© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 109/19 Fragen zum Vergabeverfahren Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 2 Fragen zum Vergabeverfahren Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 109/19 Abschluss der Arbeit: 03.07.2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Leistungsbeschreibung 4 3. Vergabereife 5 4. Beendigung eines Vergabeverfahrens 6 5. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 4 1. Einleitung Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat im Dezember 2018 während des noch laufenden Gerichtsverfahrens über die Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen Vertrag über Aufbau und Vertrieb der Infrastruktur für die Pkw-Maut im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens vergeben.1 Nach dem nun ergangenen EuGH-Urteil ist die deutsche PKW-Maut nicht mit Unionsrecht vereinbar.2 Nach seinen Verfahrensgrundsätzen prüft der Wissenschaftliche Dienst keine Rechtsfragen in Einzelfällen. Vor dem Hintergrund der Vergabe eines Auftrages während eines noch laufenden Gerichtsverfahrens wird deshalb allgemein die Frage geprüft, welchen Einfluss rechtliche Ungewissheiten auf ein Vergabeverfahren haben. Zunächst werden unter Ziffer 2 die Folgen von Unsicherheiten bzgl. der Beurteilung des Auftragsgegenstands für eine Leistungsbeschreibung aufgezeigt. Weiterhin werden die Voraussetzungen für die Vergabereife eines Auftrags erläutert (vgl. Ziffer 3). Schließlich erfolgt unter Ziffer 3 eine Darstellung der Möglichkeiten, ein Vergabeverfahren zu beenden. 2. Leistungsbeschreibung Das Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen ist in Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)3 geregelt. Die Bestimmungen der Vergabeverordnung (VgV)4 stellen eine Konkretisierung der Regelungen des 4. Teils des GWB dar. Die Ermächtigungsnorm für die Verordnung ist § 113 GWB. Im Rahmen eines Vergabeverfahrens sollen sowohl die Interessen des Auftraggebers als auch die Interessen der Bieter beachtet werden. § 121 GWB setzt deswegen eine Leistungsbeschreibung voraus, die es dem Bieter aufgrund einer klaren Kalkulationsgrundlage ermöglicht, eine qualifizierte Entscheidung über sein Angebot zu treffen. Der Auftragsgegenstand muss so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschrieben werden, „sodass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können“ (§ 121 Abs. 1 Satz 1 GWB). 1 Balser, „Das Maut-Debakel wird immer teurer Forderungen von Betreiberfirmen“, Süddeutsche.de, Stand: 28.06.2019, 18:28 Uhr, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pkw-maut-kosten-vertraegeandreas -scheuer-1.4503255 (letzter Abruf: 01.07.2019). 2 EuGH, Urt. v. 18.06.2019 - Az. C-591/17, BeckRS 2019, 11459. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07.2018 ( BGBl. I S. 1151), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/gwb/ (letzter Abruf: 01.07.2019). 4 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV) vom 12.04.2016 (BGBl. I S. 624), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Verlängerung befristeter Regelungen im Arbeitsförderungsrecht und zur Umsetzung der Richtlinie (RL) (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen vom 10.07.2018 (BGBl. I S. 1117), abrufbar unter: https://www.gesetze -im-internet.de/vgv_2016/__63.html (letzter Abruf: 28.06.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 5 Bestehen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Leistung, sind die genannten Voraussetzungen der Leistungsbeschreibung nur schwer erfüllbar. Die Ausschreibung kann sich dann auch auf sogenannte Bedarfs- bzw. Eventualpositionen beziehen und unter einer aufschiebenden Bedingung erfolgen.5 Rechtliche Unsicherheiten bzgl. des Auftrags stehen einer Leistungsbeschreibung grundsätzlich nicht entgegen. 3. Vergabereife Für die Ausschreibung einer Leistung muss weiterhin die Vergabereife gegeben sein. Diese gilt als allgemeiner Grundsatz des Vergaberechts auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für Liefer- und Dienstleistungen. Für Bauvorhaben ist sie in § 2 EU Abs. 8 VOB/A6 normiert. Die Vergabereife setzt die formelle und konzeptionelle Ausschreibungsreife voraus. Die formelle Ausschreibungsreife ist mit der Fertigstellung der Vergabeunterlagen im Sinne des § 121 GWB gegeben .7 Rechtliche Unsicherheiten sind im Rahmen der konzeptionellen Ausschreibungsreife zu beachten . Die konzeptionelle Ausschreibungsreife ist gegeben, wenn keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse der Leistungsausführung entgegenstehen. § 121 GWB setzt einen gewöhnlichen Ablauf des Verfahrens voraus. Die Bieter müssen darauf vertrauen können, dass der Auftraggeber in einer überschaubaren zeitlichen Frist das Vergabeverfahren zulässigerweise durch einen Zuschlag beendet. Ungewissheiten bzgl. der juristischen Beurteilung können sich auf die konzeptionelle Ausschreibungsreife unterschiedlich auswirken. Beispielsweise wird die Vollziehbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nicht durch Rechtsbehelfe beeinträchtigt, sodass die konzeptionelle Ausschreibungsreife trotz eingelegter Rechtsbehelfe gegeben ist.8 Im Hinblick auf Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)9 ist zu beachten, dass ein gerichtliches Verfahren grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung bzgl. der beanstandeten Maßnahmen hat (Art. 278 Satz 1 AEUV). Die konzeptionelle Ausschreibungsreife fehlt, wenn durch ungeklärte rechtliche Vorfragen die Ausführung der Leistung in einem eingrenzbaren Zeitraum nicht sicher ist und deswegen ein Hindernis für die Leistungsausführung darstellt. Vor dem Versand der Vergabeunterlagen hat der 5 Stein/Wolf, in: Beck´scher Onlinekommentar (BeckOK) Vergaberecht, 10. Edition, Stand: 30.04.2018, GWB § 121 Rn. 10, 47, 49-51. 6 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen - Ausgabe 2016 vom 07.01.2016 (BAnz AT 19.01.2016 B3, 3), zuletzt geändert durch Teile I- III VOB Teil A 2019 vom 31.01.2019 (BAnz AT 19.02.2019 B2), abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/VOB- A/2_EU.html (letzter Abruf: 02.07.2019). 7 Mehlitz, in: Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 2, 3. Auflage 2019, VgV § 28 Rn. 14; Lampert, in: Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 121 Rn. 133, 119. 8 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.11.2013 - Az. VII-Verg 20/13, NZBau 2014, 121 (122 f.). 9 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.2008 (ABl. Nr. C 115 vom 09.05.2008, S. 47), zuletzt geändert durch Art. 2 des Änderungsbeschlusses 2012/419/EU vom 11.07.2012 (ABl. Nr. L 204 vom 31.07.2012, S. 131), abrufbar unter: https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A12012E%2FTXT (letzter Abruf: 01.07.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 6 Auftraggeber die Prüfpflicht hinsichtlich der zivil- und öffentlich-rechtlichen Durchführbarkeit des Auftrags - gegebenenfalls unter Hinzuziehung externer Sachverständiger. Eine Entlastung durch die Berufung auf fehlende Kenntnis einzelner Mitarbeiter von den einschlägigen Vorschriften ist (insbesondere für staatliche Auftraggeber) nicht möglich. Zu beachten ist im Hinblick auf offene Rechtsfragen, dass dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum mit prognostischen Elementen zusteht. Es ist für die Ausschreibungsreife ausreichend, dass die Bewertung der Vereinbarkeit der ausgeschriebenen Leistung mit der Rechtslage beurteilungsfehlerfrei zustande gekommen ist. Der Auftraggeber trägt das Risiko des nachträglichen Wegfalls der Ausschreibungsreife, etwa weil die Gesetzeslage nicht rechtzeitig hergestellt werden konnte.10 Somit kann die Vergabereife trotz rechtlicher Ungewissheiten gegeben sein, soweit diese kein Hindernis für die Leistungsausführung sind. Der Auftraggeber muss aber seiner Prüfpflicht nachgekommen und im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes zu einem rechtlich vertretbaren Ergebnis gelangt sein. 4. Beendigung eines Vergabeverfahrens Ein Vergabeverfahren kann nur auf zwei Wegen beendet werden: durch Zuschlagserteilung oder Aufhebung. Der Zuschlag erfolgt nach Maßgabe des § 127 GWB (vgl. auch § 58 Abs. 1 VgV). Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens kann während aller Verfahrensschritte bis zur Beendigung durch Zuschlagserteilung erfolgen. Auch der unrechtmäßige Widerruf einer Ausschreibung ist regelmäßig wirksam, kann aber eine Schadensersatzpflicht des Auftraggebers begründen.11 § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV verdeutlicht, dass öffentliche Auftraggeber unabhängig von einer Begründung nicht verpflichtet sind, einen Zuschlag zu erteilen. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist in § 63 VgV normiert. Der Grundsatz , eine Ausschreibung nur im Rahmen eines der normierten Aufhebungsgründe beenden zu können, soll der Diskriminierung einzelner Bieter vorbeugen und sie schützen. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV kann ein Vergabeverfahren rechtmäßig durch einen öffentlichen Auftraggeber aufgehoben werden, wenn 1. kein Angebot eingegangen ist, das den Bedingungen entspricht, 2. sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat, 3. kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde oder 4. andere schwerwiegende Gründe bestehen. 10 Lampert, in: Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 121 Rn. 120, 122 f. Vergabekammer (VK) Südbayern, Beschl. v. 20.07.2015 - Az. Z3-3-3194-1-17-03/15, juris Rn. 80. 11 Ruhland, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, VgV § 63 Rn. 2, 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 109/19 Seite 7 Demnach steht die Entscheidung über die Aufhebung im Ermessen des Auftraggebers. Eine rechtmäßige Aufhebung setzt neben dem Aufhebungsgrund voraus, dass der Grund erst nach der Einleitung des jeweiligen Vergabeverfahrens eingetreten oder bekannt geworden sind. Die Vergabestelle muss vor der Ausschreibung sorgfältig prüfen, ob die erkennbaren Eventualitäten berücksichtigt wurden. Tritt einer der Gründe ein, darf das der Vergabestelle nicht zurechenbar sein.12 Bei einer wesentlichen Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VgV) muss die Auftragsvergabe wegen der Änderung objektiv sinnlos, unzumutbar geworden oder nicht mehr möglich sein. Für die Wesentlichkeit der Änderung wird „eine ganz entscheidende Abänderung der bisherigen Absicht zur Leistungserbringung“ vorausgesetzt. Diese kann unter anderem durch rechtliche Schwierigkeiten ausgelöst worden sein.13 Die Möglichkeit der Aufhebung eines Vergabeverfahrens aufgrund anderer schwerwiegender Gründe stellt einen Auffangtatbestand dar. Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers werden diesem Aufhebungsgrund zugeordnet. Dabei sind grundsätzlich nur Mängel zu berücksichtigen, die den Ausschluss der Durchführung des Verfahrens und der Auftragsvergabe zur Folge haben. Es muss eine Interessenabwägung erfolgen, in deren Rahmen die Bindung des Auftraggebers an Recht und Gesetz berücksichtigt werden muss. Die Schwere des Verfahrensfehlers muss dabei mit Recht und Gesetz offensichtlich unvereinbar sein. Schließlich müssen auch die genannten allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sein: Der schwerwiegende Grund darf für den Auftraggeber nicht vorhersehbar und dadurch nicht zu beeinflussen gewesen sein.14 Ein Vergabeverfahren kann also jederzeit wirksam beendet werden. Erfolgte eine pflichtgemäße rechtliche Abwägung der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften durch den Auftraggeber, könnte die gerichtliche Aufhebung der jeweiligen Normen einen schwerwiegenden Grund darstellen. Dann könnte eine Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtmäßig sein. 5. Fazit Rechtliche Unsicherheiten bzgl. des Auftrags stehen einer Leistungsbeschreibung nicht entgegen. Die Vergabereife kann trotz rechtlicher Ungewissheiten gegeben sein, soweit diese kein Hindernis für die Leistungsausführung sind. Der Auftraggeber muss aber seiner Prüfpflicht nachgekommen und im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes zu einem rechtlich vertretbarem Ergebnis gelangt sein. Durch die Einhaltung dieser Prüfpflicht kann eine Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtmäßig sein, wenn die zugrundeliegende Rechtsvorschrift gerichtlich für rechtswidrig erklärt wird. *** 12 Ruhland, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, VgV § 63 Rn. 4, 9, 13. 13 Queisner, in: BeckOK Vergaberecht, 10. Edition, Stand: 31.01.2019, VgV § 63 Rn. 24. 14 Queisner, in: BeckOK Vergaberecht, 10. Edition, Stand: 31.01.2019, VgV § 63 Rn. 36, 38.