© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 092/16 Zulässigkeit des Stillens in Cafés und Gaststätten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 2 Zulässigkeit des Stillens in Cafés und Gaststätten Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 092/16 Abschluss der Arbeit: 06.06.2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Stillen in der Öffentlichkeit unter öffentlich-rechtlichen Vorschriften 4 3. Das Hausrecht des Gastwirts und die Vertragsgestaltung als zivilrechtliche Komponente 6 3.1. Der Gastwirt beanstandet das Stillen nicht 6 3.2. Der Gastwirt beanstandet das Stillen, ohne dass eine bewirtungsvertragliche Regelung getroffen wurde 6 3.3. Es besteht eine vertragliche Regelung 9 4. Zusammenfassung 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 4 1. Einleitung Der vorliegende Sachstand geht der Fragestellung nach, ob das Stillen von Säuglingen in Cafés und Gaststätten (im Folgenden der Einfachheit halber nur: Gaststätten) zulässig ist. Konkret untersucht wird dabei, ob eine als Gast in einer Gaststätte anwesende Mutter ihr Kind an dem von ihr gewählten Sitzplatz zulässigerweise stillen kann. Außer Betracht bleiben demnach zunächst die für Angestellte von Gaststätten geltenden arbeits- und mutterschutzrechtlichen Regelungen hinsichtlich der Rechte stillender Frauen am Arbeitsplatz. Unberücksichtigt bleibt auch, ob und inwieweit das Stillen von Säuglingen in anderen als den Gasträumen (etwa in zur Verfügung stehenden Wickelräumen bzw. Waschräumen) zulässig ist. Dabei ist zunächst darzustellen, ob und inwieweit das Stillen von Säuglingen in öffentlich zugänglichen Orten (wie Gaststätten) im Grundsatz, d.h. unter Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften überhaupt zulässig ist. Kommt die Untersuchung nämlich zu dem Ergebnis, dass das Stillen in der Öffentlichkeit ohnehin unzulässig ist, so dürfte dies auch in Gaststätten gelten; jedenfalls könnte sich der Gaststättenbetreiber (im Folgenden: der Gastwirt) ein entsprechendes Verbot ohne weiteres zu eigen machen. Nur soweit von einer grundsätzlichen Zulässigkeit des öffentlichen Stillvorgangs auszugehen ist, muss weiterhin auf zivilrechtlicher Ebene untersucht werden, ob Müttern das Stillen von Säuglingen vom Gastwirt als Inhaber des Hausrechts unter Berufung auf selbiges oder durch vertragliche Regelungen untersagt werden kann. Hier ist insbesondere auf die Frage einzugehen, ob Gastwirte an der Ausübung des ihnen grundsätzlich zustehenden Hausrechts aufgrund von Diskriminierungsverboten oder aufgrund vertraglicher Bindungen zur stillenden Mutter gehindert sind. 2. Stillen in der Öffentlichkeit unter öffentlich-rechtlichen Vorschriften Die Zulässigkeit des Stillens von Säuglingen in der Öffentlichkeit ist in Deutschland durch öffentlich -rechtliche Vorschriften selbst nicht explizit geregelt, d.h. weder ausdrücklich verboten noch ausdrücklich erlaubt.1 Weder die vom Bundesgesetzgeber erlassenen Strafvorschriften noch die Gesetze über Ordnungswidrigkeiten, ebenso wenig die polizei- und ordnungsrechtlichen Vorschriften , insbesondere auch das Gaststättenrecht, der Länder (oder des Bundes) adressieren die Frage. Anknüpfungspunkt für ein sanktioniertes Verbot des Stillens in der Öffentlichkeit können daher im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nur diejenigen allgemeiner formulierten Tatbestände sein, durch die unerwünschtes Verhalten in der Öffentlichkeit pönalisiert wird. Dies würde voraussetzen , dass das Stillen selbst oder zumindest das damit gegebenenfalls verbundene Entblößen der Brust unter einen solchen Tatbestand zu subsumieren wäre. Zu denken wäre etwa an eine 1 In anderen Ländern bestehen teilweise ausdrückliche Diskriminierungsverbote, die solche Handlungen untersagen , die eine Mutter beim Stillen eines Kindes an öffentlichen Plätzen hindern, so etwa in Schottland unter dem „Breastfeeding etc (Sotland) Act 2005, vgl. http://www.legislation .gov.uk/asp/2005/1/pdfs/asp_20050001_en.pdf (Stand: Juni 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 5 Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch2 wegen Exhibitionismus (§ 183 StGB) oder Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB) bzw. nach dem Ordnungswidrigkeitsgesetz3 wegen Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG). Eine Strafbarkeit wegen exhibitionistischer Handlung nach § 183 Abs. 1 StGB scheidet für stillende Mütter allerdings schon deswegen aus, weil die Vorschrift nur exhibitionistische Handlungen von Männern mit Strafe bedroht. Darüber hinaus fehlt es dem Stillvorgang (auch soweit die Brüste der stillenden Mutter dabei entblößt werden) an der für den Tatbestand des Exhibitionismus erforderlichen sexuellen Motivation4 der Entblößungshandlung. Aus diesem Grund scheidet im Ergebnis auch eine Strafbarkeit wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses gemäß § 183a StGB aus. Strafbar im Sinne der Vorschrift sind nur „öffentlich[e] sexuelle Handlungen “. Weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ist bislang, soweit ersichtlich, überhaupt nur erwogen worden, den Stillvorgang unter diesen Begriff zu fassen. In Ermangelung einer objektiven Sexualbezogenheit des Stillvorgangs kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Stillen in der Öffentlichkeit als Erregung öffentlichen Ärgernisses angesehen werden kann.5 Ob der öffentlich durchgeführte Stillvorgang als Ordnungswidrigkeit wegen der Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG) angesehen werden könnte, ist ebenfalls, soweit ersichtlich, weder von der Literatur noch der Rechtsprechung bislang überhaupt nur aufgeworfen worden. Ordnungswidrig wäre das Stillen nach dieser Vorschrift nur dann, wenn es grob ungehörig und geeignet wäre, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Als grob ungehörig werden indes nur solche Handlungen angesehen, die in einem erheblichen Maße gegen die anerkannten Regeln von Sitte, Anstand und Ordnung verstoßen.6 Davon dürfte beim Stillen des Kindes als natürlichem, von weiten Teilen der Öffentlichkeit auch akzeptiertem Verhalten kaum auszugehen sein. Mit dieser Einschätzung steht zugleich fest, dass gegen das Stillen von Säuglingen in der Öffentlichkeit auch nicht unter Berufung auf das Polizei- und Ordnungsrecht vorgegangen werden kann. Polizeirechtliches Einschreiten setzt in der Regel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bzw. Ordnung voraus.7 Weder stellt das Säugen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, noch ist nach dem oben gesagten von einer Gefahr für die öffentliche Ordnung auszugehen. Auch ordnungsrechtlich ist das Stillen von Säuglingen in der Öffentlichkeit daher nicht zu beanstanden. 2 Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2218), abrufbar unter https://www.gesetze -im-internet.de/stgb/. 3 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Mai 2015 (BGBl. I S. 706), abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/. 4 Vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 183 Rdnr. 5 m.w.N. 5 Aus diesem Grund kommt auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 119 OWiG nicht in Betracht. 6 Vgl. nur Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 118 Rdnr. 4 m.w.N. 7 Beispielhaft zu nennen wären die Generalklauseln der Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 6 3. Das Hausrecht des Gastwirts und die Vertragsgestaltung als zivilrechtliche Komponente Bestehen gegen das Stillen in der Öffentlichkeit daher keine Bedenken, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass dies (vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen) auch in einer Gaststätte gilt. Hier befindet sich die stillende Mutter allerdings nicht in einem öffentlich-rechtlich gewidmeten Raum, sondern in den Räumen des Gastwirtes, mit dem die Mutter, jedenfalls mit Aufgabe einer Bestellung, einen Bewirtungsvertrag abschließen wird. Folglich ist für die Fragen der Zulässigkeit des Stillens die zivilrechtliche Beziehung zwischen Mutter und Gastwirt in den Blick zu nehmen. Insoweit gilt: 3.1. Der Gastwirt beanstandet das Stillen nicht Sofern der Gastwirt als Inhaber des Hausrechtes das Stillen der Mutter nicht beanstandet, so ist es ohne weiteres zulässig. Anderen Gästen (ebenso wie etwaigen Mitarbeitern) steht insoweit kein Unterlassungsanspruch gegen die stillende Mutter zu. Nur der Gastwirt (bzw. sein Stellvertreter) als Inhaber des Hausrechts oder als Bewirtungsvertragspartner der stillenden Mutter können überhaupt die Zulässigkeit des Stillens durch ihre zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (entweder über das Hausrecht oder über die Vertragsgestaltung) beeinflussen. Vom Willen anderer Parteien ist die Zulässigkeit des Stillens nicht abhängig. 3.2. Der Gastwirt beanstandet das Stillen, ohne dass eine bewirtungsvertragliche Regelung getroffen wurde Soweit zwischen stillender Mutter und Gastwirt noch kein Vertrag geschlossen worden ist oder der Vertrag (wie üblich) keine Regelung über das Stillen eines Kindes enthält, kommt in Betracht, dass der Gastwirt die stillende Mutter dazu auffordert, dass Stillen des Kindes einzustellen oder an einem anderen Ort fortzusetzten und andernfalls die Gaststätte zu verlassen. Mangels vertraglicher Verpflichtung der Mutter besteht kein vertraglicher Unterlassungsanspruch des Gastwirts8 und auch ein gesetzlicher Unterlassungsanspruch besteht zunächst nicht. Jedoch steht dem Gastwirt als Eigentümer oder Besitzer der Gaststätte ein Hausrecht zu.9 Der Inhalt des Hausrechts umfasst auch die Befugnis, Gästen ein Hausverbot zu erteilen.10 Soweit also der Gastwirt das Stillen von Säuglingen durch seine Gäste ablehnt (sei es, weil er bzw. seine Mitarbeiter sich durch das 8 Zu erwägen wäre allenfalls, ob bei Abschluss eines Vertrages eine Nebenpflicht des Gastes (hier also der Mutter) besteht, alles zu unterlassen, was andere Gäste stören könnte und, sofern dies der Fall ist, ob darunter auch das Stillen von Säuglingen fällt. In praktischer Hinsicht wird sich ein Gastwirt, der das Stillen ablehnt, allerdings kaum auf die Durchsetzung dieses Anspruchs verlegen, sondern vielmehr nach entsprechender Aufforderung zur Unterlassung ein Hausverbot aussprechen. 9 Das Hausrecht ist Ausfluss der durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438), abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet.de/gg/) kodifizierten Privatautonomie sowie der einfachgesetzlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1190), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/) verankerten Eigentums- und Besitzrechte, §§ 858 ff., 903, 1004 BGB. Vgl. dazu nur BGH NJW 2012, 1725 Rdnr. 8 m.w.N. 10 Vgl. auch dazu nur BGH NJW 2012, 1725 Rdnr. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 7 Stillen gestört fühlen, sei es, weil er befürchtet, andere Gäste könnten sich dadurch gestört fühlen), so besteht im Grundsatz die Möglichkeit für den Gastwirt, in der Ausübung seines Hausrechts der stillenden Mutter ein Hausverbot zu erteilen. Einem gegenüber einer Mutter aufgrund von Stillens ausgesprochenem Hausverbot könnten allerdings Diskriminierungsverbote entgegenstehen. Weder in der rechtswissenschaftlichen Literatur noch in der Rechtsprechung ist diese Frage (soweit ersichtlich) bislang thematisiert worden. Folglich kann nur eine Einschätzung unter Anwendung der bisher etablierten Leitlinien zu Diskriminierungsfragen erfolgen. Diskriminierungsverbote sind mittlerweile einfachgesetzlich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz11 (AGG) kodifiziert. Unzulässig sind nach dem AGG u.a. Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts bei der Begründung, Durchführung und Beendigung solcher zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise als Massengeschäfte durchgeführt werden bzw. bei denen dem Ansehen der Person nur eine nachrangige Bedeutung zukommt und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Verträge über die Bewirtung in Gaststätten werden als Bargeschäfte des täglichen Lebens als Massengeschäfte in diesem Sinne verstanden.12 Folglich besteht grundsätzlich ein Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts. Soweit ein Gastwirt einer Mutter aufgrund des Stillens ihres Säuglings ein Hausverbot erteilen möchte, dürfte darin auch eine (mittelbare) Benachteiligung wegen des Geschlechts liegen. Das AGG definiert mittelbare Benachteiligungen als solche, die aufgrund scheinbar neutraler Vorschriften zu einer besonderen Benachteiligung von Personengruppen eines bestimmten Merkmals (hier: des Geschlechts) im Vergleich zu anderen Personengruppen führen (§ 3 Abs. 2 AGG).13 Ein Hausverbot wegen des Stillens eines Säuglings knüpft zwar nicht unmittelbar an das Geschlecht der stillenden Mutter an, trifft aber im Ergebnis stets den weiblichen Elternteil und damit Frauen. Es kommt folglich zu einer Schlechterstellung von Frauen im Vergleich zum männlichen Elternteil, dem Vater, der nicht Stillen kann und sich folglich der Gefahr des Hausverbotes beim Stillen in einer Gaststätte auch nicht ausgesetzt sieht. Gleichwohl kann die mit einem (auf das unerwünschte Stillen eines Säuglings gestützte) Hausverbot einhergehende (mittelbare) Diskriminierung gerechtfertigt sein. Bei mittelbaren Diskriminierungen liegt schon keine Benachteiligung im Sinne des AGG vor, sofern das mittelbar benachteiligende Diskriminierungsmerkmal durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (§ 3 Abs. 2 AGG). Selbst bei Vorliegen einer Benachteiligung ist eine solche gerechtfertigt, sofern für die unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund vorliegt (§ 20 Abs. 1 S. 1 AGG). Ein solcher sachlicher Grund dürfte jedenfalls dann vorliegen, wenn der Gastwirt begründete Sorge haben muss, dass sich andere Gäste, ggf. auch die Mitarbeiter, durch den Anblick des Stillvorganges in ihrem Schamgefühl berührt sehen, sich entsprechend unwohl fühlen, eventuell die Gaststätte verlassen oder gar nicht 11 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610), abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet .de/agg/. 12 Däubler/Bertzbach-Däubler, AGG, 3. Aufl. 2013, § 19 Rdnr. 25; Maier-Reimer, NJW 2006, 2577 (2579), ebenso für die „Gastronomie“ Palandt-Grüneberg, BGB, 68. Aufl. 2009, § 19 AGG Rdnr. 2. 13 Vgl. dazu auch Däubler/Bertzbach-Däubler, AGG, 3. Aufl. 2013, § 3 Rdnr. 40. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 8 erst betreten. Der Gastwirt ist nicht nur der stillenden Mutter, sondern allen seinen Gästen verpflichtet und daher auch gehalten, auf das Wohlbefinden der übrigen Gäste Rücksicht zu nehmen und zu gewährleisten. Auch wird man von einem Gastwirt nicht verlangen können, auf (aus seiner Sicht wirtschaftlich erforderliche) Gäste zu verzichten, die nicht bereit sind, in einer Gaststätte neben einer stillenden Mutter zu speisen. Es erscheint jedenfalls möglich, dass sich ein Teil der Bevölkerung durch die mit dem Stillen einhergehende Intimität selbst unangenehm berührt fühlt und mit diesem Vorgang jedenfalls in der Öffentlichkeit nicht konfrontiert werden möchte. Ungeachtet jedweder Bewertung einer solchen Einstellung darf ein Gastwirt auf diese Empfindung seiner Gäste Rücksicht nehmen. Die mit dem Gebrauch des Hausrechts eintretende mittelbare Diskriminierung kann folglich gerechtfertigt sein. Soweit der Gastwirt der stillenden Mutter nahelegt, das Kind an einem anderen Ort, etwa einem Waschraum, zu stillen oder das Stillen einzustellen und nur für den Fall, dass die Mutter entgegen diesem Verlangen weiter stillt, der Gastwirt ein Hausverbot ausspricht, dürfte auch von der Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Hausverbotes auszugehen sein. Gestützt auf sein Hausrecht kann der Gastwirt die stillende Mutter jedenfalls dann mit einem Hausverbot belegen, soweit zwischen dem Gastwirt und der Mutter noch kein Bewirtungsvertrag geschlossen worden ist.14 Zwar geht die Rechtsprechung auch in diesem Fall davon aus, dass die Ausübung des Hausrechts grundsätzlich eines sachlichen Grundes bedarf.15 Ein solcher liegt aber nach den obigen Ausführungen, namentlich der dem Gastwirt obliegende Rücksichtnahme auf andere , sich durch den Stillvorgang gestört fühlende Gäste, vor. Anderes kann dann allerdings gelten, wenn zwischen dem Gastwirt und dem Gast (hier: der stillenden Mutter) bereits ein Bewirtungsvertrag geschlossen worden ist.16 In diesem Fall hat sich der Gastwirt nämlich bereits vertraglich dazu verpflichtet, die stillende Mutter zu bewirten. Ein Rücktritts - oder Kündigungsrecht stünde dem Gastwirt nur bei einer Vertragsverletzung durch die stillende Mutter zu. Soweit (wie üblich) das Stillen eines Kindes im Vertrag nicht geregelt worden ist, kommt das Stillen des Kindes allenfalls als Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht, etwa als Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Wohlbefinden der übrigen Gäste, in Betracht. Vor dem Hintergrund , dass das Stillen in der Öffentlichkeit nach dem oben (unter 2.) Gesagten indes ohne weiteres zulässig ist und eine Störung anderer Gäste keinesfalls objektiv gegeben sein muss, sondern einzig von der persönlichen Einstellung derselben abhängig ist, kann von einer Pflichtverletzung und damit einem Kündigungs- bzw. Rücktrittsrecht des Gastwirts nicht ausgegangen werden. Ein Hausverbot würde aber den vertraglichen Erfüllungsanspruch der stillenden Mutter auf die Bewirtung vereiteln. Für den Fall des vertragsvereitelnden Hausverbots hat die Rechtsprechung hohe Hürden 14 Etwa weil die stillende Mutter bereits vor einem Vertragsschluss darauf hingewiesen worden ist, dass das Stillen nicht erlaubt sei und diese dann von einem Vertragsschluss Abstand genommen hat. 15 Vgl. etwa BGH NJW 2012, 1725 (1727 Rdnr. 22 ff.). Seine Begründung findet das Erfordernis des sachlichen Grundes in der mittelbaren (Dritt-)Wirkung, die die Grundrechte auf die Privatrechtsordnung ausüben. Soweit sich indes bereits aus der einfachgesetzlichen Kodifizierung der Diskriminierungsverbote im AGG keine Einschränkung des Hausrechts des Gastwirtes ergibt, so dürfte auch eine Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen des Gastwirts einerseits sowie des Gastes (hier: die stillende Mutter) andererseits nichts Gegenteiliges ergeben. 16 Etwa weil der Gastwirt erst nach dem Abschluss des Vertrages darauf hinweist, dass das Stillen nicht erlaubt sei und sodann von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 092/16 Seite 9 aufgestellt, wonach nur besonders gewichtige Sachgründe ein vertragsvereitelndes Hausverbot zu rechtfertigen vermögen.17 Insbesondere reicht insofern die bloß abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Inhabers des Hausrechts nicht aus.18 Vielmehr wird der Gastwirt nur dann ein Hausverbot erteilen dürfen, sofern er konkrete Beeinträchtigung des Betriebs oder anderer Gäste zu befürchten hat. 3.3. Es besteht eine vertragliche Regelung Soweit Gastwirt und Mutter über die Zulässigkeit des Stillens eine Vereinbarung (etwa als Nebenvereinbarung im Bewirtungsvertrag) getroffen haben, so ist diese Vereinbarung maßgeblich. Ist das Stillen vertraglich für zulässig erklärt worden, so ist der Gastwirt grundsätzlich auch gehalten, das Stillen zu dulden. Jedes andere Verhalten des Gastwirts wäre dann vertragswidrig. Sollten stillende Mutter und Gastwirt sich darauf geeinigt haben, dass das Stillen unzulässig ist, so dürfte eine solche Abrede zumindest nicht ohne weiteres unzulässig sein. Eine damit einhergehende Diskriminierung ist rechtfertigungsfähig, so dass es nicht notwendig zu einem Verstoß gegen ein Verbotsgesetz (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) kommt. Die Mutter wäre grundsätzlich an die vertragliche Regelung gebunden, ein Stillen des Kindes würde einen Vertragsbruch darstellen. In diesem Fall könnte der Gastwirt vom Vertrag zurücktreten und von seinem Hausrecht Gebrauch machen. 4. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Stillen in der Öffentlichkeit grundsätzlich zulässig ist. Damit ist auch das Stillen in Gaststätten zunächst einmal unbedenklich. Hier ist allerdings das Hausrecht des Gastwirtes zu beachten. Die Zulässigkeit des Stillens hängt daher von der Ausübung des Hausrechts aus. Von seinem Hausrecht kann der Gastwirt ohne Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot jedenfalls dann relativ freien Gebrauch machen, wenn es noch nicht zu einem Bewirtungsvertrag zwischen Gastwirt und stillender Mutter gekommen ist. Sofern dies jedoch der Fall ist, ist ein Hausverbot gegenüber der stillenden Mutter nur noch bei Vorliegen besonders gewichtiger Sachgründe zulässig. Ist eine vertragliche Regelung über die Zulässigkeit des Stillens getroffen worden, so ist diese Regelung maßgeblich. - Ende der Bearbeitung - 17 BGH NJW 2012, 1725 (1726 Rdnr. 14). 18 BGH NJW 2012, 1725 (1726 Rdnr. 17).