© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 103/20 Die Störung der Geschäftsgrundlage im Gewerbemietrecht und die COVID-19-Pandemie Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 103/20 Seite 2 Die Störung der Geschäftsgrundlage im Gewerbemietrecht und die COVID-19-Pandemie Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 103/20 Abschluss der Arbeit: 16. September 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 103/20 Seite 3 § 313 BGB1 normiert den Fall der Störung der Geschäftsgrundlage im allgemeinen Schuldrecht. § 313 Absatz 1 BGB lautet: „Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls , insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“2 Nach § 313 Absatz 2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. Gemäß § 313 Absatz 3 BGB kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder im Falle von Dauerschuldverhältnissen kündigen, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist. Die Frage, ob durch die COVID-19-Pandemie bedingte Entwicklungen im Bereich des Gewerbemiet - und Pachtrechts3 als Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB bewertet werden können und inwieweit § 313 BGB neben den im Rahmen der Pandemie geschaffenen besonderen Regelungen4 anwendbar ist, wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum derzeit rege erörtert. Ausführlich befasst sich etwa Göldner im als Anlage 1 beigefügten Beitrag „Die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB und deren Anwendung in der Corona-Krise“5 mit der Thematik. Er kommt zu dem Schluss, dass dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage eine bedeutende Rolle bei der Lösung der sich durch die COVID-19-Pandemie auftretenden Schwierigkeiten des Vertragsrechts zukommen werde.6 Schall stellt in seinem als Anlage 2 1 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juni 2020 (BGBl. I S. 1245) geändert worden ist. 2 Hervorhebung nicht im Original, Anm. d. Verf. 3 Gemäß § 582 Absatz 2 BGB sind auf den Pachtvertrag mit Ausnahme des Landpachtvertrags die Vorschriften über den Mietvertrag entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht aus den §§ 582 bis 584b BGB etwas anderes ergibt. 4 Vgl. insbesondere das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569). 5 Zeitschrift für Immobilienrecht (ZfIR) 2020, S. 403 ff. 6 Göldner a.a.O. S. 409. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 7 - 3000 - 103/20 Seite 4 beigefügten Beitrag „Corona-Krise: Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage bei gewerblichen Miet- und Pachtverträgen“7 unter anderem fest, dass das gegebenenfalls unabhängig von den behördlichen Schließungen eingetretene Ausleiben von Laufkundschaft infolge des Corona-bedingten Erlahmens des öffentlichen Lebens als besonderes Verwendungsrisiko von Ladenlokalen § 313 BGB unterfallen könne.8 Auch Kumkar und Voß konstatieren in ihrem als Anlage 3 beigefügten Beitrag „COVID-19 und das Institut der Geschäftsgrundlage“9, dass sich aus § 313 BGB in der COVID-19-Pandemie eine Pflicht zur Anpassung von Mietverträgen ergeben könne.10 Weidt und Schiewek betonen in ihrem als Anlage 4 beigefügten Beitrag „Geschäftsschließungen wegen Corona – mietrechtlich ein Fall des § 313 BGB?“11, dass die Grundsätze des § 313 BGB auch in der Corona-Krise grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen auf Gewerbemietverträge anwendbar seien, da das Verwendungsrisiko einer Mietsache hier grundsätzlich der Mieter trage.12 In diesem Sinne hat auch das LG Heidelberg in einem als Anlage 5 beigefügten Urteil13 die Anwendbarkeit von § 313 BGB im Falle der coronabedingten Schließung einer Filiale mit der Begründung verneint, einem Gewerbemieter sei die unveränderte Fortsetzung eines Vertrages nur dann unzumutbar, wenn er substantiiert darlege, dass andernfalls eine Existenzgefährdung oder eine vergleichbare wirtschaftliche Beeinträchtigung eintrete.14 * * * 7 Juristenzeitung (JZ) 2020, S. 388 ff. 8 Schall a.a.O. S. 396. So auch Krepold, Gewerbemietverträge in Zeiten der Corona-Pandemie, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM) 2020, S. 726 ff. 9 Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2020, S. 893 ff. 10 Kumkar/Voß a.a.O, S. 901 f. 11 Neue Juristische Online-Zeitschrift (NJOZ) 2020, S. 481 ff. 12 Weidt/Schieweck a.a.O. S. 484 f. (Hervorhebung nicht im Original, Anm. d Verf.). 13 LG Heidelberg, Urteil vom 30. Juli 2020 – 5 O 66/20, COVID-19 und Recht (COVuR) 2020, S. 541 ff. 14 LG Heidelberg a.a.O. S. 544 ff.