© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 – 106/20 Strafrechtliche Bekämpfung von Geldwäschekriminalität Gesetzgeberische Spielräume bei der Vermögensabschöpfung? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 2 Strafrechtliche Bekämpfung von Geldwäschekriminalität Gesetzgeberische Spielräume bei der Vermögensabschöpfung? Aktenzeichen: WD 7 - 3000 – 106/20 Abschluss der Arbeit: 7. Oktober 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Meinungsstand 5 3. Rechtsprechung 8 4. Spielraum des Gesetzgebers? 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 4 1. Einleitung Mit Wirkung vom 1. Juli 2017 wurde das Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung einer umfassenden Neuregelung unterzogen.1 Die Reform betraf auch den Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB2): Aufgehoben wurde § 261 Absatz 7 Satz 3 StGB, der die Anwendbarkeit des „erweiterten Verfalls“ (§ 73d StGB alter Fassung3) für den Fall eröffnet hatte, dass „der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung einer Geldwäsche verbunden hat.“ Denn nach § 73d StGB aF war Voraussetzung der Anwendbarkeit des erweiterten Verfalls, dass der jeweilige Straftatbestand eine solche ausdrücklich eröffnet. Seit der Reform ist die „erweiterte Einziehung“ (§ 73a StGB) nunmehr auch ohne eine explizite Verweisung im jeweiligen Straftatbestand grundsätzlich anwendbar, so dass der Verweis in § 261 Absatz 7 Satz 3 StGB aF gestrichen werden konnte. § 261 StGB ist zudem insofern durch die Reform betroffen, als er ausdrücklich im neuen § 76a Absatz 4 StGB genannt wird. Damit wird das dortige neue Abschöpfungsinstrument der selbständigen Einziehung, wonach ein aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand auch dann eingezogen werden soll, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann, ausdrücklich auf den Tatbestand der Geldwäsche erstreckt. Aufgrund der Formulierung als „Soll- Vorschrift“ ist entscheidend, ob das Gericht davon überzeugt ist, dass der sichergestellte Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt. Die Voraussetzungen für die Bildung der einschlägigen richterlichen Überzeugung wurden parallel in § 437 StPO4 präzisiert. Im Zusammenhang mit diesen Neuregelungen wurde intensiv und kontrovers diskutiert, ob sie eine „Beweislastumkehr“ beinhalten und ob die Regelungen insbesondere im Hinblick auf die selbständige Einziehung verfassungsrechtlich zulässig seien.5 Aktuell ist die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche erneut Gegenstand rechtspolitischer Erwägungen: Im August 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche veröffentlicht, mit dem das strafrechtliche Regelwerk zur Bekämpfung der Geldwäsche „verbessert“ und zugleich die am 2. Dezember 2018 in Kraft getretene Richtlinie 1 Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v. 13. April 2017, BGBl. I, 872. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. 3 Nachfolgend: „aF“. 4 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. 5 Die verschiedenen Positionen können exemplarisch dem Protokoll der Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz mitsamt den schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen entnommen werden. Vgl. hierzu namentlich die Äußerungen der Sachverständigen Heger und Gericke einerseits (keine Beweislastumkehr) und des Sachverständigen Meißner andererseits (faktische Beweislastumkehr) in der Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, 120. Sitzung der 18. Wahlperiode, 23.11.2016, Wortprotokoll abrufbar unter https://www.bundestag .de/blob/530090/6dad919ccc8c67016fae8b1906e08536/wortprotokoll-data.pdf (letzter Abruf dieser und der weiteren Internetquellen: 7. Oktober 2020). Weitere Nachweise nachfolgend bei Gliederungspunkt 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 5 (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche6 umgesetzt werden solle.7 Als zentrale Neuerung sieht der Entwurf die Erstreckung des Straftatbestands der Geldwäsche auf alle Straftaten und insofern die Streichung des selektiven Vortatenkatalogs in § 261 StGB vor.8 Taugliche Katalogtat der selbständigen Einziehung soll Geldwäsche sein, „wenn die Vortat ein Verbrechen ist“ oder die Vortat gewerbs- oder bandenmäßig begangen wurde“9. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob für den Gesetzgeber weiterer Spielraum dahingehend gesehen wird, die strafrechtliche Geldwäschebekämpfung insbesondere auch hinsichtlich der Vermögensabschöpfung durch modifizierte Beweislastregeln oder vergleichbar wirkende Regelungen weiter zu intensivieren. 2. Meinungsstand Ob die geltenden strafrechtlichen Regelungen zur Geldwäschebekämpfung im Zusammenwirken mit jenen zur Vermögensabschöpfung verfassungsgemäß sind und ob sie gegebenenfalls Spielraum für weitere Verschärfungen bieten, wird kontrovers beurteilt. Im Schrifttum wird häufig schon die seit 2017 geltende Fassung der einschlägigen Vorschriften – insbesondere hinsichtlich der selbständigen Einziehung – als nicht verfassungskonform angesehen bzw. die Verfassungsmäßigkeit stark angezweifelt.10 So wird etwa kritisiert, die Regelungen kämen einem Paradigmenwechsel im Strafverfahren gleich, indem sie eine systemwidrige Beweislastumkehr etablierten.11 Dies kollidiere mit der Unschuldsvermutung und schränke den Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung unverhältnismäßig ein.12 Der Grundsatz in dubio pro reo werde in sein Gegenteil verkehrt.13 Dass „der Einziehungsbeteiligte die Anordnung der Einziehung mit bloßem Schweigen oder einem Bestreiten mit Nichtwissen in aller Regel nicht 6 ABl. L 284 vom 12.11.2018, S. 22. 7 Vgl. „Geldwäsche effektiv bekämpfen: Neufassung des Geldwäsche-Tatbestands im Strafgesetzbuch – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche veröffentlicht“, BMJV vom 11.08.2020 (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2020/081120_Geldwaesche.html). Referentenentwurf abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Geldwaesche_Bekaempfung .html. 8 Vgl. Referentenentwurf (siehe Fußnote 7), S. 1 f., 14. 9 § 76a Absatz 4 Satz 3 Nr. 1 Buchstabe f StGB-Entwurf, vgl. Referentenentwurf (siehe Fußnote 7), S. 5. 10 Vgl. nur Hüls ZWH 2017, 242; Hennecke NZWiSt 2018, 121; Hinderer/Blechschmitt NZWiSt 2018, 179; Greeve ZWH 2017, 277, 280; Höft HRRS 2018, 196; Köllner/Mück NZI 2017, 593, 598; Schilling/Hübner StV 2018, 49, 52; Joecks/Meißner, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 76a StGB Rn. 14; Eser/Schuster, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 76a StGB Rn. 2, 10. 11 Hüls ZWH 2017, 242, 243; Köllner/Mück NZI 2017, 593, 598. 12 Hüls ZWH 2017, 242, 243, 251; Köllner/Mück NZI 2017, 593, 598. 13 Hinderer/Blechschmitt NZWiSt 2018, 179, 183. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 6 abwenden“14 könne, verstoße gegen die verfassungsrechtlich verankerte Selbstbelastungsfreiheit .15 Zum Teil wird auch ein Verstoß gegen den strafprozessual verankerten Anklagegrundsatz gesehen.16 Der durch § 76a Absatz 4 StGB ermöglichte weitreichende Eingriff in Eigentumspositionen führe mangels Verhältnismäßigkeit wegen Verstoßes gegen Artikel 14 GG17 zur Verfassungswidrigkeit .18 Kritisch gesehen wird hierbei namentlich auch, dass zu den Katalogtaten des § 76a Absatz 4 StGB auch die Geldwäsche zähle, da sie wiederum mit ihrem eigenen umfassenden Vortatenkatalog als „Türöffner“ bzw. „Einfallstor“ für das gesamte Wirtschaftsstrafrecht fungiere – und gerade nicht lediglich der Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus erfasst werde.19 Von anderer Seite wird die 2017 geschaffene Rechtslage dem gegenüber als verfassungsgemäß angesehen.20 In den Regelungen sei rechtlich schon keine Beweislastumkehr zu sehen, vielmehr würden nur Schlüsse gezogen, wie sie schon nach der Rechtsprechung und Kommentarliteratur zur vorher geltenden Fassung als statthaft vertreten, aber von den Gerichten kaum angewandt worden seien.21 Die Grundrechtsvereinbarkeit von § 76a StGB sei gegeben, „weil durch den Katalog … schon Elemente der Verhältnismäßigkeit enthalten“ seien, da die Einziehung „nicht für alle Straftaten, sondern nur für die organisierte Kriminalität möglich“22 sei und es sich zudem um eine Sollregelung handele, die es erlaube, Härten im Einzelfall abzumildern.23 Den zahlreichen gegenüber den Regelungen kritischen Stimmen wird zum Teil auch entgegengehalten, sie verkennten bereits grundsätzlich, dass es sich bei den Abschöpfungsregelungen gerade nicht um 14 BT-Drs. 18/9525, S. 92. 15 Hinderer/Blechschmitt NZWiSt 2018, 179, 183; Schilling/Hübner StV 2018, 49, 56 f. 16 Greeve ZWH 2017, 277, 280. 17 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist. 18 Höft HRRS 2018, 196, 202 ff. So wohl auch Eser/Schuster, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 76a StGB Rn. 10 sowie Joecks/Meißner, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 76a StGB Rn. 14: „Die Eigentümerstellung des Betroffenen soll dabei unerheblich sein, was im Zusammenhang mit der Eigentumsgarantie sowie der Unschuldsvermutung mehr als bedenklich erscheint (vgl. Art. 14 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG).“ 19 Trüg NJW 2017, 1913, 1916; Köllner/Mück NZI 2017, 593, 598; Schilling/Hübner StV 2018, 49, 52. 20 Korte NZWiSt 2018, 231; Barreto da Rosa NZWiSt 2018, 215; Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 17, 26; Gericke, ebendort, S. 32; Meyer StV 2017, 343. 21 Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 17; Gericke, ebendort, S. 32. 22 Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 32. 23 Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 7 strafrechtliche Regelungen handele, die vollumfänglich an den einschlägigen Strafrechtsgrundsätzen und strafrechtsbezogenen verfassungsrechtlichen Anforderungen zu messen seien.24 Entsprechend zahlreichen internationalen Beispielen und einschlägiger Judikatur handele es sich vielmehr um einen Fall der non-conviction-based confiscation, die vorwiegend präventive Zwecke erfülle und eher zivil- und verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen unterliege, zumal es sich nicht um Verfahren gegen eine Person mit dem Ziel der Feststellung der strafrechtlichen Schuld handele, sondern um Verfahren gegen eine Sache mit dem Ziel der Korrektur einer unrechtmäßigen Vermögensallokation.25 Verschiedene derjenigen Stimmen, die die Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Regelungen bejahen, betonen allerdings, dass diese Regelungen zugleich auch die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen darstellten.26 So wurde anlässlich der Reform betont, mit den Regelungen werde eine verfassungskonforme Beweislastumkehr umgesetzt und das deutsche Abschöpfungsrecht zu einem der schärfsten in Europa.27 Dies markiere zugleich „die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen“, was diejenigen bedenken sollten, „die weitergehende Beweiserleichterungen und Eingriffe in den Grundsatz der freien Beweiswürdigung für erwägenswert halten.“28 In diesem Kontext wird insbesondere auch auf Artikel 14 Absatz 1 GG als relevante verfassungsrechtliche Grenze verwiesen: „Mit Blick auf den Charakter der Abschöpfungsregelungen als vermögensordnende Vorschriften ohne Strafcharakter dürften sich die Vorschriften über die erweiterte Einziehung und die selbständige Einziehung nach alledem noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegen. Für eine weitergehende ‚Beweislastumkehr‘, die etwa dazu führen würde, dass der Angeklagte bzw. der in den Fällen des § 76a Abs. 4 StGB-E Betroffene den legalen Erwerb der bei ihm sichergestellten Vermögensgegenstände nachweisen müsste …, sehe ich indes keinen Raum. Auch wenn die Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter hat, stellt sie doch einen an Art. 14 Abs. 1 GG zu messenden Eingriff dar. Dass ein solcher verfassungsrechtlich zulässig sein sollte, ohne dass dafür letztlich ein rechtfertigender Grund festgestellt werden müsste, liegt meines Erachtens nicht nahe.“29 24 Meyer StV 2017, 343, 350 f. 25 Meyer StV 2017, 343, 350 f. 26 Barreto da Rosa NZWiSt 2018, 215, 217; PStS Lange, Erklärung in der 948. Sitzung des Bundesrats am 23.09.2016, Plenarprotokoll S. 397; BRat 2016; Gericke, Schriftliche Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, 120. Sitzung der 18. Wahlperiode, 23.11.2016, Wortprotokoll S. 60 f. 27 Erklärung PStS Lange in der 948. Sitzung des Bundesrats am 23.09.2016, Plenarprotokoll S. 397. 28 Erklärung PStS Lange in der 948. Sitzung des Bundesrats am 23.09.2016, Plenarprotokoll S. 397. 29 Gericke, Schriftliche Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz , 120. Sitzung der 18. Wahlperiode, 23.11.2016, Wortprotokoll S. 60 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 8 3. Rechtsprechung Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung sind zahlreiche auf die einschlägigen Normen gestützte Judikate veröffentlicht worden. Verfassungsrechtliche Bedenken sind hierbei, soweit ersichtlich, allein hinsichtlich der im Rahmen der Reform eingeführten intertemporalen Regelung in Artikel 316h Satz 1 EGStGB30 erhoben worden, soweit danach § 76a Absatz 2 Satz 1 StGB i.V.m. § 78 Absatz 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Absatz 1 StGB in der neuen Fassung auch in solchen Fällen für anwendbar erklärt werden, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung Verfolgungsverjährung eingetreten war.31 Eine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der neuen Vermögensabschöpfungsregelungen aber ist bislang von keinem Gericht angenommen worden. Der Bundesgerichtshof hat zudem festgestellt , dass auch bei Zugrundelegung der neuen Vorschriften die Auffassung der bisherigen ständigen Rechtsprechung – insbesondere des Bundesverfassungsgerichts –, wonach die Einziehung von Taterträgen keinen Strafcharakter habe, auch unter dem neuen Recht fortbestehe: „… Art. 103 Abs. 2 GG ist auch deshalb nicht anwendbar, weil die Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB nF keinen Strafcharakter hat. Dies war für den Verfall nach altem Recht, auch bei Anwendung des Bruttoprinzips, anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 14 ff.; BGH, Urteil vom 21. August 2002 - 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369). Die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat zwar unter anderem zu einer Änderung des Begriffs der Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) – von Verfall in Einziehung von Taterträgen – geführt, wodurch das Recht an die im Recht der Europäischen Union gebräuchliche Begrifflichkeit (‚confiscation‘) angelehnt werden sollte (s. BT-Drucks. 18/9525, S. 48). Die Neuregelung hat indes die Rechtsnatur der Maßnahme unberührt gelassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2018 - 5 StR 600/17, juris Rn. 14; vom 22. März 2018 - 3 StR 42/18, NStZ 2018, 400; Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, wistra 2018, 431). (…) In seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF (Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1) hat das Bundesverfassungsgericht eingehend dargelegt, welchem Zweck Maßnahmen der Vermögensabschöpfung dienen, welche Rechtsnatur sie mit Blick auf den Schuldgrundsatz haben und welche verfassungsrechtlichen Maßstäbe im Hinblick auf die Eigentumsgarantie anzulegen sind. Die zum alten Verfallsrecht entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätze lassen sich (…) auf das neue Recht der Einziehung von Taterträgen uneingeschränkt übertragen . Hiernach gilt: All diese Maßnahmen der Vermögensabschöpfung verfolgen (…) keinen repressiven, vielmehr einen präventiven Zweck. Dieser besteht darin, einen durch den deliktischen Vermögenserwerb verursachten rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen. Die Entzie- 30 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469; 1975 I S. 1916; 1976 I S. 507), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Juni 2017 (BGBl. I S. 1612) geändert worden ist. 31 BGH, Beschluss vom 7. März 2019 – 3 StR 192/18. Da der Bundesgerichtshof insofern von der Teilnichtigkeit von Artikel 316h Satz 1 EGStGB ausgeht, hat er das Verfahren ausgesetzt und die entscheidungserhebliche Frage gemäß Artikel 100 Absatz 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 9 hung deliktisch erlangter Vermögenwerte ist daher nicht Ausdruck vergeltender, sondern ordnender Gerechtigkeit. Da den Vermögensabschöpfungsmaßnahmen kein Strafcharakter zukommt , unterliegen sie nicht dem Schuldgrundsatz (vgl. BVerfG, aaO, S. 15 ff.). Von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG werden Vermögenswerte, die durch Straftaten erlangt worden sind, nicht generell erfasst. Soweit solche Vermögenswerte betroffen sind, die dem von der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung Betroffenen zivilrechtlich nicht zustehen (§§ 134, 935 BGB), ist dessen Eigentumsgrundrecht schon mangels einer schutzfähigen Rechtsposition nicht berührt. Soweit der Betroffene Vermögenswerte zwar deliktisch, aber zivilrechtlich wirksam erlangt hat, enthält eine Rechtsvorschrift, die deren Entziehung vorsieht, lediglich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, aaO, S. 23 f.). Wegen der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist in diesem Fall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten. Diese Prüfung umfasst die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf das legitime gesetzgeberische Ziel, eine Störung der Vermögensordnung zukunftsbezogen zu beseitigen und so der materiellen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfG, aaO, S. 28 ff.). Dass das ‚Rechtsinstitut des Verfalls‘ nach §§ 73 ff. StGB aF geeignet war, dieses Ziel zu erreichen , hat das Bundesverfassungsgericht wie folgt begründet: ‚Das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung kann Schaden nehmen, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögensvorteile dauerhaft behalten dürfen. Eine Duldung solcher strafrechtswidrigen Vermögenslagen durch den Staat könnte den Eindruck hervorrufen , kriminelles Verhalten zahle sich aus, und damit staatlich gesetzten Anreiz zur Begehung gewinnorientierter Delikte geben. Die strafrechtliche Gewinnabschöpfung ist ein geeignetes Mittel, um dies zu verhindern. Sie kann der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, der Staat unternehme alles ihm rechtsstaatlich Mögliche, um eine Nutznießung von Verbrechensgewinnen zu unterbinden‘ (BVerfG, aaO, S. 29). (…) Gerade § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nF soll explizit den Zweck der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung stärken, ‚strafrechtswidrige Störungen der Rechtsordnung zu beseitigen und dadurch der materiellen Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen‘ (BT-Drucks. 18/11640, S. 82).“32 In einem später ergangenen Urteil zur selbständigen Einziehung hat der Bundesgerichtshof die Relevanz der Verknüpfung von § 76a Absatz 4 StGB mit bestimmten Katalogtaten hervorgehoben : „Der Gesetzgeber hat das neu geschaffene Rechtsinstitut der nicht verurteilungsbasierten selbständigen Einziehung auf solche Fälle beschränkt, in denen die Sicherstellung in einem Verfahren wegen des Verdachts einer Tat aus dem Katalog des § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB erfolgt ist. Bei diesen Katalogtaten soll es sich ausschließlich um schwere Straftaten aus dem Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität handeln, die allein als Anknüpfung für die selbständige Einziehung in Betracht kommen (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 73; BT- Drucks. 18/10146 S. 1). Dieser eindeutig in der Vorschrift als Inhalts- und Schrankenbestim- 32 BGH, Beschluss vom 7. März 2019 – 3 StR 192/18 (Hervorhebung nicht im Original, Anm. d. Verf). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 10 mung zum Grundrecht auf Eigentum (vgl. BVerfG aaO S. 24 f. zu § 73d StGB aF) zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Wille ist umzusetzen, gleich ob dies Verhältnismäßigkeitserwägungen oder allein rechtspolitischen Zweckmäßigkeitsaspekten geschuldet ist (vgl. hierzu F. Meyer StV 2017, 343, 345; krit. Rönnau/Begemeier NZWiSt 2016, 260).“33 Eine Grenze sei hier gerade wegen dieses Kontextes insofern zu ziehen, als es – auch im Hinblick auf den Straftatbestand der Geldwäsche und dessen Vortatenkatalog – nicht zulässig sein könne, wenn die Staatsanwaltschaft „nachträglich die nicht zu erhärtenden Verdachtsmomente um Katalogstraftaten anreichert“: „Würde es hingegen ausreichen, wenn die Staatsanwaltschaft (…) nachträglich die nicht zu erhärtenden Verdachtsmomente um Katalogstraftaten anreichert, würde die vom Gesetzgeber vorgesehene Einschränkung leerlaufen. Dies gilt umso mehr, als dieser Verdacht nicht erhärtet werden müsste, vielmehr im Nachhinein ohne weitere hinzukommende Verdachtsmomente auf Katalogtaten erstreckt werden könnte, allein um die Voraussetzungen der selbständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB zu schaffen. Denn in den Fällen, in denen nach Abschluss der Ermittlungen nicht geklärt werden kann, aus welcher rechtswidrigen Tat der Gegenstand herrührt, mithin das Herrühren aus einer Nichtkatalogtat nicht belegbar ist, ließe sich im Nachhinein zumeist ein nicht zu erhärtender Verdacht jedenfalls nach § 261 Abs. 1, 2 oder 4 StGB als Katalogtaten nach § 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. f StGB in der Einstellungsverfügung erörtern. Der Bezug zwischen dem Verdacht einer Katalogtat und der Sicherstellung , mithin die vom Gesetzgeber intendierte Einschränkung wäre nicht gewahrt.“34 Das OLG Stuttgart hat in einem neueren Beschluss entschieden, dass es für die Prüfung der Prozessvoraussetzung „Unmöglichkeit eines subjektiven Verfahrens“ im Einziehungsverfahren nach § 76a Absatz 4 StGB nicht auf den Verfahrensstand hinsichtlich des konkret betroffenen Einziehungsbeteiligten ankomme, sondern darauf, ob gegen irgendeine Person ein subjektives Verfahren durchgeführt werde oder werden könne: die Prozessvoraussetzung liege erst dann vor, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens gegen sämtliche in Betracht kommenden Beschuldigten unmöglich sei, da § 76a Absatz 4 StGB vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Bedenken restriktiv auszulegen sei.35 4. Spielraum des Gesetzgebers? Ob der Gesetzgeber über die o. g. geltenden Regelungen hinausgehend Spielraum dabei hat, die strafrechtliche Geldwäschebekämpfung insbesondere auch hinsichtlich der Vermögensabschöpfung durch modifizierte Beweislastregeln oder vergleichbar wirkende Regelungen weiter zu intensivieren , kann vor dem Hintergrund des unter Gliederungspunkt 2 dargestellten inkohärenten Meinungsbilds sowie der unter Gliederungspunkt 3 dargestellten Rechtsprechung nicht pauschal 33 BGH, Urteil vom 18. September 2019 – 1 StR 320/18 –, BGHSt 64, 186-195 (Hervorhebung nicht im Original, Anm. d. Verf). 34 BGH, Urteil vom 18. September 2019 – 1 StR 320/18 –, BGHSt 64, 186-195. 35 OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 7 Ws 49/20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 11 und abstrakt beurteilt werden.36 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung die Auffassung vertreten hatte, eine noch schärfere Regelung stehe dem Gesetzgeber – insbesondere in Gestalt von Beweiserleichterungen – offen: Der Staat müsse „die insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Spielräume ausschöpfen. Die Reformvorschläge zur erweiterten oder selbständigen Einziehung in § 73a StGB-E und § 76a Absatz 4 StGB-E, auch in Verbindung mit § 437 StPO-E, bleiben dahinter zurück. Es soll dabei bleiben, dass das Gericht für die Vermögenseinziehung die sichere Überzeugung von der deliktischen Herkunft gewinnen muss, worüber es in freier Beweiswürdigung zu entscheiden hat. Bei Vermögen unklarer Herkunft ist es demgegenüber geboten, weitergehend über die Statuierung beweiserleichternder Regelungen nachzudenken. In einer Vielzahl, teils benachbarter europäischer Länder gibt es bereits entsprechende Regelungen, welche die Billigung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfahren haben. Beweiserleichterungen sind jedenfalls dort geboten, wo – wie insbesondere in den Bereichen der (profitorientierten) organisierten Kriminalität und des Terrorismus – ein krimineller Lebenswandel des Betroffenen nachhaltig in Erscheinung tritt und bei Würdigung aller Umstände eine naheliegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Täter ihm zuordenbare nicht unbeträchtliche Vermögenswerte durch strafrechtlich relevantes Handeln erlangt hat. Gerade das konspirative Vorgehen organisierter Tätergruppen verursacht für die Vermögensabschöpfung besondere Beweisschwierigkeiten , da es die Zuordnung von Vermögen zu konkreten Straftaten erschwert. (…) Sowohl für die Ausgestaltung der Regelung der erweiterten Einziehung nach § 73a StGB-E als auch der selbständigen Einziehung nach § 76a Absatz 4 StGB-E sollten daher die Möglichkeiten beweiserleichternder (materieller) Regelungen, etwa nach dem Modell anderer europäischer Länder, einer vertieften Prüfung unterzogen und damit zugleich einer aktuellen Empfehlung der Financial Action Task Force (FATF) Folge geleistet werden (…).“37 Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext indes, dass die unter Gliederungspunkt 3 in Auszügen zitierten Judikate den Eindruck vermitteln, dass die Rechtsprechung bereits die neu eingeführten geltenden Regelungen als so weitreichend und eingriffsintensiv beurteilt, dass sie sich gegebenenfalls zu einer eher restriktiven Auslegung derselben veranlasst sieht. Insofern erscheint zum einen fraglich, ob der wiederholt empfohlene Ansatz, die Regelungen zur Vermögensabschöpfung aus ihrem straf- und strafverfahrensrechtlichen Kontext herauszulösen und hierdurch gegebenenfalls neue Spielräume für weitere Verschärfungen zu erschließen38, tatsächlich erfolgversprechend wäre; denn maßgebliche verfassungsrechtliche Grenzziehungen dürften auch dann zum Tragen kommen – namentlich, wie bereits jetzt, in Gestalt des Artikel 14 GG. Zum anderen ist zu konstatieren, dass die neuere Rechtsprechung bei der Anwendung von § 76a Absatz 4 StGB die Beschränkung dieser Möglichkeit der selbständigen Einziehung auf einen abschließenden Katalog ausgewählter schwerer Straftaten hervorgehoben hat, durch den insofern ein qualitatives und begrenzendes Element errichtet wurde. Dies könnte als Hinweis darauf gesehen werden, dass 36 Einen Spielraum bejahend Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 26; Meyer StV 2017, 343, 354. 37 Bundesrat, Drucksache 418/16 (Beschluss), 23.09.16, S. 1 f. 38 Vgl. Heger, Stellungnahme im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, Wortprotokoll 18/120 vom 23.11.2016, S. 26; Meyer StV 2017, 343, 354. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 – 106/20 Seite 12 Vorhaben, diese Verknüpfung unmittelbar oder mittelbar spürbar zu lockern oder gar aufzuheben , seitens der Rechtsprechung nicht vorbehaltlos akzeptiert werden könnten. * * *