© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 086/20 Einzelfragen zur Durchführung eines vergaberechtlichen Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 2 Einzelfragen zur Durchführung eines vergaberechtlichen Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 086/20 Abschluss der Arbeit: 14. Juli 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Allgemeine Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Vergaberechts 4 3. Der Begriff des öffentlichen Auftrages 5 4. Die Auswahl der Verfahrensart 5 4.1. Allgemein in Betracht kommende Verfahrensarten 5 4.2. Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb 5 4.3. Besondere Anknüpfungspunkte im Lichte der COVID-19-Pandemie 7 5. Rechtsschutz 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 4 1. Einleitung Insbesondere vor dem Hintergrund eines unerwartet und kurzfristig auftretenden Beschaffungsbedarfs stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein im Oberschwellenbereich, also einer Beschaffung jenseits bestimmter Auftragswertgrenzen1, durchzuführendes Vergabeverfahren beschleunigt werden kann. Nachfolgend soll diese Frage im Lichte der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden Notwendigkeit des schnellen Einkaufs medizinischer Schutzausrüstung überblicksartig beleuchtet werden. Bereits an dieser Stelle ist darauf zu hinzuweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine Einzelfallprüfung vornehmen. Eine rechtliche Detailprüfung bestimmter vergaberechtlicher Vorgänge , insbesondere in Bezug auf vereinbarte Lieferfristen, kann mithin nicht erfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen beinhalten daher vielmehr eine summarische Darstellung von Einzelaspekten des oberschwelligen Vergabeverfahrens sowie grundsätzliche Möglichkeiten einer Beschleunigung . 2. Allgemeine Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Vergaberechts Unter dem Begriff des „Vergaberechts“ wird im Allgemeinen die Gesamtheit derjenigen Regeln und Vorschriften verstanden, die dem Staat, seinen Untergliederungen oder sonstigen öffentlichen Auftraggebern ganz bestimmte Vorgehensweisen beim Einkauf von Gütern oder bei der Inanspruchnahme sonstiger Leistungen am Markt mittels eines entgeltlichen Vertrags vorschreiben .2 Wesentlicher Teil dieses Regelungsregimes ist unter anderem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)3, in dessen 4. Teil – den §§ 97-184 GWB – die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen näher ausgestaltet ist. Danach sind öffentliche Aufträge und Konzessionen insbesondere im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren zu vergeben, wobei die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu wahren sind (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). 1 Bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte sind die Vergabevorschriften der Europäischen Union anzuwenden , die in die das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) umgesetzt und – ausschließlich bezogen auf Bauleistungen – in die VOB/A als Abschnitte 2 und 3 eingearbeitet wurden. Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre von der EU-Kommission angepasst und gelten durch den Verweis des § 106 GWB unmittelbar. Derzeit liegt der Schwellenwert für Bauaufträge und Konzessionsvergaben bei 5.350.000 Euro. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt er bei 214.000 Euro und für Aufträge der oberen und obersten Bundesbehörden bei 139.000 Euro. 2 Vgl. etwa Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen , Einleitung, Rn. 1. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. März 2020 (BGBl. I S. 674) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/BJNR252110998.html (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren an 14. Juli 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 5 3. Der Begriff des öffentlichen Auftrages Maßgeblich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB ist das objektive Vorliegen eines öffentlichen Auftrages.4 § 103 Abs. 1 GWB definiert diesen als entgeltlichen Vertrag zwischen (öffentlichen) Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Anwendung des GWB-Vergaberechts kann dabei durch den bloßen Willen und/oder die irrige Annahme des Auftraggebers oder durch eine Parteivereinbarung weder begründet noch umgangen werden.5 4. Die Auswahl der Verfahrensart 4.1. Allgemein in Betracht kommende Verfahrensarten Der Ablauf eines Beschaffungsvorgangs hängt vom konkreten Vergabeverfahren ab. Das GWB kennt verschiedene Vergabeverfahrensarten, insbesondere das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren und den wettbewerbliche Dialog (vgl. § 119 Abs. 1 GWB).6 Nach § 119 Abs. 2 Satz 2 GWB besteht dabei im Kartellvergaberecht oberhalb der Schwellenwerte eine grundsätzliche Nachrangigkeit des Verhandlungsverfahrens gegenüber dem offenen und dem nicht offenen Verfahren.7 4.2. Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichst kurzfristigen Beschaffung kommt dem Verhandlungsverfahren , welches nach § 119 Abs. 5 GWB mit und ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb 8 durchgeführt werden kann, jedoch eine zentrale Rolle zu. Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zeichnet sich nämlich insbesondere dadurch aus, dass der jeweilige öffentliche Auftraggeber etwaige Vertragspartner selbst ohne vorheriges förmliches Verfahren auf Basis seiner Marktkenntnis auswählen und sodann frei mit diesen verhandeln kann.9 Der Wettbewerb kann hier mithin von vornherein nur zwischen den Unternehmen stattfinden, die 4 Vgl. Stein, in: BeckOK Vergaberecht, 15. Edition, Stand: 30. Mai 2019, § 103 GWB, Rn. 1. 5 Vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 17. Juni 2016, Az.: 7 Verg 2/16, Rn. 51, BeckRS 2016, 12548. 6 Zum Überblick der verschiedenen Verfahrensarten sowie zu deren Unterschieden vgl. bspw. Pünder, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 119 GWB, Rn. 20 ff. 7 Vgl. Siegel: Verwaltungsrecht im Krisenmodus, NVwZ 2020, S. 577, 582. 8 Am Beginn des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb steht die Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU. Darin sind u.a. der Auftragsgegenstand, die Eignungskriterien sowie die sonstigen Auswahlkriterien anzugeben. Interessierte Unternehmen können dann Teilnahmeanträge einreichen, vgl. Antweiler, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 119 GWB, Rn. 23. 9 Vgl. Pünder, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 14 VgV, Rn. 45. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 6 der öffentliche Auftraggeber direkt anspricht.10 Zudem können die strengen Fristvorgaben der anderen Verfahrensarten (vgl. insbesondere § 20 Vergabeverordnung(VgV)11) ganz entscheidend verkürzt werden, im Einzelfall sogar vollständig auf bis zu null Tage.12 Da hierbei allerdings die grundlegenden Vergaberechtsprinzipien des transparenten Wettbewerbs (§ 97 Abs. 1 GWB) und der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) fundamental eingeschränkt werden, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb besonders streng.13 Nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV dürfen Aufträge daher nur dann im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die Mindestfristen einzuhalten, die für das offene und das nicht offene Verfahren sowie für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind; die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dürfen dem öffentlichen Auftraggeber dabei nicht zuzurechnen sein. Pünder führt insoweit aus: „Die Gründe, die dazu führen, dass ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb verhandelt wird, müssen „äußerst dringlich“, ja „zwingend“ sein. Dafür ist eine Abwägung zwischen den bedrohten Rechtsgütern einerseits und der vergaberechtlichen Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen und transparenten Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) vorzunehmen . Die bedrohten Rechtsgüter müssen so wichtig sein, dass es unmöglich ist, den Beschaffungsvertrag erst dann abzuschließen, wenn ein Verfahren mit Teilnahmewettbewerb (…) oder ein offenes Verfahren (an dem sich alle interessierten Unternehmen beteiligen können) durchgeführt wurde. Ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb darf ein Auftrag sofort ohne irgendwelche Fristen nur vergeben werden, wenn es um besonders hochrangige Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, hohe Vermögenswerte, existentielle Daseinsvorsorge) geht und deren Beeinträchtigung unmittelbar (d.h. mit hoher Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit) bevorsteht bzw. schon eingetreten ist. Man mag insofern auch auf die Definition einer „Krise“ zurückgreifen, die sich in § 4 Abs. 1 VSVgV findet. Es muss eine akute Gefahrensituation vorliegen. Andere Möglichkeiten zur Aufgabenerledigung darf es nicht geben. Wirtschaftliche Erwägungen reichen regelmäßig nicht aus. In erster Linie ist an Katastrophenfälle (…) zu denken. Aber auch dann ist eine Abwägung zwischen den bedrohten Rechtsgütern und den vergaberechtlichen Grundsätzen des Wettbewerbs und der Transparenz vorzunehmen “.14 10 Vgl. Antweiler, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 119 GWB, Rn. 24. 11 Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624), die zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. März 2020 (BGBl. I S. 674) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vgv_2016/. 12 Vgl. etwa Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, S. 465. 13 Vgl. Pünder, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 14 VgV, Rn. 45. 14 Vgl. Pünder, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 14 VgV, Rn. 71. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 7 Butzert führt insoweit ergänzend aus: „Allerdings bleibt zu beachten, dass Aufträge, die infolgedessen im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vergeben werden, die Ausnahme darstellen und nur zur Überbrückung in einer ausnahmsweisen Gefahrensituation dienen sollen bis langfristigere Lösungen gefunden worden sind. Daher sollen die betreffenden Aufträge gerade nur den erforderlichen Umfang beziehungsweise eine möglichst kurzzeitige Vertragsdauer aufweisen.“15 4.3. Besondere Anknüpfungspunkte im Lichte der COVID-19-Pandemie Während die vorstehend beschriebene besondere Dringlichkeit einer Vergabe zuvor offenbar eine eher seltene Ausnahme bildete16, spricht vieles dafür, eine solche im Zuge der COVID-19-Pandemie nunmehr weitaus häufiger annehmen zu können. Dies gilt auch unabhängig von der Ausrufung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (vgl. § 5 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz17); die bestehenden vergaberechtlichen Regelungen gelten unverändert fort. Auf dieser Annahme basierend hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) bereits am 19. März 2020 ein Rundschreiben mit Handlungsempfehlungen18 veröffentlicht und hierin klargestellt, dass eine Dringlichkeit auf Grundlage der geltenden Bestimmungen insbesondere zu bejahen sei, wenn Kliniken , Ärzte und Verwaltungseinheiten, Einrichtungen und Personen, die an der Bewältigung der Pandemie-Krise arbeiten, mit den notwendigen Ressourcen versorgt werden müssen.19 Zudem hätten demnach weder die dynamische Entwicklung der Ausbreitung des COVID-19-Erregers noch die daraus resultierenden konkreten Bedarfe in ihrem Umfang und der Kurzfristigkeit ihrer Erforderlichkeit auch bei Beachtung aller Sorgfaltspflichten vorhergesehen werden können.20 Insofern könnte ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wohl insbesondere für die Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln (Masken, Schutzkittel, Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel , Beatmungsgeräte) durchgeführt werden.21 15 Vgl. etwa Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, S. 465, 467. 16 Vgl. Siegel: Verwaltungsrecht im Krisenmodus, NVwZ 2020, S. 577, 582. 17 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Juni2020 (BGBl. I S. 1385) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/. 18 Rundschreiben des BMWI zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/rundschreiben-anwendung-vergaberecht .pdf?__blob=publicationFile&v=6. 19 Vgl. Siegel: Verwaltungsrecht im Krisenmodus, NVwZ 2020, S. 577, 583. 20 Vgl. Rundschreiben des BMWI. 21 Vgl. so etwa auch Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, S. 465, 466. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 8 Dies ergänzend hat auch die Europäische Kommission 1. April 2020 eigene „Leitlinien zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation“22 veröffentlicht23. Butzert führt dazu aus: „Darin wird zunächst auf die Möglichkeit verwiesen, im Fall besonderer Dringlichkeit die Fristen für die Beschleunigung offener oder nichtoffener Verfahren erheblich zu verkürzen. Weiterhin könnte ein Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung – beziehungsweise im deutschen Recht „ohne Teilnahmewettbewerb“ – in Betracht gezogen werden, wenn die dadurch ermöglichte Flexibilität nicht ausreichen sollte. Im Rahmen dessen könnte gemäß diesen EU-Leitlinien sogar eine „Direktvergabe“ an einen vorab ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer zulässig sein, sofern dieser als einziger in der Lage wäre, die erforderlichen Lieferungen innerhalb der durch die äußerste Dringlichkeit bedingten technischen und zeitlichen Zwänge durchzuführen.“24 Laut Kommission sei hier allerdings vor einem „Automatismus“ zu warnen. Nicht jede Ausschreibung , die zuvor nicht dringlich war, werde durch die Corona-Krise zu einer dringlichen.25 Zudem dienten die Maßnahmen lediglich zur Überbrückung, bis langfristigere Lösungen verfügbar sind, beispielsweise Rahmenverträge für Lieferungen von Waren und Bereitstellung von Dienstleistungen, die über reguläre Verfahren vergeben werden.26 5. Rechtsschutz Letztlich sind die besonderen Umstände für die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb in einem Vergabevermerk zu begründen und zu dokumentieren (vgl. insbesondere § 8 VgV).27 Dies gewährleistet die sog. Ex-post-Transparenz des Vergabeverfahrens und ermöglicht einen effektiven Rechtsschutz für im Vergabeverfahren unterlegene oder benachteiligte Bieter.28 22 Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020XC0401(05)&from=DE. 23 Zur Rechtsnatur solcher Auslegungsmitteilungen vgl. Siegel, Auslegungsmitteilungen der Europäischen Kommission als tertiäres Unionsrecht, NVwZ 2008, 620. 24 Vgl. so etwa auch Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, S. 465, 467. 25 Vgl. Siegel: Verwaltungsrecht im Krisenmodus, NVwZ 2020, S. 577, 583. 26 Vgl. Leitlinien der Europäischen Kommission. 27 Vgl. auch Butzert/Krätsch: Möglichkeiten zur Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für dringende Beschaffungen aufgrund der COVID-19-Pandemie, ZfBR 2020, S. 465, 467. 28 Vgl. Mentzinis, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 8 VgV, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 086/20 Seite 9 Auch die Bestimmungen des § 14 VgV sind bieterschützend im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB.29 Die Einhaltung der Voraussetzungen im Einzelfall und die Frage einer etwaigen Verletzung sind daher in einem Nachprüfungsverfahren durch die zuständige Vergabekammer überprüfbar (zum Verfahren vgl. §§ 160 ff. GWB). Antragsbefugt sind nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB nur solche Unternehmen , die ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag haben und eine Verletzung ihrer Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend machen. Sofern und soweit unterlegene oder von Anfang an nicht beteiligte Bieter mithin die Verletzung einzelner Vergabevorschriften rügen (hier also möglicherweise insbesondere auch eine fehlende Dringlichkeit oder einer solchen ggf. wiedersprechende lange Lieferfristen), steht ihnen das Nachprüfungsverfahren offen. *** 29 Vgl. etwa Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 97 GWB, Rn. 107 ff.