© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 114/19 Regelungen zum Auslieferungsverfahren Darstellung der deutschen und britischen Rechtslage Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 2 Regelungen zum Auslieferungsverfahren Darstellung der deutschen und britischen Rechtslage Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 114/19 Abschluss der Arbeit: 12.08.2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtliche Situation in Deutschland 5 2.1. Rechtsgrundlage 5 2.2. Auslieferungsfähige Straftaten 5 2.3. Auslieferungsverfahren 6 2.4. Erweiterung der Anklage im Falle einer Auslieferung 8 2.5. Geschworenengerichte nach dem US-amerikanischen Vorbild 8 3. Rechtliche Situation in Großbritannien 8 3.1. Rechtsgrundlage 8 3.2. Auslieferungsfähige Straftaten 8 3.3. Auslieferungsverfahren 9 3.4. Geschworenengerichte nach dem US-amerikanischen Vorbild 10 4. Erweiterung der Anklage im Falle einer Auslieferung 10 5. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 4 1. Einleitung Im Zusammenhang mit der Auslieferung von Straftätern stellen sich regelmäßig Fragen zu den entsprechenden Auslieferungsabkommen. Von Interesse ist insbesondere, auf welcher rechtlichen Grundlage im Einzelnen eine Auslieferung durch Großbritannien an die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) erfolgt und welche Ermessensspielräume hierbei zum Tragen kommen. Entsprechendes gilt für die Frage, ob in der britischen Gerichtsverfassung eine dem US-amerikanischem Strafprozessrecht vergleichbare sogenannte „grand jury“ besteht. Von Bedeutung ist auch, welche (politischen) Straftaten überhaupt für eine Auslieferung in Betracht kommen und welche Auslieferungshindernisse bestehen. Hierbei kann sich die Frage stellen , wie der von Großbritannien Ausgelieferte geschützt wird, dass er nur wegen der ihm im Auslieferungsverfahren vorgeworfenen Taten im ersuchenden Staat verfolgt wird. Vor diesem Hintergrund wird zunächst die Rechtslage in Deutschland vorgestellt (Ziffer 2). Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung des Auslieferungsverfahrens Großbritanniens gegenüber den USA (Ziffer 3). Hierbei wird gesondert erörtert, welche Möglichkeiten der ersuchende Staat hat, die Anklage im Falle einer Auslieferung nachträglich zu erweitern (Ziffer 4). Nach seinen Verfahrensgrundsätzen prüft der Wissenschaftliche Dienst keine Rechtslage in Bezug auf einen Einzelfall. Dies gilt auch für Bewertungen eines UN-Sonderberichterstatters zu bestimmten Personen und Foltervorwürfen in bestimmten Staaten. Die nachfolgenden Ausführungen geben insoweit die allgemeine Rechtslage in Großbritannien und den USA wieder, die auf Auskünften der jeweiligen Parlamentsverwaltungen beruhen. Zu der Frage, inwieweit das britische Recht die Strafbarkeit des Staatsgeheimnisverrats zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit einschränkt, ist bereits an dieser Stelle festzustellen, dass grundsätzlich dieser Straftatbestand Grund- und Menschenrechte in erheblichem Umfang tangieren kann. Ob im Einzelfall eine derartige Straftat gerechtfertigt oder nicht schuldhaft begangen wurde, hängt wiederum von den Umständen des Einzelfalles ab. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages nimmt auch keine Bewertungen zu Sachverhalten vor, die sich noch in einem konträren politischen Willensbildungsprozess eines anderen Staates oder Parlaments befinden. Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen Großbritannien aus der EU endgültig ausscheidet, ist zurzeit offen. Welche Auswirkungen ein derartiger Austritt auf bestehende Auslieferungsabkommen mit Drittstaaten und laufende Auslieferungsverfahren hätte, lässt sich daher nicht prognostiziert. Weitergehende Fragen werden durch einen anderen Fachbereich gesondert beantwortet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 5 2. Rechtliche Situation in Deutschland 2.1. Rechtsgrundlage Ersuchen die USA die Auslieferung einer verfolgten Person von Deutschland, existieren mehrere Rechtsgrundlagen für die Auslieferung. Deutschland und die USA haben einen bilateralen Auslieferungsvertrag 1 geschlossen. Am 01. Februar 2010 ist zudem das Abkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) über Auslieferung (EU- USA-Abkommen)2 für Deutschland in Kraft getreten.3 Art. 3 EU-USA-Abkommen enthält Sonderregelungen für das Verhältnis der Vorschriften des EU-USA-Abkommens zu den Regelungen in bilateralen Abkommen. Im nationalen Recht finden sich entsprechende Regelungen im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)4. Die völkervertraglichen Vereinbarungen gehen den Vorschriften des IRG vor (§ 1 Abs. 3 IRG). 2.2. Auslieferungsfähige Straftaten Eine Straftat ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EU-USA-Abkommen auslieferungsfähig, wenn sie nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder einer strengeren Strafe bedroht ist. Ausgeliefert wird nach dieser Bestimmung auch wegen des Versuchs oder der Verabredung einer auslieferungsfähigen Straftat oder der Beteiligung an einer solchen. 1 Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.06.1978 (BGBl. II 1980 S. 647-657), abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/text.xav?SID=&tf=xaver.component.Text_0&tocf=&qmf=&hlf=xaver.component .Hitlist_0&bk=bgbl&start=%2F%2F*%5B%40node_id%3D%27427180%27%5D&skin=pdf&tlevel=-2&nohist =1 (letzter Abruf: 24.07.2019). 2 Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung (EU-USA-Abkommen) vom 25.06.2003 (ABl. Nr. L 181 vom 19.07.2003 S. 27-33), abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:OJ.L_.2003.181.01.0027.01.DEU&toc=OJ:L:2003:181:TOC (letzter Abruf: 23.07.2019). 3 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Abkommens vom 25.06.2003 zwischen der Europäischen Union und den USA über Auslieferung, des Abkommens vom 25.06.2003 zwischen der Europäischen Union und den USA über Rechtshilfe, des Vertrags vom 14.10.2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die Rechtshilfe in Strafsachen, des Zweiten Zusatzvertrags vom 18.04.2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA sowie des Zusatzvertrags vom 18.04.2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 02.06.2010 (BGBl. II S. 829), abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&bk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*%5B@attr_id=%27bgbl210s0829.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27 bgbl210s0829.pdf%27%5D__1563875123971 (letzter Abruf: 23.07.2019). 4 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.06.1994 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts vom 27.08.2017 (BGBl. I S. 3295), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/irg/ (letzter Abruf: 24.07.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 6 Nach Art. 4 des bilateralen Auslieferungsvertrages und § 6 IRG wird die Auslieferung abgelehnt, wenn der verfolgten Person eine politische Straftat vorgeworfen wird. Zur Beurteilung, ob eine Straftat als politisch anzusehen ist, kommt es dann nicht auf das Recht des ersuchenden Staates an. Entscheidend ist, ob nach deutschem Recht eine politische Straftat oder eine Straftat mit politischem Charakter gegeben ist. Als politische Straftaten gelten in Deutschland insbesondere die Taten, die dem Staatsschutzstrafrecht zuzuordnen sind.5 Nach Art. 4 des bilateralen Auslieferungsvertrages in Verbindung mit. Art. 2 des Zusatzvertrages6 werden folgende Straftaten ausdrücklich nicht als politische Straftaten angesehen: a) eine Straftat, derentwegen beide Vertragsparteien auf Grund einer mehrseitigen internationalen Übereinkunft verpflichtet sind, den Verfolgten auszuliefern oder die Angelegenheit ihren zuständigen Behörden zur Entscheidung über die Strafverfolgung zu unterbreiten; b) Mord, Totschlag, gefährliche oder schwere Körperverletzung; c) Menschenraub, Entführung oder jede vergleichbare Freiheitsberaubung einschließlich Geiselnahme ; d) das Anbringen oder die Verwendung von Sprengstoffen, Zündeinrichtungen oder Zerstörungsmitteln , durch die Leben gefährdet oder schwere Körperverletzung oder erheblicher Sachschaden verursacht werden kann; e) der Versuch, die Verabredung zu oder die Teilnahme an einer der vorstehenden Straftaten . Folglich muss der Grundsatz der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit ohne politischen Hintergrund gegeben sein, damit eine auslieferungsfähige Straftat vorliegt. 2.3. Auslieferungsverfahren Neben diesem Grundsatz der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit ist auch die Gegenseitigkeit der Auslieferungen an den jeweils anderen Staat eine Voraussetzung für die Auslieferung.7 5 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage 2017, S. 131; Kammergericht (KG), Beschl. v. 29.08.2018 – Az. (4) 151 AuslA 59/17 (40/18), BeckRS 2018, 20586, Rn. 4. 6 Zusatzvertrag zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 11.03.1993 (BGBl. II 1988 S. 1087-1088), abrufbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl288s1086.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl288s 1086.pdf%27%5D__1563957227833 (letzter Abruf: 24.07.2019). 7 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage 2017, S. 38. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 7 Tritt ein Staat mit einem Auslieferungsersuchen an die zuständige deutsche Stelle heran, beginnt das förmliche Auslieferungsverfahren. Dieses richtet sich nach den Vorschriften des IRG und ist zweistufig (gerichtliches Zulässigkeitsverfahren und Bewilligungsverfahren) aufgebaut. Im Rahmen des gerichtlichen Zulässigkeitsverfahrens werden die Erfüllung der unabdingbaren Zulässigkeitsbedingungen und etwaige Auslieferungshindernisse geprüft. Dieser Prüfung geht der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft voraus. Vor der Entscheidung erhält der Verfolgte rechtliches Gehör (§ 28 IRG). Erklärt das Gericht die Auslieferung für unzulässig, so ist die Bewilligungsbehörde – grundsätzlich das Bundesamt der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) oder aufgrund von Delegation eine Landesbehörde – daran gebunden (vgl. §§ 12, 13 Abs. 1 Satz 2, 74 Abs. 1 IRG).8 Erklärt das Gericht die Auslieferung für zulässig, entscheidet die Bewilligungsbehörde im Rahmen ihres Ermessens über die endgültige Bewilligung der Auslieferung. Dabei entscheidet auch sie über die Zulässigkeit der Auslieferung und darüber, ob eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik zur Auslieferung besteht oder sie aufgrund von politischen Aspekten geboten ist. Auch wenn das Gericht eine Auslieferung für zulässig erklärt hat, kann die Bewilligungsbehörde sie ablehnen.9 Im EU-USA-Abkommen findet sich als ausdrücklicher Ablehnungsgrund für Auslieferungsersuchen nur die Vorschrift zur Todesstrafe in Art. 13. Weitere Ablehnungsgründe können sich aber aus Art. 17 Abs. 1 des EU-USA-Abkommens in Verbindung mit den Vorschriften aus bilateralen Auslieferungsabkommen sowie aus Art. 17 Abs. 2 des EU-USA-Abkommens in Verbindung mit nationalem Verfassungsrecht bzw. endgültigen bindenden Gerichtsentscheidungen ergeben. In Art. 4 ff. des bilateralen Auslieferungsvertrags finden sich weitere Ablehnungsgründe: Auslieferungen können abgelehnt werden, wenn es sich um eine politische (Art. 4) oder eine militärische Straftat (Art. 5) handelt.10 Eine Ablehnung kann auch erfolgen, wenn die Auslieferung wegen einer fiskalischen Straftat begehrt wird und der Auslieferung die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen des Staates entgegenstehen (Art. 6). Ebenso kann die Auslieferung eigener Staatsangehöriger verweigert werden (Art. 7). Auslieferungen werden nicht bewilligt, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, im ersuchten Staat bereits rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden ist (Art. 8). Weiterhin wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn die verfolgte Straftat nach dem Recht des ersuchten Staates verjährt ist (Art. 9), wenn der Verfolgte bereits im ersuchten Staat wegen derselben Straftat verfolgt wird (Art. 10) oder wenn ihm im ersuchenden Staat die Todesstrafe droht (Art. 12). 8 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage 2017, S. 74 - 76, 78. 9 Hombrecher, „Grundzüge und praktische Fragen des Internationalen Strafrechts - Teil 1: Strafanwendungsrecht und Internationale Rechtshilfe, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2010, 637 (642 m. w. N.). 10 Zum Schutz von Whistleblowern: Nöhle, „Neue Rechtsvorschriften zum Whistleblowing - die Komplexität steigt!“, Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (ZLR) 2019, 153 - 169. Vgl. auch der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen , die Verstöße gegen das Unionsrecht melden vom 23.04.2018, Verfahren 2018/0106/COD, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/procedure/DE/2018_106 (letzter Abruf: 23.07.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 8 2.4. Erweiterung der Anklage im Falle einer Auslieferung Der im Auslieferungsrecht geltende Grundsatz der Spezialität gehört zu den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts im Auslieferungsverkehr und wird in Art. 22 des bilateralen Auslieferungsabkommens konkretisiert. Er soll sicherstellen, dass der Ausgelieferte im ersuchenden Staat nur wegen der ihm vorgeworfenen Taten verfolgt wird, wegen derer die Zulässigkeit der Auslieferung geprüft und die Auslieferung bewilligt wurde. Ist die Auslieferung bereits durchgeführt und ersucht der Staat, an den der Verfolgte ausgeliefert worden ist, wegen einer weiteren Tat um Zustimmung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer sonstigen Sanktion, so kann gemäß § 35 IRG die Zustimmung erteilt werden. Voraussetzung für die Zustimmung ist die Gewährung rechtlichen Gehörs und eine Entscheidung des zuständigen Gerichts, dass wegen der Tat die Auslieferung zulässig wäre. Die gerichtliche Entscheidung kann durch die protokollarische Einverständniserklärung des Ausgelieferten ersetzt werden, wenn die Auslieferung wegen der Tat zulässig wäre. Ob dies der Fall ist, muss die Bewilligungsbehörde summarisch prüfen. Ein Übergang vom vereinfachten Auslieferungsverfahren zum förmlichen Verfahren ist bei einer komplizierten Rechtslage durch einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft möglich. Das Verfahren zur Erweiterung der Auslieferungsbewilligung ist dafür vorgesehen, dass eine frühere Auslieferung der Spezialitätsbindung unterlag und stellt insoweit einen teilweisen Verzicht auf das Spezialitätserfordernis dar.11 2.5. Geschworenengerichte nach dem US-amerikanischen Vorbild In Deutschland existieren Geschworenengerichte nicht mehr.12 3. Rechtliche Situation in Großbritannien 3.1. Rechtsgrundlage Die Auslieferung einer Person von Großbritannien an die USA erfolgt auf der Grundlage von Teil 2 des Extradition Act 2003, durch den 2007 das Auslieferungsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und den USA von 200313 in Kraft getreten ist.14 3.2. Auslieferungsfähige Straftaten Als auslieferungsfähige Straftat kommen alle Taten in Betracht, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind und in beiden Staaten unter Strafe stehen. Auch wegen des 11 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage 2017, S. 38, 106 - 108. 12 Heussen, „Richterliche Berufsethik aus der Sicht eines Rechtsanwalts“, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2015, 1927 (1928). 13 Extradition Treaty between the government of the United Kingdom of Great Britain and northern Ireland and the government oft he United States of America vom 31.03.2003, abrufbar unter: http://www.statewatch .org/news/2003/jul/UK_USA_extradition.pdf (letzter Abruf: 08.08.2019). 14 Diese und die nachfolgenden Angaben basieren auf der Auskunft der britischen Parlamentsverwaltung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 9 Versuchs oder der Verabredung einer solchen Tat kann eine Auslieferung erfolgen. In Großbritannien wird aber niemand ausgeliefert, wenn ihm eine politische oder militärische Straftat vorgeworfen wird. Die Auslieferung wird auch nicht bewilligt, wenn die betreffende Person bereits wegen des gleichen Sachverhalts verurteilt und bestraft wurde. Nach dem Auslieferungsabkommen zwischen Großbritannien und den USA gelten bestimmte Straftaten nicht als politische Straftaten: Straftaten, für die die Vertragsparteien nach einem multilateralen internationalen Übereinkommen verpflichtet sind, die gesuchte Person auszuliefern oder den Fall ihren zuständigen Behörden zur Entscheidung über die Strafverfolgung vorzulegen; Mord oder eine sonstige Gewalttat gegen ein Staatsoberhaupt oder ein Familienmitglied eines Staatsoberhauptes; Mord, Totschlag, schwere oder gefährliche Körperverletzung; Menschenraub, Entführung oder jede vergleichbare Freiheitsberaubung einschließlich Geiselnahme; das Anbringen oder die Verwendung von Sprengstoffen, Zündeinrichtungen oder Zerstörungsmitteln , durch die Leben gefährdet oder schwere Körperverletzung oder erheblicher Sachschaden verursacht werden kann; der Versuch oder die Verabredung, eine der vorgenannten Straftaten zu begehen, sich an der Begehung oder Begünstigung zu beteiligen. 3.3. Auslieferungsverfahren Die Zuständigkeit für die Beurteilung des Antrags der Auslieferung einer Person von Großbritannien an die USA liegt beim Innenminister Großbritanniens. Dieser bestätigt die Auslieferung, wenn der Antrag zum Zweck der Verfolgung oder Bestrafung einer Person, die wegen der Begehung einer auslieferungsfähigen Straftat (Ziffer 3.2) beschuldigt oder verurteilt wurde, von der zuständigen Behörde gestellt wurde. Der bestätigte Antrag wird dann an ein Gericht gesendet, das über den Erlass eines Haftbefehls entscheidet. Voraussetzung dafür ist, dass nach Einschätzung des Gerichts Grund zur Annahme besteht, dass das im Antrag beschriebene Verhalten einen Straftatbestand einer auslieferungsfähigen Tat verwirklicht und ausreichend Beweise für den Erlass eines Haftbefehls vorliegen. Es gibt verschiedene Gründe, warum einer Auslieferung an einen Staat, mit dem Großbritannien ein Auslieferungsabkommen geschlossen hat, widersprochen werden kann. Ob einer dieser Gründe vorliegt, muss durch das Gericht geprüft werden. Zu den Gründen zählt neben der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit (vgl. Ziffer 2.2) die Beachtung der Menschenrechte im ersuchenden Staat. Zudem scheidet eine Auslieferung aus, wenn das Gericht entscheidet, dass ein wesentlicher Teil des relevanten Verhaltens in Großbritannien stattgefunden hat und die Auslieferung nicht im Interesse der britischen Justiz liegt (sog. „Forum Bar“). Bei der Entscheidung, ob letzteres vorliegt, wird bei der Abwägung unter anderem berücksichtigt, ob der Schaden aus der Tat entstanden ist und ob die britische Gerichtsbarkeit am besten zur Verfolgung geeignet ist. Schließlich kann die Auslieferung abgelehnt werden, wenn das Ersuchen den Eindruck erweckt, dass der Zweck der Verfolgung oder Bestrafung des Betroffenen aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, seines Geschlechts, seiner sexuellen Ausrichtung oder seiner politischen Ansichten gestellt wird. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 10 Auf dem Erlass des Haftbefehls folgt eine Auslieferungsanhörung, bei der das Gericht das Vorliegen von Auslieferungsbeschränkungen prüft. Kann das Gericht keine Auslieferungsbeschränkungen feststellen, sendet es den Fall zurück an den Innenminister, der über die Auslieferung zu entscheiden hat. Liegt kein Auslieferungsverbot vor, muss der Innenminister die Auslieferung anordnen. Ein Auslieferungsverbot besteht, wenn der auszuliefernden Person die Todesstrafe droht und keine schriftlichen Zusicherungen über den Verzicht auf diese vorliegen, der Grundsatz der Spezialität (vgl. Ziffer 2.4) nicht gewahrt ist oder die auszuliefernde Person durch ein anderes Land an Großbritannien ausgeliefert wurde und keine Einwilligung dieses Landes für die Auslieferung an die USA vorliegt. 3.4. Geschworenengerichte nach dem US-amerikanischen Vorbild In Großbritannien existieren keine Geschworenengerichte im Sinne des US-amerikanischen Rechtssystems. 4. Erweiterung der Anklage im Falle einer Auslieferung Bei der Erweiterung einer Anklage nach einer erfolgten Auslieferung müssen auch in den USA und in Großbritannien die allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts berücksichtigt werden. Insbesondere ist im Zusammenhang mit einer Anklageerweiterung der Grundsatz der Spezialität zu beachten. Dieser Grundsatz intendiert, dass die ausgelieferte Person im ersuchenden Staat nur wegen der Straftaten angeklagt wird, auf denen die Bewilligung der Auslieferung beruht. Begründet wird dies unter anderem mit der Verfahrensweise, da der Antrag auf die Auslieferung den Sachverhalt und die Straftatbestände enthalten muss, wegen denen die Auslieferung erfolgen soll. Dieser Antrag ist die Grundlage für die Entscheidung des Gerichts und des Innenministers, ob die Auslieferung im Einzelfall zulässig ist. Eine Erweiterung der Anklage ist folglich auch nach britischem Recht ohne die Zustimmung Großbritanniens grundsätzlich nicht zulässig. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist in zwei Fällen möglich: Entweder die ausgelieferte Person begeht nach der Auslieferung erneut eine Straftat, dann darf der ersuchende Staat die Person auch wegen dieser strafrechtlich verfolgen. Die zweite Möglichkeit der Strafverfolgung ergibt sich, wenn die ausgelieferte Person auch nach einem Freispruch oder der Verbüßung einer Strafe für eine gewisse Zeit (20 Tage nach dem USA- Großbritannien-Übereinkommen) den ersuchenden Staat nicht verlässt oder nach Verlassen freiwillig zurückkehrt. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität kann der ausliefernde Staat geltend machen. Ob eine Beschwerde wegen eines solchen Verstoßes auch durch die ausgelieferte Person selbst erfolgen kann, wird in der US-amerikanischen Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Teilweise gehen die Gerichte davon aus, dass nur der ausliefernde Staat eine solche Beschwerde erheben darf. Andere erlauben dies auch dem Betroffenen. Teilweise wird die Beschwerde durch den Betroffenen als zulässig angesehen, wenn davon auszugehen ist, dass auch der ausliefernde Staat eine solche Beschwerde erhoben hätte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 114/19 Seite 11 5. Fazit Die Regelungen zur Auslieferung einer gesuchten Person in Deutschland und Großbritannien unterscheiden sich nicht grundlegend. In beiden Ländern muss das Völkergewohnheitsrecht berücksichtigt werden, insbesondere der Grundsatz der Spezialität. Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien werden Auslieferungsanträge abgelehnt, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt eine politische oder militärische Straftat umschreibt oder der ausgelieferten Person die Todesstrafe droht. Die auslieferungsfähigen Straftaten sind nach den deutschen und britischen Regelungen im Wesentlichen identisch. Es existiert weder in Deutschland noch in Großbritannien ein Geschworenengericht nach USamerikanischem Vorbild. ***