© 2015 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 091/15 Die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen Umsetzungsbedarf sowie ausgewählte zivilrechtliche Implikationen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 2 Die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen Umsetzungsbedarf sowie ausgewählte zivilrechtliche Implikationen Verfasser: Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 091/15 Abschluss der Arbeit: 5. Juni 2015 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 1.1. Die Leitlinien 4 1.2. Die Verbindung zu staatlichem Zivilrecht 5 1.3. Die vorliegende Fragestellung 6 2. Umsetzungsbedarf 6 3. Zivilverfahren vor deutschen Gerichten wegen mutmaßlicher Beteiligung von deutschen Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen im Ausland 7 3.1. „Menschenrechtsverletzung“ im Zivilrecht 8 3.2. Delikts-Kollisionsrecht 8 3.2.1. Deliktsstatut 8 3.2.2. Eingriffsnormen im Deliktsstatut 9 3.3. Internationale Zuständigkeit 11 3.3.1. Prämissen des Internationalen Zivilverfahrensrechts 11 3.3.2. Internationale Zuständigkeit bei Schadensersatzforderungen 12 3.4. Beweisrecht 13 4. Die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Zivilurteile 15 4.1. Grundlagen 15 4.2. Entwicklungspolitische Implikationen 16 5. Verfahrensvoraussetzungen der gebündelten Rechtsdurchsetzung bei mehreren gleichartig Geschädigten 17 5.1. Objektive Klagehäufung 17 5.2. Subjektive Klagehäufung 18 5.3. Kollektiver Rechtsschutz, Gruppen- und Verbandsklagen 18 6. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe 20 6.1. Prozesskostenhilfe 20 6.2. Beratungshilfe 23 6.3. Zugänglichkeit von Informationen 24 6.4. Praktikabilität insbesondere auch für ausländische Kläger oder größere Betroffenengruppen 25 7. Das Adhäsionsverfahren 26 7.1. Grundlagen und Struktur 27 7.2. Das Adhäsionsverfahren in der Praxis: Geringe Fallzahlen 28 7.3. Reformbestrebungen 29 8. Ergebnis 30 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 4 1. Einleitung 1.1. Die Leitlinien Im März 2011 legte der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) zum Thema Menschenrechte und transnationale Konzerne sowie andere Wirtschaftsunternehmen seinen Abschlussbericht an den Menschenrechtsrat vor.1 Der Bericht enthält als Anhang die VN- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.2 Mit Resolution 17/4 vom 16. Juni 2011 hieß der VN-Menschenrechtsrat die VN-Leitprinzipien willkommen.3 Im Oktober 2011 hat die EU-Kommission alle EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Umsetzung der VN-Leitprinzipien voranzutreiben und entsprechende „nationale Aktionspläne“ zu erarbeiten .4 Das CSR-Forum der Bundesregierung hat mit Beschluss vom 19. Juni 2013 die deutsche Bundesregierung aufgefordert „über Schritte zu einer Umsetzung dieser Leitprinzipien in die nationale Politik zu entscheiden“.5 Diese Forderung hat entsprechend Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Der Prozess zur Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans (NAP) wird durch eine „Steuerungsgruppe “ angeleitet, in der neben Vertretern aus sechs Bundesministerien6 jeweils zwei Verbandsvertreter (BDA und DIHK), zwei Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften (Forum Menschenrechte und VENRO), ein Vertreter der Gewerkschaften (DGB) sowie zwei beratende Mitglieder (Deutsches Institut für Menschenrechte und econsense) vertreten sind.7 Aufgaben der Steuerungsgruppe sind der regelmäßige Austausch, die Begleitung des Prozesses sowie die Detailplanung. Das federführende Auswärtige Amt fungiert als zentraler Ansprechpartner und Sekretariat für den Prozess. Für den auf zwei Jahre angelegten Prozess ist derzeit8 folgendes Vorgehen geplant: 1 Human Rights Council, A/HRC/17/31, 21.03.2011, http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Business/A-HRC- 17-31_AEV.pdf (Stand dieses und sämtlicher nachfolgender Online-Dokumente: 3. Juni 2015). 2 Human Rights Council (oben Fn. 1), S. 6 ff. 3 Human Rights Council, A/HRC/17/L.17/Rev.1, 06.07.2011, http://daccess-dds-ny.un.org/doc/RESOLU- TION/GEN/G11/144/71/PDF/G1114471.pdf?OpenElement. 4 Auswärtiges Amt, Nationaler Aktionsplan Wirtschaft & Menschenrechte, Stand: 20.03.2015, abrufbar unter http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/692116/publicationFile/203746/141106-Ausgestaltung NAPWiMR.pdf. 5 Auswärtiges Amt, Nationaler Aktionsplan Wirtschaft & Menschenrechte (siehe Fn. 4). 6 Neben dem federführenden Auswärtigen Amt sind BMAS, BMWi, BMJV, BMUB sowie BMZ vertreten. 7 Auswärtiges Amt, Nationaler Aktionsplan Wirtschaft & Menschenrechte (siehe Fn. 4). 8 Auswärtiges Amt, Nationaler Aktionsplan Wirtschaft & Menschenrechte (siehe Fn. 4). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 5 – November 2014: Eröffnungskonferenz – Bis April 2015: Erarbeitung eines Status-Quo-Berichts (National Baseline Assessment) – Mai 2015: Konferenz – Vorstellung des Status-Quo-Berichts – Bis November 2015: Durchführung von Fachworkshops zu ausgewählten Handlungsfeldern – Anfang Dezember 2015: Konferenz - Zusammenführen der Ergebnisse – März 2016: Konferenz – Vorlage eines Entwurfs des NAP – Frühjahr 2016: Abstimmung im Kabinett und Verabschiedung des Aktionsplans durch die Bundesregierung. Der o. g. Status-Quo-Bericht (National Baseline Assessment) „Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ wurde vom Deutschen Institut für Menschenrechte erarbeitet und im April 2015 vorgelegt.9 1.2. Die Verbindung zu staatlichem Zivilrecht Die insgesamt 31 Leitprinzipien gliedern sich in drei Abschnitte: Staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte, Unternehmerische Pflicht zur Achtung der Menschenrechte und Zugang zu Abhilfe. Im letztgenannten Abschnitt weisen insbesondere die Prinzipien 25, 26 und 31 potentielle Implikationen für die Ausgestaltung vor allem des jeweiligen nationalen zivil- und zivilverfahrensrechtlichen Rahmens auf: – „25. Als Teil ihrer Pflicht, Schutz gegenüber mit Unternehmen zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen zu gewähren, müssen Staaten geeignete Maßnahmen treffen, um durch gerichtliche, administrative, gesetzgeberische oder andere geeignete Mittel dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen Zugang zu wirksamer Abhilfe haben, sofern solche Verletzungen in ihrem Hoheitsgebiet und/oder unter ihrer Jurisdiktion vorkommen.“ – „26. Staaten sollten geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit innerstaatlicher gerichtlicher Mechanismen treffen bei der Handhabung von mit Unternehmen zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen, und dabei in Betracht ziehen, wie sie rechtliche, praktische und andere relevante Schranken abbauen können, die zur Verweigerung des Zugangs zu Abhilfe führen könnten.“ – „31. Zur Gewährleistung ihrer Wirksamkeit sollten sowohl staatliche als auch nicht-staatliche außergerichtliche Beschwerdemechanismen: 9 Abrufbar unter http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Weitere _Publikationen/National_Baseline_Assessment_Umsetzung_der_UN-Leitprinzipien_fuer_Wirtschaft _und_Menschenrechte.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 6 (a) legitim sein: Sie ermöglichen das Vertrauen der Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen sind, und sind rechenschaftspflichtig im Sinne einer fairen Abwicklung von Beschwerdeverfahren ; (b) zugänglich sein: Sie sind allen Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen sind, bekannt und gewähren denjenigen, die im Hinblick auf den Zugang zu ihnen unter Umständen vor besonderen Hindernissen stehen, ausreichende Unterstützung; (c) berechenbar sein: Sie bieten ein klares, bekanntes Verfahren mit einem vorhersehbaren zeitlichen Rahmen für jede Verfahrensstufe an, ebenso wie klare Aussagen zu den verfügbaren Arten von Abläufen und Ergebnissen und Mitteln zur Überwachung der Umsetzung; (d) ausgewogen sein: Sie sind bestrebt, sicherzustellen, dass die Geschädigten vertretbaren Zugang zu den Quellen für Informationen, Beratung und Fachwissen haben, die sie benötigen , um an einem Beschwerdeverfahren auf faire, informierte und respektvolle Weise teilnehmen zu können; (e) transparent sein: Sie informieren die Parteien eines Beschwerdeverfahrens laufend über dessen Fortgang und stellen genügend Informationen über die Leistung des Beschwerdemechanismus bereit, um Vertrauen in seine Wirksamkeit zu bilden und etwaigen öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen; (f) Rechte-kompatibel sein: Sie stellen sicher, dass die Ergebnisse und Abhilfen mit international anerkannten Menschenrechten in Einklang stehen; (g) eine Quelle kontinuierlichen Lernens sein: Sie greifen auf sachdienliche Maßnahmen zurück, um Lehren zur Verbesserung des Mechanismus und zur Verhütung künftiger Missstände und Schäden zu ziehen; Mechanismen auf operativer Ebene sollten außerdem: (h) auf Austausch und Dialog aufbauen: Sie konsultieren die Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen sind, hinsichtlich ihrer Gestaltung und Leistung und stellen auf Dialog als Mittel ab, um Missständen zu begegnen und sie beizulegen.“ 1.3. Die vorliegende Fragestellung Nachfolgend sollen der Umsetzungsbedarf sowie – zum Teil ausgehend vom „National Baseline Assessment – Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte – ausgewählte Implikationen der o.g. Prinzipien der Dritten Säule der Leitprinzipien (Zugang zu Abhilfe) für das deutsche Zivil- und Zivilverfahrensrecht summarisch beleuchtet werden, um eine rechtspolitische Annäherung und Bewertung der vorliegenden Thematik zu fördern bzw. zu erleichtern.10 2. Umsetzungsbedarf Das Konstatieren eines obligatorischen Umsetzungsbedarfs des nationalen Gesetzgebers setzt voraus , dass die fraglichen internationalen Regelungen insoweit überhaupt verbindlichen Charakter haben. 10 Die Darstellung beschränkt sich im wesentlichen auf die geltende deutsche Gesetzeslage – das staatsvertraglich geregelte, gegenüber den inländischen Normen vorrangige Zivil-, Zivilverfahrens- und Kollisionsrecht bleibt grds. unbeachtet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 7 Zwar können die Resolutionen des VN-Menschenrechtsrates zur Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht beitragen; sie haben nach der völkerrechtlichen Grundlage des Rates – der Resolution der VN-Generalversammlung 60/25111 – jedoch keine unmittelbar bindende Wirkung.12 Ein obligatorischer rechtlicher Umsetzungsbedarf kann sich aus den Leitprinzipien als „soft law“13 deshalb schon aufgrund ihres Rechtscharakters nicht ergeben: „Die Staaten mögen sich im Rahmen eines universellen Forums mit überwältigender Mehrheit auf bestimmte Grundsätze einigen. Sie haben durch ihre nachfolgende Verhaltensweise aber stets zu erkennen gegeben, dass sie sich an einen so hergestellten formlosen Konsens lediglich politisch und nicht rechtlich gebunden sehen. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf das sog soft law. Resolutionen der UN-Generalversammlung oder von Organen anderer universeller internationaler Organisationen werden von den Staaten ebenso dem rein politischen Bereich zugeordnet wie Empfehlungen oder Verhaltenskodizes.“14 Hinzu kommt jedenfalls im Falle der o.g. Prinzipien 25, 26 und 31 zudem, dass sie aufgrund ihrer appelartigen, unbestimmten Fassung, die gekennzeichnet ist durch zahlreiche wertende Begriffe – „geeignete“ Maßnahmen, „wirksame“ Abhilfe, „relevante“ Schranken, „Ausgewogen- Sein“, etc. – im Detail nur schwerlich eine genaue Bestimmung dessen zulassen, was in diesem Sinne den Leitprinzipien entsprechen könnte und was nicht. Gerade im Falle eines hochentwickelten , detailreich ausdifferenzierten Rechtssystems wie dem der Bundesrepublik Deutschland dürfte die Beurteilung, ob „wirksame“ Abhilfe geschaffen wird oder Regelungskomplexe von mehreren hundert Paragrafen „ausgewogen“ sind, allenfalls Gegenstand – seitens der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nicht vorzunehmender – umfassender und vielfältiger (rechts)politischer Bewertungen und Diskurse sein, sich jedoch nicht im Rahmen einer rechtswissenschaftlichen Analyse belegen lassen. 3. Zivilverfahren vor deutschen Gerichten wegen mutmaßlicher Beteiligung von deutschen Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen im Ausland Das für den Zugang zu Abhilfe grundlegende Prinzip 25 sieht eine Pflicht von Staaten, durch die Bereitstellung von gerichtlichen, administrativen, gesetzgeberischen oder anderen geeigneten Mitteln dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen Zugang zu wirksamer Abhilfe haben, von vornherein nur insofern vor, als solche Verletzungen im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates und/oder unter seiner Jurisdiktion vorkommen. Nicht tangiert sind also dem Wortlaut nach offenbar im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen, soweit keine internationale Zustän- 11 United Nations General Assembly, A/RES/60/251, 3 April 2006, http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UN- DOC/GEN/N05/502/66/PDF/N0550266.pdf?OpenElement. 12 Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Stand 01.03.2015, Art. 25 Rdn. 12. 13 Vgl. Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen – Eine Untersuchung „weicher“ Steuerungsinstrumente im Spannungsfeld Wirtschaft und Menschenrechte, 2010, S. 68 ff., 94 ff. 14 Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Stand 01.03.2015, Art. 25 Rdn. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 8 digkeit der nationalen Abhilfe-Stellen vorliegt. Nachfolgend sollen ausgehend von diesem Befund die insofern einschlägigen Rahmenbedingungen des geltenden deutschen Rechts beleuchtet werden. 3.1. „Menschenrechtsverletzung“ im Zivilrecht Dem deutschen Zivilrecht ist die Begrifflichkeit der „Menschenrechtsverletzung“ als solche grundsätzlich fremd. Anknüpfungspunkt für die Einordnung und Bewertung der zivilrechtlichen Implikationen von Menschenrechtsverletzungen dürfte, da Menschenrechtsverletzungen regelmäßig 15 mit rechtswidrigen Eingriffen Dritter in die Freiheit und/oder körperliche Integrität der Betroffenen einhergehen, in der Regel das Recht der unerlaubten Handlung sein – das so genannte Deliktsrecht.16 Jenes Deliktsrecht verpflichtet in Gestalt der Generalklausel des § 823 Absatz 1 BGB17 denjenigen zum Schadensersatz, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper , die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt. Die gleiche Verpflichtung trifft nach § 823 Absatz 2 BGB denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. 3.2. Delikts-Kollisionsrecht 3.2.1. Deliktsstatut Das maßgebliche Delikts-Kollisionsrecht ergibt sich aus der EU-VO Gesetzliche Schuldverhältnisse (Rom II) - VO (EG) 864/2007.18 Die Anknüpfung findet wie folgt statt: „… das Deliktskollisionsrecht geht … von einer (wenngleich flexiblen) Anknüpfungsleiter aus. Art 14 sieht in Abs 1 den gegenüber allem anderen vorrangigen Grundsatz der freien Rechtswahl vor. Weniger eng als Art 42 EGBGB besteht diese Möglichkeit zT auch bereits vor Eintritt des haftungsbegründenden Ereignisses, wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen. In Art 4 bis 9 finden sich Sonderanknüpfungen, nämlich für die Produkthaftung , unlautere bzw wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken, Umweltschäden, für Verletzungen der Rechte am geistigen Eigentum und Arbeitskämpfe. Ähnlich wie Art 41 Abs 2 Nr 1 EGBGB sieht auch Art 4 Abs 3 die Möglichkeit der vertragsakzessorischen Anknüpfung unter dem Aspekt einer wesentlich engeren Verbindung im Verhältnis zum gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt des Abs 2 und der Tatortregel des Abs 1 vor. Ebenso wie Art 40 Abs 2 EGBGB knüpft Art 4 Abs 2 (für Gesellschaften und unternehmerische bzw berufliche Tätig- 15 Nicht ausgeschlossen ist selbstverständlich, dass es auch im Rahmen von Vertragsbeziehungen zu „menschenrechtsverletzenden “ Verhaltensweisen einer Vertragspartei gegenüber der anderen kommt. 16 Zu Berührungspunkten zwischen Menschenrechten und privaten Unternehmen vgl. allgemein Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, 2012, S. 25 f. 17 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist. 18 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. Nr. L 199 S. 40, ber. 2012 Nr. L 310 S. 52). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 9 keiten s Art 23) an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem (die englische Fassung spricht von „habitual residence“) zum Zeitpunkt der Begehung der unerlaubten Handlung bzw an eine entsprechende Hauptverwaltung oder Niederlassung an. Auch diese Anknüpfung kann wie bemerkt von einer Rechtswahl und einer vertragsakzessorischen Anknüpfung verdrängt werden. Zwar als Grundsatz an der Spitze der Anknüpfung , normenhierarchisch aber in Wirklichkeit eher an letzter Stelle stehend, weil alle anderen Anknüpfungen die Tatortregel verdrängen können, stellt auch Art 4 Abs 1 Rom II VO-Entwurf (insoweit in Übereinstimmung mit Art 40 Abs 1 EGBGB) auf den Tatort ab. Dieser wird freilich anders als in Art 40 Abs 1 EGBGB und Art 5 Nr 3 EuGVVO konkretisiert. Unabhängig davon, in welchem Stadium das „schadensbegründende Ereignis“, wozu auch der Handlungsort gehört, erfolgt, und in welchem Staat oder in welchen Staaten die „indirekten Schadensfolgen “ festzustellen sind, soll das Recht des Staates gelten, „in dem der Schaden eintritt “. Damit ist das Recht am Ort des Erfolgseintritts gemeint (S bereits v. Hein VersR 2007, 440, 443; Huber/Bach IPRax 2005, 73, 76; Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 256, 266 f; G. Wagner IPRax 2006, 372, 376 f). Man merkt bei der Anknüpfung an den Schadenseintrittsort deutlich den Einfluss der europäischen Nachbarländer mit deliktsrechtlicher Generalklausel, die anstelle des Verletzungserfolges das Erfordernis eines direkten, ersten Schadens stellen.“19 3.2.2. Eingriffsnormen im Deliktsstatut Nach Artikel 16 Rom-II-VO berührt die Verordnung generell nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln – so genannte „Eingriffsnormen“. Im Rahmen der Rom II-VO bestimmt das europäische Kollisionsrecht über die Kriterien, denen eine Eingriffsnorm genügen muss.20 Eingriffsnormen sind demnach nationale Vorschriften, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen , sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist.21 Hierzu wird festgestellt: „Die Mitgliedstaaten haben folglich bei der Festlegung, welche ihrer zwingenden Vorschriften als international zwingend iS des Art. 16 einzustufen sind, einen gewissen Beurteilungsspielraum („Vorschriften, deren Einhaltung als … entscheidend … angesehen wird“). Dieser Spielraum ist jedoch durch Unionsrecht begrenzt: Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Einstufung einer nationalen Vorschrift als Eingriffsnorm diese Vorschrift nicht von der Beachtung der Bestimmungen der Europäischen Verträge ausnehme. Ferner 19 Spickhoff , in: Bamberger/Roth (Hrsg.), BeckOK BGB, Stand 01.02.2013, VO (EG) 864/2007 Art. 1 Rdn. 6-7. 20 Junker, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rom II-VO Art. 16 Rdn. 11. 21 Junker, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rom II-VO Art. 16 Rdn. 11 mwN. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 10 könnten die Motive, die nationalen Eingriffsnormen zugrunde liegen, vom Gemeinschaftsrecht nur als Ausnahmen von den im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Gemeinschaftsfreiheiten und gegebenenfalls als zwingende Gründe des Allgemeininteresses berücksichtigt werden .“22 Eingriffsnormen im Bereich außervertraglicher Schuldverhältnisse sind auf das Recht der unerlaubten Handlungen begrenzt und auch selten23: „Deutsche Rechtsprechung, die in einem Haftpflichtprozess explizit inländischen Eingriffsnormen den Vorrang gegeben hätte, gibt es nicht. Das mag auch daran liegen, dass Sicherheits - und Verhaltensregeln, die nunmehr in den Anwendungsbereich des Art. 17 fallen (Rn. 31), im Rahmen des materiellen Rechts – ohne Rückgriff auf das Konzept der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen – als local data berücksichtigt wurden.“24 Auch die nach der Rom-II-VO erstrangig im Deliktsbereich maßgebliche Rechtswahl findet in bestimmten Fällen ihre Grenzen in den jeweiligen Eingriffsnormen, wie sich aus Artikel 14 Absätze 2 und 3 Rom-II-VO ergibt: „(2) Sind alle Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. (3) Sind alle Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form – der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts , von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“ Der Frage, ob eine Pflicht zum Schadensersatz bei Verletzung eines Menschenrechts ein wesentlicher Grundsatz des deutschen bzw. europäischen Kollisionsrechts im Sinne einer Eingriffsnorm sein kann, scheint nach dem vorstehend Festgestellten letztlich eine Annahme zugrunde zu liegen , die nicht mit dem herrschenden Konzept von Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht in Übereinstimmung steht. Denn Eingriffsnormen dienen auf vorgelagerter kollisionsrechtlicher Ebene grundsätzlich dazu, von vornherein ein nicht gebilligtes Anknüpfungsresultat zu vermeiden , nicht aber dazu, vom materiellrechtlichen Ergebnis her eine Korrektur zu veranlassen – 22 Junker, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rom II-VO Art. 16 Rdn. 12 mwN. 23 Junker, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rom II-VO Art. 16 Rdn. 14. 24 Junker, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rom II-VO Art. 16 Rdn. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 11 worin sich das Konzept der Eingriffsnorm wesentlich von dem des Ordre public (Artikel 6 EGBGB25) unterscheidet: „Beim ordre public handelt es sich um einen Mechanismus, der im Rahmen des herkömmlichen IPR-Systems, also der Fragestellung vom Sachverhalt her, operiert und lediglich deren Ergebnis im Einzelfall korrigiert, während bei der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen die Fragestellung generell aus einem anderen Blickwinkel, nämlich vom Anwendungswillen der jeweils betroffenen Eingriffsnorm her erfolgt...“26 Dem entsprechend ist eine Diskussion darüber, ob eine Pflicht zum Schadensersatz bei Verletzung eines Menschenrechts ein wesentlicher Grundsatz des deutschen bzw. europäischen Kollisionsrechts im Sinne einer Eingriffsnorm sein kann, der einschlägigen Literatur nicht zu entnehmen . 3.3. Internationale Zuständigkeit 3.3.1. Prämissen des Internationalen Zivilverfahrensrechts Das deutsche Internationale Zivilverfahrensrecht hat zum Ziel, in grenzüberschreitenden Fällen international möglichst einheitliche, einfache und praxisnahe Lösungen zu erreichen.27 Es dient mithin zusammen mit dem Internationalen Privatrecht dem Ideal, soweit möglich einen internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen.28 Eine wesentliche Grundannahme sowohl des Internationalen Privat- wie auch des Internationalen Zivilverfahrensrechts ist die der Gleichwertigkeit der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen.29 Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo Gerichte stets ihr eigenes Recht – die „lex fori“ – anwandten und der Fremde dem eigenen Recht unterworfen wurde, wenden Gerichte unter Heranziehung moderner Kollisionsregeln gegebenenfalls ausländisches Privatrecht an. 25 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist. 26 v. Hein, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rdn. 286. 27 Vgl. nur Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 18. 28 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 16. 29 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 39. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 12 Ein wesentliches Mittel des deutschen Internationalen Zivilverfahrensrechts, um den internationalen Entscheidungsgleichlauf zu erreichen, ist die Beachtlichkeit ausländischer Rechtshängigkeit .30 Wie im nationalen Zivilprozessrecht die Rechtshängigkeit der Streitsache an einem anderen staatlichen Gericht eine negative Prozessvoraussetzung ist (§ 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO31), so ist im Internationalen Zivilverfahrensrecht eine frühere ausländische Rechtshängigkeit grundsätzlich zu beachten.32 Voraussetzung der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit ist dabei sowohl die Identität der Parteien als auch des Streitgegenstandes.33 Im Gegensatz zu diesen dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs und der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen verpflichteten Axiomen des deutschen Internationalen Zivilverfahrensrechts versuchen der Literatur zufolge außerhalb staatsvertraglicher Bindungen „manche ausländischen Rechtsordnungen dagegen rücksichtlos, ihr eigenes Verfahren durchzusetzen , indem sie eine frühere ausländische Rechtshängigkeit nicht beachten. Dies gilt etwa für die Niederlande (…), Spanien, Polen (…), die USA und wohl auch noch für Japan. In England kann lis alibi pendens im Rahmen von forum non conveniens berücksichtigt werden (…). Dagegen ist Frankreich vor kurzem dazu übergegangen, eine ausländische Rechtshängigkeit unter ähnlichen Voraussetzungen wie im deutschen Recht zu beachten (…); ebenso Österreich (…), Belgien (…), Italien (…) und die Schweiz…“34 3.3.2. Internationale Zuständigkeit bei Schadensersatzforderungen Während sich die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen im Verhältnis zwischen den Mitgliedsstaaten der EU ausschließlich nach der EuGVO35 richtet, wird die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung des BGH durch die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit gegebene örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts indiziert.36 Hiernach sind gemäß § 32 ZPO deutsche Gerichte bei Schadensersatzforderungen international zuständig, wenn die deliktische Handlung oder der Erfolg in Deutschland eingetreten ist; soweit 30 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 834. 31 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Juli 2014 (BGBl. I S. 890) geändert worden ist. 32 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 833. 33 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 838. 34 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl. 2010, Rdn. 837 mwN. 35 VO (EU) Nr 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v 12.12.2012, ABl 2012 L 51, 1 m Änd, sog „Brüssel-Ia-Verordnung“, die am 10.1.2015 die „alte“ EuGVO, VO (EG) Nr 44/2001 m Änd, sog „Brüssel-I-Verordnung“ abgelöst hat. 36 Toussaint, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2013, § 12 Rdn. 26 f. mwN. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 13 auch im Sachzusammenhang stehende nichtdeliktische Ansprüche geltend gemacht werden, begründet § 32 ZPO für diese nicht die internationale Zuständigkeit.37 Ob eine unerlaubte Handlung vorliegt, ist dabei auf der Grundlage deutschen Rechts zu beurteilen.38 Der Gerichtsstand nach § 32 ZPO ist kein ausschließlicher Gerichtsstand – der Kläger kann sich somit auch auf den aus einer anderen Bestimmung ableitbaren Gerichtsstand stützen.39 Für beklagte Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit kommt danach der Gerichtsstand nach § 17 Absatz 1 ZPO in Betracht: „Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinden, der Korporationen sowie derjenigen Gesellschaften , Genossenschaften oder anderen Vereine und derjenigen Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können, wird durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird.“ Dieser Gerichtsstand gilt zudem auch für Unternehmen in der Rechtsform der OHG, KG, PartG und der EWIV: „Ohne (nach hM) juristische Person zu sein, können aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung Partei eines Rechtsstreits sein die OHG (§ 124 Abs 1 HGB), die KG (§ 161 Abs 2 HGB iVm § 124 Abs 1 HGB), die Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs 2 PartGG iVm § 124 Abs 1 HGB) und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV, Art 1 Abs 2 VO [EWG] Nr 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung [EWIV], § 1 EWIVAG iVm § 124 Abs 1 HGB). Die Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins ist für den Passivprozess in § 50 Abs 2 ZPO geregelt und darüber hinaus inzwischen auch für den Aktivprozess allgemein anerkannt (BGH NJW 2008, 69 (74) Rn 55 mwN; zu politischen Parteien vgl auch § 3 S 1 PartG). Seit der Anerkennung deren (partiellen) Rechtsfähigkeit durch die Rspr gilt dies darüber hinaus auch für die (Außen-) Gesellschaft bürgerlichen Rechts (…)“40 Bei einem Konzern, dessen Unternehmen im Ausland ansässig sind, ist jede Gesellschaft selbständig und eigenständig zu betrachten.41 3.4. Beweisrecht Grundsätzlich hat jede Partei im deutschen Zivilprozess alle der Gegenpartei ungünstigen entscheidungserheblichen Tatsachen, die von ihr bestritten werden, zu beweisen.42 37 Heinrich, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, 12. Aufl. 2015, § 32 Rdn. 23. 38 Toussaint, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2013, § 32 Rdn. 17-18. 39 Toussaint, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2013, § 32 vor Rdn. 1. 40 Toussaint, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2013, § 17 Rdn. 3.1. 41 BGH, Urteil vom 02.12.2014 - VI ZR 501/13, BeckRS 2014, 23725. 42 Musielak, Grundkurs ZPO, 11. Aufl. 2012, Rdn. 405. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 14 Dieser Grundsatz besteht jedoch keineswegs uneingeschränkt, sondern ist zum einen in Gestalt der konkreten Beweisführungslast je nach Prozesskonstellation ggf. relativiert und gerade in Konstellationen, in denen ein deutliches Informationsgefälle zwischen Geschädigtem und Schädiger besteht, mitunter auch durchbrochen – so genannte „sekundäre ehauptungslast“: „Streng zu trennen von der abstrakt-generell geregelten und normativ festgelegten subjektiven und objektiven Beweislast ist die Tatsache, dass im Verlaufe eines Prozesses je nach der vorläufigen Überzeugungsbildung des Gerichts beide Prozessparteien abwechselnd zu Beweisantritten im Rahmen ihres Hauptbeweises oder ihres Gegenbeweises (s. § 284 Rn. 20 f.) aufgerufen sein können. Eine so verstandene konkrete Beweisführungslast kann also im Verlaufe eines Prozesses mehrfach zwischen den Parteien hin und her wechseln. Dies zeigt, dass sie nicht einer abstrakt-generellen Regelung unterliegen kann, sondern von der jeweiligen konkreten Situation der Beweiswürdigung abhängig ist. Die konkrete Beweisführungslast darf also nicht mit der (abstrakten) subjektiven und objektiven Beweislast verwechselt werden. Sie betrifft somit die Frage, welche Partei in einer bestimmten Prozesssituation, in der das Gericht bereits eine vorläufige Überzeugung vom Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache gewonnen hat, einen Beweis antreten muss, um den Prozess zu gewinnen. Nur zu Beginn des Prozesses deckt sich die konkrete mit der abstrakten Beweisführungslast. Im Laufe des Verfahrens entwickelt sie sich dann unabhängig von der Verteilung der objektiven Beweislast und wird allein von der Würdigung des Gerichts im Einzelfall bestimmt. (…) Im Einzelnen bedeutet dies, dass der abstrakt behauptungs- und beweisbelasteten Partei zunächst abverlangt wird, einen Sachverhalt vorzutragen, der in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet ist, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Diese schlichte und allgemeine Behauptung genügt aber nur zu Beginn des Prozesses. Die konkrete Behauptungslast (Substantiierungslast) macht demgegenüber deutlich, dass von der jeweils anderen Prozesspartei mehr verlangt wird als nur die reine Behauptung eines schlüssigen Sachverhalts. Denn die abstrakte Behauptungslast lässt die Frage unbeantwortet, wie konkret im jeweiligen Einzelfall die verschiedenen Tatsachenbehauptungen der Parteien sein müssen. Man kann daher die abstrakte Behauptungslast auch als „Anfangsdarlegungslast“ bezeichnen. Eine besonders bedeutsame Erscheinungsform der konkreten Behauptungslast ist die sog. sekundäre Behauptungslast . Nach der st. Rspr. obliegt nämlich der nicht beweisbelasteten Partei eine gesteigerte Substantiierungslast, wenn die an sich beweisbelastete Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablauf steht und deshalb die maßgebenden Tatsachen im Einzelnen nicht kennt, während diese der Gegenpartei bekannt sind. Allerdings muss die Substantiierung der Gegenpartei zumutbar sein. Erfüllt die Gegenpartei die Anforderungen an die sekundäre Behauptungslast durch Substantiierung nicht, begnügt sie sich vielmehr mit einfachem Bestreiten der pauschalen Behauptungen des Anspruchstellers, so greift die Geständnisfiktion des § 138 Absatz 3 ein. Im Einzelnen findet die sekundäre Behauptungslast in Fällen Anwendung, in denen ein deutliches Informationsgefälle zwischen Geschädigtem und Schädiger besteht.(…) Insgesamt ist die praktische Bedeutung der sekundären Behauptungslast heute in der Rspr. als sehr bedeutsam einzuschätzen.“43 43 Prütting, in: Rauscher/Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 4. Aufl. 2013, § 286 Rdn. 103. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 15 Dass das geltende deutsche Zivilprozessrecht mit dieser Flexibilität insofern offenbar den nötigen Spielraum eröffnet, um einzelfallbezogen ausgewogene Lösungen zu eröffnen, kann auch der einschlägigen Rechtsprechung entnommen werden. So hat etwa das LG Bonn in dem Fall, dass komplexe Konzernstrukturen es für einen Kläger nicht möglich machen, anhand öffentlich zugänglicher Informationen den richtigen Anspruchsgegner zweifelsfrei zu ermitteln, entschieden, dass „der beklagte Mutterkonzern gehalten (ist), die ‚richtige‘ Beklagte namhaft zu machen. Ein (substanziiertes ) Bestreiten der Passivlegitimation reicht in einem solchen Falle nicht aus.“44 4. Die Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Zivilurteile 4.1. Grundlagen So, wie im Ausgangspunkt eines Verfahrens die Anerkennung ausländischer Rechtshängigkeit dem internationalen Entscheidungseinklang dient, tut dies nach Abschluss eines Verfahrens der Grundsatz der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung.45 Das Anerkennungsrecht hat insofern die Aufgabe, einerseits die Wirkungserstreckung großzügig zu gestatten, um internationalen Entscheidungseinklang und Verfahrensökonomie zu sichern, andererseits aber festzulegen, wann diese Ziele ausnahmsweise wegen des Verstoßes gegen grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen des Anerkennungsstaates zurücktreten und eine Anerkennung unterbleibt.46 Die für den innereuropäischen Anerkennungsverkehr in erster Linie maßgebliche sog. Brüssel Ia- VO47 gilt nicht für die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen.48 Das insoweit in Ermangelung besonderer staatsvertraglicher Regelungen einschlägige autonome deutsche Zivilprozessrecht regelt die Anerkennung ausländischer Urteile in § 328 ZPO: „(1) Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen: 1. wenn die Gerichte des Staates, dem das ausländische Gericht angehört, nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig sind; 2. wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und sich hierauf beruft , das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsmäßig oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte; 44 LG Bonn, Urteil vom 24. 2. 2006 - 2 O 73/05, NJOZ 2006, 4443. 45 Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015, Rdn. 12.5. 46 Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015, Rdn. 12.5. 47 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. Nr. L 351 S. 1). 48 Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015, Rdn. 12.13 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 16 3. wenn das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrundeliegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist; 4. wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist; 5. wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. (2) Die Vorschrift der Nummer 5 steht der Anerkennung des Urteils nicht entgegen, wenn das Urteil einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch betrifft und nach den deutschen Gesetzen ein Gerichtsstand im Inland nicht begründet war.“ Der Maßstab für die durch § 328 Absatz 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich geforderte Kontrolle der Anerkennungszuständigkeit ist einer spiegelbildlichen Anwendung der deutschen Vorschriften über die internationale Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte zu entnehmen (sog. Spiegelbildprinzip ).49 Zur rechtspolitischen Ratio dieser Regelung wird in der Literatur festgestellt: „Für das Spiegelbildprinzip sprechen rechtspolitisch zum einen die grundsätzliche Gleichbehandlung deutscher und ausländischer Zuständigkeitsinteressen und zum anderen die so gewährleistete Rechts- bzw. Planungssicherheit. Letzteres zeigt sich vor allem in der Konstellation , dass ein potentieller Kläger prüft, wo er das Verfahren einleiten soll und inwieweit er mit der Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung in Deutschland rechnen darf.“50 4.2. Entwicklungspolitische Implikationen Fraglich ist, ob die Ausgestaltung der Anerkennung oder Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile eine Verbindung zu Deutschlands entwicklungspolitischen Zielen aufweist.51 Zu den für das Rechtswesen relevanten Zielen der deutschen Entwicklungspolitik zählt nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Förderung von guter Regierungsführung („good governance“).52 Diese Förderung äußert sich nicht zuletzt darin, dass die Partnerländer deutscher Entwicklungszusammenarbeit darin unterstützt werden, die Menschenrechte zu gewährleisten, zu achten und zu schützen.53 Das Engagement für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und eine faire Gestaltung der Globalisierung wird als ein 49 Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015, Rdn. 13.9. 50 Linke/Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl. 2015, Rdn. 13.12. 51 Vgl. Baseline-Assessment (oben Fn. 9), S. 58. 52 BMZ, Good Governance – Voraussetzung und Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/themen/goodgovernance/guteregierung/deutschepolitik/index.html. 53 BMZ, Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik, Konzept, 2011, http://www.bmz.de/de/mediathek /publikationen/reihen/strategiepapiere/Strategiepapier303_04_2011.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 17 Kernziel der post-2015 Agenda für nachhaltige Entwicklung gesehen.54 Das BMZ konkretisiert dieses Ziel in seinem „Vorschlag für die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ dahingehend, dass allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglicht werden solle und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufgebaut werden sollen.55 Die Verwirklichung des Rechts auf Gleichheit vor dem Gericht gem. Artikel 14 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte56 ist eine weitere Zielvorgabe deutscher Entwicklungspolitik im BMZ-Schwerpunktbereich „Demokratie, Zivilgesellschaft umd öffentliche Verwaltung“.57 Mittelbar dürfte in relevanten Fallkonstellationen die Aussicht einer großzügigen Wirkungserstreckung bzw. Anerkennung auch in Deutschland die Legitimität und Akzeptanz der Vor-Ort- Entscheidungen stärken. Dies würde den o.g. entwicklungspolitischen Zielsetzungen einer Stärkung der lokalen Rechtsstaatsstrukturen entsprechen. 5. Verfahrensvoraussetzungen der gebündelten Rechtsdurchsetzung bei mehreren gleichartig Geschädigten Im Falle von Schadensersatzansprüchen wegen unerlaubter Handlungen ist die Konstellation denkbar, dass von einem Schadensereignis eine Vielzahl von in gleicher Weise geschädigten potentiellen Klägern betroffen sind. Dies wirft die Frage auf, welche Rahmenbedingungen das deutsche Verfahrensrecht insoweit für eine gemeinsame Rechtsverfolgung aufweist.58 5.1. Objektive Klagehäufung Die objektive Klagehäufung ist die Befugnis des Klägers, mehrere prozessuale Ansprüche in einer gemeinsamen Klage geltend zu machen.59 Die Geltendmachung mehrerer Streitgegenstände kann kumulativ oder alternativ erfolgen. Bei der kumulativen Geltendmachung werden die prozessualen Ansprüche nebeneinander geltend gemacht, bei der alternativen Häufung werden entweder mehrere Klageanträge alternativ gestellt – was in der Regel unzulässig ist – oder ein Klageantrag wird auf verschiedene Klagegründe gestützt.60 Auch eine eventuelle Häufung mit Haupt- und Hilfsanträgen kommt in Betracht. Bei jeder objektiven Klagehäufung müssen neben den allgemei- 54 BMZ, Unsere Ziele für eine lebenswerte Zukunft – Die Post-2015 Agenda für nachhaltige Entwicklung, http://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/infobroschueren/Materialie 258_post_2015_agenda.pdf. 55 BMZ (vorstehende Fn.), S. 18, Ziel 16. 56 IPbpR, http://www.zivilpakt.de/internationaler-pakt-ueber-buergerliche-und-politische-rechte-355/. 57 BMZ, Die Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik, 2014, S. 6 (http://www.bmz.de/de/mediathek /publikationen/reihen/infobroschueren_flyer/flyer/menschenrechte.pdf). 58 Vgl. Baseline-Assessment (oben Fn. 9), S. 56. 59 Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 12. Aufll 2015, § 260 Rdn. 1. 60 Bendtsen, in: Saenger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2015, § 60 Rdn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 18 nen Prozessvoraussetzungen die Bedingungen des § 260 ZPO vorliegen. Hiernach müssen hinsichtlich aller Anträge die Parteien identisch, dasselbe Gericht zuständig sowie dieselbe Prozessart einschlägig sein und ein Verbindungsverbot darf nicht bestehen. 5.2. Subjektive Klagehäufung Eine Streitgenossenschaft – auch bezeichnet als subjektive Klagehäufung – besteht, wenn auf Kläger - (und) oder Beklagtenseite mehrere Personen stehen.61 Zu unterschieden sind die einfache und die notwendige Streitgenossenschaft. Bei der einfachen Streitgenossenschaft wird die Verbindung mehrerer Rechtsstreite im Interesse der Verfahrensvereinfachung zugelassen. Vorausgesetzt wird gemäß §§ 59, 60 ZPO, dass entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstandes besteht, sich eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben rechtlichen und tatsächlichen Grund ergibt oder die Ansprüche und Verpflichtungen aufgrund eines im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes gleichartig sind. Überdies treten noch die Erfordernisse einer gleichen Prozessart und des Fehlens von Verbindungsverboten hinzu, die aus § 260 ZPO abzuleiten sind,62 da eine subjektive Klagehäufung immer auch eine Mehrheit der Streitgegenstände bedeutet.63 Notwendig ist eine Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO, wenn das Streitverhältnis aus prozessrechtlichen oder materiell-rechtlichen Gründen nur gegenüber allen Streitgenossenschaften einheitlich festgestellt werden kann. 5.3. Kollektiver Rechtsschutz, Gruppen- und Verbandsklagen Bei dem Prinzip des kollektiven Rechtsschutzes geht es einerseits um die Verschmelzung mehrerer Ansprüche durch eine prozessuale oder materielle Bündelung zur effektiven Rechtsdurchsetzung , andererseits sollen auch Kollektivinteressen, die einem Einzelnen nicht zugeordnet werden können, gewahrt werden.64 Möglich ist im Wege des kollektiven Rechtsschutzes grundsätzlich die Erwirkung von Unterlassungen oder die Geltendmachung von Kompensationsansprüchen.65 Eine Sammelklage lässt sich regelmäßig als Gruppen-, Verbands- oder als Musterklage ausgestalten , wobei eine klare Abgrenzung nicht immer vorgenommen werden kann und Mischformen durchaus möglich sind. Eine Ausgestaltung als Opt-In- oder Opt-Out-Prinzip ist bei allen Verfahrensarten möglich.66 Bei einer Gruppenklage strengt der Geschädigte neben der Geltendmachung seines eigenen Anspruchs eine Klage im Namen einer Gruppe von Geschädigten, deren Schaden auf demselben oder einem ähnlichen Ereignis beruht, an, ohne dies zuvor mit den übrigen Geschädigten abzustimmen . Hierin unterscheidet sich die Gruppenklage von der deutschen Streitgenossenschaft im 61 Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, 12. Aufl. 2014, Rdn. 226. 62 Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, 12. Aufl. 2014, Rdn. 230. 63 Saenger, in: Saenger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2015, § 260 Rdn. 2. 64 Wendland, ZEuS 2012, 161, 162. 65 Europäische Kommission, SEC (2011) 173 endg. vom 04.02.2011, Rdn. 7. 66 Wendland, ZEuS 2012, 161, 164. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 19 Sinne der §§ 59 ff. ZPO, die häufig nur durch „Zufallsgemeinschaften“ entsteht. Ein weiterer Unterschied ist, dass im Wege der Streitgenossenschaft lediglich eine Mehrzahl von Einzelklagen gemeinsam verhandelt und nicht mehrere Ansprüche prozessual gebündelt werden. Keine Gruppenklage ist es, sofern eine Bündelung durch Abtretung der Ansprüche erreicht wird, da in dieser Konstellation die Ansprüche tatsächlich zusammengefasst werden und die Klage nicht im Namen der Gruppe, sondern allein im Namen des Klägers erhoben wird. Bei einer Verbandsklage übernimmt die Repräsentation der Geschädigten bzw. der Betroffenen nicht ein Einzelner aus der Gruppe, sondern eine qualifizierte Einrichtung, wie beispielsweise ein Verbraucherverband.67 Die Musterklage wird im Gegensatz zur Gruppenklage nicht im Namen vieler erhoben, sondern die gemeinsamen Tatsachen- und Rechtsfragen einer Vielzahl bereits anhängiger Klagen werden in einem ausgewählten Muster-/Modellfall entschieden. Im deutschen Rechtssystem stellt der kollektive Rechtsschutz die Ausnahme dar: So eröffnet beispielsweise das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger -Musterverfahrensgesetz - KapMuG)68 die Möglichkeit einer Musterklage bei kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten. Geschädigte Kapitalanleger, deren Klage bereits anhängig ist, können unter bestimmten Voraussetzungen ein Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht (§ 6 KapMuG) durchführen, welches rechtsverbindlich Vor- oder Teilfragen klärt.69 Der Gesetzgeber trug mit Erlass des KapMuGs dem Umstand Rechnung, dass das zivilprozessrechtliche System vorrangig auf Einzelverfahren und die Geltendmachung von Einzelansprüchen gerichtet ist70, was bei einer Vielzahl von gleich gelagerten Schadensfällen im Anwendungsbereich des Gesetzes zu Friktionen führen könne.71 Zudem sollte mit dem KapMuG eine sogenannte zweite Spur zur Verstärkung der staatlichen Finanzmarktaufsicht eingeführt werden72: Ziel war es, den Anlegerschutz durch kollektive Rechtsschutzformen zu verbessern und dem einzelnen Kapitalanleger hierdurch effektiven Rechtsschutz zu gewähren.73 Eine eingeschränkte Möglichkeit der Verbandsklage sieht das deutsche Kartellrecht vor: Gemäß § 33 Absatz 2 GWB74 können bestimmte rechtsfähige Verbände (§ 33 Absatz 2 Nr. 1 GWB) und 67 Wendland, ZEuS 2012, 161, 163. 68 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 4. Juli 2013 (BGBl. I S. 1981). 69 Montag, ZRP 2013, 172, 173. 70 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.03.2005, BT-Drucksache 15/5091, S. 1. 71 Wolf/Lange, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Kommentar zum KapMuG, 1. Aufl. 2007, Einleitung Rdn. 1. 72 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.03.2005, BT-Drucksache 15/5091, S. 16. 73 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.03.2005, BT-Drucksache 15/5091, S. 1. 74 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 15. April 2015 (BGBl. I S. 578) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 20 Einrichtungen (§ 33 Absatz 2 Nr. 2 GWB) kartellrechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen sowie gemäß § 34a GWB Klage auf Herausgabe des durch einen vorsätzlichen Verstoß gegen das GWB oder gegen Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV75 erlangten wirtschaftlichen Vorteils erheben . Ein weiterer Mechanismus zur gebündelten Rechtsdurchsetzung ist das Institut der Abtretung: Die Forderungen mehrerer Personen können an eine zur Rechtsverfolgung gegründeten BGB-Gesellschaft oder in einer als OHG oder Kapitalgesellschaft ausgestalteten Prozess- oder Rechtsverfolgungsgesellschaft im Wege der Abtretung an diese zusammengefasst werden.76 Beschränkt wird die Möglichkeit der gerichtlichen oder außergerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen geschädigter Anleger, die an eine Rechtsverfolgungsgesellschaft abgetreten wurden, durch das Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz - RDG),77 sofern die durch die Rechtsverfolgungsgesellschaft erbrachte Leistung eine erlaubnispflichtige Leistung im Sinne des RDG ist. 6. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe Im Rahmen des Zugangs zum Rechtssystem bzw. zu Abhilfemechanismen stellt sich im Rahmen der VN-Leitprinzipien auch die Frage, welche Rahmenbedingungen das deutsche Recht im Bereich der Beratungshilfe und der Prozesskostenunterstützung für potentiell Geschädigte bereit hält.78 6.1. Prozesskostenhilfe Die in den §§ 114 ff. ZPO geregelte Prozesskostenhilfe (PKH) wird als staatliche Fürsorgeleistung durch einen zinslosen und unter Umständen nicht rückzahlbaren Jahreskredit erbracht.79 Sachlich erstreckt sich der Geltungsbereich der §§ 114 ff. ZPO auf alle Verfahren nach der ZPO, somit auf das Erkenntnisverfahren, einbezogen auch das Mahnverfahren und das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die Zwangsvollstreckung, das selbständige Beweisverfahren sowie das Kostenfestsetzungsverfahren.80 In Abgrenzung hierzu ist die Beratungshilfe (BKH) gemäß § 1 Beratungshilfegesetz (BerHG)81 eine Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines Gerichtsverfahrens . Ob der Hilfsbedürftige sich „außerhalb“ oder „innerhalb“ von gerichtlichen 75 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. Nr. C 115 S. 47). 76 Mann, DStR 2013, 765. 77 Rechtsdienstleistungsgesetz vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3714). 78 Vgl. Baseline-Assessment (oben Fn. 9), S. 56. 79 Fischer, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 12. Aufl. 2015, § 114 Rdn. 1. 80 Kießling, in: Saenger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2015, § 114 Rdn. 2. 81 Beratungshilfegesetz vom 18. Juni 1980 (BGBl. I S. 689), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 21 Verfahren befindet, ist aus Sicht des Hilfsbedürftigen objektiv zu bestimmen.82 Das PKH-Bewilligungsverfahren selbst ist ein gerichtliches Verfahren,83 sodass der Anwalt mit Zeitpunkt der Einreichung des PKH-Antrages nicht mehr im Rahmen der Beratungshilfe tätig werden kann.84 Die Wirkungen der Prozesskostenhilfe bestimmen sich nach § 122 ZPO: Eine Bewilligung der Prozesskostenhilfe führt dazu, dass die Ansprüche der Staatskasse zwar existent sind, ihre Durchsetzbarkeit jedoch gehemmt ist.85 Erfasst werden die Gerichtskosten und die Gerichtsvollzieherkosten (§ 122 Absatz 1 Nr. 1a ZPO) sowie die Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte (§ 122 Absatz 1 Nr. 1b ZPO). Zu den Gerichtskosten gemäß § 122 Absatz 1 Nr. 1a ZPO gehören sämtliche Kosten und Ausgaben nach dem GKG86: Umfasst werden zum einen alle Auslagen im Rahmen der Beweisaufnahme, wozu auch die erforderlichen Auslandszustellungen und Rechtshilfeersuchen einschließlich der Übersetzungskosten sowie die Entschädigungen für die Zeugen, Sachverständigen und auch die Kosten für Dolmetscher zählen.87 Hiervon zu unterscheiden sind indes die Dolmetscherkosten der ausländischen Partei; es ist grundsätzlich Sache der ausländischen Partei, die Übersetzung der ihren Prozess betreffenden Schriftstücke in ihre Muttersprache zu veranlassen, die hierdurch entstehenden Auslagen hat sie selbst aufzubringen.88 Ist die Partei hierzu außerstande und entrichtet der ihr nach § 121 ZPO beigeordnete Rechtsanwalt die Dolmetscherkosten , gehören diese zu seinen eigenen Auslagen nach § 46 RVG, die der Rechtsanwalt nur dann erstattet bekommt, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich im Sinne des § 91 Absatz 1 ZPO waren. Dies ist bei Übersetzungskosten grundsätzlich der Fall; wörtliche Übersetzungen sind in aller Regel bei den eigenen und den gegnerischen Schriftsätzen, in den Prozess eingeführten Urkunden von wesentlicher Bedeutung sowie allen richterlichen Entscheidungen erforderlich.89 Die Gewährung von PKH umfasst zudem die Erstattung von Reisekosten zur Information des eigenen Rechtsanwalts, soweit diese nicht in zumutbarer Weise anderweitig erfolgen kann, und zu Terminen, deren Wahrnehmung vom Gericht angeordnet ist oder sonst angemessen scheint. An- 82 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 915. 83 BGH, Urteil vom 20.05.1984 – VIII ZR 298/83. 84 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 918. 85 Motzer, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2013, § 122 Rdn. 1. 86 Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 2014 (BGBl. I S. 154), das durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2082) geändert worden ist. 87 Vgl. Kratz, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2015, § 122 Rdn. 3. 88 OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.02.2002 – 15 WF 33/02. 89 Schulz, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2013, § 91 Rdn. 188. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 22 gemessen ist die Wahrnehmung in der Regel dann, wenn eine vermögende Partei die entsprechenden Kosten in der Regel ebenfalls aufgewendet hätte.90 Nicht zu erstatten sind geringfügige Kosten, die von der Partei aus eigenen Mitteln aufgebracht werden können. Ist eine Hin- und Rückfahrt am selben Tag aus Termingründen nicht möglich oder nicht zumutbar, sind Kosten für Hotelübernachtungen erstattungsfähig.91 Vor- und außergerichtliche Kosten der Prozessführung, wie etwa die Kosten für Privatgutachten, außergerichtliche Mediationen oder außergerichtliche Übersetzungskosten, sind grundsätzlich nicht zu erstatten.92 Nur ausnahmsweise kann eine Erstattung in Betracht kommen, wenn die Aufwendungen unumgänglich notwendig sind oder waren. Hierüber hat das Prozessgericht im Rahmen der zu bewilligenden PKH zu entscheiden.93 Im Falle des Unterliegens der bedürftigen Partei hat diese dem Gegner dessen Kosten zu ersetzen (§ 123 ZPO). Eine Ausnahme besteht gemäß § 122 Absatz 1 Nr. 1b ZPO, wenn dem obsiegenden Gegner ebenfalls PKH bewilligt wurde.94 Die nach §§ 110 ff. ZPO zu leistende Prozesskostensicherheit, die auf Verlangen des Beklagten von Klägern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, zu leisten ist (§ 110 Absatz 1 ZPO), ist von einer PKH-Partei gemäß § 122 Absatz 1 Nr. 2 ZPO nicht mehr aufzubringen. Der im Rahmen der PKH beigeordnete Rechtsanwalt hat gegen die bedürftige Partei einen Anspruch auf Vergütung in Höhe der Wahlanwaltsgebühren sowie einen Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Auslagen, der Rechtsanwalt kann diese Kosten jedoch nach § 122 Absatz 1 Nr. 3 ZPO gegen seinen bedürftigen Mandanten nicht geltend machen, soweit und solange diesem PKH bewilligt worden ist.95 Für seine Tätigkeit und Auslagen erhält der Rechtsanwalt Zahlungen aus der Staatskasse nach den §§ 45 ff. RVG, hierzu gehören gegebenenfalls auch die oben genannten Dolmetscher- und Übersetzungskosten gemäß § 46 RVG. 90 OLG München, Beschluss vom 21.11.1997 - 25 W 2981/9625. 91 OLG Koblenz, Beschluss vom 08.01.1988 – 14 W 878/87. 92 Motzer, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2013, § 122 Rdn. 6. 93 KG, Beschluss vom 14.07.1992 – 1 WF 1476/92. 94 Fischer, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 12. Aufl. 2015, § 122 Rdn. 5. 95 Motzer, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2013, § 122 Rdn. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 23 6.2. Beratungshilfe Die Gewährung von Beratungshilfe richtet sich nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG)96. Der Personenkreis der Beratungshilfe beschränkt sich nicht auf natürliche Personen, sondern bezieht sich gemäß § 1 Absatz 2 BerHG auf alle Rechtssuchenden, denen Prozesskostenhilfe ohne Raten gewährt werden kann, sodass auch Parteien kraft Amtes, inländische juristische Personen und parteifähige Vereinigungen im Sinne des § 116 ZPO Prozesskostenhilfe erhalten können. Für Ausländer gibt es keine Besonderheiten.97 Ob die antragstellende Person die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, einen Wohnsitz in Deutschland hat oder sich legal in der Bundesrepublik aufhält , ist für die Gewährung von Beratungshilfe nicht relevant.98 Die Beratung muss gemäß § 1 Absatz 1 BerHG der Wahrnehmung von Rechten dienen; um Rechtsberatung handelt es sich nur, sofern Rechtsfragen im Vordergrund stehen, nicht ausreichend ist, dass lediglich rechtliche Nebenaspekte auftauchen. Sprachliche Barrieren in Form von mangelnden Deutschkenntnissen allein begründen keinen Grund für die Beratungshilfe.99 Die Rechtsfrage muss sich überdies auf eigene subjektive Rechte des Ratsuchenden beziehen. Anders als die PKH ist die Gewährung von Beratungshilfe unabhängig von der Erfolgsaussicht der Rechtswahrnehmung, es darf dem Ratsuchenden aber nach § 1 Absatz 1 Nr. 2 BerHG keine andere Möglichkeit für eine Hilfe zur Verfügung stehen, die für ihn kostenfrei, geeignet und erlaubt ist und deren Inanspruchnahme dem Ratsuchenden zuzumuten ist.100 Die Beratungshilfe ist vom Rechtsanwalt gemäß § 49a Absatz 1 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)101 zu gewähren, er kann sie nur aus wichtigem Grund im Einzelfall nach Satz 2 ablehnen. Der Rechtsanwalt ist zudem zur Mitwirkung bei entsprechenden Beratungsstellen der Rechtsanwaltschaft gemäß § 49a Absatz 2 BRAO verpflichtet; auch hier kann die Mitwirkung im Einzelfall nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden. 96 Beratungshilfegesetz vom 18. Juni 1980 (BGBl. I S. 689), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 31. August 2013 (BGBl. I S. 3533) geändert worden ist. 97 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 923. 98 BVerfG, Beschluss vom 20.08.1992 – 2 BvR 1712/89. 99 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 937. 100 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 941, 943. 101 Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-8, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 24 Sucht der Ratsuchende den Rechtsanwalt gemäß § 7 BerHG unmittelbar auf, so ist der Rechtsanwalt nach § 16 Absatz 1 BORA102 verpflichtet, den Ratsuchenden auf die Beratungshilfe hinzuweisen , sofern für ihn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Mandant zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehören könnte.103 6.3. Zugänglichkeit von Informationen Informationen über PKH und BKH lassen sich auf der Internetseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz abrufen: Hier wird zum einen in einer Broschüre104 umfangreich über PKH und BKH aufgeklärt, wobei die Informationen in leichter Sprache abgefasst sind und zudem anhand von Fall-Beispielen veranschaulicht werden. Zum anderen werden das Formular „Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse“, welches zur Bewilligung von PKH auszufüllen und einzureichen ist, sowie die zugehörigen Hinweise zum Ausfüllen dieser Erklärung als Dateien zur Verfügung gestellt.105 Ähnliche Informationen werden auch über die Internetseiten der Gerichte der Länder106 bzw. auf den Internetseiten der einzelnen Gerichte zur Verfügung gestellt. Überdies werden die Formulare auf der Internetseite des Justizportals des Bundes und der Länder zur Verfügung gestellt,107 Hinweise und die Nennung der Voraussetzungen, unter denen PKH/BKH bewilligt werden kann, lassen sich hier in den Antragsformularen als Datei finden .108 Informationen in englischer Sprache sowie in allen anderen Sprachen, die in der Europäischen Union gesprochen werden, sind abrufbar auf der e-justice-Internetseite der Europäischen Union109 sowie auf der Internetseite „Europäisches Justizielles Netz“110. Über e-justice kann mithilfe eines dynamischen Formulars der Antrag auf Prozesskostenhilfe für jedweden Mitgliedstaat 102 Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-8, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) geändert worden ist. 103 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 925. 104 Abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Beratungshilfe_Prozesskostenhilfe _2010.pdf?__blob=publicationFile. 105 Abrufbar unter: http://www.bmjv.de/DE/Service/Formulare/_node.html. 106 So beispielsweise auf der Internetseite des Kammergerichts Berlin unter http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte /kg/formularserver/pkh.html oder auf dem Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen unter https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/ordentliche_gerichte/Zivilgericht/Einzelverfahren/Prozesskostenhilfe /index.php. 107 Abrufbar unter: http://www.justiz.de/formulare/index.php. 108 Abrufbar unter: http://www.justiz.de/formulare/zwi_bund/zp1a.pdf für die PKH sowie http://www.justiz .de/formulare/zwi_bund/agI1.pdf für die BKH,. 109 https://e-justice.europa.eu/content_legal_aid-55-de.do. 110 http://ec.europa.eu/civiljustice/legal_aid/legal_aid_gen_de.htm. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 25 der EU online ausgefüllt werden, wobei hier die Möglichkeit vorgesehen ist, „Prozesskostenhilfe“ für vorprozessuale Beratung, für Beistand im Rahmen außergerichtlicher Verfahren sowie im Rahmen von geplanten Gerichtsverfahren zu beantragen.111 Das Formular ist in allen Sprachen, die in der EU gesprochen werden, abrufbar. 6.4. Praktikabilität insbesondere auch für ausländische Kläger oder größere Betroffenengruppen Eine Partei im Sinne von § 114 ZPO ist eine natürliche Person, die Prozesskostenhilfe sowohl für die Verteidigung ihrer Rechte (Beklagter) als auch für die Verfolgung ihrer Rechte (Kläger) erhalten kann,112 EU-Bürger erhalten PKH nach den §§ 1076-1078 ZPO in Verbindung mit den §§ 114 ff. ZPO, andere Ausländer und Staatenlose werden behandelt wie Inländer.113 PKH kann somit auch von Ausländern beantragt werden. Der Antrag ist gemäß § 117 ZPO in schriftlicher Form bei dem zuständigen Gericht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eines beliebigen Amtsgerichts zu stellen. Der Antrag muss mindestens die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel (§ 117 Absatz 1 Satz 2 ZPO) sowie die ausgefüllte Formularerklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung von Belegen (§ 117 Absätze 2 und 4 ZPO) enthalten. Ein Anwaltszwang besteht für die PKH-Antragstellung nicht.114 Die entsprechenden Formulare lassen sich sowohl über das Internet als auch in den Gerichten115 finden . Für Menschen, die sich im Ausland befinden und die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, gibt es die Möglichkeit, über e-justice116 mithilfe eines dynamischen Formulars den Antrag auf Prozesskostenhilfe für jedweden Mitgliedstaat der EU online auszufüllen, wobei hier die Möglichkeit besteht, „Prozesskostenhilfe“ für vorprozessuale Beratung, für Beistand im Rahmen außergerichtlicher Verfahren sowie im Rahmen von geplanten Gerichtsverfahren zu beantragen .117 Das Formular ist in allen Sprachen, die in der EU gesprochen werden, abrufbar. Soweit eine Streitgenossenschaft gemäß §§ 59 ff. ZPO auf Kläger- oder Beklagtenseite besteht, ist jeder Streitgenosse, soweit es um die Beurteilung von PKH geht, unabhängig von den anderen 111 https://e-justice.europa.eu/dynform_intro_member_state_action.do?StartForm=&msCodeSelection=11&idTaxonomy =157&plang=en&init=true&refresh=1 . 112 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 35. 113 Kießling, in: Saenger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2015, § 114 Rdn. 9. 114 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 89. 115 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 127. 116 https://e-justice.europa.eu/content_legal_aid-55-de.do. 117 https://e-justice.europa.eu/dynform_intro_member_state_action.do?StartForm=&msCodeSelection=11&idTaxonomy =157&plang=en&init=true&refresh=1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 26 Streitgenossen zu beurteilen.118 Dies gilt sowohl für die einfachen als auch die notwendigen Streitgenossen, da es sich hierbei um verschiedene Prozessverhältnisse handelt, die einen unterschiedlichen Verlauf nehmen können. Die PKH ist somit von jedem Streitgenossen einzeln zu beantragen und die Voraussetzungen sind für jeden Streitgenossen gesondert zu prüfen. Beratungshilfe wird gemäß § 1 Absatz 1 BerHG auf Antrag gewährt. Dieser kann gemäß § 4 Absatz 2 BerHG mündlich oder schriftlich beim Amtsgericht gestellt werden, in dessen Bezirk der Ratsuchende seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Hat der Ratsuchende im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand, ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Bedürfnis für Beratungshilfe auftritt (§ 4 Absatz 1 Satz 2 BerHG), was beispielsweise der Ort sein kann, an dem auch ein Gerichtsverfahren anhängig gemacht werden müsste, der Unfallort oder der Ort des Sitzes der Beratungsperson, den der im Ausland lebende Antragsteller konsultieren möchte.119 In dem Antrag ist der Sachverhalt gemäß § 4 Absatz 2 Satz 2 BerHG anzugeben. Schriftliche Anträge von natürlichen Personen unterliegen gemäß § 11 BerHG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Verwendung von Formularen im Bereich der Beratungshilfe (Beratungshilfeformularverordnung - BerHFV)120 dem Formularzwang. Das entsprechende Formular ist auf denselben Internetseiten , auf denen auch das Formular zur PKH-Erklärung abrufbar ist, zu finden, für ausländische Ratsuchende gilt das oben zur Plattform e-justice Ausgeführte. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind gemäß § 4 Absatz 2 Satz 3 BerHG glaubhaft zu machen, zudem ist eine Versicherung des Ratsuchenden, dass ihm in derselben Angelegenheit Beratungshilfe bisher weder gewährt noch durch das Gericht versagt worden ist und dass in derselben Angelegenheit kein gerichtliches Verfahren anhängig ist oder war, beizufügen (§ 4 Absatz 3 Nr. 2 BerHG). Alternativ hierzu kann sich der Ratsuchende auch direkt an einen Rechtsanwalt wenden und den Bewilligungsantrag binnen vier Wochen nachträglich stellen (§ 4 Absatz 2 in Verbindung mit § 7 BerHG) bzw. als Direktzugang die anwaltlichen Beratungsstellen in Anspruch nehmen. 7. Das Adhäsionsverfahren Im National Baseline Assessment des Deutschen Instituts für Menschenrechte wird die Frage aufgeworfen , ob es vor dem Hintergrund des Leitprinzips 26 sinnvoll sein könnte, das Adhäsionsverfahren im deutschen Recht zu stärken, etwa indem man seinen Anwendungsbereich punktuell auf Ordnungswidrigkeitenverfahren erweitert.121 118 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 47. 119 Dürbeck, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck (Hrsg.), Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl. 2014, Rdn. 970. 120 Beratungshilfeformularverordnung vom 2. Januar 2014 (BGBl. I S. 2). 121 Baseline-Assessment (oben Fn. 9), S. 57. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 27 7.1. Grundlagen und Struktur Mit dem Adhäsionsverfahren als potentiellem Teil des deutschen Strafprozesses kann der durch eine Straftat Verletzte oder sein Erbe gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört und noch nicht anderweit gerichtlich anhängig gemacht ist, im Strafverfahren geltend machen (§ 403 StPO122). Die Geltendmachung des vermögensrechtlichen Anspruchs im Adhäsionsverfahren erfolgt durch Antrag beim Strafgericht. Der Antrag kann schriftlich oder mündlich bis zum Beginn der Schlussvorträge gestellt werden und muss den Gegenstand und Grund des Anspruchs bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten (vgl. § 404 Absatz 1 StPO). Antragsberechtigt sind der Verletzte oder sein Erbe, unabhängig von der jeweiligen Stellung im Verfahren. Antragsteller können daher zugleich Nebenkläger, Privatkläger oder auch Mitangeklagte sein (etwa im Falle gegenseitiger Körperverletzung).123 Verletzter im Sinne dieser Vorschrift ist, wer aus der Straftat unmittelbar einen vermögensrechtlichen Anspruch erworben hat124, was neben dem Geschädigten selbst auch weitere Personen – wie etwa die Witwe im Falle des getöteten Ehemanns125 – sein können. Sowohl der Antragsteller als auch der Beschuldigte haben hinsichtlich des Adhäsionsverfahrens grundsätzlich Anspruch auf Prozesskostenhilfe (§ 404 Absatz 5 StPO, §§ 114 ff. ZPO), sofern die einzelnen Voraussetzungen dafür vorliegen.126 Über das Bestehen eines vermögensrechtlichen Anspruchs und dessen konkrete Höhe entscheidet das Gericht gemäß § 406 StPO im Urteil, sofern nicht zwischen Verletztem oder dessen Erben und dem Angeklagten auf jeweiligen Antrag ein Vergleich zustande gekommen ist (§ 405 StPO), den das Gericht ins Protokoll aufzunehmen hat. Erweist sich der Adhäsionsantrag nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung als zulässig und begründet, spricht das Gericht den Anspruch wie in einem Zivilurteil zu. Die Begründetheit des Antrags hängt maßgeblich von der Verurteilung des Angeklagten ab. Unbegründet ist der Antrag jedenfalls dann, wenn der Angeklagte weder schuldig gesprochen noch eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn verhängt wurde.127 Der Antrag kann auch aus zivilrechtlichen Gründen unbegründet sein, etwa dann, wenn ein Verdienstausfall nicht hinreichend nachgewiesen ist. Unabhängig von Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags, kann das Strafgericht einen Adhäsionsantrag nur wegen Ungeeignetheit zur Erledigung im Strafverfahren ablehnen (§ 406 Absatz 1 Satz 4 StPO). Die Ungeeignetheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Verfahren durch Prüfung der zivilrechtlichen Ansprüche erheblich verzögert würde (§ 406 Absatz 1 Satz 5 StPO). Eine Ablehnung der Entscheidung wegen Ungeeignetheit ist allerdings bei Schmerzensgeldansprüchen 122 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) geändert worden ist. 123 Ferber, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Stand: 15.01.2015, § 403 Rdn. 1. 124 Zabeck, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 403 Rdn. 5. 125 Vgl. § 844 Absatz 1 BGB. 126 Ferber, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Stand: 15.01.2015, § 404 Rdn. 14. 127 Ferber, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Stand: 15.01.2015, § 406 Rdn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 28 nicht möglich: Ist eine solcher Antrag gestellt worden und dieser zulässig und begründet, so muss das Gericht darüber entscheiden (§ 406 Absatz 1 Satz 6 StPO). 7.2. Das Adhäsionsverfahren in der Praxis: Geringe Fallzahlen Obgleich das Adhäsionsverfahren von seiner Funktion und rechtspolitischen Zielsetzung her sinnvollerweise eine Entschädigung des Verletzten bezweckt128 und gleichzeitig durch die Zusammenführung zweier Prozesse der Prozessökonomie dienen soll129, gibt es in praxi nur verhältnismäßig geringe Fallzahlen: In den Jahren 1999-2004 enthielten von rund 2.5 Millionen Verurteilungen lediglich 25.000 Urteile eine Adhäsionsentscheidung. Auch in den Jahren 2005-2009 blieb der Anteil der Adhäsionsentscheidungen mit durchschnittlich rund 1,12 Prozent aller (rund 2 Millionen) Verurteilungen vergleichsweise marginal.130 Die Frage, worin die Gründe hierfür liegen und wie dem Adhäsionsverfahren eine größere Praxisrelevanz verschafft werden könnte, beschäftigt seit längerem die rechtswissenschaftliche Literatur. Als ein maßgeblicher Grund für die geringen Fallzahlen wird häufig ein diesbezüglicher Informationsmangel genannt.131 Zwar sind gemäß § 406h Nr. 2 StPO Verletzte einer Straftat möglichst früh darauf hinzuweisen, dass sie nach Maßgabe der §§ 403 ff. StPO einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch im Strafverfahren geltend machen können; die Hinweispflicht in dieser Form besteht allerdings erst seit dem 1. Opferrechtsreformgesetz132 von 2004 – zuvor soll von dieser Hinweismöglichkeit nur selten in ausreichendem Maß Gebrauch gemacht worden sein133 – und soll nur zu einer unwesentlichen Verbesserung beigetragen haben.134 Eine weitere Ursache für die geringe Anwendungshäufigkeit des Adhäsionsverfahrens wird darin gesehen, dass es an die Durchführung einer Hauptverhandlung gekoppelt ist.135 Bei dem zahlenmäßig häufig auftretenden Strafbefehlsverfahren – im Jahr 2009 gab es bei den Amtsgerichten 575.003 Strafbefehlsverfahren, von denen ca. 70 Prozent ohne mündliche Verhandlung entschieden wurden136 – kommt deshalb eine Adhäsionsentscheidung in der Regel von vornherein nicht in Betracht. 128 Vgl. Rieß, in: Widmaier/Lesch/Müssig/Wallau (Hrsg.), Festschrift für Hans Dahs, 2005, S. 430. 129 Vgl. Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand, 2011, S. 52 ff. 130 Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand, 2011, S. 383. 131 Vgl. nur Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand, 2011, S. 330, 331. (m.w.N. in Fn. 19). 132 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (1. Opferrechtsreformgesetz - OpferRRG) v. 24.06. 2004 (BGBl. I S. 1354), Art. 1 Nr. 13 – 18. 133 Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand, 2011, S. 330. 134 Zander, Das Adhäsionsverfahren im neuen Gewand, 2011, S. 229 und 330. 135 Vgl. Ferber, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Stand: 15.01.2015, § 403 Rdn. 12 (m.w.N.). 136 Vgl. Haller, NJW 2011, 970, Fn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 29 Ein Grund für die geringe Zahl an Adhäsionsverfahren wird auch in einer ablehnenden Haltung in der Richterschaft gesehen („psychologische Hemmschwelle“).137 Darüber hinaus bestehe eine gewisse anwaltliche Zurückhaltung gegenüber dem Adhäsionsantrag, die damit erklärt wird, die „Glaubwürdigkeit“ des Tatopfers als Zeuge könnte vor dem erkennen Gericht Schaden nehmen, wenn es zugleich zivilrechtliche Forderungen erhebe. Andere Erklärungsansätze lauten dahingehend, dass die mit dem Adhäsionsverfahren konkurrierenden Instrumente des Opferschutzes – wie etwa die Schadenswiedergutmachungsauflage nach § 56b Absatz 2 StGB138, der Strafmilderungsgrund der Schadenswiedergutmachung nach § 46 Absatz 2 StGB sowie der Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB und §§ 155a, 155b StPO – zu dessen Verdrängung beitrügen.139 Ein weiterer Aspekt wird schließlich in den nicht immer hohen Erfolgsaussichten eines Adhäsionsverfahrens für den Geschädigten gesehen: So kann das Strafverfahren – gerade im Bereich der kleinen und mittleren Kriminalität – eingestellt oder durch Strafbefehl entschieden werden; ist indessen ein Adhäsionsantrag beim Strafgericht gestellt worden, so sperrt dies eine Verfolgung des Anspruchs vor dem Zivilgericht, solange das Strafverfahren noch anhängig ist.140 7.3. Reformbestrebungen Das Adhäsionsverfahren wurde zweimal grundlegend – jeweils im Zusammenhang mit einer angestrebten Verbesserung des Opferschutzes – reformiert.141 Ziel war dabei insbesondere, die Anwendungshäufigkeit dieser Verfahrensart zu erhöhen.142 Der im Gesetzentwurf zum 1. Opferrechtsreformgesetz zutage getretene Wille des Gesetzgebers, das Adhäsionsverfahren wieder zu beleben143, hat sich nach dem vorstehend dargestellten Befund zwar nicht erfüllt.144 Es wird jedoch zum Teil tatsächlich konstatiert, dass es einen Trend zu einer immer größeren praktischen 137 Vgl. Haller, NJW 2011, S. 970, Fn. 8; Dallmeyer, JuS 2005, 327, 330. 138 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) geändert worden ist. 139 Vgl. Rieß, in: Widmaier/Lesch/Müssig/Wallau (Hrsg.), Festschrift für Hans Dahs, 2005, S. 425 ff. 140 Vgl. Rieß, in: Widmaier/Lesch/Müssig/Wallau (Hrsg.), Festschrift für Hans Dahs, 2005, S. 432. 141 Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) v. 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496), Art. 1 Nr. 12-14, sowie Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (1. Opferrechtsreformgesetz - OpferRRG) v. 24.06. 2004 (BGBl. I S. 1354), Art. 1 Nr. 13-18. 142 Vgl. Rieß, in: Widmaier/Lesch/Müssig/Wallau (Hrsg.), Festschrift für Hans Dahs, 2005, S. 425. 143 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG), Drucksache 15/2536, iVm BT-Drs. 15/1976, S. 8. 144 Vgl. Stoffers/Möckel, NJW 2013, 830, 832. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 091/15 Seite 30 Bedeutung des Adhäsionsverfahrens gebe.145 Auch im Bereich der Wirtschaftsstrafsachen seien alte Vorbehalte durch die Reformen entkräftet worden.146 Die im Baseline Assessment aufgeworfene Fragestellung nach einer möglichen Öffnung des Adhäsionsverfahrens auch für bestimmte Ordnungswidrigkeiten ist, soweit ersichtlich, bislang seitens der Literatur hingegen nicht erörtert worden. 8. Ergebnis Die VN-Leitlinien Wirtschaft und Menschenrechte zeitigen als „soft law“ keinen obligatorischen rechtlichen Umsetzungsbedarf im deutschen Recht, sondern verkörpern vor allem politische Zielsetzungen. Aufgrund ihrer – insbesondere der zentralen Verwendung von zahlreichen wertenden Begriffen geschuldeten – nur wenig konturierten Fassung lässt sich auch ein rechtspolitischer Umsetzungskorridor nur eingeschränkt umreißen. Die einschlägigen (rechts)politischen Wertungsspielräume dürften mithin entsprechend weit sein. Die gleichwohl vorstehend vorgenommene punktuelle Betrachtung von potentiellen Berührungspunkten zwischen den VN-Leitlinien und dem geltenden deutschen Recht hat erwartungsgemäß gezeigt, dass das deutsche Rechtssystem bereits äußerst detaillierte, ausdifferenzierte und jedenfalls nicht einseitig die Rechte von Kläger oder Beklagten in den Vordergrund stellende Regelungen vorhält. Für das Internationale Zivilverfahrensrecht wurde aufgezeigt, dass in diesem Rechtsgebiet maßgebliche , auf der Gleichwertigkeit der staatlichen Rechtsordnungen beruhende Grundsätze wie insbesondere das Streben nach internationalem Entscheidungseinklang durch ein zum Zwecke der vermehrten inländischen Sanktionierung von im Ausland begangenen Menschenrechtverletzungen vermehrtes „Heimwärtsstreben“ jedenfalls potentiell durchbrochen würden. Ein ähnlicher Zusammenhang dürfte auch im Bereich des Internationalen Privatrechts zu konstatieren sein: Letztlich stellt jede Anwendung von Eingriffsnormen eine Durchbrechung der grundsätzlichen Prämisse der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen dar und beinhaltet damit insofern den Übergang von einem Gleichordnungs- zu einem Subordinationsverhältnis.147 Gerade in Bezug auf Entwicklungsländer könnte sich dies als mit allgemeinen entwicklungspolitischen Prämissen nicht von vornherein vereinbar erweisen. 145 Grau/Blechschmidt/Frick, NStZ 2010, 662. Skeptisch dagegen Hansen/Wolff-Rojczyk, GRUR 2009, 644 f., 648. 146 Grau/Blechschmidt/Frick, NStZ 2010, 662, 670. 147 Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2001, § 3 II; v. Hein, in: Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2015, Rdn. 281.