© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 090/17 Abwehransprüche gegen nachbarrechtliche Immissionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/17 Seite 2 Abwehransprüche gegen nachbarrechtliche Immissionen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 090/17 Abschluss der Arbeit: 6. Juli 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bauund Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/17 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde, welche rechtlichen Möglichkeiten dem Eigentümer eines Grundstücks zur Verfügung stehen, soweit dessen Grundstück durch vom Nachbargrundstück verursachte Immissionen, insbesondere durch Bäume und Pflanzen, beeinträchtigt wird. 2. Abwehr und Duldung von Immissionen Als wesentliches Instrument zur Durchsetzung der eigentumsrechtlichen Abwehrbefugnis fungiert der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB. Demgemäß kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen, wenn das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird. Dies setzt eine dem Anspruchsgegner als Störer zurechenbare und noch andauernde Beeinträchtigung des Eigentums voraus. Gemäß § 1004 Abs. 2 BGB ist der Anspruch jedoch ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen , Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Somit ist eine unwesentliche Beeinträchtigung laut § 906 Abs. 1 BGB stets hinzunehmen, begründet also eine Duldungspflicht im Sinne von § 1004 Abs. 2 BGB und schließt den Anspruch aus. Eine Duldungspflicht besteht auch für Beeinträchtigungen, die zwar wesentlich sind, jedoch durch eine ortsübliche Nutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wurden und nicht durch Maßnahmen verhindert werden können, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind, § 906 Abs. 2 BGB. Zu den ähnlichen Einwirkungen im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB zählen nach der Rechtsprechung zum Beispiel Blätter und andere Pflanzenteile, wie Samen-, Blüten-, Pollen- und Nadelflug sowie überfallende Zapfen.1 Bei der Beurteilung, ob eine Beeinträchtigung wesentlich im Sinne des § 906 BGB ist, muss auf das Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen” und das, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist, abgestellt werden.2 Dabei kommt es unter anderem auf die Zweckbestimmung des betroffenen Grundstücks, auf Art, Ausmaß, Dauer und Ort der Beeinträchtigung an. Dabei gelten Blüten, Laub, Nadeln und dergleichen von zu duldenden Bäumen, die den ohnehin notwendigen Pflegeaufwand für einen Garten oder eine 1 BGH, NJW 2004, 1037, 1039; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 3. Teil, Rn. 155 m.w.N. 2 BGH, NJW 2004, 1037, 1040. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/17 Seite 4 Dachrinne nur geringfügig erhöhen, in der Regel als unwesentlich.3 Selbst wenn eine wesentliche Störung angenommen werden kann, gilt sie in der Regel als ortsüblich und nicht vermeidbar im Sinne des § 906 Abs. 2 BGB.4 Maßgebend sind letztlich die Umstände des Einzelfalles.5 Hat der Eigentümer eine Einwirkung zu dulden, so kann eine angemessene Ausgleichszahlung in Betracht kommen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Dabei wird jedoch in der Regel der Reinigungsmehraufwand durch Blätterbefall und ähnliche Immissionen nicht als ausgleichsfähig angesehen.6 3. Beeinträchtigung durch Überhang Wenn keine baumschutzrechtlichen Vorschriften zur Anwendung kommen und das Nachbarrecht in den Landesgesetzen keine Sonderregelungen trifft, gilt für den Überhang von Zweigen beziehungsweise Ästen in der Regel die Vorschrift des § 910 BGB.7 Demgemäß kann der Eigentümer eines Grundstücks Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. Gemäß § 910 Abs. 2 BGB setzt dieses Recht immer eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks durch den Überhang voraus. Dabei sind die gleichen Anforderungen an das Merkmal der „Wesentlichkeit“ wie bei § 1004 BGB zu knüpfen. Das Abschneiderecht ist nicht gegeben, wenn die Entfernung des Überhangs die Beeinträchtigung nicht mindern kann. Auch kann eine Beseitigung des Baumes wegen der Beeinträchtigung grundsätzlich nicht gefordert werden. Davon abzugrenzen ist der Fall, dass es zu einer Gefährdung des Nachbargrundstücks durch den Baum kommt.8 4. Rechtliche Natur des Anspruchsgegners Steht dem Eigentümer eines Grundstücks entweder ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB und/oder § 910 BGB zur Seite, so kann er diesen materiell-rechtlich gegenüber dem Nachbarn 3 Fritzsche, in: Bamberger / Roth, BGB, 42. Ed. 2017, § 906, Rn. 52 m.w.N.; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 3. Teil, Rn. 155 m.w.N. 4 Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 3. Teil, Rn. 155 m.w.N. 5 So hat der BGH z.B. bei Verstopfungen von Dachrinnen und Dacheinläufen durch Kiefernnadeln, die zu Schäden führen, eine wesentliche Beeinträchtigung angenommen und die Ortsüblichkeit wegen Verletzung des nach landesrechtlichem Nachbarschaftsrecht gebotenen Grenzabstands verneint (BGH, NJW 2004, 1037, 1040). 6 Bassenge, in: Praxis der Kommunalverwaltung, 2014, Nachbarrecht in Schleswig-Holstein, Darstellung 5.3.1.2.2. 7 Breloer, Der Sachverständige (DS) 2005, 328, 328. 8 Breloer, Der Sachverständige (DS) 2005, 328, 328. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/17 Seite 5 geltend machen, unabhängig, ob das Grundstück im Eigentum einer natürlichen Person („Privatperson “) oder einer öffentlichen Institution steht. In prozessualer Hinsicht hat die Rechtsnatur des Anspruchsgegners allerdings Einfluss auf die Zuständigkeit des Gerichts. Bei einer Inanspruchnahme einer natürlichen Person ist Klage bei dem örtlich und sachlich zuständigen Zivilgericht zu erheben. Handelt es sich bei dem Störer allerdings um eine öffentlich-rechtliche Institution, so ist der Rechtsweg vor dem entsprechenden Verwaltungsgericht zu beschreiten. 5. Landesrechtliches Nachbarrecht Ansprüche in Bezug auf von Bäumen ausgehende Immissionen können sich auch aus dem landesrechtlich geregelten privaten Nachbarrecht ergeben, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Grenzabstands. Die meisten Bundesländer haben Nachbarrechtsgesetze erlassen, die beispielsweise Vorgaben in Bezug auf den Grenzabstand von Bäumen und anderen Gewächsen zum Nachbargrundstück enthalten , wobei die Vorschriften der Landesnachbarrechtsgesetze teilweise sehr uneinheitlich sind.9 Grundsätzlich kann die Einhaltung der Pflanzabstände vom Nachbarn eingefordert werden. Bei einem Verstoß stehen dem Eigentümer in der Regel Ansprüche auf Unterlassen oder Beseitigung beziehungsweise auf Zurückschneiden der Pflanzung vor.10 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Nachbarrechtsgesetze zum Teil Bestimmungen über die Verjährung oder Ausschlussfristen für die Geltendmachung solcher Ansprüche enthalten.11 *** 9 Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 2. Teil, Rn. 339. 10 Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 2. Teil, Rn. 351. 11 Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 2. Teil, Rn. 355.