© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 093/20 Einzelfragen zur Anwendbarkeit des Vergaberechts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 2 Einzelfragen zur Anwendbarkeit des Vergaberechts Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 093/20 Abschluss der Arbeit: 01. September 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anwendbarkeit des Vergaberechts bei Beratungs- und Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand 4 2.1. Allgemeine Voraussetzungen 4 2.2. Der Begriff des öffentlichen Auftrages 5 2.3. Vergaben unterhalb der Schwellenwerte 5 2.4. Dokumentationspflichten und Rechtsschutz im Vergabeverfahren 5 3. Bestellung von Sachverständigen und Insolvenzverwaltern durch die Justiz 6 3.1. Sachverständigengutachten im Zivilprozess 6 3.2. Sachverständigengutachten im Strafverfahren 8 3.3. Bestellung von Insolvenzverwaltern 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 4 1. Einleitung Öffentlichen Auftraggebern1 steht es grundsätzlich frei, Verträge mit externen Dritten2 für Beratungs - und Unterstützungsleistungen abzuschließen.3 Unter den nachstehend unter Ziffer 2 überblicksartig beschriebenen Voraussetzungen sind dabei im Oberschwellenbereich4 insbesondere die Regelungen des Vergaberechts einzuhalten. Sofern im Justizbereich Sachverständigengutachten oder mit insolvenzbezogene Tätigkeiten in Auftrag gegeben werden, finden hingegen besondere Regelungen Anwendung. Diese sollen unter Ziffer 3 summarisch dargestellt werden. 2. Anwendbarkeit des Vergaberechts bei Beratungs- und Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand 2.1. Allgemeine Voraussetzungen Unter dem Begriff des „Vergaberechts“ wird im Allgemeinen die Gesamtheit derjenigen Regeln und Vorschriften verstanden, die dem Staat, seinen Untergliederungen oder sonstigen öffentlichen Auftraggebern ganz bestimmte Vorgehensweisen beim Einkauf von Gütern oder bei der Inanspruchnahme sonstiger Leistungen am Markt mittels eines entgeltlichen Vertrags vorschreiben .5 Wesentlicher Teil dieses Regelungsregimes ist unter anderem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), in dessen 4. Teil – den §§ 97-184 GWB – die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen näher ausgestaltet ist. Danach sind öffentliche Aufträge und Konzessionen oberhalb bestimmter Schwellenwerte (bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen für oberste 1 Vgl. zum Begriff § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 8 des Gesetzes vom 25. Juni 2020 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/. 2 Unter dem Begriff „externe Dritte“ versteht die Bundesregierung im Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe Dienstleister und Berater, auch soweit es sich z. B. um Hochschulprofessoren handelt, die mit Evaluationen oder Gutachten beauftragt sind, nicht aber anwaltliche Tätigkeiten als Prozessvertreter der Bundesregierung, vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, Simone Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 19/16472, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/164/1916472.pdf (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren am 01. September 2020). 3 Vgl. hierzu etwa die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Höhn, Heike Hänsel, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE., BT-Drs. 19/7066, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/074/1907489.pdf. 4 Bei Vergaben oberhalb der sog. Schwellenwerte findet das GWB-Vergaberecht Anwendung, das auf der Umsetzung entsprechender Vorgaben in EU-Richtlinien beruht. Die Höhe der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Schwellenwerte ist etwa der Darstellung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zu entnehmen: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/vergabe-uebersicht-und-rechtsgrundlagen.html. 5 Vgl. etwa Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen , Einleitung, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 5 und obere Bundesbehörden und vergleichbare Bundeseinrichtungen gilt aktuell ein Schwellenwert in Höhe von 139.000 Euro)6 insbesondere im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren zu vergeben, wobei die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu wahren sind (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). 2.2. Der Begriff des öffentlichen Auftrages Maßgeblich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB ist daneben insbesondere das objektive Vorliegen eines öffentlichen Auftrages.7 § 103 Abs. 1 GWB definiert diesen als entgeltlichen Vertrag zwischen (öffentlichen) Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Anwendung des GWB-Vergaberechts kann dabei durch den bloßen Willen und/oder die irrige Annahme des Auftraggebers oder durch eine Parteivereinbarung weder begründet noch umgangen werden.8 2.3. Vergaben unterhalb der Schwellenwerte Bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte findet hingegen traditionell Haushaltsrecht Anwendung .9 So muss etwa nach § 55 der Bundeshaushaltsordnung (BHO)10 auch im Unterschwellenbereich beim Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine Öffentliche Ausschreibung oder eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Teilnahmewettbewerb ist danach ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von geeigneten Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt und zur Abgabe von Angeboten auffordert. 2.4. Dokumentationspflichten und Rechtsschutz im Vergabeverfahren Unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen der Nachprüfung durch die Vergabekammern (vgl. § 155 GWB). 6 Vgl. § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. der Delegierten Verordnung (EU) 2019/1828 der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2019 (ABl. L 279 vom 31. Oktober 2019, S. 25), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2019:279:FULL&from=IT. 7 Vgl. Stein, in: BeckOK Vergaberecht, 15. Edition, Stand: 30. Mai 2019, § 103 GWB, Rn. 1. 8 Vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 17. Juni 2016, Az.: 7 Verg 2/16, Rn. 51, BeckRS 2016, 12548. 9 Vgl etwa Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 99 GWB, Rn. 197 m.w.N. 10 Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), die zuletzt durch Artikel 212 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/bho. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 6 Die Dokumentation des Vergabeverfahrens sowie der Umfang des zu erstellenden Vergabevermerks richten sich nach § 8 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV)11. Danach hat der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren von Beginn an fortlaufend in Textform (§ 126b des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zu dokumentieren, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Dazu gehört zum Beispiel die Dokumentation der Kommunikation mit Unternehmen und interner Beratungen, der Vorbereitung der Auftragsbekanntmachung und der Vergabeunterlagen, der Öffnung der Angebote , Teilnahmeanträge und Interessensbestätigungen, der Verhandlungen und der Dialoge mit den teilnehmenden Unternehmen sowie der Gründe für Auswahlentscheidungen und den Zuschlag . § 8 VgV gewährleistet die sog. Ex-post-Transparenz des Vergabeverfahrens. Die Vorschrift dient damit dem Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB und ermöglicht einen effektiven Rechtsschutz für im Vergabeverfahren unterlegene Bieter12. Sofern sich ein bestehender Dokumentationsmangel (oder ein sonstiger Rechtsverstoß) auf die Rechtsstellung eines Bieters auswirkt, ist dieser in seinem subjektiven Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen (§ 97 Abs. 6 GWB) verletzt und kann vor der zuständigen Vergabekammer das Vergabenachprüfungsverfahren betreiben. Im Falle eines Nachprüfungsantrags wird die erstellte Dokumentation durch die Vergabekammer angefordert und geprüft (§ 163 Abs. 2 Satz 3 GWB). Dokumentationsmängel führen im Ergebnis dazu, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt , in dem die Dokumentation unzureichend ist, fehlerbehaftet und in diesem Umfang zu wiederholen ist. 13 3. Bestellung von Sachverständigen und Insolvenzverwaltern durch die Justiz 3.1. Sachverständigengutachten im Zivilprozess Im Zivilprozess kann das Gericht die Begutachtung durch einen Sachverständigen auf Antrag einer Partei gemäß § 403 der Zivilprozessordnung (ZPO)14 oder nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO anordnen.15 Die Anordnung ist geboten, wenn die Beantwortung einer entscheidungserheblichen Tatsache Fachwissen erfordert, über die das Gericht selbst nicht verfügt.16 11 Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. März 2020 (BGBl. I S. 674) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vgv_2016/. 12 Mentzinis, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 8 VgV, Rn. 1. 13 Vgl. Vergabekammer Arnsberg, Beschluss vom 29. November 2002, Az.: VK 1-25/2002, IBRRS 2003, 0555. 14 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/zpo/BJNR005330950.html. 15 Vgl. Scheuch, in: Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online Kommentar ZPO, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 403 ZPO, Rn. 1. 16 Vgl. Scheuch, in: Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online Kommentar ZPO, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 403 ZPO, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 7 Unabhängig davon, ob der Sachverständige auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen hinzugezogen wird, liegt die Auswahl der Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 ZPO (ggf. in Verbindung mit § 144 Abs. 3 ZPO) grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.17 Nur wenn sich die Parteien über bestimmte Personen als Sachverständige einigen, ist das Gericht gemäß § 404 Abs. 5 ZPO an diese Einigung gebunden. Das Gericht kann die Wahl der Parteien dann nach § 404 Abs. 5 Halbsatz 2 ZPO lediglich auf eine bestimmte Anzahl von Sachverständigen beschränken. Darüber hinaus haben die Parteien bei der Auswahl des Sachverständigen nur begrenzte Mitwirkungsrechte.18 Das Gericht kann sie nach § 404 Abs. 2 ZPO zu der Person des Sachverständigen anhören oder nach § 404 Abs. 4 ZPO auffordern , Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden. Bei der Ausübung seines Ermessens hat das Gericht insbesondere darauf zu achten, dass der Sachverständige die erforderliche Fachbildung hat.19 Bestimmte Stellen, etwa die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer, sind gesetzlich dazu ermächtigt, für bestimmte Fachgebiete Sachverständige öffentlich zu bestellen.20 Die öffentlich bestellten Sachverständigen sind durch ihre Bestellung als besonders sachkundig ausgewiesen.21 Wenn für die jeweils benötigte Art von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt sind, sollen die Gerichte diese bevorzugt heranziehen.22 Andere Personen sollen nach § 404 Abs. 3 ZPO nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern. Einen Überblick über die in Betracht kommenden Sachverständigen kann sich das Gericht durch Einsicht in die Sachverständigenverzeichnisse verschaffen, die dem Gericht vorliegen23 oder von den Bestellungskörperschaften vorgehalten werden24. 17 Vgl. Huber, in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 17. Auflage 2020, § 404 ZPO, Rn. 3. 18 Vgl. Siebert, in: Saenger, Zivilprozessordnung, Familienverfahren, Gerichtsverfassung, Europäisches Verfahrensrecht , Handkommentar, 8. Auflage 2019, § 404 ZPO, Rn. 4. 19 Vgl. Scheuch, in: Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online Kommentar ZPO, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 404 ZPO, Rn. 2. 20 Vgl. Huber, in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 17. Auflage 2020, § 404 ZPO Rn. 7 (mit Fn. 19); Zimmermann, in: Rauscher/Krüger, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, Band 2, 5. Auflage 2016, § 404 ZPO, Rn. 7 f. 21 Vgl. Huber, in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 17. Auflage 2020, § 404 ZPO, Rn. 7. 22 Vgl. Zimmermann, in: Rauscher/Krüger, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, Band 2, 5. Auflage 2016, § 404 ZPO, Rn. 7. 23 Vgl. Huber, in: Musielak/Voit, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 17. Auflage 2020, § 404 ZPO, Rn. 3. 24 Vgl. Schlehe, Die Rolle des Sachverständigen in der Gesellschaft – Perspektiven des öffentlich bestellten Sachverständigen , DV 2013, 337, 338. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 8 3.2. Sachverständigengutachten im Strafverfahren Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 161a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung (StPO)25 einen Sachverständigen bestellen. Dies soll nach Nr. 69 Satz 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)26 nur geschehen, wenn das Gutachten des Sachverständigen für die vollständige Aufklärung des Sachverhalts unentbehrlich ist. Im strafgerichtlichen Verfahren ist das Gericht für die Bestellung des Sachverständigen zuständig.27 Dieses kann den Sachverständigen von Amts wegen oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten hinzuziehen.28 Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft entscheidet gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO (ggf. in Verbindung mit § 161a Abs. 1 Satz 2 StPO) nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anzahl und die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen.29 Maßgeblich ist die fachliche und persönliche Eignung des Sachverständigen.30 Bei der Auswahl kann das Gericht oder die Staatsanwaltschaft gemäß Nr. 70 Abs. 2 RiStBV die Berufsorganisation oder die Behörde um Vorschläge ersuchen, in deren Geschäftsbereich die zu begutachtende Frage fällt.31 Außerdem können sie die Verzeichnisse bewährter Sachverständiger zu Hilfe nehmen, die regelmäßig gemäß Nr. 70 Abs. 3 RiStBV von den Justizverwaltungen geführt werden.32 Wie im Zivilprozess sollen nach § 73 Abs. 2 StPO auch im Strafverfahren bevorzugt öffentlich bestellte Sachverständige gewählt werden. In der Praxis bestellt das Gericht häufig den Sachverständigen, den die Staatsanwaltschaft bereits im 25 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/BJNR006290950.html. 26 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977, geändert mit Wirkung vom 1. Dezember 2018 durch Bekanntmachung vom 26. November 2018, abrufbar unter: http://www.verwaltungsvorschriften -im-internet.de/bsvwvbund_01011977_420821R5902002.htm. 27 Vgl. Hadamitzky, in: Hannich, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 73 StPO, Rn. 1. 28 Vgl. Monka, in: Graf, Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 72 StPO, Rn. 1. 29 Vgl. Trück, in: Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, 1. Auflage 2014, § 73 StPO, Rn. 15. 30 Vgl. Monka, in: Graf, Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 73 StPO, Rn. 3. 31 Vgl. Trück, in: Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, 1. Auflage 2014, § 73 StPO, Rn. 11. 32 Vgl. Trück, in: Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, 1. Auflage 2014, § 73 StPO, Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 9 Ermittlungsverfahren hinzugezogen hat.33 Es steht ihm aber frei, einen anderen Sachverständigen zu wählen.34 Nach Nr. 70 Abs. 1 RiStBV soll der Staatsanwalt dem Verteidiger während des Ermittlungsverfahrens in der Regel Gelegenheit geben, vor der Auswahl eines Sachverständigen Stellung zu nehmen . Im Übrigen ist eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich vorgeschrieben, kann sich jedoch empfehlen.35 Über die Anhörung hinaus haben der Beschuldigte und sein Verteidiger keinen Einfluss auf die Auswahl des Sachverständigen.36 3.3. Bestellung von Insolvenzverwaltern Wird ein Insolvenzverfahren eröffnet, so ernennt das Insolvenzgericht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO)37 einen Insolvenzverwalter. Bei der Auswahl des Insolvenzverwalters steht dem Insolvenzgericht ein weites Ermessen zu.38 Dabei sind die in § 56 InsO festgelegten Kriterien zu berücksichtigen.39 Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO ist zum Insolvenzverwalter eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Die danach erforderliche Unabhängigkeit wird nach § 56 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die Person vom Schuldner oder von einem Gläubiger vorgeschlagen worden ist oder den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat. Sofern gemäß §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, 22a InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt worden ist, ist diesem nach § 56a Abs. 1 InsO vor der Bestellung des Insolvenzverwalters Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen, die an den Verwalter zu stellen sind, und zu der 33 Vgl. Deckers, in: Müller/Schlothauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 81, Rn. 8. 34 Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Februar 1998, Az.: 1 StR 588/97, NStZ 1998, 422, 425; Sackreuther, in: Graf, Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, 37. Edition, Stand: 01.07.2020, § 161a StPO, Rn. 11. 35 Vgl. Trück, in: Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, 1. Auflage 2014, § 73 StPO, Rn. 22. 36 Vgl. Trück, in: Knauer/Kudlich/Schneider, Münchener Kommentar zur StPO, Band 1, 1. Auflage 2014, § 73 StPO, Rn. 23. 37 Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2866), die zuletzt durch Artikel 24 Absatz 3 des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1693) geändert worden ist, abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet .de/inso/BJNR286600994.html. 38 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 34. 39 Vgl. Graeber, in: Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 1, 4. Auflage 2019, § 56 InsO, Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 093/20 Seite 10 Person des Verwalters zu äußern, soweit dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zu der Person des Insolvenzverwalters darf das Gericht nach § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. In der Praxis hat es sich etabliert, sogenannte Vorauswahllisten zu führen.40 In diese Liste nimmt der Insolvenzrichter diejenigen Bewerber auf, die bei abstrakt-genereller Betrachtung die Kriterien des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllen41, die also insbesondere nach den von dem Richter selbst festgelegten Kriterien42 generell zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen geeignet sind.43 Die Vorauswahlliste soll dem Richter bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters im konkreten Verfahren eine zügige Eignungsprüfung ermöglichen und ihm eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Auswahlentscheidung verschaffen.44 Die Auswahlentscheidung ist aber nicht auf diejenigen Bewerber beschränkt, die der Richter zuvor in die Liste aufgenommen hat.45 *** 40 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 8. 41 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 14. 42 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 9. 43 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 16. 44 Vgl. Göcke, in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Beck’scher Online-Kommentar InsO mit COVInsAG, InsVV, EuInsVO und Spezialthemen, 19. Edition, Stand: 15.04.2020, § 56 InsO, Rn. 9; s. auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.05.2006, Az.: 1 BvR 2530/04, NZI 2006, 453, 455. 45 Vgl. Zipperer, in: Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, Band 1, 15. Auflage 2019, § 56 InsO, Rn. 40.