, ihre Steuerungswirkung für solche Anlagen verlieren, die auch künftig privilegiert sind. Im Übrigen ist § 233 anwendbar.“ 3. Verfassungskonformität der Novellierung Die Frage der Verfassungskonformität der Novellierung von § 35 Abs. 1 Nr.4 BauGB stellt sich primär unter drei Gesichtspunkten des Grundgesetzes (GG): dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) und der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs.4 GG). 3.1. Gleichheitsgrundsatz Unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten des Art. 3 Abs. 1 GG könnte die gesetzgeberische Endprivilegierung von UVP-pflichtigen Betrieben im Außenbereich fallen, wenn der Gesetzgeber eine solche Differenzierung nicht vornehmen dürfte, weil beide Vorhaben (mit UVP und ohne UVP) gleich zu behandeln wären. Denn gleiche Sachverhalte dürfen nicht unterschiedlich ohne sachliche Rechtfertigung nicht ungleich behandelt werden. Diese Struktur ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts5. Art. 3 Abs. 1 GG gilt auch für die Gesetzgebung (Art. 1 Abs. 3 GG) und enthält als inhaltliche Bestimmung ein Willkürverbot6. Da zwei Gegenstände niemals in jeder Hinsicht gleich, also identisch sein können – sonst lege nur ein einziger 4 Der Leitfaden kann von folgender Internetadresse heruntergeladen werden: http://www.bmu.de/umweltvertraeglichkeitspruefung/coc/6380.php. 5 Vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 110, 141, 167. 6 Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblatt, 64. Ergänzungslieferung 2012, Artikel 3 Abs. 1, Rdn. 303. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 6 Gegenstand vor7 - geht es beim Vergleich zweier Gegenstände stets um den Vergleich ihrer Eigenschaften 8 und damit um einer auf die spätere Rechtfertigungsprüfung hin ausgerichtete Sammlung derjenigen Eigenschaften, in denen sich die betrachteten Gegenstände unterscheiden und nicht unterscheiden.9 Dem Gesetzgeber kommt bei der Beurteilung der Gleichheit und Ungleichheit auch angesichts seiner politischen Steuerungsfunktion ein weiterer Beurteilungsspielraum zu, den er im vorliegenden Fall des Referentenentwurfes bei einer Endprivilegierung im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 nicht verletzt haben dürfte. Denn die Umweltverträglichkeit eines Vorhabens stellt einen legitimen sachlichen Differenzierungsgrund dar. 3.2. Eigentumsgarantie Aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG lässt sich kein Privilegierungstatbestand herleiten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juni 199410 es als „außenbereichsinadäquat “ bezeichnet, wenn jedermann, der über ein Grundstück an beliebiger Stelle verfügt, es sich zur Errichtung einer baulichen Anlage dort zunutze machen könnte. 3.3. Rechtsweggarantie Die UVP ist ein Verfahrensinstrument im Sinne des § 44a Verwaltungsgerichtsordnung, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können.11 Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist unselbstständiger Teil des Zulassungsverfahrens. Daher können weder ihre Teilschritte noch sie insgesamt isoliert geprüft werden.12 4. Fazit Gegen die Novellierung von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauG im Referentenentwurf bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. 7 Vgl. BVerfGE 6, 273, 280; 81, 108, 117. 8 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 362. 9 Kischel, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, Stand: 1. April 2012, Art. 3, Rdn. 15. 10 BVerwGE 96, 95. 11 Kment, in: Hoppe/Beckmann, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 4. Auflage 2012, Einleitung Rdn. 46. 12 Peters/Balla, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, 3. Auflage 2006, Einleitung Rdn. 63. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 115/12 Seite 7