© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 096/20 Die Auswertung von auf digitalen Endgeräten gespeicherten Chatverläufen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Strafverfahrensrechtliche Rahmenbedingungen unter besonderer Berücksichtigung von Zeugnisverweigerungsrechten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Grenzen der Durchsicht bei Beschlagnahmeverboten 5 2.3. Sicherstellung und Beschlagnahme 6 2.4. Zufallsfunde 7 3. Beschlagnahmeverbot zum Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts 8 3.1. Grundsätze 8 3.2. Besonderheiten bei Abgeordneten 9 4. Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 4 1. Einleitung Wird im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen das Mobiltelefon eines Beschuldigten ausgewertet und finden sich hierauf gespeicherte Messengerdienste-Chatverläufe, die Hinweise auf weitere, nicht mit dem ursprünglichen Tatvorwurf zusammenhängende Straftaten des Beschuldigten oder seines Kommunikationspartners ergeben, kann dies die Frage nach der Verwertbarkeit dieser Erkenntnisse aufwerfen. Handelt es sich bei dem Kommunikationspartner um eine zeugnisverweigerungsberechtigte Person, ist zudem von Interesse, ob sich daraus ein Verwertungsverbot ergeben kann. Nachfolgend werden strafverfahrensrechtliche Implikationen dieser Fragestellung beleuchtet.1 2. Allgemeine strafprozessuale Rahmenbedingungen 2.1. Durchsicht Im Rahmen der Durchsuchung einer Wohnung (§§ 102, 103 StPO2) können die Strafverfolgungsbehörden verschiedene (potentielle) Beweismittel, wie etwa Datenträger und digitale Endgeräte, auffinden. Diese werden vor Ort oder nach einer vorläufigen Sicherstellung im Verfahren der Durchsicht nach § 110 StPO durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen auf ihr Beweispotenzial hin inhaltlich geprüft.3 Die Durchsicht dient der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes , insbesondere dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Privat- und geschäftlichen Geheimnissphäre des von der Durchsuchung Betroffenen, indem im Rahmen des Vertretbaren lediglich diejenigen Informationen der Beschlagnahme zugeführt werden, die tatsächlich verfahrensrelevant und verwertbar sind.4 Die Durchsicht dient mithin der Entscheidung, ob eine richterliche Beschlagnahme aufgrund der potenziellen Beweisbedeutung beantragt werden muss.5 Die Durchsicht ist als Bestandteil einer Durchsuchung nur unter den Voraussetzungen des § 102 StPO bzw. § 103 StPO zulässig.6 Eine Durchsuchung im Sinne von §§ 102, 103 StPO setzt neben dem Anfangsverdacht die Vermutung voraus, dass Beweismittel oder der Tatverdächtige durch die Durchsuchung aufgefunden 1 Nicht Gegenstand der Darstellung sind mithin etwaige öffentlich-rechtliche Fragestellungen, die sich daraus ergeben können, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person Mitglied des Deutschen Bundestags oder eines Landtags ist, vgl. unten bei Fußnote 50. 2 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. 3 Hegmann, in: BeckOK StPO, 34. Edition, Stand: 01.07.2019, § 110 Rn. 6. 4 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 1. 5 BGH, Beschl. v. 05.08.2003, Az.: 2 BJs 11/03-5 - StB 7/03, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2003, 670 (671). 6 Szesny, Durchsicht von Daten gem. § 110 StPO, Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (WiJ) 4/2012, 228 (232). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 5 werden.7 Das Verfahren ist in § 105 StPO geregelt, der unter anderem grundsätzlich eine richterliche Anordnung der Durchsuchung voraussetzt. Sämtliche Räume, die die private Lebensgestaltung schützen und in denen sich der Tatverdächtige aufhält oder die er benutzt, können durchsucht werden.8 Der Wortlaut des § 110 Absatz 1 StPO gestattet die „Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen“. Der Begriff „Papiere“ ist weit auszulegen, erfasst sind Mitteilungen und Aufzeichnungen aller Art, gleichgültig, auf welchem Informationsträger sie festgehalten sind.9 Dazu zählen auch elektronische Datenträger und Datenspeicher, mit denen Gedankenerklärungen und sonstige Aufzeichnungen festgehalten werden, namentlich auch Datenspeicher in einem Mobiltelefon .10 Es muss sich um Papiere bzw. Daten im Gewahrsam des von einer Durchsuchung Betroffenen , regelmäßig des Tatverdächtigen, handeln.11 Die Durchsicht darf nur erfolgen, wenn Anhaltspunkte dafür existieren, dass unter den Papieren bzw. Daten Beweismittel sind, die im späteren Verfahren Verwendung finden können.12 Hat der Betroffene Zugriff auf externe Speichermedien, können die Strafverfolgungsbehörden die Durchsicht auch auf die sich darauf befindlichen Daten erstrecken, wenn sonst der Verlust der gesuchten Daten zu besorgen ist (§ 110 Absatz 3 Satz 1 StPO). Nach § 110 Absatz 3 Satz 2 StPO dürfen Daten, die für die Ermittlung von Bedeutung sein können, gesichert werden. Sind unter den vorläufig sichergestellten Papieren im Sinne des § 110 StPO auch solche, die nicht die Voraussetzungen einer Beschlagnahme erfüllen, ist dies für die Rechtmäßigkeit der Durchsicht nicht entscheidend, da diese Maßnahme gerade der Feststellung dient, ob eine Beschlagnahme beantragt werden sollte.13 2.2. Grenzen der Durchsicht bei Beschlagnahmeverboten Eine Durchsicht nach § 110 StPO ist hinsichtlich solcher Beweismittel unzulässig, die offensichtlich von einem Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO erfasst sind.14 § 97 StPO „ergänzt die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht und betrifft das Verhältnis des Beschuldigten zu aussageberechtigten Zeugen. Die Vorschrift normiert im Verfahren gegen einen Beschuldigten ein 7 Bruns, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 102 Rn. 2 f. 8 BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971, Az.: 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54, 72 ff. 9 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 6. 10 BGH, Beschl. v. 05.08.2003 - Az.: 2 BJs 11/03-5 - StB 7/03, NStZ 2003, 670; Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 6. 11 Bruns, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 110 Rn. 3. 12 LG Stuttgart, Beschl. v. 26.03.2018, Az.: 6 Qs 1/18, BeckRS 2018, 8717 Rn. 20. 13 LG Stuttgart, Beschl. v. 26.03.2018, Az.: 6 Qs 1/18, BeckRS 2018, 8717 Rn. 19. 14 BVerfG, Beschl. v. 27.06.2018, Az.: 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385, 2388 Rn. 80. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 6 Beschlagnahmeverbot hinsichtlich der dort genannten Beweismittel, die sich im Regelfall im Gewahrsam zeugnisverweigerungsberechtigter Personen befinden, wenn andernfalls durch die Beschlagnahme das Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 53, 53a umgangen würde.“15 Nach § 97 StPO beschlagnahmefreie Papiere müssen deshalb gegebenenfalls ungelesen sofort wieder herausgegeben werden, wenn sie aufgrund äußerer Merkmale eindeutig als solche erkennbar sind.16 Wird die Beschlagnahmefreiheit erst während der Durchsicht erkannt, ist diese unverzüglich abzubrechen .17 Bei der Durchsicht von Daten, die auf einem Computer der Ermittlungsbehörden gespeichert wurden, erfolgt die „Herausgabe“ durch Löschung der Daten.18 2.3. Sicherstellung und Beschlagnahme Nach § 94 Absatz 1 StPO sind „Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, … in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.“ Unter einer Sicherstellung wird die Herstellung staatlicher Gewalt über den Gegenstand verstanden .19 Damit eine – formlose – Sicherstellung erfolgen darf, müssen die Gegenstände im Sinne des § 94 StPO potentielle Beweisbedeutung haben.20 Diese ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Daten für die Beweisfrage – etwa bzgl. Tatbegehung, verfahrensrechtlicher Maßnahmen oder Strafzumessungsgründen – von gewisser Bedeutung sind.21 Weiterhin ist der Anfangsverdacht für eine Sicherstellung notwendig und ausreichend.22 Ein Anfangsverdacht setzt die Kenntnis über tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat voraus.23 Auch die weiteren allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen – z.B. ggf. der Strafantrag nach § 77 StGB24 15 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 97 StPO Rn. 1. 16 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 13. 17 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 13. 18 Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 110 StPO Rn. 13. 19 Gerhold, in: BeckOK StPO, 34. Edition, Stand: 01.07.2019, § 94 Rn. 14. 20 BVerfG, Beschl. v. 13.12.1994, Az.: 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839, 2840. 21 BVerfG, Beschl. v. 13.12.1994, Az.: 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839, 2840. 22 Greven, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 94 Rn. 8. 23 Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 152 Rn. 7. 24 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 7 – müssen gegeben oder noch zu beschaffen sein.25 Können die Voraussetzungen für ein Strafverfahren nach einer erfolgten Sicherstellung nicht erfüllt werden, muss die Maßnahme unverzüglich aufgehoben werden.26 Bei der Anordnung der Sicherstellung muss aufgrund des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.27 Demnach muss die für den Betroffenen am geringsten belastende Maßnahme, die den verfolgten Zweck erfüllt, gewählt werden.28 Werden die Gegenstände im Sinne von § 94 Absatz 1 StPO vom Gewahrsamsinhaber nicht freiwillig herausgegeben, können sie förmlich beschlagnahmt werden (§ 94 Absatz 2 StPO). Das Verfahren der Beschlagnahme ist in § 98 StPO normiert. Die dargestellten Voraussetzungen der Sicherstellung müssen auch für die Beschlagnahme vorliegen, insbesondere muss die Maßnahme also verhältnismäßig sein.29 Zudem ist nach erfolgter Anhörung des Betroffenen grundsätzlich eine gerichtliche Anordnung notwendig (§§ 98 Absatz 1 Satz 1, 33 Absatz 3 StPO). § 97 StPO enthält verschiedene Beschlagnahmeverbote nebst Ausnahmen.30 Die Datensammlung kann etwa von dem Beschlagnahmeverbot bzgl. Schriftstücken, die die Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und einer (nach §§ 52, 53, 53a StPO) zeugnisverweigerungsberechtigten Person wiedergeben, erfasst sein (§ 97 Absatz 1 Nr. 1 StPO). Andere Beschlagnahmeverbote können sich auch aus der Verfassung ergeben, beispielsweise bei schweren Verfahrensfehlern, die einen Grundrechtsverstoß darstellen.31 2.4. Zufallsfunde Der Durchsuchungsbeschluss bestimmt Umfang und Ziel der Ermittlungsmaßnahmen.32 Daraus folgt, dass nicht bewusst und gezielt nach Erkenntnissen gesucht werden darf, die keinen Bezug zum Tatvorwurf haben.33 Nicht folgt daraus jedoch, dass lediglich bei Gelegenheit der auf den Tatvorwurf zielenden Durchsuchung gefundene Beweismittel, die den Verdacht der Begehung 25 Greven, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 94 Rn. 10. 26 Greven, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 94 Rn. 10. 27 BVerfG, Urt. v. 16.06.2009, Az.: 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431, 2437. 28 BVerfG, Beschl. v. 10.11.2017, Az.: 2 BvR 1775/16, NJW 2018, 1240, 1241. 29 Gerhold, in: BeckOK StPO, 34. Edition, Stand: 01.07.2019, § 94 Rn. 22. 30 Gerhold, in: BeckOK StPO, 34. Edition, Stand: 01.07.2019, § 97 Rn. 1. 31 BVerfG, Beschl. v. 12.04.2005, Az.: 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917, 1922 bzgl. Berufsgeheimnisträgern. 32 Bruns, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 105 Rn. 4; Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 115 Rn. 19 ff. 33 Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 108 Rn. 1 m.w.N.; Hegmann, in: BeckOK StPO, 34. Edition, Stand: 01.07.2019, § 108 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 8 einer anderen Straftat nahelegen, zu ignorieren wären.34 Im Gegenteil sind die dem Legalitätsprinzip unterliegenden Strafverfolger auch diesbezüglich zum Einschreiten verpflichtet.35 Zufallsfunde können dabei ebenfalls aufgrund von §§ 94, 98 StPO beschlagnahmt werden, wenn deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.36 Ist dies der Fall, wird durch die Beschlagnahme ein entsprechendes neues Ermittlungsverfahren eingeleitet.37 Nur für den Fall, dass im Einzelfall nicht sämtliche Voraussetzungen von § 98 StPO vorliegen, ermöglicht gegebenenfalls zusätzlich § 108 StPO die Beschlagnahme zum Zweck der Prüfung, ob der Zufallsfund für ein anderes Verfahren in Betracht kommt und zu beschlagnahmen ist.38 3. Beschlagnahmeverbot zum Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts 3.1. Grundsätze § 97 StPO ergänzt die in §§ 52 ff. StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechte um ein Beschlagnahmeverbot , um ihre Umgehung zu verhindern.39 § 97 StPO greift deshalb nur gegenüber Zeugen , nicht aber gegenüber Verdächtigen, Beschuldigten und Mitbeschuldigten.40 Ist eine im Verhältnis zum Beschuldigten potentiell zeugnisverweigerungsberechtigte Person selbst Beschuldigte , greift § 97 StPO mithin von vornherein nicht.41 § 97 StPO enthält insbesondere ein Beschlagnahmeverbot für schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und zeugnisverweigerungsberechtigten Vertrauenspersonen.42 Unter schriftlichen Mitteilungen sind hierbei alle Gedankenäußerungen zu verstehen, die ein Absender einem 34 Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 108 StPO Rn. 1. 35 Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 108 StPO Rn. 1. 36 Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 108 StPO Rn. 1. 37 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, Einl. Rn. 76; Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 108 StPO Rn. 4. 38 Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 108 StPO Rn. 1, 4. 39 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 2. 40 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 2, 25. 41 Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 97 Rn. 3. 42 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 9 Empfänger zukommen lässt, damit er davon Kenntnis nimmt – insbesondere Briefe, E-Mails und sonstige Mitteilungen auf Bild- und Tonträgern.43 Das Beschlagnahmeverbot gilt grundsätzlich nur, soweit sich die Schriftstücke im Gewahrsam der zeugnisverweigerungsberechtigten Person befinden – Gegenstände aus dem Schriftverkehr zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigtem sind, wenn sie sich im Gewahrsam des Beschuldigten befinden, daher in der Regel nicht von der Beschlagnahme ausgeschlossen .44 3.2. Besonderheiten bei Abgeordneten Gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 StPO sind zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt „Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landtages über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben , sowie über diese Tatsachen selbst.“ § 97 Absatz 4 StPO regelt flankierend speziell für diesen Personenkreis, inwieweit die Beschlagnahme unzulässig ist: „Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Gegenständen unzulässig. Dieser Beschlagnahmeschutz erstreckt sich auch auf Gegenstände, die von den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 genannten Personen den an ihrer Berufstätigkeit nach § 53a Absatz 1 Satz 1 mitwirkenden Personen anvertraut sind. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Personen, die nach § 53a Absatz 1 Satz 1 an der beruflichen Tätigkeit der in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 genannten Personen mitwirken , das Zeugnis verweigern dürften.“ Aus dieser Sonderregelung ergeben sich Abweichungen gegenüber den oben45 dargestellten allgemeinen Grundsätzen des § 97 StPO: – Während § 97 StPO grundsätzlich nur gilt, wenn die Beschlagnahme beim Zeugnisverweigerungsberechtigten erfolgt, setzt das Beschlagnahmeverbot nach § 97 Absatz 4 StPO keinen Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten voraus und kann mithin auch Gegenstände erfassen, die sich bei Dritten befinden.46 43 Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 97 Rn. 28. 44 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 2 f.; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 97 Rn. 11. Abweichend hiervon ist etwa die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger auch dann geschützt, wenn sich verkörperte Bestandteile derselben im Gewahrsam des Beschuldigten befinden, vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 97 Rn. 37. 45 Siehe Gliederungspunkt 3.1. 46 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 129. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 10 – Während gemäß § 97 Absatz 2 Satz 2 StPO die Beschränkungen der Beschlagnahme grundsätzlich nicht gelten, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist, oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren, gilt dies im Falle von § 97 Absatz 4 StPO nicht.47 Ausgehend hiervon ist im Falle von nicht selbst tatverdächtigen Abgeordneten umfassend vor Beschlagnahme geschützt all jenes, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete anvertraut wurde oder umgekehrt von ihnen in dieser Eigenschaft Dritten anvertraut wurde, wobei dies weit auszulegen ist.48 Ein auf einem Endgerät gespeicherter Chatverlauf, der sich als digital verkörperte Korrespondenz verstehen lässt49, kann mithin unter § 97 Absatz 4 StPO fallen, insoweit er als auf die Eigenschaft mindestens eines Kommunikationspartners als Mitglied des Deutschen Bundestags oder eines Landesparlaments bezogene Kommunikation aufzufassen ist. Zulässig wäre eine Beschlagnahme in diesem Fall aufgrund dessen erst dann, wenn gegen den Abgeordneten als Beschuldigten ermittelt wird50, da er dann selbst Beschuldigter ist und insoweit § 97 StPO, wie gesehen51, nicht einschlägig ist.52 4. Fazit Auf einem im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen sichergestellten Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherte Chatverläufe können grundsätzlich sowohl hinsichtlich einschlägiger Erkenntnisse zum ursprünglichen Tatvorwurf als auch – in Gestalt von Zufallsfunden 47 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 37. 48 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 127. 49 Vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urt. vom 21. Jan. 2020 – I-21 U 34/19 (WhatsApp-Chat). 50 Unter Beachtung der Immunitätsvorschriften sowie der gegebenenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen zu berücksichtigenden verfassungsrechtlichen Implikationen. Zu letzteren vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Das verfassungsrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht von Abgeordneten und das korrespondierende Beschlagnahmeverbot, WD 3 - 3000 - 202/19 vom 30.08.2019, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/662604/06d504b25dc720a3f8c66c821ce209d6/WD-3-202-19-pdfdata .pdf. Zum Immunitätsverfahren für Bundestagsabgeordnete siehe Deutscher Bundestag, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Der Vorsitzende, Immunitätsrecht – Erläuterungen für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, 20.01.2014, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource /blob/195580/95ad1f52c32c6ea5cc319c636e35ba4b/Erlaeuterungen_zum_Immunitaetsrecht-data.pdf sowie Anlage 6 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, abrufbar unter https://www.bundestag.de/parlament /aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/anlage6-245194. 51 Siehe Gliederungspunkt 3.1. 52 Menges, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Auflage, Dritter Band, 2019, § 97 StPO Rn. 130; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Auflage 2019, § 97 Rn. 44. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 096/20 Seite 11 – hinsichtlich neuer Erkenntnisse über anderweitige Taten strafverfahrensrechtlich ausgewertet werden. Grenzen hierfür können sich ergeben, wenn der jeweilige Kommunikationspartner als Mitglied des Deutschen Bundestags oder eines Landtags in den Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten fällt und der kommunikative Austausch gerade in der Eigenschaft als Abgeordneter erfolgte. Dieses strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht und das sich hieraus gegebenenfalls ergebende Beschlagnahmeverbot greifen wiederum grundsätzlich dann nicht und stehen mithin einer Auswertung nicht entgegen, wenn gegen das Parlamentsmitglied selbst als Beschuldigtem ermittelt wird. * * *