© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 090/16 Schutzgutabwägung bei Verkehrsprojekten am Beispiel von „Natura 2000-Gebieten“ Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 2 Schutzgutabwägung bei Verkehrsprojekten am Beispiel von „Natura 2000-Gebieten“ Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 090/16 Abschluss der Arbeit: 26.05.2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr , Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Umweltverträglichkeitsprüfung 4 3. Natura 2000-Gebiete 5 3.1. Alternativprüfung 5 3.2. Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses 6 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 4 1. Einführung Gegenstand des Sachstands WD 7 – 3000 – 285/12 ist die Schutzgutabwägung bei Verkehrsprojekten im Rahmen der Planfeststellung. Auf Seite 8 dieses Sachstandes wird festgestellt: „Ist ein Projekt im Hinblick auf die Erhaltungsziele des Gebiets oder mit dem Schutzzweck in maßgeblichen Bestandteilen unverträglich, so ist es demzufolge grundsätzlich unzulässig. Es kann aber aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zugelassen werden, wenn eine zumutbare Alternative mit geringeren Beeinträchtigungen nicht gegeben ist. Soll das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen zugelassen werden, so ist bei dem Vorhandensein prioritärer (besonders schützenswerter) Biotope oder Arten zunächst die Brüsseler Kommission zu beteiligen.1“ Hierzu könnte sich die Frage stellen, was dies konkret bedeutet und ob eine festliegende (vorrangige ) Hierarchie von Schutzgütern zu berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang wird nochmals die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorgestellt (Ziffer 2.) und die Ausweisung von sogenannten Natura 2000-Gebiete erläutert (Ziffer 3.). Bereits an dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste keine rechtliche Prüfung im Einzelfall vornehmen. Die nachfolgenden kursorischen Ausführungen bieten deshalb nur Orientierungspunkte für den in Planfestellungsverfahren zu berücksichtigen Abwägungsvorgang . 2. Umweltverträglichkeitsprüfung Für die Zulassung planfeststellungspflichtiger Vorhaben ist regelmäßig eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Diese ist kein eigenständiges Verwaltungsverfahren, sondern nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)2 ein unselbstständiger Teil des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zur Vorhabenzulassung und damit integrierter Bestandteil eines Planfeststellungsverfahrens. In der UVP nehmen die Natura 2000-Gebiete eine besondere Rolle ein. 1 Stüer, in: Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, D. Planungsvorgaben des Europäischen Umweltrechts, 4. Auflage 2009, Rn. 3099. 2 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2490) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 5 3. Natura 2000-Gebiete Vorhaben, die geeignet sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet (Natura 2000-Gebiet3) in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen, sind vor ihrer Zulassung frühzeitig auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Gebiets zu überprüfen. Nach dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) liegt eine Beeinträchtigung bereits vor, wenn nur eines der jeweiligen Erhaltungsziele des betroffenen Gebiets nachteilig berührt wird.4 Kann eine erhebliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden, ist eine Ausnahmegenehmigung erforderlich. § 34 Abs. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)5 enthält hierfür entsprechende Anforderungen . Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „(3) Abweichend von Absatz 2 darf ein Projekt nur zugelassen oder durchgeführt werden, soweit es 1. aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist und 2. zumutbare Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind.“ 3.1. Alternativprüfung Ob hiernach eine Ausnahme in Betracht kommt, hängt zunächst von einer Alternativprüfung ab. Diese versteht sich als eigenständiges Merkmal, die im Vorfeld der Abwägung der unterschiedlichen Interessen angesiedelt ist.6 Der Prüfung ist schon dann nicht genügt, wenn sich die für ein Projekt sprechenden öffentlichen Belange in einer im Wesentlichen vergleichbaren Weise an einem aus Sicht des Naturschutzes günstigeren Standort oder – soweit ein solcher nicht verfügbar ist – durch eine andere Art der Ausführung (z. B. Tunnel statt Brücke oder Brücke statt Damm) verwirklichen lassen. Die zu prüfenden Alternativen werden wiederrum begrenzt, zum Beispiel 3 „Natura 2000“ steht für ein europäisches Netz aus zusammenhängenden Schutzgebieten, welches zum Schutz der einheimischen Natur in Europa aufgebaut werden soll, entsprechend der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie, vom 21. Mai 1992, 92/43/EWG) und der Vogelschutzrichtlinie (vom 2. April 1979, 79/409/EWG). 4 Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, BNatSchG-Novelle 2010 Eingriffsregelung – Rechtsschutz, 2010, Rn. 494 mit weiteren Nachweisen. 5 Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Art. 421 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). 6 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. 1. 2000 - 4 C 2/99; Gellermann, in: Landmann/Rohmer Umweltrecht, Band 1, Stand 1. Dezember 2015 (78. Ergänzungslieferung), § 34 BNatSchG, Rn. 36. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 6 wenn die Alternative objektiv unmöglich ist oder das Vorhaben nur mit einem finanziellen Mehraufwand betrieben werden kann, welcher in keinem Verhältnis zum Naturschutz mehr steht.7 Im Streitfalle unterliegt die Alternativprüfung einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung.8 3.2. Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses Liegt für das Vorhaben keine zumutbare Alternative vor, so ist es zuzulassen, wenn öffentliche Interessen, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, die Realisierung des Vorhabens erfordern. Der Begriff umfasst dabei grundsätzlich alle Belange der Allgemeinheit. Vorhaben die private Belange betreffen, können demzufolge nur dann von einer Ausnahmeregelung profitieren , sofern sie neben den privaten- auch hinreichend gewichtige öffentliche Belange berühren .9 Ist ein öffentliches Interesse gefunden, sind zwingende Gründe erforderlich, um eine Ausnahme zu rechtfertigen. Die Verwirklichung des öffentlichen Interesses muss sich als einer der Hauptzwecke des Projekts und nicht nur als ein begleitender Nebenzweck erweisen.10 Sie müssen also von einem besonderen herausgehobenen Gewicht sein, wobei zwischen den Belangen des Naturschutzes und jenen, die für das Projekt sprechen, abzuwägen ist.11 Da es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt, sind an die Auslegung strenge Voraussetzungen geknüpft. In Fällen, in denen prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder Arten betroffen sind, werden nochmals einschränkend nach § 34 Abs. 4 BNatSchG als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder den maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt berücksichtigt. Darüber hinaus gehende Gründe können nur dann Berücksichtigung finden, wenn die zuständige Behörde zuvor über das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt hat. 7 Gellerman, a.a.O., § 34 BNatSchG, Rn. 36. 8 Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, BNatSchG-Novelle 2010 Eingriffsregelung – Rechtsschutz, 2010, Rn. 503 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 9 Zum Beispiel: Private Anlagen zur Abfallentsorgung, welche einen Beitrag zur Verwirklichung des im Interesse des gemeinen Wohls gelegenen Ziels einer geordneten und schadlosen Beseitigung von Abfällen erbringen oder privat betriebene Verkehrsflughafen für den allgemeinen Flugverkehr; Ramsauer, Planfeststellung von privatnützigen Vorhaben, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2012, S. 277; Gassner/Heugel, a.a.O., Rn. 494 mit weiteren Nachweisen 10 Gellerman, a.a.O., § 34 BNatSchG, Rn. 41. 11 Schink, Die Verträglichkeitsprüfung nach der Fauna-Flora-Habitat Richtlinie der EG, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), 2002, S. 45. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 090/16 Seite 7 Aus diesen Voraussetzungen für die Annahme zwingender öffentlicher Gründe ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch erhöhte Anforderungen an die Intensität behördlicher und fachgerichtlicher Ermittlungen. 4. Fazit Ist ein Vorhaben (Infrastrukturprojekt) geeignet ein Natura 2000-Gebiet zu beeinträchtigen, müssen neben einer strengen Alternativprüfung Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht die Verwirklichung des Vorhabens erfordern. Diese müssen sich gegenüber den Schutzzielen der Natura 2000-Gebiete durchsetzen und das Projekt muss konkret geeignet sein, die damit verbundenen Ziele auch tatsächlich zu verwirklichen, was im Einzelfall konkret darzulegen ist.12 Generelle Aussagen, welche Belange im Rahmen der zu treffenden Abwägung überwiegen, können demzufolge nicht getroffen werden. Ende der Bearbeitung 12 Vgl. hierzu Halama, Die FFH-Richtlinie - unmittelbare Auswirkungen auf das Planungs- und Zulassungsrecht, NVwZ 2001, 506.