© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 107/20 Die Anwendung von „Corona-Schnelltests“ durch private Veranstalter Vertragliche Aspekte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 2 Die Anwendung von „Corona-Schnelltests“ durch private Veranstalter Vertragliche Aspekte Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 107/20 Abschluss der Arbeit: 2. Oktober 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. AGB-rechtliche Vereinbarkeit 4 2.1. Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle 5 2.2. Wirksame Einbeziehung in den Vertrag 5 2.3. Vereinbarkeit mit § 308 Nr. 3 BGB 6 2.3.1. Anwendbarkeit 6 2.3.2. Sachlicher Grund 7 2.3.3. Hinreichende Mitteilung der Testdurchführung an Gäste 9 2.3.4. Rechtsfolge 10 3. Exkurs: Implikationen der gesundheitlichen Untersuchung 10 4. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 4 1. Einleitung Im Zuge der Covid-19-Pandemie wird die großflächige Anwendung sogenannter „Corona- Schnelltests“ diskutiert, mit denen sich innerhalb kurzer Zeit Aussagen über die Coronavirenlast von Menschen treffen lassen.1 Hierbei wird auch der Einsatz bei Großveranstaltungen angedacht.2 Hieraus ergibt sich unter anderem die Frage, inwieweit es rechtlich zulässig wäre, dass private Veranstalter den Zutritt zu ihrer Veranstaltung (z.B. Konzerte, Kinovorstellungen, Ausstellungen, Messen) von einem negativen Ergebnis eines am Einlass durchgeführten Corona-Schnelltests abhängig machten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Besuchsinteressierten bereits zuvor über das Internet eine Eintrittskarte für die Veranstaltung erworben haben. Im hiermit geschlossenen Vertrag ist jedoch etwa in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) durch den Veranstalter eine Klausel aufgenommen, die ihm eine entsprechende Vorgehensweise ermöglicht. Im deutschen Privatrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, die sich sowohl auf den Vertragspartner als auch den Vertragsinhalt bezieht.3 Somit ist eine Vielzahl von vertraglichen Gestaltungen möglich, um die gewünschte Rechtsfolge zu erzielen. Schon aus diesen Gründen können die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nicht zu jeder einzelnen Stellung nehmen. Im Übrigen erteilen sie nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine Rechtsauskünfte im Einzelfall. Die rechtlichen Aussagen dieses Gutachtens sind demgemäß abstrakt und können nicht pauschal auf tatsächliche Geschehnisse übertragen werden. Vor diesem Hintergrund können lediglich schlaglichtartig einzelne Aspekte aufgegriffen werden, deren Prüfung in dieser Konstellation naheliegen. 2. AGB-rechtliche Vereinbarkeit Die Vertragsfreiheit gilt nicht unbeschränkt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in zwingenden Rechtsvorschriften – insbesondere in Situationen, in denen das Gesetz eine Vertragspartei als besonders schutzwürdig erachtet.4 Solche Rechtsvorschriften ergeben sich unter anderem aus den Regelungen zu AGB in §§ 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).5 1 „Bund fördert neuen Schnelltest“, Artikel von „tagesschau.de“ vom 25. September 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/corona-schnelltest-109.html (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen : 1. Oktober 2020). 2 „Was Fieberambulanzen und Corona-Schnelltests wirklich bringen“, Artikel von „swr.de“ vom 22. September 2020, abrufbar unter: https://www.swr.de/wissen/corona-pandemie-fieberambulanzen-und-schnelltests- 100.html. 3 Vergleiche statt vieler Feldmann, in: Staudinger, BGB Kommentar, Neubearbeitung 2018, § 311 BGB, Randnummer 1 mit umfangreichen weiteren Nachweisen auch zur verfassungsrechtlichen Verankerung. 4 Allgemein Musielak, Vertragsfreiheit und ihre Grenzen, Juristische Schulung (JuS) 2017, S. 949. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. 2002 I S. 42, berichtigt S. 2909 und 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz über die Verteilung der Maklerkosten bei der Vermittlung von Kaufverträgen über Wohnungen und Einfamilienhäuser vom 12. Juni 2020 (BGBl. 2020 I S. 1245), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 5 2.1. Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle AGB sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt und die nicht im Einzelnen zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt sind.6 Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer7 und einem Verbraucher8 (Verbraucherverträge) gelten die Vorschriften als vom Unternehmer gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden.9 Vorliegend kann in der Praxis regelmäßig davon ausgegangen werden, dass durch einen mit kommerziellem Interesse handelnden Veranstalter formulierte Vertragsklauseln, die dieser standardmäßig in Verträge über einen Veranstaltungsbesuch mit Privatpersonen aufnimmt, AGB darstellen. Definitiv kann dies jedoch nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls festgestellt werden. 2.2. Wirksame Einbeziehung in den Vertrag Um Wirkung zu entfalten, müssen AGB wirksam durch den Verwender grundsätzlich bereits bei Vertragsschluss einbezogen worden sein. Dies geschieht durch hinreichenden Hinweis des Verwenders und entsprechendes Einverständnis des Vertragspartners nach zumutbarer Möglichkeit der Kenntnisnahme.10 Insbesondere der Hinweis muss so deutlich sein, dass er auch vom durchschnittlich aufmerksamen Kunden selbst bei flüchtiger Betrachtung erfasst wird; eine drucktechnische Hervorhebung oder der Verweis auf einzelne Klauseln ist grundsätzlich allerdings nicht erforderlich.11 In der vorliegenden Konstellation spricht jedoch viel dafür, einen zusätzlichen, hervorgehobenen Hinweis auf die Klausel mit dem geplanten Vorgehen des Veranstalters zu fordern. Denn eine solche Klausel dürfte eine „überraschende Klausel“ im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB darstellen. Hiernach entfalten AGB-Bestimmungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, keine rechtliche Wirkung. Auch wenn über mögliche „Corona-Schnelltests“ bei Veranstaltungseinlass bereits medial berichtet wurde, so scheint deren 6 § 305 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB. 7 Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, § 14 Abs. 1 BGB. 8 Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, § 13 BGB. 9 § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB. 10 § 305 Abs. 2 BGB. 11 Vergleiche insgesamt Becker, in: Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, 55. Edition (Stand: 1. Mai 2020), § 305 BGB, Randnummern 46 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 6 tatsächliche Durchführung bereits aufgrund des nicht ersichtlichen historischen Vorbildes jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt so ungewöhnlich, dass Vertragspartner (in aller Regel durchschnittliche Privatpersonen) hiermit nicht zu rechnen brauchen. Ein solcher Überraschungseffekt der Kunden kann nach der Rechtsprechung aber beseitigt werden , wenn der Verwender durch einen eindeutigen Hinweis auf sie aufmerksam macht, etwa durch drucktechnische Hervorhebung dergestalt, dass erwartet werden kann, der potenzielle Vertragspartner des Verwenders werde von ihr Kenntnis nehmen.12 Wann diesen Voraussetzungen entsprochen ist, kann erneut nur im Einzelfall beurteilt werden.13 2.3. Vereinbarkeit mit § 308 Nr. 3 BGB Die inhaltliche Kontrolle von AGB-Klauseln richtet sich nach §§ 307 ff. BGB. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 308 Nr. 3 BGB. 2.3.1. Anwendbarkeit Fraglich ist, ob die Vorschrift auf eine im Wesentlichen wie unter 1. gefasste AGB-Klausel anwendbar wäre. Die Vorschrift lautet im Wortlaut: „In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist insbesondere unwirksam […] die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, sich ohne sachlich gerechtfertigten und im Vertrag angegebenen Grund von seiner Leistungspflicht zu lösen; dies gilt nicht für Dauerschuldverhältnisse “.14 Ziel der Norm ist ein als unbillig erachtetes Ungleichgewicht zugunsten des Verwenders zu verhindern , indem dieser sich ansonsten faktisch durch Formulierung einer entsprechenden AGB- Klausel einseitig Lösungsrechte vom Vertrag und somit von seiner Leistungspflicht gewähren könnte. Denn dessen Vertragspartner gibt hierzu zwar formal sein Einverständnis. Dieser kann jedoch inhaltlich aufgrund der „diktierten“ Vertragsbedingungen keinen Einfluss auf den Inhalt der Klausel nehmen.15 So erscheint die Situation im Grundsatz auch hier: Der Vertragsschluss über den Besuch einer Veranstaltung verpflichtet in seiner Grundkonstellation den Veranstalter zur Bereitstellung der im Einzelfall gegenständlichen Darbietung, den Besucher zur Zahlung des hierfür geforderten 12 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 20. Februar 2014 – IX ZR 137/13 –, Randnummer 16 (zitiert nach juris) mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 13 Rechtsprechungsbeispiele bei Schmidt, in: Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, 55. Edition (Stand: 1. August 2020), § 305c BGB, Randnummer 19. 14 § 308 Nr. 3 BGB [Hervorhebungen diesseits]. 15 Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2019, Band 2, § 308 Nr. 3 BGB, Randnummer 1; Thüsing, in: Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Werkstand: 45. Ergänzungslieferung (März 2020), § 29, Randnummer 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 7 Preises.16 Sofern der Veranstalter den Zutritt zu seiner Veranstaltung von einem negativen CO- VID-19-Testergebnis vor Ort abhängig macht, behält er sich somit auch seine Leistungspflicht vor. Eine Anwendung der Norm scheitert grundsätzlich auch nicht am dort festgeschriebenen Ausschluss von Dauerschuldverhältnissen. Denn ein Vertrag zum Besuch einer Veranstaltung stellt in aller Regel kein solches dar.17 § 308 Nr. 3 BGB gilt nach der Rechtsprechung umfassend hinsichtlich vertraglicher Lösungsrechte , ungeachtet ihrer genauen Ausgestaltung.18 In der Praxis dürfte dies bedeuten, dass der Veranstalter sich der Beachtung der Vorschrift kaum durch Wahl eines bestimmten Lösungsrechts entziehen könnte, solange der Charakter als nachträgliches Lösungsrecht bei fehlendem negativem Testergebnis bestehen bliebe.19 Anders könnte dies lediglich zu beurteilen sein, soweit in den AGB vereinbart würde, dass der Eintrittspreis (= vertragliche Leistungspflicht des Gastes) erst bei vorgenommenen Schnelltest mit negativem Ergebnis zu zahlen wäre, das Lösungsrecht somit vorher greifen würde.20 Lebensnah ist jedoch davon auszugehen, dass unter wirtschaftlichen , organisatorischen und Infektionsschutzgesichtspunkten der Veranstalter an einer vorherigen Zahlung über das Internet interessiert ist. 2.3.2. Sachlicher Grund Falls man von der Anwendbarkeit von § 308 Nr. 3 BGB ausgeht, muss das Lösungsrecht nach dessen Wortlaut durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Dies bedeutet nach der maßgeblichen BGH-Rechtsprechung im Rahmen einer Interessenabwägung ein überwiegendes oder 16 Details, insbesondere zur genauen vertragsrechtlichen Einordnung solcher Verträge, hängen vor allem von der Veranstaltungsart ab (für Konzertveranstaltungen beispielsweise Feldmann/Schuhmann, Ansprüche von Konzertbesuchern bei Leistungsstörungen, Juristische Schulung (JuS) 2019, S. 848). 17 Denn dieser Begriff umfasst lediglich Schuldverhältnisse, bei denen von den Vertragsparteien ein dauerndes Verhalten oder die Erbringung mehrerer, über einen längeren Zeitraum wiederkehrender Leistungen geschuldet wird (Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2019, Band 2, § 308 Nr. 3 BGB, Randnummer 7 mit weiterem Nachweis). Dies dürfte jedenfalls bei einer regulären Tages- oder Abendveranstaltung nicht der Fall sein. 18 BGH, Urteil vom 08. Dezember 2010 – VIII ZR 343/09 –, Randnummer 14; Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 27. Juli 2005 – 7 AZR 488/04 –, Randnummer 25 (beide zitiert nach juris). Dort genannt werden beispielsweise Gestaltungsrechte allgemein (insbesondere das vertragliche Rücktrittsrecht, § 346 Abs. 1 Alternative 1 BGB), Vertragsaufhebungsansprüche und auflösende Bedingungen (§ 158 Abs. 2 BGB). 19 Siehe auch das allgemeine Umgehungsverbot der AGB-Vorschriften durch anderweitige Gestaltungen, § 306a BGB. 20 Denn dies bedeutete im Ergebnis wohl die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Vertragswirkungen von einem negativen Testergebnis. Dem BGH ((Fußnote 18), Randnummern 16 ff.) zufolge ist dann § 308 Nr. 3 BGB nicht anwendbar, sondern lediglich die allgemeinen Schranken aus § 307 BGB. Im Ergebnis dürfte die auch hier notwendige Interessenabwägung nicht anders als für § 308 Nr. 3 BGB ausfallen, wobei zusätzlich die fehlende Vorleistung zulasten des Gastes zu berücksichtigen wäre (hierzu noch ausführlich unter 2.3.2.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 8 zumindest anerkennenswertes Interesse auf Seiten des Klauselverwenders.21 Somit wäre vorliegend zu prüfen, ob es ein anerkennenswertes Interesse des Veranstalters darstellte, einem vor der Veranstaltung auf seine Veranlassung getesteten Gast mit positivem Testergebnis den Zutritt zu verweigern und sich damit von seiner Leistungspflicht zu lösen. Hierbei sind zunächst die Interessen des Gastes zu berücksichtigen: Dieser besitzt das im Ausgangspunkt klar anzuerkennende Interesse des Veranstaltungsbesuches, wofür er einen vertraglichen Anspruch erworben hat. Wie erwähnt, wird er oftmals bereits durch Zahlung in Vorleistung gegangen sein. Zwar steht ihm im Falle der Loslösung seines vertraglichen Gegenübers in aller Regel ein Rückzahlungsanspruch zu.22 Dennoch wird ihm hiermit das Insolvenzrisiko des Veranstalters aufgebürdet. Angesichts einer in der Öffentlichkeit für möglich gehaltenen verstärkten Anzahl an Unternehmensinsolvenzen ab Herbst 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie – insbesondere in der Veranstaltungsbranche –23 könnte dies unter Umständen ein mehr als theoretisches Risiko darstellen. Auf der anderen Seite stehen dem im Ergebnis zumindest anerkennenswerte Interessen des Veranstalters gegenüber, die im Sinne der oben dargestellten BGH-Rechtsprechung für die Annahme eines sachlichen Grundes ausreichen dürften: So hat dieser ein berechtigtes Interesse daran, dass auf einer durch ihn durchgeführten Veranstaltung sich keine Gäste befinden, die ein Infektionsrisiko für andere Besucher darstellen. Zwar mögen die gegenwärtigen öffentlich-rechtlichen Infektionsschutzvorgaben , deren Einhaltung überhaupt Voraussetzung für die Durchführung einer kommerziellen Veranstaltung während der Covid-19-Pandemie ist, Infektionsrisiken mindern. Ein Restrisiko bleibt jedoch weiter bestehen. Die im Zuge der Covid-19-Pandemie mehrfach beobachteten „Superspreading Events“, bei denen eine infektiöse Person eine ungewöhnlich hohe Zahl anderer Menschen ansteckt, verdeutlichen, dass das Risiko einer Weiterverbreitung auch durch eine Einzelperson erheblich und unberechenbar sein kann.24 Falls es zu einem nachvollziehbaren Infektionsgeschehen auf der Veranstaltung kommen sollte, droht – ungeachtet eines tatsächlich dem Veranstalter vorzuwerfenden Fehlverhaltens – für diesen eine erheblich negative mediale Berichterstattung mit der Gefahr einer Rufschädigung. Unter Umständen ist der Veranstalter des Weiteren Haftungsrisiken durch Schadensersatzansprüche von auf der Veranstaltung infizierten Dritten ausgesetzt. 21 BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 – VIII ZR 349/85 –, Randnummer 35 noch zur Vorgängernorm des § 10 Nr. 3 AGB-Gesetz. Bestätigt in BGH, Urteil vom 29. Oktober 2008 – VIII ZR 258/07 –, Randnummer 27 zur aktuellen Rechtslage (beide zitiert nach juris). 22 Im Falle der Ausgestaltung als vertragliches Rücktrittsrecht etwa aus dem hiermit entstehendem Rückabwicklungsverhältnis , §§ 346 ff. BGB, ansonsten wohl regelmäßig aus einer ungerechtfertigten Bereicherung des Veranstalters , § 812 Abs. 1 BGB. 23 Siehe etwa „Im Herbst kommt die Pleitewelle: Diese Branchen werden zuerst überrollt“, Artikel von FOCUS Online vom 5. September 2020, abrufbar unter: https://www.focus.de/finanzen/news/konjunktur/corona-insolvenzen -im-herbst-komm-die-pleitewelle-diese-branchen-werden-zuerst-ueberrollt_id_12394566.html. 24 Beispiele in: „Coronavirus: Was ist eigentlich ein Superspreader?“, Artikel der Berliner Morgenpost (Online- Ausgabe) vom 15. September 2020, abrufbar unter: https://www.morgenpost.de/vermischtes/article 230424732/Superspreader-Die-wichtigsten-Fragen-und-Antworten.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 9 Hinzu kommt, dass die Entscheidung eines nicht anerkennenswerten Interesses bedeutete, dass der Veranstalter gezwungen wäre, eine nachweislich mit dem Coronavirus infizierte Person Zugang zu der Veranstaltung zu verschaffen. Bei dieser Annahme käme jedoch eine infektionsschutzrechtliche Komponente hinzu: Sobald die zuständige Infektionsschutzbehörde von einer infizierten Person erführe, wäre sie nach dem öffentlich-rechtlichen Infektionsschutzgesetz (IfSG)25 gezwungen, die im Einzelfall notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, etwa ein Betretungsverbot auszusprechen.26 Es erschiene widersinnig, den Veranstalter in solchen Fällen ohne kurzfristige Lösungsmöglichkeit weiter privatrechtlich zur Zugangsverschaffung zu verpflichten. In diesem Zusammenhang scheint ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Veranstalter sich dann ohnehin auf ein, neben vereinbarten Lösungsrechten stehendes, gesetzliches Rücktrittsrecht berufen könnte, dass ihm jenseits des über AGB gesicherten Rücktrittsrechts eine Loslösung vom Vertrag ermöglichte.27 Die dargestellten Argumente stehen allerdings unter der Prämisse, dass es aufgrund eines nicht unerheblichen Infektionsgeschehens zu Infektionsgefahren eines großen Teils der Bevölkerung, verbunden mit potenzieller Lebensgefahr für Risikogruppen kommt. Sollte die vom Coronavirus ausgehende Gefahr in Zukunft aus bestimmten Gründen als niedriger erachtet werden, kann dies zu anderen Abwägungsergebnissen führen. Solch generelle Überlegungen können im Übrigen in keinem Fall eine genaue Prüfung der Einzelfallumstände ersetzen. 2.3.3. Hinreichende Mitteilung der Testdurchführung an Gäste Daneben trifft den Veranstalter aus dem Wortlaut von § 308 Nr. 3 BGB die Verpflichtung, den von ihm als hinreichende sachliche Rechtfertigung erachteten Umstand in der Weise in die Klausel aufzunehmen, dass der „Durchschnittskunde“ ohne Schwierigkeiten feststellen kann, wann sich der Verwender vom Vertrag lösen kann.28 25 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I S. 1045), zuletzt geändert durch Art. 5 Corona-Steuerhilfegesetz vom 19. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/. 26 § 28 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 29 ff. IfSG. Die jeweilige Behörde kann bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht entscheiden, ob sie überhaupt tätig wird („Entschließungsermessen“), sondern lediglich welche der einzelnen Maßnahmen sie trifft („Auswahlermessen“), siehe Kießling, in: Kießling, Infektionsschutzgesetz: IfSG, 1. Auflage 2020, § 28 IfSG, Randnummern 17 f.; Johann/Gabriel, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Infektionsschutzrecht , 1. Edition (Stand: 1. Juli 2020), § 28 IfSG, Randnummer 20. 27 Allgemein Coester-Waltjen, in: Staudinger, BGB – Kommentar, Neubearbeitung 2019, § 308 Nr. 3 BGB, Randnummer 12; Roloff/Looschelders, in: Erman, BGB – Kommentar, 16. Auflage 2020, § 308 BGB, Randnummer 18; Wurmnest, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Auflage 2019, Band 2, § 308 Nr. 3 BGB, Randnummer 11. Zu denken wären hierbei etwa an ein gesetzliches Rücktrittsrecht aufgrund der Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht des Gastes seinen Vertragspartner nicht zu schädigen, § 324 BGB. 28 BGH, Urteil vom 26. Januar 1983 – VIII ZR 342/81 –, Randnummer 16 (zitiert nach juris); BAG (Fußnote 18), Randnummer 30. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 10 2.3.4. Rechtsfolge Soweit eine einzelne, abgrenzbare AGB-Klausel nicht Vertragsbestandteil geworden sein sollte (etwa mangels fehlender Einbeziehung) oder unwirksam sein sollte (etwa aufgrund Rechtswidrigkeit ), bleibt der Vertrag im Übrigen grundsätzlich wirksam.29 Der Vertragsteil, den die Klauseln eigentlich geregelt hätten, richtet sich dann nach den gesetzlichen Vorschriften.30 Bezogen auf den Wegfall einer Klausel der vorliegenden Art bedeutete dies eine Fortgeltung des Vertrages mit den vereinbarten Leistungspflichten. 3. Exkurs: Implikationen der gesundheitlichen Untersuchung Für ein übergreifendes Verständnis der Problematik ist wichtig, dass bei der AGB-rechtlichen Prüfung bestimmter Vertragsgestaltungen primär die gegensätzlichen vertraglichen Leistungsinteressen im Mittelpunkt stehen. Hierdurch darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass ein „Corona-Schnelltest“ auch eine gesundheitliche Untersuchung darstellt. Hierin liegt ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, was unabhängig von vertraglichen Pflichten zu privatrechtlichen und strafrechtlichen Haftungsrisiken führen kann.31 Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Durchführung von „Corona-Schnelltests“ als Verarbeitung personenbezogener (Gesundheits-)Daten erachtet werden könnte, bei der die europäische Datenschutz- Grundverordnung (DS-GVO)32 einschlägig wäre. Deren Anwendung wird in der Literatur etwa bei der verwandten Problematik diskutiert, ob der Veranstalter den Zugang davon abhängig machen kann, dass Gäste nachweisbar die „Corona-Warn-App“ installiert haben.33 Gleichzeitig können Verstöße gegen außerprivatrechtliche Normen wiederum Auswirkungen auf die Wirksamkeit eines Vertrages besitzen.34 Sowohl Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit als auch die Datenverarbeitung in der DS-GVO setzen für deren Rechtmäßigkeit grundsätzlich die 29 § 306 Abs. 1, 3 BGB. 30 § 306 Abs. 2 BGB. 31 Vergleiche unter anderem den an eine Körperverletzung anknüpfenden Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Siehe im Strafrecht den Straftatbestand der Körperverletzung, § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. 1998 I. S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 5 Gesetz zur Durchführung der VO (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 10. Juli 2020 (BGBl. 2020 I S. 1648), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/stgb/. 32 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DS-GVO), ABl. 2019 L 119 S. 1, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0679. 33 Haschert, in: Schmidt, COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Auflage 2020, § 20, Randnummern 94 ff. 34 Zu denken wäre etwa an einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder an eine Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB), die die Unwirksamkeit einer solchen Klausel oder des Vertrages insgesamt zur Folge haben könnten. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 107/20 Seite 11 Einwilligung der Betroffenen voraus.35 Sofern eine entsprechende Klausel dies respektiert und nicht etwa eine für den Veranstalter durchsetzbaren Untersuchungszwang ermöglicht, dürfte sie auch in dieser Hinsicht von der Vertragsfreiheit gedeckt sein. Denn hier läge statt einer echten Vertragspflicht, deren Annahme ohnehin praxisfern erscheinen dürfte, eine bloße Obliegenheit vor, bei deren Verletzung den Betroffenen keine vertragliche Haftung, sondern nur ein eigener Rechtsnachteil drohte – die Verweigerung des Zugangs zu der Veranstaltung.36 4. Fazit Bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit von vertraglichen Klauseln zwischen privaten Veranstaltern und Besuchern, bei denen der Zutritt zur Veranstaltung von einem negativen Ergebnis eines am Einlass durchgeführten Corona-Schnelltests abhängig gemacht wird, ergeben sich bei einer überschlägigen Prüfung verschiedene rechtliche Fragestellungen. Während ein solches Vorgehen bei hervorgehobener Kennzeichnung jedenfalls nicht grundsätzlich unzulässig sein dürfte, können definitivere Aussagen nur in Ansehung der genauen vertraglichen Formulierung und der sonstigen Einzelfallumstände durch die hierzu berufenen Gerichte getroffen werden. *** 35 Für § 823 Abs. 1 BGB etwa allgemein Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen, 78. Auflage 2019, § 823 BGB, Randnummer 38. Vergleiche im Strafrecht die Einwilligung in die Körperverletzung gemäß § 228 StGB. Siehe zur grundsätzlich notwendigen Einwilligung bei der Verarbeitung von Gesundheitsdaten Art. 9 Abs. 1, 2 (Buchstabe a)) DS-GVO. 36 Zum Obliegenheitsbegriff näher Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, 17. Auflage 2018. § 241 BGB, Randnummer 13.