© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 087/17 Schadensersatzforderungen bei Verkehrsunfällen Geltendes Recht sowie Rahmenbedingungen für die Einführung von Beweiserleichterungen und anderen Regelungen zugunsten von Geschädigten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Die Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen im Straßenverkehr 5 3.1. Haftungstatbestände 5 3.2. Grundsätzliche Darlegungs- und Beweislastzuweisung 5 3.3. Darlegungs- und Beweislastzuweisung im Einzelnen 5 3.3.1. Bei § 7 StVG 5 3.3.2. Bei § 18 StVG 6 3.3.3. Bei § 823 BGB 8 3.4. Zwischenergebnis 9 4. Voraussetzungen für die Einführung bzw. Ausweitung einer Beweislastumkehr durch den Gesetzgeber 9 5. Verbindung von Strafverfahren mit Schadensersatzforderungen 10 5.1. Grundsätzliche Unterschiede 10 5.2. Adhäsionsverfahren 12 6. Vollstreckbarkeit von Geldforderungen bereits vor Rechtskraft des Urteils 13 6.1. Deutsches Recht 13 6.2. Französisches Recht 14 7. Unionsrechtliche Vorgaben für Schadensersatzleistungen 15 7.1. Zur Vorleistungspflicht von Versicherungen 15 7.2. Vorhaben oder Überlegungen auf europäischer Ebene, die im Bahn- und Luftverkehr für Bahn- und Luftverkehrsunternehmen bestehenden Schadensersatzpflichten europarechtlich verpflichtend auch im Personenkraftverkehr einzuführen 16 8. Fazit 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 4 1. Einleitung Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 7 StVG1). Auch der Führer des Kraftfahrzeugs ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn der Schaden durch sein Verschulden verursacht wurde (§ 18 StVG). Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht und sind die beteiligten Fahrzeughalter einem Dritten kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (17 Absatz 1 StVG). Wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeughalter entstanden ist, gilt dies auch für die Haftung der Fahrzeughalter untereinander (§ 17 Absatz 2 StVG). Insbesondere bei Unfällen mit mehreren Kraftfahrzeugen kann diese Haftungsausgestaltung in der Praxis zu aufwändigen und langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen, namentlich, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist, wer welchen Anteil am Eintritt des Schadens hat oder wenn die Schadenshöhe unterschiedlich beurteilt wird. Vor diesem Hintergrund soll vorliegend summarisch und abstrakt die Fragestellung behandelt werden, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr für Geschädigte im Straßenverkehr einführen könnte. Weiterhin stellt sich die Frage, ob in diesem Kontext in einem Strafverfahren gewonnenen Erkenntnissen eine verbindliche Bedeutung für Zivilverfahren zugeschrieben werden könnte. Aufgeworfen wird auch die Frage, wie die Normierung einer Vorleistungspflicht für den Haftpflichtversicherer eines Schädigers zu bewerten wäre, wie es sie im französischen Recht gebe2. Abschließend soll auf die Frage eingegangen werden, ob einschlägige Regelungen im Bahn- und Luftverkehr aufgrund europäischer Regelungen existieren und ob es entsprechende Vorhaben auch hinsichtlich des Straßenverkehrs gibt. 2. Die grundsätzliche Bedeutung der Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast durch den Normgeber Die regelmäßig nicht explizit niedergelegten, sondern der jeweiligen Formulierung der Norm zu entnehmenden Beweislastregeln sind ein Hilfsmittel des Richters, um die ihm gestellte Rechtsfrage auch dann im Sinne des materiellen Rechts entscheiden zu können, wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen des relevanten Umstands unklar ist („non liquet“).3 Damit konstituieren die 1 Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202) geändert worden ist. 2 Diesbezüglich wird seitens des Fragestellers auf die Meldung „Brustimplantate-Skandal: TÜV muss vorläufig Schadenersatz zahlen“ verwiesen (beck-online vom 15.05.2017, abrufbar unter (https://rsw.beck.de/aktuell/meldung /brustimplantate-skandal-tuev-muss-vorlaeufig-schadenersatz-zahlen). 3 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht – die Schwierigkeiten der Beweislastverteilung und die Möglichkeiten ihrer Überwindung, 1996, Rdn. 148; Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 5 Beweislastregeln also „gleichsam eine Nebenrechtsordnung, die immer dann zum Zuge kommt, wenn auf Grund der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes das einschlägige materielle Recht nicht unmittelbar angewendet werden kann, doch gleichwohl in dessen Geiste eine Entscheidung gefunden werden muss. Sie bilden die Grundlage für vom Richter zu treffende Wertungen, die an die Stelle der auf einen vollständig ermittelten Sachverhalt konzipierten Vorschriften treten“4. Den Beweislastregeln kommt insofern als Entscheidungsgrundlage eine immense, materiell rechtlich wirkende Bedeutung für die Entscheidung zivilrechtlicher Ansprüche zu.5 3. Die Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen im Straßenverkehr 3.1. Haftungstatbestände Als Haftungstatbestände wegen eines Unfalls zweier Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr kommen aus dem Bereich der Gefährdungshaftung vor allem §§ 7 Absatz 1, 18 StVG in Betracht (Halterund Fahrerhaftung), aus dem Bereich der Verschuldenshaftung § 823 BGB6.7 3.2. Grundsätzliche Darlegungs- und Beweislastzuweisung Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der einen Schadensersatzanspruch geltend macht, sämtliche für ihn günstige Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen muss – also insbesondere diejenigen Umstände, die nach der jeweiligen Norm anspruchsbegründend sind.8 3.3. Darlegungs- und Beweislastzuweisung im Einzelnen 3.3.1. Bei § 7 StVG Im Rahmen von § 7, 17 StVG obliegt deshalb dem Geschädigten (Anspruchsteller) „die Beweislast – für einen Unfall beim Betrieb; 4 Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93. 5 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht – die Schwierigkeiten der Beweislastverteilung und die Möglichkeiten ihrer Überwindung, 1996, Rdn. 148; Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93, 94. 6 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist. 7 Eine detaillierte Aufzählung weiterer potentieller Haftungstatbestände findet sich bei Kuhn, in: Buschbell (Hrsg.), Münchener Anwalts Handbuch Straßenverkehrsrecht (MAH StraßenverkehrsR), 4. Auflage 2015, § 23 Rdn. 5 f. 8 Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 71; allgemein Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 11. Auflage 2017, Rdn. 436. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 6 – für die Person des Halters und/oder Fahrers; – für den eingetretenen (Personen- und/oder Sach-) Schaden; – für die Kausalität zwischen Unfall und Schadenseintritt; – im Falle seines (von der Gegenseite) behaupteten Mitverschuldens für das Vorliegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG und in den Fallgestaltungen des § 17 StVG das Vorliegen eines (für ihn) unabwendbaren Ereignisses i. S. d. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG; – im Falle der Insassenhaftung und eines vereinbarten Haftungsausschlusses für das Vorliegen einer entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung i. S. d. § 8 a StVG. Der Halter (Anspruchsgegner) hat die Beweislast – für das Vorliegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG und in den Fallgestaltungen des § 17 StVG das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses i. S. d. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG, einschließlich der zu fordernden gesteigerten Sorgfalt bzw. der Nichtursächlichkeit ihres Fehlens (BGH NJW 1982, 1149); – für das Vorliegen einer „Schwarzfahrt“ i. S. d. § 7 Abs. 3 StVG (vgl. hierzu im Einzelnen Hentschel/König, § 7 StVG Rn. 60); – für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 StVG; – für die Mithaftung des Geschädigten (BGH NJW 2014, 217).“9 3.3.2. Bei § 18 StVG Bei der Haftung aus § 18 StVG handelt es sich um eine „Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast“10, d.h. nicht – wie üblich – der Anspruchsteller muss ein Verschulden des Fahrers darlegen und beweisen, sondern der Fahrer muss sich aktiv entlasten. Die Hürden hierfür liegen hoch: „Der Entlastungsbeweis ist erbracht, wenn der Fahrer nachweist, dass er die gewöhnliche verkehrserforderliche Sorgfalt angewandt hat, mit der er gewöhnliche Verkehrslagen hätte meistern können. Auch wenn die Anforderungen an den Entlastungsnachweis nach dem Wortlaut geringer sind als an den Unabwendbarkeitsnachweis gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 StVG, sind in der 9 Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 72 f. 10 Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 7 Praxis die Fälle selten, in denen der Entlastungsbeweis als geführt angesehen, eine Unabwendbarkeit des Unfalls dagegen verneint wird.“11 Der Entlastungsbeweis betrifft sämtliche Tatsachen, die als schuldbegründend in Betracht kommen – Ungeklärtes geht zu Lasten des Fahrers.12 Der Geschädigte trägt dem gegenüber entsprechend den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Betrieb des vom Fahrzeugführer „geführten Kraftfahrzeuges und dem Unfall. Er muss beweisen, dass sich der Unfall bei dem Betrieb dieses Kraftfahrzeuges ereignet hat (BGH VersR 1976, 927; … ). Hierbei helfen ihm die Regeln des Anscheinsbeweises . Der vermutete Verstoß gegen eine Verhaltensvorschrift der StVO und das nachfolgende Schadenereignis (der Unfall), den die Vorschrift nach ihrem Schutzzweck verhindern sollte, begründen den ersten Anschein für den erforderlichen Kausalzusammenhang (BGH VersR 1964, 1182; 1969, 719; OLG Hamm VersR 2005, 1303; OLG Koblenz VersR 2006, 1383). Ferner hat der Geschädigte die haftungsausfüllende Kausalität zu beweisen, also den Zusammenhang zwischen Unfall und Schadenfolge, was ihm § 287 ZPO erleichtert (BGH VersR 1983, 985).“13 Nach § 287 ZPO14 entscheidet, wenn unter den Prozessparteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, die normalen Darlegungs- und Beweisanforderungen insbesondere im Falle der Entstehung und der Höhe eines Schadens in mehrfacher Hinsicht zu ermäßigen und so zu verhindern, dass materiell berechtigte Schadensersatzansprüche an prozessualen Anforderungen scheitern.15 Mit der Einführung von § 287 ZPO trug der Gesetzgeber Erfahrungen Rechnung, wonach sich das Verlangen eines lückenlosen Nachweises von Schaden und Schadenshöhe durch den Geschädigten im Einzelfall als rechtsvereitelnd erweisen kann: „Hintergrund dieses Normzweckes ist, dass der Schadensersatzprozess des gemeinen Rechts wegen seiner vom Geschädigten verlangten lückenlosen Nachweise nach formellen Beweisregeln verrufen war. Der Gesetzgeber wollte durch § 287 eine umfassende Abhilfe bezüglich dieser Schwierigkeiten schaffen. (…) Es geht … darum, für das Beweismaß und das Beweisverfahren Erleichterungen zu schaffen, ohne dass einerseits eine Beschränkung allein auf die 11 Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 80. 12 Kuhn, in: Buschbell (Hrsg.), Münchener Anwalts Handbuch Straßenverkehrsrecht (MAH StraßenverkehrsR), 4. Auflage 2015, § 23 Rdn. 100. 13 Kaufmann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 25. Kapitel Rdn. 333. 14 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist. 15 Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 287 Rdn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 8 Schadenshöhe vorgenommen wäre, ohne dass aber auch abschließend geklärt wäre, wie das „ob“ des Schadens in § 287 vom Bereich des § 286 im Einzelnen abzugrenzen sei (…). (…) Zu Recht sieht die hM in § 287 eine Beweismaßsenkung gegenüber § 286 … Als Besonderheiten bleiben in § 287 … die Erleichterungen beim Beweisverfahren … und insbesondere die Beweismaßreduzierung im Bereich der Schadenshöhe. Hier sind insbesondere Beweiserleichterungen erforderlich, soweit in der Schadensberechnung ein besonderer Ermessensspielraum enthalten ist (wie zB beim Schmerzensgeld) oder es sich um eine hypothetische Schadensberechnung handelt (wie zB beim entgangenen Gewinn gemäß § 252 BGB). Aber auch in allen anderen Fällen, in denen einer Beweiserhebung über die Schadenshöhe besondere Schwierigkeiten entgegenstehen oder der Beweis einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, kann § 287 herangezogen werden. Der Richter darf hierbei also in Kauf nehmen, dass seine richterliche Schätzung keine exakte Schadensberechnung ist und deshalb mit der (möglicherweise nur fiktiv vorhandenen) wirklichen Schadenshöhe nicht übereinstimmen muss.“16 3.3.3. Bei § 823 BGB Nach § 823 Absatz 1 BGB ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit , die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Gemäß der üblichen Grundsätze muss der Geschädigte bei einem Anspruch aus § 823 Absatz 1 BGB grundsätzlich sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere auch das Verschulden des Schädigers, darlegen und beweisen.17 Nach § 823 Absatz 2 BGB trifft die Verpflichtung zum Schadensersatz auch denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz (sog. Schutzgesetz) verstößt. Diese Konstellation kommt insbesondere bei Verkehrsunfällen in Betracht, bei denen der Unfallverursacher zugleich gegen eine Verhaltensnorm der StVO18 verstoßen hat, da zahlreiche entsprechende Bestimmungen als „Schutzgesetz“ im Sinne des § 823 Absatz 2 BGB anzusehen sind.19 Hinsichtlich der Beweislast ergibt sich bei § 823 Absatz 2 BGB gegenüber § 823 Absatz 1 BGB und der üblichen Beweislastzuweisung in diesem Zusammenhang eine wichtige Modifikation: „Bei Verstoß gegen ein Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB muss der Geschädigte nicht das Verschulden desjenigen beweisen, der gegen ein Schutzgesetz verstoßen hat. Es muss lediglich der objektive Verstoß gegen das Schutzgesetz dargetan werden. Hier tritt eine allgemeine 16 Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 287 Rdn. 2 f. 17 Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 100. 18 Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 6. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3549) geändert worden ist. 19 Auflistung bei Grüneberg, in: Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Band 1 – Zivilrecht, 37. Ergänzungslieferung August 2017, Kapitel 19A Nr. 4 Rdn. 95. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 9 Beweislastumkehr ein mit der Maßgabe, dass derjenige, der gegen ein Schutzgesetz verstoßen hat, sich entlasten muss.“20 Bei Straßenverkehrshaftpflichtprozessen kommt generell dem Anscheinsbeweis eine große Bedeutung zu: „Grundsätzlich spricht der Anscheinsbeweis gegen denjenigen, dessen regelwidriges Verhalten einen Unfall erklärbar macht, und gegen denjenigen, der an einem Unfall beteiligt ist, der nach der Sachlage typischerweise nur durch sein regelwidriges Verhalten erklärt werden kann (BGH NJW 1996, 1828). Kann ein Unfall auf mehrere mögliche Ursachenreihen zurückgeführt werden, so kommt ein Anscheinsbeweis nicht in Betracht; dabei ist unerheblich, ob eine der Möglichkeiten nach der Lebenserfahrung eine größere Wahrscheinlichkeit für sich hat (BGHZ 192, 84; vgl. auch BGH NJW-RR 1988, 789; r+s 1996, 174).“21 3.4. Zwischenergebnis Schon die vorstehenden ausgewählten Befunde haben gezeigt, dass hinsichtlich des einfachen Grundprinzips, wonach jeder die Tatbestandsmerkmale der für ihn günstigen Norm darzulegen und ggf. zu beweisen habe, im geltenden Schadensersatz- und Prozessrecht bereits zahlreiche Ausnahmen und Abmilderungen in Form von Beweiserleichterungen – auch in Gestalt der Beweislastumkehr – zugunsten des Anspruchstellers, also des Geschädigten existieren. In der Zusammenschau kann damit schon prima facie nicht festgestellt werden, dass nach geltendem Recht dem Geschädigten einseitig in unbilliger Weise Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der von ihm verfolgten Ansprüche aufgebürdet würden. 4. Voraussetzungen für die Einführung bzw. Ausweitung einer Beweislastumkehr durch den Gesetzgeber Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Beweislastregeln nicht frei, sondern muss bei ihr den einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.22 So wird die Frage der Durchsetzung materieller Ansprüche insbesondere durch das Rechtsstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 3 GG23 determiniert, das mit dem Mittel des staatlichen Gerichtsverfahrens letztlich auf die Erlangung und Erhaltung materieller Gerechtigkeit zielt.24 Die übliche Beweislastzuweisung, wonach derjenige, der einen Anspruch gegen einen anderen erhebt, die einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu beweisen hat und damit das Prozessrisiko trägt, basiert dabei wesentlich auch auf 20 Kuhn, in: Buschbell (Hrsg.), Münchener Anwalts Handbuch Straßenverkehrsrecht (MAH StraßenverkehrsR), 4. Auflage 2015, § 23 Rdn. 112. 21 Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 27. Kapitel Rdn. 16. 22 Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93, 96. 23 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist. 24 Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93, 96. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 10 der Prämisse, dass nur so sichergestellt ist, „dass die geschützte Sphäre des Bürgers nicht einer überzogenen Gefährdung durch das staatliche Justizgewährleistungssystem ausgesetzt ist. Der grundrechtliche Schutz des potentiell Beklagten strahlt folglich dergestalt auf die rechtsstaatliche Beurteilung der Beweislastverteilung aus, dass die Grundregel der Beweislast eine grundsätzliche Vermutung widerspiegelt, die ihn vor einer vorschnellen, rechtsstaatswidrigen Verurteilung bewahren soll. Daraus ergibt sich des Weiteren unmittelbar, dass die Umkehr der Beweislast einen Ausnahmefall bildet, dessen Statthaftigkeit sich als das Ergebnis einer abwägenden Beurteilung aller tangierten Rechtspositionen präsentiert.“25 Danach gelte für die Zulässigkeit der Einführung einer Beweislastumkehr durch den Gesetzgeber: „Nur dann, wenn die Grundregel der Beweislast in einer typisierten Fallgestaltung zu schwerwiegenden und sozial unerträglichen Ergebnissen führen muss, darf … der Gesetzgeber ausnahmsweise von ihr abweichen. Nur dann nämlich steht die Folge einer konsequenten Durchsetzung der Beweislastgrundregel der Verfassung ferner als der modifizierende Eingriff in die verfassungsrechtlich vorgegebene Risikoverteilung im Prozess. Billigkeits- und Bequemlichkeitserwägungen , wem ein Beweis einfacher möglich oder eher zumutbar ist, reichen dagegen nicht aus. Hinzu kommt im Übrigen auch, dass schon die Frage, wer in concreto einen Beweis leichter führen kann, subjektiven Wertungsversuchen weit möglichst zu entziehen ist. Die Umkehrung der Beweislast ist daher nur verhältnismäßig, wenn sie eine objektive Unvereinbarkeit des Prozessergebnisses bei Anwendung der grundsätzlichen Beweislastverteilung mit dem rechtsstaatlichen Gebot des fairen Verfahrens zu bereinigen sucht und sich dabei ausschließlich auf diejenigen Fallgruppen beschränkt, in denen aufgrund ihres herausgehobenen Ausnahmecharakters ein regulierendes Eingreifen unerlässlich ist.“26 Ausgehend von diesem Befund müsste jedwedem gesetzgeberischen Eingriff in das geltende Schadensersatzrecht mit dem Ziel der Einführung einer Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten eine äußerst sorgfältige, auch rechtstatsächlich fundierte Untersuchung vorausgehen. Des Weiteren müssten bei einem solchen Vorhaben vor allem auch etwaige – unbeabsichtigte – Auswirkungen einer entsprechenden Reform auf das Gesamtgefüge der direkt oder mittelbar tangierten Normen gerade im Haftungsrecht berücksichtigt werden. 5. Verbindung von Strafverfahren mit Schadensersatzforderungen 5.1. Grundsätzliche Unterschiede Schadensersatzforderungen wegen rechtswidriger Handlungen im Straßenverkehr sind rechtssystematisch dem Haftungsrecht als Teil des Schuldrechts zuzuordnen: Hierbei handelt es sich um „das Recht der Beziehungen zwischen Personen, kraft deren der eine (Gläubiger, Berechtigter) von dem anderen (Schuldner, Verpflichteter) eine Leistung verlangen kann, die im Allgemeinen dem rechtsgeschäftlich-wirtschaftlichen Lebensbereich zugehört.“27 Dem gegenüber betrifft das 25 Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93, 96. 26 Reinhardt, Die Umkehr der Beweislast aus verfassungsrechtlicher Sicht, NJW 1994, 93, 97. 27 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, 11. Auflage 2017, Rdn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 11 Strafrecht Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den seiner Hoheitsgewalt unterstellten Einzelpersonen und umfasst die Gesamtheit der Rechtsnormen, die Inhalt und Umfang der staatlichen Strafbefugnis bestimmen.28 So wie Zivil- bzw. Schuldrecht einerseits und Strafrecht andererseits demnach unterschiedliche Gegenstände haben und ihnen dem entsprechend auch unterschiedliche Prämissen zugrunde liegen , so sind Straf- und Zivilverfahren voneinander getrennte und unabhängige Verfahren mit unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen. So gilt im „deutschen Strafprozess der Ermittlungsgrundsatz (Untersuchungsmaxime), der auch als Prinzip der materiellen Wahrheit oder als Instruktionsprinzip bezeichnet wird. Das bedeutet, dass das Gericht den wahren Sachverhalt selbst ermittelt und dabei grundsätzlich an Anträge und Erklärungen der Prozessbeteiligten nicht gebunden ist (vgl § 155 Abs. 2 und § 244 Abs. 2). Die Ermittlung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses (BVerfGE 57, 250, 275; 63, 45, 61; NStZ 2007, 598; BVerfG 2 BvR 2628/10, Rn 67 ff., 104); dazu sind Gericht und Staatsanwaltschaft gleichermaßen verpflichtet (BVerfG NJW 1987, 2662).“29 Das Gericht ist so insbesondere auch dazu berechtigt und verpflichtet, die von ihm für erforderlich gehaltenen Beweise zu erheben, auch wenn dies weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Angeklagten beantragt worden ist.30 Im Zivilprozess hingegen gilt der Dispositionsgrundsatz, wonach es den Prozessparteien zusteht, „über den Rechtsstreit im Ganzen zu verfügen, ihn durch Initiative des Klägers in Gang zu setzen, den Streitgegenstand … zu bestimmen, den Rechtsstreit durch Anträge maßgeblich zu beeinflussen und ihn auch vorzeitig, dh. ohne Urteil, zu beenden. Beginn und Durchführung des Zivilprozesses werden also weitgehend dem Selbstbestimmungsrecht der Parteien übertragen. Dies geschieht deshalb, weil es in Zivilverfahren um die Durchsetzung privater Rechte geht und es deshalb dem Einzelnen auch überlassen bleiben kann, wie er mit seinen Rechten umgehen will. Die Dispositionsmaxime bedeutet die konsequente Übertragung des im materiellen Recht geltenden Grundsatzes der Privatautonomie auf den Zivilprozess.“31 Besonders deutlich wird dies durch den im Zivilprozess geltenden Verhandlungsgrundsatz. Dieser „gewährt den Parteien die Befugnis , die Tatsachen in den Prozess einzuführen, über die das Gericht zu befinden hat und auf die es sein Urteil stützt. Der Verhandlungsgrundsatz wird deshalb auch plastischer als Beibringungsgrundsatz bezeichnet. Nur was die Parteien vortragen, kann die tatsächliche Grundlage des Urteils bilden. Deshalb darf der Richter nur ihm bekannte Tatsachen, d. h. sein privates Wissen, nicht verwerten, wenn dies im Parteivorbringen keine Stütze findet. Auch Tatsachen, die in einer Beweisaufnahme dem Gericht mitgeteilt werden, dürfen nur berücksichtigt werden, wenn sie von den Parteien aufgegriffen werden.“32 28 Weidenkaff, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 22. Auflage 2017, Stichwort „Strafrecht“. 29 Fischer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, Einleitung Rdn. 12. 30 Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 155 Rdn. 5. 31 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage 2017, Rdn. 35. 32 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage 2017, Rdn. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 12 Bereits diese summarische Betrachtung sowohl von Straf- und Zivilrecht als auch von Straf- und Zivilverfahren zeigt damit die grundsätzlichen und erheblichen Unterschiede beider Rechtsgebiete und Verfahrensarten. Eine bindende Verknüpfung dergestalt, dass aus einem Strafurteil bzw. aus den in einem Strafverfahren getroffenen Feststellungen eine unmittelbare Wirkung für eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage und ein etwaiges Zivilverfahren abzuleiten wäre, erschiene damit grundsätzlich fragwürdig. 5.2. Adhäsionsverfahren Der Gesetzgeber hat gerade für den Fall, dass es ein Geschädigter vermeiden möchte, nach einem mitunter aufwändigen Strafprozess oder parallel zu diesem ein ressourcen- und zeitaufwändiges Zivilverfahren anzustrengen, in der Strafprozessordnung (StPO)33 das so genannte Adhäsionsverfahren bereit gestellt, um es dem Geschädigten zu ermöglichen, bereits in einem Strafverfahren auch seine zivilrechtlichen Ansprüche geltend zu machen und ein entsprechendes Urteil zu erwirken : § 403 StPO – Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren Der Verletzte oder sein Erbe kann gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört und noch nicht anderweit gerichtlich anhängig gemacht ist, im Strafverfahren geltend machen , im Verfahren vor dem Amtsgericht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes . Als Vorteile des Adhäsionsverfahrens gegenüber einem selbstständig zu führenden Zivilprozess werden u. a. genannt34: – Ausnutzung des strafprozessualen Amtsermittlungsgrundsatzes – Bessere Beweismöglichkeiten in so genannten „Aussage-gegen-Aussage“-Situationen, in denen also keine weiteren Zeugen den Angeklagten überführen können – In der Regel schnellere Verfahrensführung in Strafsachen – Adhäsionsantragsschrift ist einfacher und schneller abzusetzen als Klageschrift – Keine Auslagenvorschüsse für Zeugen oder Sachverständige erforderlich – Keine Rechtskraftwirkung, soweit Antrag ganz oder teilweise abgelehnt wird 33 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 34 Krumm, Das Adhäsionsverfahren in Verkehrsstrafsachen, Straßenverkehrsrecht (SVR) 2007, 41. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 13 – Vergleichsbereitschaft des Täters wird größer sein, um Strafverfahrensteil glimpflich zu beenden – Flankierende Maßnahmen zur Förderung der Zahlungsbereitschaft nach Vergleich sind möglich: Auflagen im Rahmen der Bewährung, des § 153a StPO oder einer Verwarnung mit Strafvorbehalt – Rechtsmittelfristen des Strafrechtes gelten auch für Adhäsionsverfahren (d.h. z.B. Einlegungsfrist von einer Woche nach Urteilsverkündung) Grundsätzlich nicht geeignet für das Verfolgen im Adhäsionsverfahren sind allerdings Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfallkonstellationen gegen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer: Da der gegen die Haftpflichtversicherer gerichtete Anspruch nicht aus einer Straftat resultiert, sondern aus der gesetzlichen Gefährdungshaftung, könnte das jeweilige Versicherungsunternehmen im Adhäsionsverfahren nicht verurteilt werden.35 6. Vollstreckbarkeit von Geldforderungen bereits vor Rechtskraft des Urteils Spezifische materiell rechtliche Schadensersatzregelungen, aus denen sich Verpflichtungen zu Vorableistungen an Geschädigte ergeben, konnten im französischen Recht nicht ermittelt werden. Es ist davon auszugehen, dass insoweit vielmehr die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit von erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen beim Einlegen von Rechtsmitteln durch die zu Schadensersatzzahlungen verurteilte Prozesspartei tangiert ist.36 6.1. Deutsches Recht Nach geltendem deutschen Zivilprozessrecht kann auch dann, wenn ein erstinstanzliches Urteil mangels Rechtskraft – etwa aufgrund eingelegten Rechtsmittels37 – noch nicht rechtskräftig ist, eine vorläufige Vollstreckbarkeit gegen einen beklagten Haftpflichtversicherer gegeben sein: § 704 ZPO Vollstreckbare Endurteile Die Zwangsvollstreckung findet statt aus Endurteilen, die rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt sind. Gemäß § 709 ZPO sind „Urteile gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, 35 Krumm, Das Adhäsionsverfahren in Verkehrsstrafsachen, SVR 2007, 41, 43. 36 Vgl. 20minutes vom 12.05.2017, „Procès PIP: Le géant allemand du contrôle TÜV va devoir indemniser les victimes au plus vite“ (abrufbar unter http://www.20minutes.fr/societe/2066931-20170512-proces-pip-geant-allemand -controle-v-va-devoir-indemniser-victimes-plus-vite): Die „vorläufige Vollstreckbarkeit“ des Urteils gegen den TÜV sei auf die hiergegen eingelegte Beschwerde hin bestätigt worden, weshalb der TÜV die Schadensersatzzahlungen umgehend leisten müsse, ohne das Ergebnis des Berufungsverfahrens in der Hauptsache abwarten zu können. 37 Vgl. § 705 Satz 2 ZPO: „Der Eintritt der Rechtskraft wird durch rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels oder des Einspruchs gehemmt.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 14 wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird.“ Kann der Gläubiger die Sicherheit nach § 709 ZPO nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten leisten, so ist gemäß § 710 ZPO das Urteil auf Antrag auch ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn die Aussetzung der Vollstreckung dem Gläubiger einen schwer zu ersetzenden oder schwer abzusehenden Nachteil bringen würde oder aus einem sonstigen Grund für den Gläubiger unbillig wäre, insbesondere weil er die Leistung für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt. Würde die Vollstreckung aber wiederum dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen, so hat ihm das Gericht auf Antrag zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers abzuwenden (§ 712 ZPO). Ist der Schuldner dazu nicht in der Lage, so ist das Urteil nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären oder aber die Vollstreckung auf die in § 720a Absätze 1, 2 ZPO bezeichneten Maßregeln (u. a. Pfändung beweglichen Vermögens) zu beschränken (§ 712 ZPO). 6.2. Französisches Recht Auch im französischen Recht gilt der Grundsatz, dass eine Vollstreckung nur bei rechtskräftigem oder bei für vorläufig vollstreckbar erklärtem Urteil zulässig ist.38 Im Vergleich zum deutschen Zivilprozessrecht hat das Gericht allerdings bei der Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit offenbar einen größeren Spielraum sowohl hinsichtlich des Ob als auch des Wie der vorläufigen Vollstreckbarkeit. So bestimmt Artikel 515 der französischen Zivilprozessordnung (Code de procédure civile, CPC39), dass der Richter die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag der Prozessparteien oder von Amts wegen immer dann anordnen kann, wenn er dies für erforderlich und für mit der Natur der Streitsache vereinbar hält und die Vollstreckbarkeit nicht gesetzlich untersagt ist. Der Richter kann dabei sowohl darüber befinden, ob er die vorläufige Vollstreckbarkeit für das gesamte Urteil oder nur für einen Teil festlegt (Artikel 515 CPC), als auch darüber, ob er die Vollstreckbarkeit gegen eine Sicherheitsleistung anordnet oder ohne eine solche (Artikel 517 CPC). Wenn die Sicherheitsleistung in einer Geldsumme besteht, ist diese nach Artikel 519 CPC grundsätzlich bei der Caisse des dépôts et consignations40 zu hinterlegen. Soweit das Urteil eine Schadensersatzzahlung aufgrund eines erlittenen körperlichen Schadens beinhaltet, kann der Richter 38 Vgl. Haddad, De quelques rappels su „l´exécution provisoire” des décisions de justice, 15.12.2009, abrufbar unter https://www.legavox.fr/blog/maitre-haddad-sabine/quelques-rappels-%C2%AB-execution-provisoire- 1396.pdf. 39 Code de procédure civile, Version consolidée au 18 novembre 2017, abrufbar unter https://www.legifrance .gouv.fr/affichCode.do;jsessionid=D84F1274FE4B012A6D2778CC3E06736B.tplgfr32s_2?cidTexte=LE- GITEXT000006070716&dateTexte=20171208. 40 Bei der Caisse des dépôts et consignations handelt es sich um ein staatliches französisches Finanzinstitut, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Caisse_des_D%C3%A9p%C3%B4ts. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 15 auch anordnen, dass die Zahlungen an einen Sequester zu leisten sind, der wiederum nach entsprechender Festlegung seitens des Richters in periodischen Abständen hieraus Zahlungen an das Opfer vornimmt (Artikel 521 CPC). 7. Unionsrechtliche Vorgaben für Schadensersatzleistungen 7.1. Zur Vorleistungspflicht von Versicherungen Die Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht41 normiert in Artikel 18 dieser Richtlinie einen Direktanspruch des Unfallgeschädigten gegen das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckende Versicherungsunternehmen . Der Text dieser Vorschrift lautet: Artikel 18 Direktanspruch Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Geschädigte eines Unfalls, der durch ein durch die Versicherung nach Artikel 3 gedecktes Fahrzeug verursacht wurde, einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt. In dem Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 2009/103/EG wird dazu näher folgendes ausgeführt: Das Recht, sich auf den Versicherungsvertrag berufen und seinen Anspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen direkt geltend machen zu können, ist für den Schutz des Opfers eines Kraftfahrzeugunfalls von großer Bedeutung. Zur Erleichterung einer effizienten und raschen Regulierung von Schadensfällen und zur weitestmöglichen Vermeidung kostenaufwändiger Rechtsverfahren sollte ein Direktanspruch gegenüber dem Versicherungsunternehmen, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt, für alle Opfer von Kraftfahrzeugunfällen vorgesehen werden. Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten außerdem zu Einrichtung von Auskunfts- und Entschädigungsstellen (Artikel 23 und Artikel 24 Richtlinie 2009/103/EG). Eine Vorleistungspflicht vor (zivilgerichtlicher) Klärung der Haftungspflicht des Verursachers bzw. des Direktanspruchs gegenüber der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sieht diese nicht vor. Nach Recherchen des Referats PE 4 (EU-Verbindungsbüro) plant die Kommission – soweit ersichtlich – derzeit keine Regelungen zu Beweiserleichterungen bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen für Unfallopfer. Die mit einer zum 20. Oktober 2017 abgeschlossenen öffentlichen Konsultation angestoßene Reform der Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie (2009/103/EG) und das damit einhergehende Review, das die Kommission durchführt, konzentrieren sich auf andere Regelungen, 41 Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug -Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl. L 263/11, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0103&qid=1510831366552&from=DE. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 16 wie z. B. den Anwendungsbereich der Richtlinie, die Koordinierung der nationalen Versicherungsbüros oder die sich aus einer Insolvenz von Versicherern ergebenden Fragen. Bei den Artikeln 20 ff. der Richtlinie, die sich mit der Entschädigung von Unfallopfern beschäftigen, sehe man keinen Verbesserungs- oder Anpassungsbedarf.42 7.2. Vorhaben oder Überlegungen auf europäischer Ebene, die im Bahn- und Luftverkehr für Bahn- und Luftverkehrsunternehmen bestehenden Schadensersatzpflichten europarechtlich verpflichtend auch im Personenkraftverkehr einzuführen Das geltende europäische Sekundärrecht sieht in Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen43 für Luftfahrtunternehmen und in Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr 44 bei Unfällen für Eisenbahnunternehmen Vorschusspflichten gegenüber den geschädigten Fahrgästen vor. Die Verordnung (EU) Nr. 181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr 45 beschränkt sich in Artikel 7 dieser Verordnung auf Vorgaben zu den materiellen Haftungsansprüchen von geschädigten Fahrgästen für aus der Nutzung von Kraftomnibussen resultierenden Unfällen, ohne aber eine Vorschusspflicht des Beförderers vorzusehen. Bestrebungen auf europäischer Ebene, die in Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrunternehmen bei Unfällen für Luftfahrunternehmen und in Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr bei Unfällen für Eisenbahnunternehmen normierten Vorschusspflichten gegenüber den geschädigten Fahrgästen auch im Personenkraftverkehr einzuführen, lassen sich derzeit nicht feststellen. Aus Kreisen der EU-Kommission war zu erfahren, dass eine Ausweitung der Regelung über Auszahlung von Vorschüssen für den Zugverkehr auf den Omnibusverkehr derzeit von der Kommission nicht geplant ist. Es sei für die Zukunft jedoch im Bereich des Möglichen, dass die Kommission einen einheitlichen Kodex für Passagierrechte mit Abschnitten zu den verschiedenen Verkehrssektoren vorlegt, in dem dann in einem allgemeinen Teil auch eine vergleichbare Vorschussregelung integriert werden könnte. 8. Fazit Der Darlegungs- und Beweislastzuweisung kommt bei der gerichtlichen Verfolgung und Durchsetzung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche eine zentrale Bedeutung zu. Ausgehend von dem einfachen Grundprinzip, wonach jeder die Tatbestandsmerkmale der für ihn günstigen 42 Weiterführende Informationen finden sich in der Pressemitteilung der Kommission vom 28.7.2017 unter https://ec.europa.eu/germany/news/kommission-will-versicherungsschutz-nach-autounfaellen-staerken_de. 43 Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen, ABl. L 285/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31997R2027&from=DE. 44 Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, ABl. L 315/14, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:315:0014:0041:de:PDF. 45 Verordnung Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004, ABl. L 55/1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1510837154287&uri=CELEX:32011R0181. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 087/17 Seite 17 Norm darzulegen und ggf. zu beweisen habe, ergibt eine nähere Betrachtung, dass je nach konkreter Fallkonstellation nicht nur in Ausnahmefällen Durchbrechungen dieser Regel in Form von Beweiserleichterungen oder auch einer Beweislastumkehr bereits im geltenden Recht bzw. seiner Handhabung seitens der Gerichte existieren. Pauschale, durch den Gesetzgeber einzuführende Regelungen hinsichtlich einer Beweislastumkehr bei Schadensersatzforderungen im Bereich des Straßenverkehrs erscheinen sowohl vor diesem Hintergrund als auch angesichts der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben dem gegenüber als fragwürdig und bedürften, wollte man sie einführen, sorgfältiger und eingehender Prüfung durch entsprechende dogmatische Studien und rechtstatsächliche Untersuchungen. Auch die Überlegung, eine engere Verknüpfung von etwaigen Strafverfahren und Zivilverfahren im Sinne einer zivilrechtlich bindenden Wirkung strafverfahrensrechtlicher Feststellungen einzuführen , begegnet bereits grundsätzlichen Bedenken, da sowohl die zugrundeliegenden Rechtsgebiete als auch die Verfahrensarten sich in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Gegenstand ganz erheblich voneinander unterscheiden und fraglich erscheint, wie bei diesen unterschiedlichen materiellen Beurteilungsmaßstäben eine tatbestandlich stimmige Anknüpfung erfolgen können sollte. Hinzu kommt, dass das geltende Strafverfahrensrecht in Gestalt des Adhäsionsverfahrens bereits eine Möglichkeit dafür bietet, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche vereinfacht und beschleunigt im Strafverfahren zu verfolgen. Was die Frage der zügigen (Vorab-)Entschädigung eines in erster Instanz obsiegenden Geschädigten bereits vor Rechtskraft des Urteils anbelangt, hat ein summarischer Vergleich mit der französischen Rechtsordnung ergeben, dass sich die Regelungen in Deutschland und Frankreich offenbar in den Grundzügen in wesentlichen Punkten ähneln, die französischen Regelungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aber dem Richter einen größeren Handlungsspielraum einzuräumen scheinen – unter anderem auch dahingehend, eine vorläufige Vollstreckbarkeit von Schadensersatzzahlungen ohne Sicherheitsleistung anzuordnen. Die Regelungen des deutschen Zivilprozessrechts insofern zu modifizieren, erschiene zwar nicht von vornherein ausgeschlossen; entsprechende Regelungen werden allerdings, soweit ersichtlich, im einschlägigen Schrifttum nicht diskutiert und müssten sich zudem vor allem auch an den zivilprozessualen Verfahrensgrundsätzen 46 sowie den vorliegend relevanten verfassungsrechtlichen Vorgaben – insbesondere also auch den auf Seiten des Beklagten tangierten grundrechtlich geschützten Positionen47 – messen lassen. * * * 46 Vgl. hierzu oben Gliederungspunkt 5.1. 47 Vgl. hierzu – entsprechend – die obigen Ausführungen unter Gliederungspunkt 4.