© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 085/20 Kinderrechte in familiengerichtlichen Trennungsverfahren Informationen zur Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 2 Kinderrechte in familiengerichtlichen Trennungsverfahren Informationen zur Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Italien und Schweden Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 085/20 Abschluss der Arbeit: 6. August 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Deutschland 4 2. Frankreich 5 3. Italien 6 4. Schweden 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 4 1. Deutschland Gemäß § 111 FamFG1 handelt es sich sowohl bei Ehesachen als auch bei Kindschaftssachen um Familiensachen. Ehesachen sind dabei unter anderem Verfahren auf Scheidung der Ehe (Scheidungssachen – § 121 Nr. 1 FamFG). In strittigen Scheidungssachen ist über Folgesachen zusammen zu verhandeln und zu entscheiden („Verbund“ – § 137 Absatz 1 FamFG). Gemäß § 137 Absatz 3 FamFG sind Folgesachen auch Kindschaftssachen, die die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge, das Umgangsrecht oder die Herausgabe eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten oder das Umgangsrecht eines Ehegatten mit dem Kind des anderen Ehegatten betreffen , wenn ein Ehegatte vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache die Einbeziehung in den Verbund beantragt – es sei denn, das Gericht hält die Einbeziehung aus Gründen des Kindeswohls nicht für sachgerecht. Gemäß § 142 Absatz 1 Satz 1 FamFG ist im Fall der Scheidung über sämtliche im Verbund stehenden Familiensachen durch einheitlichen Beschluss zu entscheiden. Gemäß § 158 Absatz 1 FamFG hat das Gericht dem minderjährigen Kind in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 158 Absatz 4 FamFG hat der Verfahrensbeistand das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen. Er hat das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren. Soweit nach den Umständen des Einzelfalls ein Erfordernis besteht , kann das Gericht dem Verfahrensbeistand die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie am Zustandekommen einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. Das Gericht hat Art und Umfang der Beauftragung konkret festzulegen und die Beauftragung zu begründen. Der Verfahrensbeistand kann im Interesse des Kindes Rechtsmittel einlegen. Zudem ist das Kind gegebenenfalls persönlich durch das Gericht anzuhören: § 159 FamFG Persönliche Anhörung des Kindes (1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat. Betrifft das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes, kann von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn eine solche nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist. (2) Hat das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 19. März 2020 (BGBl. I S. 541) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 5 (3) Von einer persönlichen Anhörung nach Absatz 1 oder Absatz 2 darf das Gericht aus schwerwiegenden Gründen absehen. Unterbleibt eine Anhörung allein wegen Gefahr im Verzug , ist sie unverzüglich nachzuholen. (4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts. 2. Frankreich Im französischen Zivilgesetzbuch (Code civil – CC)2 ist seit 19933 in Artikel 388-1 das Recht des Minderjährigen niedergelegt, bei jedem ihn betreffenden Verfahren entsprechend seiner Einsichtsfähigkeit gehört zu werden: Artikel 388-14 In jedem ihn betreffenden Verfahren kann der Minderjährige, der einsichtsfähig ist, unbeschadet der Bestimmungen, die seine Mitwirkung oder Zustimmung vorsehen, vom Richter oder, wenn es sein Wohl erfordert, von der hierfür vom Richter bestimmten Person gehört werden. Diese Anhörung hat von Rechts wegen zu erfolgen, wenn der Minderjährige sie beantragt. Verweigert es der Minderjährige, gehört zu werden, beurteilt der Richter die Begründetheit dieser Weigerung. Er kann allein oder im Beisein eines Anwalts oder einer Person seiner Wahl gehört werden. Erscheint diese Wahl als nicht dem Wohle des Minderjährigen entsprechend , so kann der Richter eine andere Person ernennen. Die Anhörung des Minderjährigen verleiht diesem nicht die Stellung einer Partei des Verfahrens . Der Richter vergewissert sich, dass der Minderjährige über sein Recht, angehört und anwaltlich vertreten zu werden, aufgeklärt worden ist. Artikel 388-1 CC legt keine starre Altersgrenze fest, bis zu der ein Minderjähriger nicht gehört oder ab der er gehört werden muss. Das Gericht muss sich vielmehr in jedem Einzelfall eine kon- 2 Text abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do?cidTexte=LEGITEXT000006070721. 3 Ferrand, in: Boele-Woelki/Braat/Curry-Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action, Band III, Parental Responsibilities, 2005, Länderbericht Frankreich, S. 8. 4 Übersetzung aus Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 54. Lieferung, Länderteil Frankreich , Stand 01.02.2014, S. 114. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 6 krete Meinung darüber bilden, ob der Minderjährige die entsprechende Einsichtsfähigkeit besitzt .5 Die Entscheidung muss begründet werden.6 Dem entsprechend hat der Kassationsgerichtshof 7 entschieden, dass das bloße Abstellen auf das – aus Sicht des erkennenden Gerichts zu geringe – Alter eines neunjährigen Kindes zur Versagung des Gehörs ohne jedwede konkrete Ausführungen zur Einsichtsfähigkeit des betroffenen Kindes nicht mit Artikel 388-1 CC vereinbar ist.8 In der Praxis gibt es diesem Grundsatz entsprechend unter den Gerichten keine strikte Einheitlichkeit , ab welchem Alter Kinder in Trennungsverfahren gehört werden.9 Kritisch wird zudem angemerkt, dass zudem die Neigung, Kinder anzuhören, sehr vom jeweiligen Richter abhänge.10 In Betracht kommt eine Anhörung wohl grundsätzlich ab dem siebenten Lebensjahr; im Mittel tendieren die Gerichte einer Studie zufolge dazu, Kinder ab 9-10 Jahren die nötige Einsichtsfähigkeit zu attestieren.11 3. Italien Das Gesetz n. 54/200612 „legt als Grundsatz fest, dass die minderjährigen Kinder das Recht auf das Beibehalten einer ausgeglichenen und kontinuierlichen Beziehung zu beiden Eltern im Falle der Trennung bzw. Scheidung haben, wobei beide Eltern die elterliche Sorge in gegenseitigem Einverständnis ausüben (bigenitorialità).“13 5 Vgl. hierzu die Antwort des frz. Justizministeriums vom 07.03.2017 auf die schriftliche Frage N° 98316 der Abgeordneten Lousteau vom 02.08.2016, abrufbar unter http://questions.assemblee-nationale.fr/q14/14- 98316QE.htm. 6 Vgl. Antwort des frz. Justizministeriums a.a.O. 7 Der Kassationsgerichtshof ist das höchste Gericht der Zivil-, Handels-, Sozial- und Strafgerichtsbarkeit Frankreichs , vgl. https://www.courdecassation.fr/institution_1/presentation_2845/r_cour_cassation_30989.html. 8 Cour de cassation, civile, Chambre civile 1, 18.03.2015, 14-11.392, abrufbar unter https://www.legifrance .gouv.fr/affichJuriJudi.do?idTexte=JURITEXT000030382522. 9 Vgl. die Ausführungen in Maison des liens familiaux (Hrsg.), La parole de l’enfant dans la separation, S. 2, mit weiteren Nachweisen (abrufbar unter https://maisondesliensfamiliaux.fr/wp-content/uploads/2019/04/Laudition -de-lenfant-par-le-JAF.pdf). 10 Maison des liens familiaux a.a.O., S. 2. 11 Maison des liens familiaux a.a.O., S. 2. 12 Gesetz n. 54 vom 08.02.2006, Disposizioni in materia di separazione dei genitori e affidamento condiviso dei figli, Gazzetta Ufficiale n. 50 vom 01.03.2006, abrufbar unter https://www.camera.it/parlam/leggi/06054l.htm. 13 Enßlin, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Länderteil Italien, Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 7 Im Ehescheidungsverfahren ist eine Anhörung des betroffenen Kindes grundsätzlich obligatorisch .14 Bei Kindern ab 12 Jahren hat die Anhörung stets zu erfolgen, bei jüngeren Kindern dann, wenn sie die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzen (Artikel 4 Absatz 8 LD15).16 Auch unabhängig von diesen ausdrücklichen gesetzlichen Normierungen ist im italienischen Rechtssystem ein grundsätzliches Recht des betroffenen Kindes, in Verfahren, die sein Leben oder seine Entwicklung betreffen, entsprechend seiner Urteilsfähigkeit gehört zu werden, anerkannt .17 Dem Gesetzgeber soll es insofern auch untersagt sein, diesbezüglich einfachgesetzliche Restriktionen zu erlassen.18 Das erkennende Gericht wiederum ist verpflichtet, bei seiner Entscheidungsfindung die vom Kind geäußerten Ansichten zu berücksichtigen.19 4. Schweden Das Recht des Kindes, bezüglich der es betreffenden Angelegenheiten gehört zu werden, ist zwar ein grundsätzliches Prinzip des schwedischen Familienrechts.20 So sollen in Angelegenheiten betreffend Personensorge, Wohnen und Umgang die Wünsche des Kindes entsprechend seinem Alter und seiner Reife berücksichtigt werden.21 Kapitel 6 § 2a des Elterngesetzbuchs22 lautet: § 2a Elterngesetzbuch23 Das Wohl des Kindes soll bei allen Beschlüssen über das Personensorgerecht, das Wohnen und den Umgang entscheidend sein. 14 Enßlin, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Länderteil Italien, Rn. 16. 15 Legge Divorzio n. 898/1970 vom 12.01.1970, zuletzt geändert durch Gesetzesdekret vom 01.03.2018, Nr. 21, abrufbar unter https://www.altalex.com/documents/codici-altalex/2012/06/27/disciplina-dei-casi-di-scioglimentodel -matrimonio. 16 Enßlin, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Länderteil Italien, Rn. 16. 17 Patti/Rossi Carleo/Bellisario, in: Boele-Woelki/Braat/Curry-Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action, Band III, Parental Responsibilities, 2005, Länderbericht Italien, S. 12. 18 Patti/Rossi Carleo/Bellisario a.a.O., S. 12. 19 Patti/Rossi Carleo/Bellisario a.a.O., S. 12. 20 Jänterä-Jareborg/Singer/Sörgjerd, in: Boele-Woelki/Braat/Curry-Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action, Band III, Parental Responsibilities, 2005, Länderbericht Schweden, S. 9. 21 Jänterä-Jareborg/Singer/Sörgjerd, in: Boele-Woelki/Braat/Curry-Sumner (Hrsg.), European Family Law in Action, Band III, Parental Responsibilities, 2005, Länderbericht Schweden, S. 9. 22 Föraldrabalk 1949:381, abrufbar unter https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssamling /foraldrabalk-1949381_sfs-1949-381. 23 Übersetzung aus Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 54. Lieferung, Länderteil Schweden , Stand 01.06.2012, S. 68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 085/20 Seite 8 (…) Der Wille des Kindes ist unter Beachtung des Alters und der Reife des Kindes zu berücksichtigen . Eine Anhörung des betroffenen Kindes bei Gericht ist in schwedischen Ehescheidungsverfahren gleichwohl zwar nicht ausgeschlossen, stellt jedoch eher die Ausnahme dar.24 Stattdessen wird das Kind durch die vom Gericht eingeschaltete Sozialbehörde angehört25: „Im Falle, dass das Sorgerecht zum Gegenstand des Ehescheidungsverfahrens gemacht wird sowie auch bei eigenständigen vom Ehescheidungsverfahren unabhängigen Sorgerechtsverfahren verfügt das Gericht regelmäßig die Einschaltung der zuständigen Sozialbehörde zur Ermittlung des Kindeswohls. Die Sozialbehörde wird dann regelmäßig die Eltern der Kinder anhören sowie auch die Kinder selbst, welche dann dem Gericht Bericht erstatten wird. Kindesanhörungen vor dem Gericht sind eher eine Seltenheit, da dies vielfach im Rahmen der behördlichen Mitwirkung der Sozialbehörde geschieht.“26 * * * 24 Firsching, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Länderteil Schweden, Rn. 16. 25 Vgl. hierzu Leviner, Voice but No Choice — Children’s Right to Participation in Sweden, in: Haugli/Nylund/Sigurdsen /Bendiksen (Hrsg.), Children’s Constitutional Rights in the Nordic Countries, Stockholm Studies in Child Law and Children’s Rights, Volume 5, 2020, S. 269, 281 ff. 26 Firsching, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Werkstand: 19. EL Mai 2020, Länderteil Schweden, Rn. 16.