© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 092/17 Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 2 Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 092/17 Abschluss der Arbeit: 28.07.2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Das Regelungsgefüge im Überblick 4 2. Voraussetzungen des Kartellverbots 5 2.1. Vereinbarung, Beschluss oder abgestimmte Verhaltensweise 5 2.2. Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 6 2.3. Wettbewerbsbeschränkung 7 2.4. Fehlende Rechtfertigung der Wettbewerbsbeschränkung 8 3. Rechtsfolgen des Kartellverbots 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 4 1. Das Regelungsgefüge im Überblick Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet in Art. 101 Abs. 1 grundsätzlich „alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken“. Als Regelbeispiel nennt die Vorschrift unter anderem „die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen“ (Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV) sowie „die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen“ (Art. 101 Abs. 1 lit. b AEUV). Ausnahmsweise können Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen, obwohl sie unter Art. 101 Abs. 1 fallen, gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV zulässig sein.1 Voraussetzung hierfür ist, dass sie „zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen“. Ferner muss es eine „angemessene Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn“ geben. Weiterhin dürfen den beteiligten Unternehmen keine „Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind“. Schließlich dürfen ihnen keine „Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.“ Nach Art. 101 AEUV verbotene Vereinbarungen und Beschlüsse sind gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. Darüber hinaus kann die Europäische Kommission im Falle eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV Geldbußen gegen die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängen. Dies ergibt sich aus Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.2 Diese Verordnung stützt sich auf Art. 103 Abs. 1 AEUV, der die EU zum Erlass von Verordnungen und Richtlinien zur Verwirklichung der in Art. 101 AEUV niedergelegten Grundsätze ermächtigt. Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 regelt auch, dass neben der Kommission die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten für die Anwendung des Art. 101 AEUV zuständig sind (Art. 4 f.). Beide können von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde tätig werden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 7 Abs. 1 Satz 1), wobei auch die Mitgliedstaaten bei der Kommission eine Beschwerde einlegen können (Art. 7 Abs. 2). Leitet die Kommission ein Verfahren ein, so entfällt die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden allerdings (Art. 11 Abs. 6 Satz 1 VO [EG] Nr. 1/2003). Diese sind dann nur noch für die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts zuständig. Die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts darf allerdings nicht zu Ergebnissen führen, die Art. 101 AEUV widersprechen. So darf es nicht zu einem Verbot von Vereinbarungen/Beschlüs- 1 Gemäß Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 setzt die Anwendung dieser Vorschrift seit dem 1. Mai 2004 keinen speziellen Antrag (mehr) voraus, sondern ist bei jeder von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfassten Maßnahme von Gesetzes wegen zu prüfen (Weiß, in: Callies/Ruffert, AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 101 Rn. 153). 2 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. Nr. L 1 S. 1), zuletzt geändert durch Anh. I ÄndVO (EG) 48/2009 vom 25.5.2009 (ABl. Nr. L 148 S. 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 5 sen/abgestimmten Verhaltensweisen kommen, welche den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, aber durch Art. 101 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt sind oder schon keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO [EG] Nr. 1/2003). Eigenständige Bedeutung erlangen die nationalen Kartellverbote , in Deutschland also §§ 1 bis 3 GWB, damit vor allem im Falle von Vereinbarungen/Beschlüssen /abgestimmten Verhaltensweisen, die nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.3 2. Voraussetzungen des Kartellverbots 2.1. Vereinbarung, Beschluss oder abgestimmte Verhaltensweise Das Merkmal der „Vereinbarung“ liegt vor, wenn mehrere Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Willensübereinstimmung kann ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein.4 Das Verhalten von Personen, die über die nötige Vertretungsmacht für die Beteiligung an der Vereinbarung verfügen, wird einem Unternehmen zugerechnet; es ist nicht erforderlich , dass die Geschäftsführung Kenntnis von der Vereinbarung hat.5 Auch sog. gentlemen’s agreements, bei denen die Beteiligten zugunsten einer bloß wirtschaftlichen, moralischen oder gesellschaftlichen Bindung auf eine rechtliche verzichten, fallen nach überwiegender Auffassung unter das Tatbestandsmerkmal der „Vereinbarung“.6 Die Grenze zwischen derartigen Vereinbarungen zu den ebenfalls unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallenden „aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen“ ist fließend. Für „abgestimmte Verhaltensweisen “ genügt das durch eine bloße „Fühlungnahme“ untereinander herbeigeführte Parallelverhalten verschiedener Unternehmen. Es bedarf also nicht der Ausarbeitung eines gemeinsamen Planes, wie er für die Vereinbarung kennzeichnend ist. Dafür muss ein der Fühlungnahme entsprechendes Verhalten am Markt feststellbar sein, was wiederum bei der Vereinbarung nicht erforderlich ist. Ein typischer Fall für eine verhaltensabstimmende Fühlungnahme ist die vorherige gegenseitige Information der Unternehmen über ihr künftiges Verhalten am Markt, z.B. durch den Austausch von Preislisten oder sonstiger wettbewerbsrelevanter Daten. Dies kann auch über Dritte vonstattengehen, etwa in Gestalt des organisierten Informationsaustausches zwischen Unternehmen über ihre Verbände. Die Annahme einer Verhaltensabstimmung über Dritte liegt dann besonderes nahe, wenn die Informationen über sonst streng geheim gehaltene Details der Unternehmensplanung allein Konkurrenten, nicht dagegen auch beliebigen Dritten zugänglich gemacht werden. Die einseitige, autonome Anpassung des Verhaltens eines Unternehmens an das eines 3 Vgl. Weiß a.a.O. Rn. 16. 4 Emmerich, in: Dauses, EU-WirtschaftsR, H. I. § 2 Rn. 3 (Juni 2016). 5 Emmerich a.a.O. Rn. 3. 6 Emmerich a.a.O. Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 6 anderen ohne vorherige Fühlungnahme ist hingegen noch keine „abgestimmte Verhaltensweise“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV.7 Das Verbot wettbewerbsbeschränkender „Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen“ schließlich soll verhindern, dass das Verbot entsprechender Vereinbarungen durch die Verlagerung der Entscheidungen in eine Organisation umgangen wird. Eine Unternehmensvereinigung ist dabei jede in irgendeiner Form institutionalisierte Interessengemeinschaft zwischen den beteiligten Unternehmen, wobei es unerheblich ist, ob diese privatrechtlich (Verbände) oder öffentlichrechtlich (Kammern der freien Berufe) organisiert ist. Für das Vorliegen eines „Beschlusses“ ist nach überwiegender Ansicht nicht erforderlich, dass dieser auch nur faktisch verbindlich ist. Unverbindliche Empfehlungen oder Rundschreiben sind hiernach als Beschluss anzusehen, wenn bereits die soziale Kontrolle und der Druck der anderen Mitglieder ausreichen, um die regelmäßige Befolgung zu gewährleisten.8 2.2. Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet nur solche Vereinbarungen, Beschlüsse oder abgestimmte Verhaltensweisen , „welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind“.9 Dieses Merkmal wird weit ausgelegt. Ausreichend ist, dass die betreffende Maßnahme aufgrund der gesamten Umstände geeignet ist, unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den Handel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu beeinträchtigen, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein kann, indem sie zur Errichtung von Handelsschranken im Binnenmarkt beiträgt und die vom Vertrag gewollte gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert oder die Wettbewerbsstruktur beeinträchtigt. 10 Es spricht insbesondere nicht gegen die Zwischenstaatlichkeit der Beschränkung, wenn eine Maßnahme nur in einem Mitgliedstaat durchgeführt wird, da hierdurch häufig der Marktzutritt oder die Marktdurchdringung erschwert wird.11 Allerdings muss die Beeinflussung des zwischenstaatlichen Handels „spürbar“ sein. Die Kommission geht (im Sinne einer widerleglichen Vermutung) davon aus, dass es an dieser Spürbarkeit fehlt, wenn die an der Vereinbarung/dem Beschluss/der abgestimmten Verhaltensweise beteiligten Unternehmen auf keinem relevanten Markt zusammen einen Marktanteil von mehr als 7 Emmerich a.a.O. Rn. 21-29. 8 Emmerich a.a.O. Rn. 18-20. 9 Dieses Merkmal ist – ebenso wie die Wettbewerbsbeschränkung – auch dann zu prüfen, wenn eines der in Art. 101 Abs. 1 lit. a bis e AEUV aufgeführten Regelbeispiele vorliegt (Weiß, in: Callies/Ruffert, AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 101 Rn. 133). 10 Hoffmann, in: Dauses, EU-WirtschaftsR, H. I. § 1 Rn. 35 (Juni 2016). 11 Hoffmann a.a.O. Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 7 5 % haben und zusätzlich der relevante Umsatz mit den betroffenen Waren oder Leistungen 40 Millionen Euro nicht übersteigt.12 2.3. Wettbewerbsbeschränkung Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst ferner nur Vereinbarungen, Beschlüsse oder abgestimmte Verhaltensweisen , die „eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken“. Von einer „bezweckten“ Wettbewerbsbeschränkung13 geht die Kommission – im Falle von horizontaler Zusammenarbeit (d.h. zwischen Wettbewerbern)14 – in der Regel bei Preisabsprachen, Begrenzungen der Produktionsmengen und der Aufteilung von Märkten oder Kunden aus.15 Liegt keine dieser sog. Kernbeschränkungen16 (hard-core-Fälle17) vor und kann auch aus sonstigen Umständen nicht darauf geschlossen werden, dass eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt ist, ist zu prüfen, ob die vereinbarten/abgestimmten/beschlossenen Maßnahmen eine Wettbewerbsbeschränkung „bewirken“.18 Das ist nach Auffassung der Kommission der Fall, wenn „eine tatsächliche oder wahrscheinliche spürbare Auswirkung auf mindestens ein Wettbewerbsparame- 12 Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags vom 27. April 2004 (ABl. Nr. C. 101 S. 81) Rn. 52; vgl auch Hoffmann a.a.O. Rn. 38. 13 Die Begriffe „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung“ werden unter dem Oberbegriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst (Emmerich a.a.O. Rn. 36). 14 Vgl. Mitteilung der Kommission –Leitlinien zur Anwendbarkeit des Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit vom 14.1.2011 (ABl. Nr. C 11 S. 1) (im Folgenden: „Horizontalleitlinien“) Rn. 1. 15 Vgl. Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag vom 27. April 2004 (ABl. Nr. C 101 S. 97) (im Folgenden: „Allgemeine Leitlinien“) Rn. 23. 16 Vgl. Allgemeine Leitlinien a.a.O. Rn. 23. 17 Vgl. Emmerich a.a.O. Rn. 43. 18 Vgl. Allgemeine Leitlinien a.a.O. Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 8 ter des Marktes (zum Beispiel Preis, Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt, Innovation )“ zu verzeichnen ist.19 Bei der Beurteilung der „Spürbarkeit“ steht der gemeinsame Marktanteil der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen im Vordergrund.20 Die Kommission21 verneint bei Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern (also horizontalen Vereinbarungen) die Spürbarkeit , wenn ein Marktanteil von 10 % nicht überschritten wird.22 2.4. Fehlende Rechtfertigung der Wettbewerbsbeschränkung Vereinbarungen/Beschlüsse/abgestimmte Verhaltensweisen, die an sich nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten sind, sind unter den in Art. 101 Abs. 3 AEUV geregelten Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig. Gemäß Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003 setzt die Anwendung dieser Vorschrift seit dem 1. Mai 2004 keinen speziellen Antrag (mehr) voraus, sondern ist bei jeder von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfassten Maßnahme von Gesetzes wegen zu prüfen.23 Art. 101 Abs. 3 AEUV trägt dem Umstand Rechnung, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen /Beschlüsse/abgestimmte Verhaltensweisen auch „erheblichen wirtschaftlichen Nutzen bringen“ können, wie es die Kommission in ihren Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit, also zur Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, ausgedrückt hat. Indem sie „komplementäre Tätigkeiten, Fähigkeiten oder Vermögenswerte“ zusammenführt, kann diese, so die Kommission weiter, „ein Mittel sein, Risiken zu teilen, Kosten zu sparen, Investitionen zu steigern, Knowhow zu bündeln, die Produktqualität und –vielfalt zu verbessern und Innovationen zu beschleunigen .“24 So kann nach Auffassung der Kommission etwa der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern zu Effizienzgewinnen führen, wenn die Unternehmen in Kenntnis der Kosten der Konkurrenten ihre Leistung an der besten Praxis in der Branche messen und entsprechende interne Anreizsysteme entwickeln.25 Der Austausch aktueller und historischer Daten führe dabei mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Effizienzgewinnen als der Austausch von Informationen über Absichten. Unter Umständen könne aber auch die Ankündigung von Absichten Effizienzgewinne 19 Vgl. Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 27. 20 Vgl. Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 44; Emmerich a.a.O. Rn. 56. 21 Der EuGH geht von einem strengerem Maßstab aus; er bejaht die Spürbarkeit gewöhnlich bereits ab einem Anteil von 5 % am auf dem Markt erzielten Umsatz und schließt sie in der Regel bei weniger als 1% aus (vgl. Emmerich a.a.O. Rn. 56 m.w.N.). 22 Vgl. Bekanntmachung über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die im Sinne des Artikels 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Wettbewerb nicht spürbar beschränken (De-minimis -Bekanntmachung) vom 30.8.2014 (ABl. Nr. C 291 S. 1) Rn. 8 lit. a in Verbindung mit den Horizontalleitlinien Rn. 44; dazu auch Emmerich a.a.O. Rn. 59 ff. 23 Weiß, in: Callies/Ruffert, AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 101 Rn. 153. 24 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 2. 25 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 95. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 9 erzeugen. So könnten Unternehmen überflüssigen, kostspieligen Aufwand und Ressourcenverschwendung vermeiden, wenn sie zum Beispiel früh wissen, wer einen Forschungswettlauf gewinnt .26 Derartige zu erwartenden Effizienzgewinne reichen allerdings allein noch nicht aus, um eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV zu rechtfertigen. Vielmehr müssen die Verbraucher an den Effizienzgewinnen angemessen beteiligt werden, die den beteiligten Unternehmen auferlegten Beschränkungen müssen zu ihrer Erzielung unerlässlich sein und es dürfen diesen keine Möglichkeiten eröffnet werden, den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren auszuschalten. Eine angemessene Beteiligung der Verbraucher setzt nach Auffassung der Kommission voraus, dass die durch unerlässliche Beschränkungen erzielten Effizienzgewinne „in dem Maße an die Verbraucher weitergeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen eines Informationsaustauschs überwiegen. Je weniger Marktmacht die an dem Informationsaustausch beteiligten Parteien haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Effizienzgewinne an die Verbraucher in einem Maße weitergegeben werden, dass sie die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen überwiegen.“27 Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern über Normen bilden eine weitere Fallgruppe, der die Kommission in ihren Horizontalrichtlinien besondere Aufmerksamkeit widmet.28 Dazu gehört die Festlegung technischer oder qualitätsbezogener Anforderungen an bestehende oder zukünftige Produkte, beispielsweise die Normierung unterschiedlicher Ausführungen oder Größen eines Produkts.29 Derartige Normierungen stellen nach Auffassung der Kommission unter Umständen noch keine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV dar. Das ist dann der Fall, wenn eine uneingeschränkte Mitwirkung am Normungsprozess möglich ist, das Verfahren der Annahme der Norm transparent ist, keine Verpflichtung zur Einhaltung der Norm besteht und Dritten der Zugang zur Norm zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen gewährt wird.30 Aber auch wenn wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zu verzeichnen sind, können die mit der Normierung gegebenenfalls verbundenen Effizienzgewinne diese unter den in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten Bedingungen rechtfertigen. Die mit Normenvereinbarungen erzielbaren Effizienzgewinne umschreibt die Kommission folgendermaßen : „So kann durch unionsweite Normen die Marktintegration erleichtert und den Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Waren und Dienstleistungen in allen Mitgliedstaaten anzubieten, was für die Verbraucher ein größeres Produktangebot und niedrigere Preise bedeutet . Normen durch die technische Interoperabilität und Kompatibilität geschaffen werden, erweisen sich häufig als wettbewerbsfördernd, weil sie Technologien verschiedener Unternehmen 26 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 100. 27 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 103. 28 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 257 ff. 29 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 257. 30 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 280. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 10 zusammenführen und verhindern helfen, dass Abnehmer an einen bestimmten Anbieter gebunden sind. Darüber hinaus tragen Normen zu niedrigeren Transaktionskosten für Verkäufer und Käufer bei. Außerdem können Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltnormen für Produkte den Verbrauchern ihre Wahl erleichtern und einen Beitrag zu mehr Produktqualität leisten. Auch für die Innovation spielen Normen eine wichtige Rolle. So verkürzen sie die Zeit bis zur Markteinführung einer neuen Technologie und fördern die Innovationstätigkeit, indem sie den Unternehmen die Möglichkeit geben, auf bereits vereinbarten Lösungen aufzubauen.“31 Die Kommission betont allerdings auch, dass derartige Effizienzgewinne nur dann nutzbar seien, wenn „potenziellen neuen Marktteilnehmern die für die Normanwendung erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen.“32 Ferner könne die Unerlässlichkeit der mit der Normierungsvereinbarung verbundenen Wettbewerbsbeschränkung „normalerweise“ nur dann bejaht werden, wenn die „Beteiligung an der Normierung […] allen Wettbewerbern auf dem Markt/den Märkten, für den/die Norm gilt, offensteh[t], es sei denn die Parteien weisen nach, dass dies ineffizient wäre, oder es sind anerkannte Verfahren für die kollektive Interessenvertretung vorgesehen.“ 33 Was die von Art. 101 Abs. 3 AEUV ebenfalls geforderte „angemessene Beteiligung der Verbraucher“ angeht, so kann diese nach Auffassung der Kommission bei Normen, welche die technische Interoperabilität und Kompatibilität und/oder den Wettbewerb zwischen neuen und bereits eingeführten Produkten fördern, unterstellt werden. Ansonsten sei zu prüfen, „mit welchen Verfahren gewährleistet wird, dass die Interessen der Normenanwender und der Endkunden geschützt sind.“34 3. Rechtsfolgen des Kartellverbots Maßnahmen, die gegen Art. 101 AEUV verstoßen, sind nichtig (Art. 101 Abs. 2 AEUV) und können zur Verhängung von Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen oder Unternehmensverbände durch die Kommission führen (Art. 23 Abs. 2 VO [EG] Nr. 1/2003). Voraussetzung für eine Geldbuße ist ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß. Die Geldbuße darf 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes des Unternehmens nicht übersteigen. Bei ihrer Festsetzung ist die Schwere der Zuwiderhandlung und deren Dauer zu berücksichtigen (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3 VO [EG] Nr. 1/2003). Nach den Bußgeldleitlinien der Kommission35 geht diese bei der Festsetzung des Geldbuße folgendermaßen vor: Zunächst wird der Wert der Waren oder Dienstleistungen bestimmt, die das betreffende Unternehmen im Zusammenhang mit dem Verstoß im relevanten räumlichen Markt 31 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 308. 32 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 309. 33 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 316. 34 Horizontalleitlinien a.a.O. Rn. 321. 35 Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Art. 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 vom 1. September 2006 (ABl. Nr. C 210 S. 2) (im Folgenden: „Bußgeldleitlinien“) Rn. 13, 19, 21, 23, 27. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/17 Seite 11 innerhalb des EWR verkauft hat.36 Je nach Schwere des Verstoßes wird ein bestimmter Anteil an diesem Umsatz, maximal aber 30 %, mit der Anzahl von Jahren multipliziert, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war.37 Am oberen Ende der 30-Prozent-Bandbreite wird der Umsatzanteil bei horizontalen, üblicherweise geheimen Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung der Märkte oder Einschränkung der Erzeugung festgesetzt, da diese sog. Kernbereichsbeschränkungen aus Sicht der Kommission zu den schwerwiegendsten Verstößen gehören .38 Zu dem durch Multiplikation der Anzahl der Jahre mit dem Umsatzanteil ermittelten Wert fügt die Kommission nochmals einen Betrag von 15 bis 20 % des im Zusammenhang mit dem Verstoß stehenden Umsatzes hinzu.39 Der dadurch errechnete sog. Grundbetrag kann durch erschwerende oder mildernde Umstände sodann erhöht oder ermäßigt werden.40 Erschwerende Umstände liegen z.B. bei der Fortsetzung einer Zuwiderhandlung vor, bei der Behinderung der Untersuchung durch die Kommission oder beim Anführer oder Anstifter des Verstoßes.41 Ein mildernder Umstand kann die fahrlässige Begehung sein oder die nur geringfügige Beteiligung an dem Verstoß.42 Ein weitere Reduzierung oder sogar den vollständigen Erlass der Geldbuße ermöglicht die sog. Kronzeugenregelung der Kommission43. Ein vollständiger Erlass kommt in Betracht, wenn ein Unternehmen als erstes Informationen und Beweismittel vorlegt, die zielführende Nachprüfungen im Zusammenhang mit einem Kartell oder die Feststellung von Kartellverstößen ermöglichen .44 Eine Ermäßigung kann erfolgen, wenn das Unternehmen Beweismittel mit „erheblichem Mehrwert“ vorlegt. Die Ermäßigung beläuft sich auf 30 bis 50 % für das erste Unternehmen, auf 20 bis 30 % für das zweite und auf bis zu 20 % für jedes weitere Unternehmen.45 *** 36 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 13. 37 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 19, 21. 38 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 23. 39 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 25. 40 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 27 ff. 41 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 28. 42 Bußgeldleitlinien a.a.O. Rn. 29. 43 Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vom 8. Dezember 2006 (ABl. Nr. C 298 S. 17), geändert durch ÄndMitteilung 2015/C 256/01 vom 5. 8. 2015 (ABl. Nr. C 256 S. 1) (im Folgenden: „Kronzeugenregelung“). 44 Kronzeugenregelung a.a.O. Rn. 8. 45 Kronzeugenregelung a.a.O. Rn. 24, 26.