© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 097/20 Die Teilnahme ausländischer Unternehmen an Vergabeverfahren mit militärischem Bezug Rechtliche Einschränkungen in Bezug auf Geheimhaltungsinteressen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 2 Die Teilnahme ausländischer Unternehmen an Vergabeverfahren mit militärischem Bezug Rechtliche Einschränkungen in Bezug auf Geheimhaltungsinteressen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 097/20 Abschluss der Arbeit: 7. September 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundsätze der Auftragsvergabe im militärischen Bereich 5 3. Einschränkungen der Teilhabe an der öffentlichen Auftragsvergabe im militärischen Bereich 9 3.1. Kartellvergaberecht (Oberschwellenbereich) 9 3.1.1. Begriff des verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Auftrags 9 3.1.2. Rechtsfolgen 10 3.1.2.1. Formeller Ausschluss vom Vergabeverfahren 10 3.1.2.2. Besonderheiten bei der Gestaltung des Vergabeverfahrens 12 3.1.3. Rückausnahmen 14 3.1.3.1. Anwendungsbereich 14 3.1.3.2. Rechtsfolgen 17 3.2. Haushaltsvergaberecht (Unterschwellenbereich) 18 4. Fazit 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 4 1. Einleitung Das Vergaberecht regelt die Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen sowie die Vergabe von Konzessionen durch staatliche oder vom Staat beeinflusste Auftraggeber.1 Auch der Betrieb der Bundeswehr, etwa die Beschaffung neuer Ausrüstung, löst eine Vielzahl von Beschaffungsvorgängen mit teilweise hohen Volumina aus.2 Auch hierfür gilt grundsätzlich das Vergaberecht .3 Gesetzliches Ziel des Vergaberechts ist die Schaffung einer transparenten Wettbewerbssituation.4 Hiermit in Zusammenhang steht das vergaberechtliche Grundsatzgebot, alle potenziell an einem Vergabeverfahren Interessierten gleich zu behandeln.5 Nach dem gesetzgeberischen Willen ist im Vergaberecht eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft auszuschließen, wobei nicht zwischen Bietenden aus Deutschland, aus Staaten der Europäischen Union (EU) oder aus Nicht-EU- Staaten zu unterscheiden sei.6 Gleichzeitig vermag die Beschaffung von Militärgütern sensible nationale Interessen zu berühren . Bei Militärtechnik oder –anlagen handelt es sich oftmals um komplexe Technologie, deren Geheimhaltung wichtig für die Verteidigungsfähigkeit eines Staates sein kann. Insofern befinden sich die Grundsätze des Vergabeverfahrens mit nationalen Verteidigungsinteressen in einem potenziellen Spannungsfeld. Hieraus ergibt sich die Frage, ob sich hieraus rechtliche Konsequenzen ergeben – konkret ob es zu Situationen kommen kann, in denen ausländische Unternehmen nicht an Vergabeverfahren teilnehmen können. 1 Pünder/Buchholtz, in: Einführung in das Vergaberecht (Teil 1) − Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, Juristische Ausbildung (JURA) 2016, S. 1246. 2 So unterzeichnete etwa im Juni 2020 das Beschaffungsamt der Bundeswehr einen Vertrag mit einem Unternehmenskonsortium mit einem Volumen von rund sechs Milliarden Euro für den Bau von vier Mehrzweckkampfschiffen („Vertrag zum Bau der MKS 180 unterzeichnet“, Artikel vom 19. Juni 2020 auf der Internetseite des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), abrufbar unter: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/vertrag-baumks -180-unterzeichnet-268154 (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen: 7. September 2020)). 3 Conrad, in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 2. Auflage 2017, § 56, Randnummer 2. 4 § 97 Abs. 1 Satz 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. 2013 I S. 1750, berichtigt S. 3245), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 8 Gesetz zur Änderung des EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes sowie des Gesetzes über die Errichtung des Bundesamts für Justiz vom 25. Juni 2020 (BGBl. 2020 I S. 1474), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/. 5 § 97 Abs. 2 GWB. Die Norm spricht zwar nur von „Teilnehmern“; der umfassende Diskriminierungsschutz entfaltet jedoch in allen Phasen eines Vergabeprozesses Wirkung, ohne dass notwendigerweise ein Vergabeverfahren bereits förmlich in Gang gesetzt wurde (Dörr, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 97 Abs. 2 GWB, Randnummer 8 mit weiterem Nachweis). 6 Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 8. Oktober 2015, BT-Drs. 18/6281, S. 68, abrufbar unter : https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/062/1806281.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 5 2. Grundsätze der Auftragsvergabe im militärischen Bereich Inzwischen basieren gewichtige Teile des nationalen Vergaberechts auf europäischen Richtlinien .7 Zentral für die Auftragsvergabe in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ist hierbei die Richtlinie (RL) 2009/81/EG.8 Artikel 4 dieser Richtlinie sieht als Ausfluss des unionsprimärrechtlichen Diskriminierungsverbots vor: „Die Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor“.9 Laut der EU-Kommission seien in der Zeit vor Inkrafttreten der Richtlinie diese Punkte problembehaftet gewesen, denn die Mitgliedsstaaten hätten „fast automatisch die Vergabe von Aufträgen für militärische Ausrüstung von den EU-Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen “10 und hierbei in übermäßiger Weise von einer generellen Ausnahmevorschrift in den EU-Verträgen Gebrauch gemacht.11 Die in nationales Recht umzusetzenden europäischen Richtlinien regulieren jedoch nicht das gesamte mitgliedsstaatliche Vergaberecht, sondern sind nur anwendbar, falls der geschätzte Auftrags - oder Vertragswert EU-einheitliche Schwellenwerte überschreitet, den die EU-Kommission in verschiedenen Beschaffungsbereichen regelmäßig anpasst. Zurzeit liegt dieser im Anwendungsbereich der RL 2009/81/EG bei 428 000 Euro netto bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und 5 350 000 Euro netto bei Bauaufträgen.12 Ziel solcher Werte ist es, die EU-Binnenmarktrelevanz eines Auftrages abstrakt festzulegen, die eine Ausgestaltung durch EU-Vorschriften rechtfertigt .13 7 Vergleiche näher Dörr, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 97 Abs. 2 GWB, Randnummer 3. 8 Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (ABl. 2009 L 216 S. 76), zuletzt geändert durch Delegierte Verordnung (EU) 2019/1830 der Kommission vom 30. Oktober 2019 (ABl. 2019 L 279 S. 29) abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:02009L0081-20200101. 9 Hervorhebung im Zitat diesseits. 10 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG zur Vergabe öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit gemäß Artikel 73 Absatz 2 dieser Richtlinie vom 30. November 2016, KOM(2016) 762 endgültig, S. 2, abrufbar unter: https://op.europa .eu/de/publication-detail/-/publication/b05b7da1-b6f4-11e6-9e3c-01aa75ed71a1/language-de/format- PDF/source-147960399. 11 Gemeint war hiermit Art. 346 Abs. 1b Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – ex-Art. 296 Abs. 1b EG-Vertrag – in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. 2008 C 115 S. 47), zuletzt geändert durch Art. 2 Änderungsbeschluss 2012/419/EU vom 11. Juli 2012 (ABl. 2012 L 204 S. 131), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A12012E%2FTXT. 12 § 106 Abs. 2 Nr. 2 GWB in Verbindung mit Art. 8 RL 2009/81/EG (in aktueller Fassung, Fußnote 8). 13 Greb, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 106 GWB, Randnummer 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 6 In Fällen der Schwellenwertüberschreitung richtet sich das Vergabeverfahren im militärischen Bereich – mit noch zu erläuternden Modifikationen – nach dem sogenannten Kartellvergaberecht , den Vorschriften des vierten Teils (§§ 97 ff.) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Da diesen Normen größtenteils die Richtlinienumsetzung zufällt, sind sie stark europarechtlich geprägt. Entsprechend sind Ausschreibungen gemäß dem GWB auch im Verteidigungs - und Sicherheitsbereich grundsätzlich EU-weit in vorgeschriebenen Formen bekannt zu machen.14 Einzelheiten zum Kartellvergabeverfahren sind in zum GWB erlassenen Rechtsverordnungen geregelt : Bei öffentlichen Aufträgen oberhalb der entsprechenden Schwellenwerte ist dies im Allgemeinen die Vergabeverordnung (VgV),15 bei Bauaufträgen ist Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A-EU) einschlägig.16 Bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen (zum Begriff noch unter 3.1.) gelten jeweils spezielle Verordnungen: Maßgeblich ist dort allgemein die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV),17 bei Bauaufträgen aus diesem Bereich Abschnitt 3 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A-VS).18 14 § 18 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VSVgV) vom 12. Juli 2012 (BGBl. 2012 I S. 1509), zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik vom 25. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 674), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vsvgv/. 15 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) vom 12. April 2016 (BGBl. 2016 I S. 624), zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik vom 25. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 674), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vgv_2016/. 16 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Abschnitt 2 – Vergabebestimmungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU (VOB/A- EU), Ausgabe 2019, BAnz AT 19. Februar 2019 B2, 3), abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/Shared- Docs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/vob-a-2019-abschnitt-1-3.html. 17 Siehe bereits Fußnote 14. 18 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Abschnitt 3 – Vergabebestimmungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG (VOB/A-VS), Ausgabe 2019 (BAnz AT 19. Februar 2019 B2, 3), abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/vob-a-2019-abschnitt -1-3.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 7 Bei Unterschreiten der EU-Schwellenwerte findet hingegen prinzipiell das Haushaltsvergaberecht des Bundes und der Länder Anwendung.19 Aufgrund der Bundeszuständigkeit für die Bundeswehr 20 ist dort das haushaltsrechtliche Vergaberecht des Bundes maßgeblich, speziell die Bundeshaushaltsordnung (BHO).21 Die Einzelheiten des haushaltsrechtlichen Vergabeverfahrens des Bundes ergeben sich nicht aus dem GWB oder hierzu erlassenen Rechtsverordnungen, sondern aus speziellen Verwaltungsvorschriften, deren Geltung die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) herausgegebenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur BHO (VV-BHO) vorsehen :22 Bei der Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge ist dies die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO),23 bei der Vergabe von Bauleistungen Teil A Abschnitt 1 der Vergabeund Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A).24 Die Verwaltungsvorschriften orientieren sich inhaltlich und strukturell an den Bestimmungen des Kartellvergaberechts.25 Insofern handelt es sich gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 BHO ebenfalls grundsätzlich um ausschreibungspflichtige Vergabeverfahren, wobei den Behörden aufgrund der finanziellen Geringfügigkeit der Aufträge in bestimmten Bereichen ein größerer Spielraum gewährt wird: So muss infolge des nationalen Charakters des Haushaltsrechts keine EU-weite Be- 19 Groß, in Gröpl, Bundeshaushaltsordnung/Landeshaushaltsordnungen, 2. Auflage 2019, § 55 BHO, Randnummern 5 ff. 20 Vergleiche Art. 87a, b Grundgesetz (GG) vom 23. Mai 1949 (BGBl. 1949 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 Änderungsgesetz (Art. 72, 105, 125b) vom 15. November 2019 (BGBl. 2019 I S. 1546), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/. 21 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 1969 (BGBl. 1969 I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 212 Elfte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I S. 1328), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bho/. 22 Zu § 55 Nr. 2 Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung (VV-BHO) vom 14. März 2001 (GMBl. 2001 Nr. 16/17/18, S. 307) in der Fassung des BMF-Rundschreibens vom 25. März 2020 - II A 3 - H 1012-6/19/10001 :003, DOK 2019/0782102 -, abrufbar unter: https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet .de/bsvwvbund_14032001_DokNr20110981762.htm. 23 Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO), Ausgabe 2017 (BAnz AT 7. Februar 2017 B1, berichtigt 8. Februar 2017 B1), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/unterschwellenvergabeordnung -uvgo.html. 24 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Abschnitt 1 – Basisparagrafen (VOB/A), Ausgabe 2019 (BAnz AT 19. Februar 2019 B2, 3), abrufbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/bauen/vob-teil-aabschnitt -1-2019.html. 25 Siehe etwa die Bekanntmachung der Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO), Ausgabe 2017 (BAnz AT 7. Februar 2017 B1, berichtigt 8. Februar 2017 B1), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion /DE/Artikel/Service/unterschwellenvergabeordnung-uvgo.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 8 kanntmachung in der Weise erfolgen, wie das im Kartellvergaberecht der Fall ist. Stattdessen fordert das Haushaltsvergaberecht eine Bekanntmachung auf geeigneten Internetportalen des Bundes .26 Auch im Haushaltsvergaberecht gilt jedoch stets der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; insbesondere dürfen staatliche Stellen nicht willkürlich handeln.27 Falls an dem Auftrag trotz des Nichterreichens der EU-Schwellenwerte ein „eindeutig grenzüberschreitendes Interesse“ besteht, fordert der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch in diesen Fällen in ständiger Rechtsprechung die Berücksichtigung der Grundfreiheiten der EU-Verträge.28 Hieraus folgen etwa umfassende Diskriminierungsverbote im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit.29 Hierbei ist klarzustellen, dass die vorliegende Ausarbeitung sich auf die spezialgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen an die öffentliche Hand beschränkt. Nicht Gegenstand ist hingegen ist die hiervon zu unterscheidende Frage, inwieweit betroffene Unternehmen in diesem Zusammenhang vor deutschen oder europäischen Gerichten tatsächlichen Rechtsschutz erlangen könnten. Speziell soweit es sich um Gesellschaften aus Nicht-EU-Staaten handelt, kann dies zweifelhaft sein.30 Zudem wird auf die Behandlung der Problematik verzichtet, wie überhaupt die „Staatsangehörigkeit“ einer Gesellschaft bestimmt werden kann.31 In jedem Fall gelten der Gleichheitsgrundsatz und das Nichtdiskriminierungsgebot weder im deutschen noch europäischen Recht absolut, sondern bedeuten allein, dass jede staatliche Ungleichbehandlung der sachlichen Rechtfertigung bedarf.32 Im Vergaberecht ist unter dem Gesichtspunkt von Geheimhaltungsinteressen auch im Militärbereich das Verfahren der Vergabe 26 § 28 UVgO; § 12 VOB/A. Insbesondere wird dort auf www.service.bund.de abgestellt. 27 BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 – 1 BvR 1160/03 –, Randnummern 64 ff. (zitiert nach juris). 28 Zuletzt EuGH, Urteil vom 04. April 2019 – C-699/17 –, Randnummer 49 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen (zitiert nach juris). 29 Insgesamt hierzu Burgi, Vergaberecht – Systematische Darstellung für Praxis und Ausbildung, 2. Auflage 2018, § 3, Randnummern 24 ff. 30 So sind gemäß des Wortlauts von Art. 19 Abs. 3 GG von vornherein die Grundrechte nur auf inländische juristische Personen anwendbar. Das BVerfG hat die Grundrechtsfähigkeit von EU-ausländischen juristischen Personen jedoch in gewissen Grenzen anerkannt (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 –, (zitiert nach juris)). Weiter ist die Einbeziehung von Rechtssubjekten außerhalb der EU in den Schutzbereich der Grundfreiheiten der EU-Verträge problematisch (Überblick bei Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 18 AEUV, Randnummern 18 ff.). 31 Für das deutsche Verfassungsrecht näher Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Randnummern 296 ff. 32 Für Art. 3 Abs. 1 GG etwa ausführlich Wollenschläger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz – Kommentar , Band 1, 7. Auflage 2018, Art. 3 GG, Randnummern 84 ff; für das allgemeine europäische Nichtdiskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV etwa Rossi, in: Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 26. Edition (Stand: 1. Juli 2020), Art. 18 AEUV, Randnummern 32 ff. Entsprechend gestattet auch etwa der Gleichheitsgrundsatz des GWB (§ 97 Abs. 2) Ungleichbehandlungen, soweit sie aufgrund des GWB ausdrücklich geboten oder gestattet sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 9 von öffentlichen Aufträgen in Einschränkung von dessen Grundsätzen modifiziert. Hierbei erfolgt zwar keine pauschale Anknüpfung an die Nationalität; verschiedene allgemein mögliche Beschränkungen können jedoch an verschiedener Stelle auch ausländischen Unternehmen die Erlangung eines öffentlichen Auftrags im militärischen Bereich erschweren oder gar unmöglich machen . 3. Einschränkungen der Teilhabe an der öffentlichen Auftragsvergabe im militärischen Bereich 3.1. Kartellvergaberecht (Oberschwellenbereich) 3.1.1. Begriff des verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Auftrags Im militärischen Bereich sind mehrere unmittelbare oder mittelbare Einschränkungen für (ausländische ) Unternehmen denkbar, die auf staatlichen Geheimhaltungsinteressen fußen. Zentral für deren Verständnis ist hierbei die Definition des Rechtsbegriffes der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge. Dieser wird im Kartellvergaberecht (§ 104 GWB) gesetzlich definiert und entspricht inhaltlich dem in Art. 2 RL 2009/81/EG festgelegten allgemeinen Anwendungsbereich der Richtlinie. Öffentliche Aufträge33 sind verteidigungs- oder sicherheitsspezifisch, wenn deren Auftragsgegenstand mindestens eine der folgenden Leistungen umfasst: die Lieferung von Militärausrüstung,34 einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze, die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages35 vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze, Liefer-, Bau- und Dienstleistungen36 in unmittelbarem Zusammenhang mit der genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung, 33 Eine nähere Definition von öffentlichen Aufträgen findet sich in § 103 Abs. 1 GWB. 34 „Militärausrüstung“ ist jede Ausrüstung, die eigens zu militärischen Zwecken konzipiert oder für militärische Zwecke angepasst wird und zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt ist (§ 104 Abs. 2 GWB). 35 Ein „Verschlusssachenauftrag“ im Sinne dieser Vorschrift ist ein Auftrag im speziellen Bereich der nicht-militärischen Sicherheit, der ähnliche Merkmale aufweist und ebenso schutzbedürftig ist wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung oder wie Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke, und bei dessen Erfüllung oder Erbringung Verschlusssachen nach § 4 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz – SÜG) oder nach den entsprechenden Bestimmungen der Länder verwendet werden oder der solche Verschlusssachen erfordert oder beinhaltet (§ 104 Abs. 3 GWB). 36 Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge werden näher in § 103 Abs. 2 – 4 GWB definiert. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 10 Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen , die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages vergeben werden. Wie sich aus der amtlichen Definition des Verschlusssachenauftrages ergibt, ist die Klassifizierung von Vorgängen als Verschlusssachen als Grundvoraussetzung für einen Verschlusssachenauftrag Sache der Mitgliedsstaaten.37 Hieraus zeigt sich beispielhaft, dass im Einzelfall nicht unerhebliche nationale regulatorische Spielräume verbleiben.38 3.1.2. Rechtsfolgen Falls ein verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Auftrag im Sinne obiger Definition zu bejahen ist, ordnen die §§ 144 ff. GWB die grundsätzliche Geltung des Kartellvergaberechts in modifizierter Form an. 3.1.2.1. Formeller Ausschluss vom Vergabeverfahren Auch für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge gilt prinzipiell der im Vergaberecht vorherrschende Grundsatz, dass für den Zuschlag ein Unternehmen geeignet sein muss und keine Ausschlussgründe vorliegen dürfen.39 Dementsprechend herrschen auch bei verteidigungs - oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen die im Vergaberecht allgemein geltenden zwingenden oder fakultativen Ausschlussgründe vor, die vor allem an vergangenes (Fehl-)Verhalten anknüpfen.40 Dies kann bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen etwa der Fall sein bei vorherigem Verstoß gegen geltende Rechtsvorschriften über die Ausfuhr von Verteidigungs- und/oder Sicherheitsgütern beziehungsweise bei Pflichtverletzungen hinsichtlich der Informations- oder Versorgungssicherheit im Rahmen eines früheren Auftrages.41 Bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen kommt daneben ein zusätzlicher fakultativer Ausschlussgrund in Betracht: So können öffentliche Auftraggeber gemäß § 147 GWB im Einzelfall Unternehmen von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, 37 Art. 1 Abs. 8 RL 2009/81/EG beschränkt sich in diesem Punkt auf eine allgemeine Definition des Begriffes „Verschlusssachen “. 38 Höfler, Beschaffung und Betrieb von Waffensystemen im Spannungsfeld von Vergabe- und Beihilfenrecht, in: Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau) 2015, S. 736, 737 mit weiterem Nachweis. 39 § 147 Satz 1 in Verbindung mit §§ 122 ff. GWB. 40 §§ 123 ff. GWB. 41 Gesetzesbegründung (Fußnote 6), S. 127 zu § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB unter Hinweis auf Art. 39 Abs. 2c, d RL 2009/81/EG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 11 wenn diese „nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweisen, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen“.42 Der Ausschlussgrund entspricht inhaltlich ebenfalls Vorgaben aus der RL 2009/81/EG.43 Nach Ansicht des europäischen Gesetzgebers können diese Risiken mit bestimmten Merkmalen der von Bewerbenden gelieferten Produkte oder mit der Gesellschaftsstruktur der Bewerbenden zusammenhängen .44 Juristische Literaturstimmen erwähnen im Hinblick auf die gelieferten Produkte etwa beispielhaft die nicht auszuschließende Gefahr, dass gelieferte Software Einbruchstellen für Dritte enthalte, weil dies bei dem interessierten Unternehmen bereits in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. In Bezug auf die Gesellschaftsstruktur eines Unternehmens sei eine entsprechende Gefahr, dass eine Beteiligung von Staaten oder diesen nahestehenden Unternehmen bestehe, die ein sicherheitsrelevantes Eigeninteresse an den auftragsspezifischen Informationen haben könnten.45 Auch die Fähigkeit der Erfüllung der Informations- und Versorgungssicherheit hat der europäische Gesetzgeber als essenziell für die Vertrauenswürdigkeit beschrieben.46 Aus den die Vertrauenswürdigkeit beeinträchtigenden Umständen müssen zudem in einem zweiten Schritt potenzielle Risiken für die nationale Sicherheit folgen können – nicht unbedingt bereits bestehen. Verschiedene Autoren im juristischen Schrifttum sprechen sich für eine weite Auslegung des Begriffes der nationalen Sicherheit aus, der sowohl die innere als auch äußere Sicherheit umfassen soll.47 Während es bei der inneren Sicherheit um den Schutz vor Bedrohungen von innen (z. B. Terrorismus, organisierte Kriminalität) gehe, betreffe die äußere Sicherheit den Schutz vor militärischen Bedrohungen.48 Der Nachweis, dass Risiken für die nationale Sicherheit nicht auszuschließen sind, kann hierbei auch mit Hilfe „geschützter Datenquellen“ erfolgen.49 Hierunter sind Informationen von Geheimdiensten oder Sicherheitsbehörden zu verstehen, deren Offenlegung im gerichtlichen Verfahren verweigert werden kann.50 42 § 147 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 1 GWB. Hervorhebung im Zitat diesseits. 43 Art. 39 Abs. 2e RL 2009/81/EG. 44 Erwägungsgrund 65 der RL 2009/81/EG. 45 Von Wietersheim, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 147 GWB, Randnummern 12, 13. 46 Erwägungsgrund 67 der RL 2009/81/EG. 47 Von Wietersheim, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 147 GWB, Randnummer 15; Müller, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Auflage 2018, § 147 GWB, Randnummer 17. 48 Müller, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Auflage 2018, § 147 GWB, Randnummer 17. 49 § 147 Satz 2 GWB. 50 Schellenberg, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, 3. Auflage 2019, § 147 GWB, Randnummer 5 mit weiteren Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 12 Die Besonderheit des speziellen Ausschlussgrundes bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge besteht in seiner stark präventiven Orientierung, was – wie das Beispiel der Gesellschaftsstruktur zeigt – nicht einmal unmittelbar vorwerfbare Fehlhandlungen verlangt .51 Dies verleiht öffentlichen Auftraggebern gewichtige gesetzliche Befugnisse des Ausschlusses von Unternehmen, nach einzelnen Literaturstimmen vor allem gegenüber solchen unter direkter oder indirekter Beteiligung ausländischer Staaten.52 Zu berücksichtigen ist jedoch in jedem Falle der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.53 Hiernach hat das staatliche Handeln im Einzelfall einen legitimen Zweck zu verfolgen, zur dessen Erreichung die Maßnahme geeignet und erforderlich zu sein hat und in der Schwere nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg stehen darf.54 Im Übrigen gewährleisten §§ 6, 7 VSVgV, die auch für Bauaufträge gelten,55 speziell für Verschlusssachenaufträge einen besonderen Vertraulichkeitsschutz während des Vergabeprozesses .56 Die Nichterfüllung der dortigen Voraussetzungen kann ebenfalls unter Umständen zum Ausschluss vom Vergabeverfahren führen.57 3.1.2.2. Besonderheiten bei der Gestaltung des Vergabeverfahrens Über den formalen Ausschluss vom Vergabeverfahren hinaus kann auch dessen Gestaltung weitreichenden Einfluss auf den Kreis der für eine Auftragsvergabe in Betracht kommenden haben. So kennt das GWB verschiedene, sich in der Offenheit gegenüber Marktbeteiligten stark unterscheidende Arten eines Vergabeverfahrens.58 Bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen sind dies wahlweise das „nicht offene Verfahren“ und das „Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb“ – in besonderen Fällen auch das „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ und der „wettbewerbliche Dialog“.59 Zur schrittweisen Erläuterung 51 So auch von Wietersheim, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 147 GWB, Randnummer 16. 52 Siehe bereits Fußnote 45. 53 § 147 GWB verweist insofern auf § 124 Abs. 1 GWB, der die Verhältnismäßigkeit nennt. Im Übrigen ordnet auch § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB die generelle Beachtung dieses Grundsatzes an. 54 Weber/Werner, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 24. Auflage 2020, Stichwort: „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“. 55 § 2 Abs. 2 VOB/A-VS. 56 Siehe für die Definition von Verschlusssachen bereits Fußnote 35. Im Übrigen ausführlich Krohn, in: Gabriel /Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 2. Auflage 2017, § 59. 57 § 7 Abs. 5 VSVgV. 58 Siehe Aufzählung in § 119 GWB. 59 § 146 GWB. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 13 der unterschiedlichen Verfahrensabläufe wird im Übrigen auf ein bereits veröffentlichtes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste Bezug genommen.60 Im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb findet beispielsweise auch im Kartellvergabeverfahren keine EU-weite Ausschreibung statt.61 Stattdessen wendet sich die öffentliche Hand direkt an ausgewählte Unternehmen, um mit diesen zu verhandeln.62 Dieses Vergabeverfahren ist jedoch nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig, die in den für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge einschlägigen Rechtsverordnungen VSVgV beziehungsweise VOB/A-VS aufgezählt sind.63 Beispielhaft ist ein Teilnahmewettbewerb entbehrlich, wenn der Auftrag wegen seiner technischen Besonderheiten oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten, wie z. B. des Patent- oder Urheberrechts, nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann.64 Der Tatbestand wurde wiederholt durch die für die Bundeswehr zuständigen Beschaffungsbehörden genutzt, wie eine Vielzahl hierzu ergangener Gerichtsentscheidungen belegt.65 In Rahmen des Schutzes von Patent- und Urheberrechten sollte hierdurch etwa die unbefugte Kenntniserlangung der Funktionsweise bestimmter Erfindungen von Unternehmen für die Bundeswehr vor Konkurrenten verhindert werden .66 Nach welchen Kriterien sich die Auswahl dieser Bewerber richtet, hängt vom Einzelfall ab.67 In jedem Fall erweitern die wegfallenden Formalitäten dieses Vergabeverfahrens den Handlungsspielraum der Beschaffungsverwaltung nicht unerheblich. Dies kann sich im Gegenzug nachteilig auf die Teilhabemöglichkeiten einzelner Unternehmen auswirken. Unzweifelhaft ist allerdings auch, dass sich die Beschaffungsverwaltung – neben den allgemeinen grundgesetzlichen Vorgaben – weiter im Geltungsbereich der RL 2009/81/EG befindet und dementsprechend deren 60 „Das Vergabeverfahren bei Rüstungsaufträgen“, WD 7 – 3000 – 083/17 (Ausarbeitung vom 3. Juli 2017), S. 11 ff., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/525216/c62819ac9301ea5d922e85a46fbc9c2c/WD-7- 083-17-pdf-data.pdf. 61 Dies ist bei den sonstigen Vergabeverfahren auch im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich vorgesehen, § 18 VSVgV. 62 § 119 Abs. 5 GWB. 63 § 11 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 12 VSVgV; § 3a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VOB/A-VS. 64 § 12 Abs. 1 Nr. 1c VSVgV; § 3a Abs. 3 Nr. 3 VOB/A-VS. Eine inhaltlich vergleichbare Ausnahme ermöglicht im Übrigen auch im allgemeinen Kartellvergaberecht Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, siehe § 14 Abs. 4 Nr. 2b, c VgV. 65 Vergleiche im Einzelnen Glawe, in: Beck’scher Online-Kommentar Vergaberecht, 16. Edition (Stand: 31. Mai 2020), § 12 VSVgV, Randnummern 29 ff. 66 In einem Fall vor der zweiten Vergabekammer des Bundes ging es etwa um Verfahranlagen für Bordhubschrauber und Hangartore: Bundeskartellamt Bonn, Beschluss vom 07. Dezember 2015 – VK 2 - 105/15 –, (zitiert nach juris). 67 Näher Butler, in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 2. Auflage 2017, § 10, Randnummer 80. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 14 Gleichbehandlungsgrundsätze zu beachten hat.68 Inwieweit ausländische Unternehmen durch fehlenden Teilnahmewettbewerb dennoch faktisch stärker als inländische getroffen sein können, ist eine Praxisfrage und kann nicht abstrakt durch die Wissenschaftlichen Dienste beurteilt werden . 3.1.3. Rückausnahmen Von der grundsätzlichen Geltung des Kartellvergaberechts im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich werden jedoch in Form einer Rückausnahme im GWB einige Fallgestaltungen von dessen Anwendungsbereich ausgenommen, die unter anderem auch nationale Geheimhaltungsinteressen betreffen. 3.1.3.1. Anwendungsbereich Auch die Rückausnahmen basieren weitestgehend auf regulatorischen Vorgaben durch EU-Richtlinien . Teils nehmen die Rückausnahmen auf den Begriff der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge Bezug, teils reichen sie weiter. Im Einzelnen:69 Zunächst nimmt § 145 GWB bestimmte verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts aus.70 Insofern müssen öffentliche Aufträge zur Anwendung dieser Norm unter die bereits unter 3.1. dargestellte Definition fallen. Unter die Rückausnahme fallen etwa verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge , die den Zwecken nachrichtendienstlicher Tätigkeit dienen.71 Hierzu zählen nach der RL 2009/81/EG sowohl Beschaffungen durch Nachrichtendienste als auch solche zur Abwehr nachrichtendienstlicher Tätigkeiten.72 Unter den Begriff der Nachrichtendienste fällt einer Literaturstimme zufolge der Militärische Abschirmdienst, nicht jedoch die Bundeswehr insgesamt. Letztere könne unter der Fallgruppe nur Beschaffungen zur Abwehr fremder Nachrichtendienste 68 Art. 4 RL 2009/81/EG. 69 Aufgrund deren geringen Praxisrelevanz (Krohn, in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 2. Auflage 2017, § 57, Randnummer 47) werden Rückausnahmen in Bezug auf Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (zum Konzessionsbegriff: § 105 GWB) hier nicht näher behandelt. Sie finden sich in § 150 GWB. 70 § 145 GWB. Entgegen ihrer systematischen Stellung enthält die Norm dabei einen Anwendungsausschluss des gesamten Kartellvergaberechts (Müller, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Auflage 2018, § 145 GWB, Randnummer 1). 71 § 145 Nr. 1 GWB in Umsetzung von Art. 3 Buchstabe b RL 2009/81/EG (Gesetzesbegründung (Fußnote 6), S. 126). 72 Erwägungsgrund 27 der RL 2009/81/EG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 15 tätigen.73 Erforderlich ist in jedem Fall ein enger Zusammenhang des Auftragsgegenstandes zur nachrichtendienstlichen Tätigkeit beziehungsweise zu dessen Abwehr.74 Eine weitere relevante Rückausnahme ergibt sich für bestimmte verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen.75 Die zugrundeliegende Richtlinie fasst hierunter Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung . Eine weitere Erläuterung dieser Begriffe erfolgt in deren Erwägungsgründen.76 Die deutsche Gesetzesbegründung nennt hierbei ausdrücklich Beispiele aus dem „Common Procurement Vocabulary “ (CPV), einem EU-weit einheitlichen Standard zur Klassifizierung einzelner Leistung im öffentlichen Beschaffungswesen.77 Namentlich sind dies Forschung und Entwicklung für Sicherheits - und Verteidigungsgüter (CPV-Referenznummer: 73400000-6) oder Militärforschung und – technologie (73410000-9).78 Nach den Erwägungsgründen der betreffenden Richtlinie stehen hierbei jedoch weniger Geheimhaltungsinteressen als die allgemeine, vom Herstellungsprozess abgekoppelte Forschungsförderung im Vordergrund.79 Weiter sieht das GWB auch Rückausnahmen für Sachverhalte vor, die nicht unter die in 3.1. genannte Definition eines verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Auftrages und somit nicht unter die RL 2009/81/EG fallen, allerdings trotzdem Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen.80 Es handelt sich somit um einen Auffangtatbestand. Relevant in Bezug auf Geheimhaltungsinteressen ist die Alternative: „…falls die Vergabe und die Ausführung des Auftrags für geheim erklärt werden oder nach den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern; Voraussetzung hierfür ist eine Feststellung darüber, dass die betreffenden wesentlichen Interessen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewähr- 73 Antweiler, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 145 GWB, Randnummer 7. 74 Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2016 – VII-Verg 46/15 –, Randnummer 33 mit weiteren Nachweisen (zitiert nach juris). 75 § 145 Nr. 6 GWB in Umsetzung von Art. 13 Buchstabe j RL 2009/81/EG (Gesetzesbegründung (Fußnote 6), S. 126). 76 Erwägungsgrund 13 der RL 2009/81/EG. 77 Ausführliche Erläuterung abrufbar unter: https://simap.ted.europa.eu/de/cpv. 78 Die Gesetzesbegründung zu § 145 Nr. 6 GWB (Fußnote 6, S. 126) verweist insoweit auf die Begründung zum weitgehend inhaltsgleichen § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB (Ebenda, S. 94). 79 „Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung in diesem speziellen Bereich rechtfertigt ein Maximum an Flexibilität bei der Auftragsvergabe für Forschungslieferungen und -dienstleistungen.“ (Erwägungsgrund 55, Satz 2 der RL 2009/81/EG). 80 § 117 GWB. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 16 leistet werden können, zum Beispiel durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen“.81 Für die weiteren Einzelheiten sind die deutschen Geheimschutzvorschriften maßgeblich.82 Eine allgemeine Rückausnahme für alle öffentlichen Aufträge ist gegeben, bei denen die Anwendung die öffentliche Hand dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe ihrer Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 346 Abs. 1a AEUV widerspricht .83 Art. 346 Abs. 1a AEUV besagt allgemein, dass ein Mitgliedsstaat nicht verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht. Was unter „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ zu verstehen ist, sei der Gesetzesbegründung zufolge nicht abstrakt definiert, sondern könne nur durch eine Einzelfallprüfung eines öffentlichen Auftrages bestimmt werden.84 Die Rechtsprechung verlangt hierbei vom Auftraggeber die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob den Sicherheitsinteressen nicht durch besondere Vorkehrungen im Vergabeverfahren Genüge getan werden könne.85 Zudem sind nach dem GWB-Wortlaut alle Sachverhalte von seinem Anwendungsbereich ausgeschlossen , die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Abs. 1b AEUV unterliegen.86 Die AEUV-Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut wiederum eröffnet, wenn a. Gegenstand des Auftrags die Beschaffung von oder der Handel mit Waffen, Munition oder Kriegsmaterial ist, b. wesentliche Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaates berührt werden, c. sich der Mitgliedstaat auf den Ausnahmetatbestand berufen hat und d. diese Maßnahmen die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren auf den gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigen.87 81 § 117 Nr. 3 GWB. Hervorhebung im Zitat diesseits. 82 Nähere Informationen bei Otting, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 117 GWB, Randnummern 14 ff. 83 § 107 Abs. 2 Nr. 1 GWB sowie inhaltsgleich § 117 Nr. 1 und 2 GWB. Vergleiche auch den im Wesentlichen gleichlautenden Art. 13 Buchstabe a) RL 2009/81/EG. 84 Gesetzesbegründung (Fußnote 6), S. 79. 85 Rechtsprechungsnachweise bei Stein/Terbrack in: Beck’scher Online-Kommentar Vergaberecht, 17. Edition (Stand: 31. Oktober 2019), § 107 GWB, Randnummer 54. 86 § 107 Abs. 2 Nr. 2 GWB. 87 Zusammenstellung nach Antweiler, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 107 GWB, Randnummer 47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 17 Die Auslegung der Vorschrift im Einzelnen ist umstritten.88 Wie bei jeder Rückausnahme bedürfte es einer genauen Einzelfallprüfung. Allgemein kann lediglich festgehalten werden, dass die umfassend auf europarechtlichen Vorgaben basierenden Ausnahmevorschriften nach ständiger Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen sind.89 3.1.3.2. Rechtsfolgen Welche Rechtsfolgen die Bejahung einer Rückausnahme im Oberschwellenbereich nach sich zieht, ist nicht abschließend gesetzlich geregelt. Durch den Wortlaut der Ausnahmen wird lediglich deutlich, dass §§ 97 ff. GWB das Kartellvergaberecht keine Anwendung findet. Offen bleibt hierdurch jedoch, ob solche Aufträge dennoch unter die grundsätzliche Ausschreibungspflicht des Haushaltsvergaberechts im Sinne einer allgemeinen Rückfallregelung fallen oder gänzlich freihändig vergeben werden können. Im Ergebnis sehen Verwaltungsvorschriften letzteres in der Regel vor: § 55 BHO als zentrale Norm des Haushaltsvergaberechts des Bundes trifft hierzu zwar keine Regelung, sondern sieht in seinem Abs. 1 Satz 1 lediglich allgemein Ausnahmen von der allgemeinen Ausschreibungspflicht bei Rechtfertigung durch die Natur des Geschäfts oder besonderen Umständen vor. Zu § 55 Nr. 2 VV-BHO sieht jedoch die Anwendung der genaueren Regeln für die Ausgestaltung des Haushaltsvergabeverfahrens, die UVgO und die VOB/A, nur vor, soweit die einschlägigen EU-Schwellenwerte nicht erreicht sind. In den Fällen der Schwellenwertüberschreitung und somit Nichtanwendbarkeit dieser Verwaltungsvorschriften regelt Zu § 55 Nr. 3 VV-BHO, dass eine Ausnahme von der haushaltsrechtlichen Ausschreibungspflicht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 BHO insbesondere bei den die erläuterten Rückausnahmefallgruppen aus dem GWB angenommen werden kann. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Beschaffungsverwaltung auch bei der Direktvergabe öffentlicher Aufträge weiter allgemeinen rechtlichen Bindungen unterliegt. So gelten zunächst die allgemeinen haushaltsrechtlichen Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.90 Auch bei Vorliegen einer der erläuterten GWB-Rückausnahmen kann sich dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) zufolge „bei binnenmarktrelevanten öffentlichen Aufträgen […] die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung aus dem primären europäischen Gemeinschaftsrecht ergeben“.91 88 Weitergehende Informationen etwa bei Stein/Terbrack in: Beck’scher Online-Kommentar Vergaberecht, 17. Edition (Stand: 31. Oktober 2019), § 107 GWB, Randnummern 55 ff. 89 Zuletzt EuGH, Urteil vom 20. März 2018 – C-187/16 –, Randnummer 77 mit weiteren Nachweisen (zitiert nach juris). Im Übrigen sieht Art. 11 RL 2009/81/EG ein „Umgehungsverbot“ der Ziele der Richtlinie vor. 90 Zu § 55 Nr. 3 Satz 2 VV-BHO. Siehe auch § 7 Abs. 1 Satz 1 BHO. 91 Vergleiche im Zuge der Nichtanwendbarkeit der UVgO: BMWi, Bekanntmachung der Erläuterungen zur Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU- Schwellenwerte (UVgO) – Ausgabe 2017 – vom 2. Februar 2017 (BAnz AT 07. Februar 2017 B2), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/U/unterschwellenvergabeordnung-uvgo-erlaeuterungen.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 18 3.2. Haushaltsvergaberecht (Unterschwellenbereich) Wie aus der bisherigen Darstellung ersichtlich, kann das Haushaltsvergaberecht auch bei verteidigungs - oder sicherheitsspezifischen oder sonstigen militärbezogenen öffentlichen Aufträgen zur Anwendung kommen, soweit die einschlägigen EU-einheitlichen Schwellenwerte nicht erreicht werden. Aus den bereits beschriebenen Grundsätzen des deutschen Verfassungs- und europäischen Primärrechts folgt, dass im Zuge des Gleichbehandlungs-/Nichtdiskriminierungsgebots sich auch ausländische Unternehmen in Vergabeverfahren bewerben können und je nach Eignung auch Berücksichtigung finden müssen.92 Dies gilt trotz des „nationalen“ Charakters des Haushaltsvergabeverfahrens mit der Bekanntmachung lediglich auf einer „nationalen“ Internetseite. Inwieweit sich hier tatsächliche Nachteile für ausländische Unternehmen ergeben, etwa hinsichtlich der Erlangung von Informationen über laufende Vergabeverfahren, ist eine Praxisfrage, zur der die Wissenschaftlichen Dienste keine Stellung beziehen können. Allerdings gibt es auch Einschränkungen für ausländische Unternehmen bei der Auftragsvergabe im Haushaltsvergaberecht. In der UVgO – somit für Liefer- und Dienstleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte – gilt für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge analog zum GWB der spezielle fakultative Ausschlussgrund der fehlenden Vertrauenswürdigkeit, die Risiken für die nationale Sicherheit nicht ausschließen lassen.93 Darüber hinaus sieht etwa § 1 Abs. 2 UVgO die eigene Nichtanwendbarkeit im Unterschwellenbereich bei Sachverhalten vor, die unter anderem den erläuterten Rückausnahmen zur Durchführung förmlicher Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich entsprechen (siehe bereits unter 3.1.3). Dementsprechend entfällt auch im Unterschwellenbereich in diesen Fällen ein solches Vergabeverfahren. Der bereits mehrfach beschriebene allgemeine Rechtsrahmen bleibt dennoch weiter zu beachten.94 Im Übrigen sieht auch das Haushaltsvergaberecht in besonderen Fällen Vergabeverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vor.95 Die Ausnahmen orientieren sich mit leichten Abweichungen dabei am Kartellvergaberecht.96 Die einschlägigen Bestimmungen nennen hierbei im Unterschied zum Kartellvergaberecht unter den Gründen, die einen Teilnahmewettbewerb entbehrlich machen, explizit auch Geheimhaltungsinteressen.97 92 Für das Haushaltsvergabeverfahren so explizit auch § 2 Abs. 2 UVgO und § 2 Abs. 2 VOB/A. 93 § 51 Abs. 4 UVgO. Siehe zum Ausschlussgrund der fehlenden Vertrauenswürdigkeit bereits 3.1.2.1. 94 Vergleiche bereits die speziell auch für den Unterschwellenbereich einschlägige Erläuterung des BMWi (Fußnote 91). 95 § 8 Abs. 3, 4 UVgO; § 3a Abs. 2, 3 VOB/A. 96 Siehe hierzu bereits 3.1.2.2. 97 § 8 Abs. 4 Nr. 15 UVgO; § 3a Abs. 2 Nr. 3 VOB/A. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 097/20 Seite 19 4. Fazit Das Vergaberecht gilt grundsätzlich auch für den militärischen Bereich. Der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Nichtdiskriminierungsgebot sind bei Vergaben in diesem Sektor ebenso zu beachten . Nichtsdestotrotz existiert insbesondere aus nationalen Geheimhaltungsinteressen eine Vielzahl verschiedenartiger Teilnahmebeschränkungen an Vergabeverfahren in Bezug auf militärisch geprägte Aufträge. Diese können im Einzelfall auch ausländische Unternehmen treffen. ***