© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 112/20 Rechtliche Einzelfragen zu verschiedenen Formen von Rassismus Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 2 Rechtliche Einzelfragen zu verschiedenen Formen von Rassismus Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 112/20 Abschluss der Arbeit: 26. Oktober 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Definition und Bestrafung von Rassismus (Fragen 1a - 1c) 4 2. Erfassung rassistischer Handlungen (Fragen 3a - b) 9 3. Bildung und Gedenken (Frage 4c) 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 4 Die Wissenschaftlichen Dienste wurden um die Beantwortung eines Fragebogens zum Thema „Instrumente im Kampf gegen verschiedene Formen des Rassismus“ gebeten. Der nachfolgende Sachstand beantwortet die dem Fachbereich WD 7 zugeordneten Einzelfragen. 1. Definition und Bestrafung von Rassismus (Fragen 1a - 1c) Existiert im deutschen Recht eine gesetzliche Definition von Rassismus? Bezieht sie sich auf den Begriff „Rasse“? In Deutschland gibt es keine gesetzliche Definition von „Rassismus“. Schutz vor unterschiedlichen Formen (rassistischer) Diskriminierung gewährleisten Völker-, Europa- und Verfassungsrecht sowie einzelne einfache Gesetze und untergesetzliche Regelungen.1 Die Bundesregierung beruft sich für die Bestimmung von „Rassismus“ auf die Definition im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung2 (ICERD).3 Nach Artikel 1 Abs. 2 des Abkommens wird rassistische Diskriminierung als jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung , dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung , Beschränkung oder Bevorzugung verstanden, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.4 Auf Ebene des Verfassungsrechts gewährleistet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)5 die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz.6 Als spezieller Gleichheitssatz verbietet Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG die Benachteiligung oder Bevorzugung von Menschen unter anderem wegen ihrer 1 Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Handbuch „Rechtlicher Diskriminierungsschutz“, 3. Auflage Dezember 2017, S. 18, abrufbar unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen /Handbuch_Diskriminierungsschutz/Gesamtes_Handbuch.pdf?__blob=publicationFile. Letzter Abruf dieses Links und aller weiteren am 26. Oktober 2020. 2 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) der Vereinten Nationen vom 21. Dezember 1965, abrufbar auf der Webseite des Deutschen Instituts für Menschenrechte in deutscher und englischer Fassung: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente /vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/anti-rassismus-konvention-icerd/. 3 Bundesregierung, Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, herausgegeben durch das Bundesministerium des Innern, Stand Juni 2017, S. 13 f. 4 Vgl. Bundesregierung, Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, herausgegeben durch das Bundesministerium des Innern, Stand Juni 2017, S. 13 f. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html (englische Übersetzung des Gesetzes mit Berücksichtigung der Änderungen vom 28. März 2019 abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/englisch_gg/index.html). 6 Vgl. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 3 GG, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 5 Abstammung, Rasse, Heimat oder Herkunft durch alle Staatsgewalten.7 Der Begriff „Rasse“ soll aufgrund seiner historisch unklaren und missbräuchlichen Verwendung8 nicht als „wissenschaftlich fundierter Begriff“ verstanden werden.9 Vielmehr wurde der Begriff als „Reaktion auf den Rassenwahn des NS-Staates“ in die Aufzählung der Merkmale des Artikels 3 GG aufgenommen.10 Der Begriff „Rasse“ findet sich einfachgesetzlich unter anderem im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)11. Das AGG bietet Schutz vor verschiedenen Formen von Diskriminierung in im Bereich der Erwerbstätigkeit und im Kontext privater Rechtsbeziehungen.12 Das AGG findet gemäß § 2 Abs. 1 AGG Anwendung unter anderem bei Auswahl- und Einstellungsbedingungen von Arbeitnehmern, in Bezug auf Arbeitsbedingungen, bei dem Zugang zu beruflicher Bildung und bei dem Zugang zu Dienstleistungen. So sollen nach der Zielbestimmung des § 1 AGG Benachteiligungen „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“ verhindert oder beseitigt werden. Der Einbezug des Begriffs „Rasse“ soll an den sprachlichen Gebrauch von „Rassismus “ anknüpfen und deswegen einen möglichst lückenlosen Schutz vor Diskriminierung gewährleisten .13 Schließt diese Definition von Rassismus Antisemitismus und die Ablehnung von Muslimen oder Angehörigen einer anderen Religion ein, oder handelt es sich um rechtlich unterschiedliche Konzepte? Könnte sie möglicherweise auch für „anti-weißen“ Rassismus gelten? Auf der Ebene des Verfassungsrechts umfasst Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG als eigenständiges Anknüpfungsmerkmal auch das Verbot der Ungleichbehandlung durch staatliches Handeln oder staatliches Unterlassen aufgrund des Glaubens und der religiösen Anschauung.14 7 Vgl. Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 44. Edition Stand 15. August 2020, Rn. 9. 8 Vgl. Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 3 GG, Rn. 293. 9 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 3, Rn. 45. 10 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 3, Rn. 45. 11 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897, 1910), das zuletzt durch Artikel 10 Satz 2 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/agg/ (englische Übersetzung des Gesetzes mit Berücksichtigung der Änderungen vom 3. April 2013 abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/englisch _agg/index.html). 12 Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Handbuch „Rechtlicher Diskriminierungsschutz“, 3. Auflage Dezember 2017, S. 23, abrufbar unter: http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen /Handbuch_Diskriminierungsschutz/Gesamtes_Handbuch.pdf?__blob=publicationFile. 13 Roloff, in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 57. Edition Stand 1. September 2020, § 1 AGG Rn. 1. 14 Vgl. Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 3 GG, Rn. 119, 133. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 6 Als Glauben ist dabei ein System von Anschauungen religiöser Prägung zu verstehen, wobei alle Formen von Religion und Weltanschauung erfasst sind.15 Unter den Glaubensbegriff fallen sowohl innere Einstellungen als auch deren Äußerung durch entsprechende Handlungen oder Unterlassungen .16 Unter diesen Religionsbegriff fallen auch die islamischen Gemeinschaften und die jüdische Gemeinde .17 Rassistische Diskriminierungen können sich nach einem umfassenden Verständnis ebenso auf Kultur- und Religionszugehörigkeit beziehen.18 Einfachrechtlich regelt § 1 AGG, dass neben Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen ethnischer Herkunft auch Benachteiligungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung verhindert oder beseitigt werden sollen. Beschäftigte dürfen nach § 7 Abs. 1 AGG nicht aus diesem Grund (noch aufgrund anderer Merkmale der Zielbestimmungen des § 1 AGG) benachteiligt werden. Spezifische gesetzliche Regelungen in Bezug auf „anti-weißen“ Rassismus existieren in Deutschland nicht, aber auch in Bezug auf diese Form des Rassismus dürften die obigen Ausführungen zum Diskriminierungsverbot wegen der Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen „Rasse“ gelten. Welche rassistischen Äußerungen oder Handlungen (Gewalttaten, Diskriminierung usw.) sind in Deutschland strafbar? Rassistische Äußerungen und rassistisches Verhalten können verschiedene strafrechtliche Konsequenzen zur Folge haben. So stellt § 130 des Strafgesetzbuches (StGB)19 die Volksverhetzung unter Strafe. Bestraft werden verschiedene Handlungsalternativen, die Angriffe gegen bestimmte Gruppen statuieren. Die Angriffe müssen zudem eine besondere Qualität dahingehend aufweisen, dass sie zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet sein müssen. Der öffentliche Friede umfasst den Zustand allgemei- 15 Der Begriff „Glaube“ ist wie in Artikel 4 Abs. 1 GG (Religionsfreiheit) zu definieren: vgl. Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 44. Edition Stand 15. August 2020, Rn. 220; zum Glaubensbegriff vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 4 GG, Rn. 72. 16 Vgl. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand 90. Ergänzungslieferung Februar 2020, Art. 3, Rn. 61. 17 Roloff, in: Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, 57. Edition Stand 1. September 2020, § 1 AGG Rn. 6. 18 Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Themen und Forschung - Fragen und Antworten zum Thema Rassismus , abrufbar unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Ethnische_Herkunft /Themenjahr_2014/fragen_antworten_Rassismus/faq_rassismus_node.html. 19 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648, 1652) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/ (englische Übersetzung des Gesetzes mit Berücksichtigung der Änderungen vom 19. Juni 2019 abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stgb/index.html). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 7 ner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger. Die Angriffe müssen deshalb konkret dazu geeignet sein, das Sicherheitsgefühl des angegriffenen Teils der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Dies richtet sich nach Inhalt und Intensität des Angriffs.20 Gemäß § 130 Abs. 1 StGB sind Angriffe gegen bestimmte Gruppen durch mündliche oder schriftliche Äußerungen unter Strafe gestellt.21 Die Angriffsobjekte sind als geschützte Gruppen und Einzelpersonen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgeführt: diese sind nach dem Gesetzeswortlaut nationale , rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen, Teile der Bevölkerung sowie Einzelne wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer der vorbezeichneten Gruppen oder zu einem Teil der Bevölkerung. Als Teile der Bevölkerung werden dabei alle von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale, wie etwa ethnischer, religiöser , weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppen verstanden, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr überschaubar sind.22 Tathandlungen sind die in § 130 Abs. 1 StGB aufgeführten Angriffe: Aufstacheln zum Hass, Aufrufen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sowie das Angreifen der Menschenwürde vorgenannter Gruppen durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Angriffe nach § 130 Abs. 1 StGB werden mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft, wobei Freiheitsstrafen unter 6 Monaten nach § 47 Abs. 1 StGB nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters verhängt werden sollen. Obwohl § 130 Abs. 1 StGB keine Geldstrafe androht, kann das Gericht eine Geldstrafe gemäß § 47 StGB dennoch verhängen, wenn eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten oder darüber nicht in Betracht kommt. Die Anzahl der zu verhängenden Tagessätze und die Höhe eines einzelnen Tagessatzes, welche insgesamt die Höhe der Geldstrafe ausmachen, werden nach dem § 40 StGB anhand der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bestimmt. § 130 Abs. 2 StGB stellt das Verbreiten sowie das Zugänglichmachen von Schriften, die Angriffe nach dem § 130 Abs. 1 StGB beinhalten, gegenüber der Öffentlichkeit oder gegenüber minderjährigen Personen unter Strafe. Bestraft werden diese Handlungen mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe. § 130 Abs. 3 StGB bestraft das öffentliche oder in einer Versammlung begangene Leugnen, Billigen oder Verharmlosen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung im Sinne von § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB)23, der den Völkermord unter Strafe 20 Vgl. Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 StGB, Rn. 22. 21 Vgl. Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 StGB, Rn. 20. 22 Vgl. Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 StGB, Rn. 30. 23 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3150) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 8 stellt.24 Dieser Tatbestand droht mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren eine höhere Strafe an. Nach § 130 Abs. 4 StGB wird unter gleicher Strafandrohung bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. In Betracht kommt außerdem eine Strafbarkeit nach § 140 StGB, wer bestimmte rechtswidrige Taten (so auch der Völkermord nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften billigt. Die Handlungen werden ebenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Für die Billigung von dem unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord an Juden tritt § 140 Nr. 2 StGB hinter § 130 Abs. 3 Alt. 1 StGB als der spezielleren Vorschrift zurück.25 Unterhalb der Schwelle der Volksverhetzung können rassistische Äußerungen auch unter den allgemeinen Beleidigungstatbestand des § 185 StGB fallen und damit strafbar sein.26 Beispielsweise können Äußerungen über die Religionszugehörigkeit durch den Gesamtzusammenhang und die begleitenden Umstände zu einer nach § 185 Abs. 1 StGB strafbaren Ehrverletzung führen .27 Weiterhin bestraft § 86a Abs. 1 StGB das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen . Zu den Kennzeichen zählen die in § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB aufgeführten Fahnen, Abzeichen , Uniformstücke, Parolen und Grußformeln. Demgemäß werden als Kennzeichen alle sicht- und hörbaren Symbole verstanden, die von für verfassungswidrig erklärten Parteien oder unanfechtbar verbotenen Vereinigungen zu Propagandazwecken und Kenntnismachen der Anhängerschaft genutzt werden. Erfasst sind beispielsweise Fahnen wie die Hakenkreuzflagge und Mitgliedsabzeichen der NSDAP.28 Auch unterfallen dem Tatbestand nach § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB Symbole, die den aufgeführten Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich sind. Nach § 86 Abs. 1 StGB wird das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bestraft. Propagandamittel sind nach 24 Als Völkermord werden beispielsweise Tötungen klassifiziert, die in der Absicht begangen wurden, eine nationale , rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 VStGB). 25 BGH, Beschluss vom 26. Februar 1999, Az.: 3 StR 613-98, NStZ 1999, 348. 26 Vgl. Payandeh, Rechtlicher Schutz vor rassistischer Diskriminierung, JuS 2015, 695, 698. 27 So etwa OLG Celle, Urteil vom 18. Februar 2003, Az.: 2 Ss 101/02, NStZ-RR, 2004, 107 (Leitsatz: Der Gesamtzusammenhang , in den die Bezeichnung eines anderen als Juden gestellt ist, kann durch die sie begleitenden Umstände zu einer Ehrverletzung führen. Das gilt insbesondere, wenn der Täter die Bezeichnung im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie als diskriminierend einsetzt.). 28 Vgl. Ellbogen, in: Beck’scher Online-Kommentar StGB, 47. Edition Stand 1. August 2020, § 86a StGB, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 9 § 86 Abs. 2 StGB Schriften mit einem Inhalt, der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Bei allen anderen Strafdelikten (beispielsweise Körperverletzungsdelikten) kommt eine Berücksichtigung von rassistischen Motiven des Täters auf Ebene der Strafzumessung in Betracht. Dafür sieht § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vor, dass Beweggründe und Ziele des Täters strafschärfend vom Gericht berücksichtigt werden können - dazu kann auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motivation gehören.29 Als rassistische und fremdenfeindliche Straftaten sind solche zu verstehen, „die sich gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion , Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe richten“.30 Konkret kommen als „sonstige menschenverachtende “ Beweggründe und Ziele insbesondere antisemitische, gegen die religiöse Orientierung, gegen eine Behinderung, gegen den gesellschaftlichen Status oder solche in Betracht, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität des Opfers richten.31 2. Statistische Erfassung rassistischer Handlungen (Fragen 3a - b) Wie werden rassistische Straftaten in Deutschland registriert? Wie werden rassistische Taten erfasst und wie sind Polizei und Justiz organisiert, die Täter im Sinne des Opferschutzes zu verfolgen ? Rassistische Straftaten werden statistisch als politisch motivierte Taten nach dem Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) im „Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität“ (KPMD-PMK) erfasst. Dieses gemeinsame Meldesystem des Bundes und der Länder mit einheitlichen und systematischen Kriterien32 unterscheidet sich von der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) insofern, als dass politisch motivierte Straftaten grundsätzlich bereits am Beginn des Verfahrens zugeordnet werden (so genannte Eingangsstatistik). Die Fallzahlen der PMK erheben die Polizeibehörden der Bundesländer; die Landeskriminalämter übermitteln diese dem Bundeskriminalamt zur bundesweiten Erfassung und Auswertung.33 Für rassistisch motivierte Taten ist insbesondere die Kategorie „PMK- rechts“ einschlägig. PMKrechts werden Straftaten zugeordnet, wenn aufgrund der Umstände der Tat oder der Einstellung 29 Vgl. Kinzig, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 46 StGB, Rn. 15b. 30 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU- Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 18/3007, S. 14. 31 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU- Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 18/3007, S. 15. 32 Vgl. Bundeskriminalamt, Politisch motivierte Kriminalität (PMK) -rechts-, Maßnahmen, abrufbar unter https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts _node.html#doc121714bodyText3. 33 Siehe für das Jahr 2019: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/Bundeskriminalamt, Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2019, Bundesweite Fallzahlen, abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/Shared- Docs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019.pdf;jsessionid =C2EDBA291D1E86308FFD75CF9DD09220.1_cid287?__blob=publicationFile&v=11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 112/20 Seite 10 des Täters Anhaltspunkte für eine „rechte“ Orientierung gegeben sind. Eine „rechte“ Ideologie zeichnet sich im Wesentlichen durch die Annahme einer Ungleichheit bzw. Ungleichwertigkeit der Menschen aus.34 Dementsprechend werden Straftaten insbesondere dann erfasst, wenn sie sich gegen eine Person unter anderem aufgrund ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder ihres äußeren Erscheinungsbildes richten.35 Für die Strafverfolgung - auch der politisch motivierten Straftaten mit extremistischem, fremdenfeindlichem und antisemitischem Hintergrund - sind in Deutschland grundsätzlich die Bundesländer zuständig. Bei schwerwiegenden Taten mit besonderer Bedeutung etwa im Bereich des Staatsschutzes kann ausnahmsweise der Generalbundesanwalt gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)36 die Verfolgung der Straftaten an sich ziehen. Wie wird die Zahl rassistisch motivierter Straftaten mit Rücksicht auf nicht angezeigte Sachverhalte errechnet? Hierzu liegen den Wissenschaftlichen Diensten keine Informationen vor. 3. Bildung und Gedenken (Frage 4c) Gibt es in Deutschland „Erinnerungsgesetze“, d.h. Gesetze mit dem Zweck historische Ereignisse rechtlich und geschichtlich einzuordnen bzw. zu bewerten? Gibt es in Deutschland insbesondere Gesetze, die die Meinungsfreiheit über bestimmte Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschränken? § 130 Abs. 3 StGB, der die Leugnung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangener Völkermordtaten im Sinne von § 6 VStG bestraft, stellt eine solche Vorschrift dar. Eine Leugnung im Sinne einer pauschaler Abstreitung der Judenverfolgung des NS-Regimes fällt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts als bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung bereits nicht in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG.37 * * * 34 Vgl. Bundeskriminalamt, Politisch motivierte Kriminalität (PMK) -rechts-, Phänomen - Definition, Beschreibung , Deliktsbereiche, abrufbar unter: https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts /PMKrechts_node.html. 35 Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Polizeiliche Erfassung hassmotivierter Delikte seit 2001, BT-Drs. 16/12529, S. 1. 36 Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (RGBl. S. 41), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648, 1651) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/ (englische Übersetzung des Gesetzes mit Berücksichtigung der Änderungen vom 08. Juli 2019 abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gvg/index.html). 37 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. April 1994, Az.: 1 BvR 23/94, BVerfGE 90, 241, 249; vgl. Stegbauer , Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, NStZ 2000, 281, 284.