© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 083/17 Das Vergabeverfahren bei Rüstungsaufträgen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 2 Das Vergabeverfahren bei Rüstungsaufträgen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 083/17 Abschluss der Arbeit: 03.07.2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Völker- und europarechtliche Vorgaben 4 3. Nationale Vorgaben 6 3.1. Rechtliche Lage vor Umsetzung der Verteidigungsgüter- Beschaffungsrichtlinie 6 3.2. Rechtliche Lage nach Umsetzung der Verteidigungsgüter- Beschaffungsrichtlinie 7 4. Verfahrensarten 11 4.1. Das nicht offene Verfahren 11 4.1.1. Bekanntmachung 11 4.1.2. Eignungsprüfung der eingereichten Angebote 12 4.1.3. Aufforderung zur Abgabe eines Angebots 13 4.1.4. Öffnung der Angebote und Angebotsbewertung 14 4.1.5. Bekanntmachung über die Auftragserteilung und Benachrichtigung der Bewerber oder Bieter 16 4.1.6. Rechte und Pflichten in allen Verfahrensstadien 16 4.2. Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb 16 5. Rechtsschutzmöglichkeiten 17 6. Fazit 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 4 1. Einleitung Bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen werden regelmäßig nationale Sicherheits- und Geheimhaltungsinteressen angesprochen. Die wirtschaftlichen Dimensionen derartiger Beschaffungsmaßnahmen werden beispielsweise besonders deutlich an der Aussage des Bundeministeriums für Verteidigung (BMVg) im Januar 2016, dass die Bundeswehr in den kommenden 15 Jahren einen Investitionsbedarf von rund 130 Milliarden Euro haben werde.1 Vor diesem Hintergrund stellen sich Fragen, nach welchen Vorgaben Vergabeverfahren im Bereich der Verteidigung und Sicherheit erfolgen. Von Interesse ist hierbei, welche Rechtsschutzmöglichkeiten den Beteiligten offen stehen und wie sich diese auf laufende Vergabeverfahren auswirken. Nachdem kurz auf die völkerrechtliche und europarechtliche (Ziffer 2) Einordnung der Thematik eingegangen wird, soll schwerpunktmäßig auf den Ablauf der verschiedener Vergabeverfahren im Bereich der Verteidigung und Sicherheit (Ziffer 3 und 4) eingegangen werden. Angesichts zahlreicher , teils tiefgreifender Neuerungen im Vergaberecht in jüngerer Zeit wird dabei zunächst die rechtshistorische Entwicklung des Vergaberechts im Bereich verteidigungs- und sicherheitsrelevanter öffentlicher Aufträge behandelt. Abschließend werden allgemein die Rechtsschutzmöglichkeiten unterlegener Bewerber und Bieter sowie ihre Wirkungen auf laufende Vergabeverfahren vorgestellt (Ziffer 5). In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Wissenschaftliche Dienst nach seinen Verfahrensgrundsätzen keine Rechtsprüfungen in Einzelfällen, insbesondere von Gerichtsentscheidungen vornimmt. Die Ausarbeitung stellt daher allgemein Vergabeverfahren über Dienst- und Lieferverträge in den Vordergrund, die im Verteidigungsbereich zur Anwendung gelangen . 2. Völker- und europarechtliche Vorgaben Die Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich an die vergaberechtlichen Vorgaben des „Agreement on Gouvernement Procurement“ (GPA) gebunden. Mit einigen wichtigen Handelspartnern hat die Europäische Union (EU) zudem Sonderabkommen geschlossen.2 1 Schenck/Stöhr, Neue Wege im Rüstungswesen, veröffentlicht auf der Internetpräsenz des Bundesministeriums für Verteidigung am 26.06.2017, abrufbar unter: https://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/start/journal/ministerium /!ut/p/z1/hY_RC4IwEMb_I2-blfbokkAwsZRqe4mhwxa2yVjSQ398k8A36R4-uO-7-x0HHK7AtRhVJ5wyWvS- Z3xzo3Fe52RLSF3uUpQdQkrxkWQxJnCGy78R7mO0UAmCqpXAPCNaYpAqhAo48FYGjdHSTeqkdsprZ4UzNhi Mdf2UvKz1SaBaYAinFOH5FP4kRZlGJFyFaUZPE_AhRv Ged0UzPQ3sLnTby9I0yc8Ynvu4KNbdF6Hnhq8!/dz/d5/L2dBI- SEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TPCD0IM3BB1Q2I2S3 (Letzter Aufruf: 28.06.2017). 2 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 1) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016 (11), S. 1246 (1248). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 5 Am 30. Juni 2009 trat die Richtlinie 2009/43/EG3 und am 21. August 2009 die Richtlinie 2009/81/EG4 (Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie) in Kraft. Beide Richtlinien bilden das sogenannte Verteidigungspaket.5 Damit wurde erstmals ein Vergaberechtsregime für den Verteidigungs - und Sicherheitsbereich geschaffen. In dem Zeitraum davor unterlag die Beschaffung von Verteidigungsgütern zwar grundsätzlich den allgemeinen vergaberechtlichen Vorgaben der EU, vor allem dem Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV)6 und den europäischen Vergaberichtlinien 2004/17/EG7 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie - SKR) und 2004/18/EG8 (Vergabekoordinierungsrichtlinie –VKR). Insbesondere Art. 346 AEUV und Art. 14 der VKR ließen jedoch sehr weitreichende Ausnahmen für die Anwendung dieser Regeln in verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Bereichen zu. Unabhängig davon, ob der Beschaffungsvorgang von den Vergaberichtlinien erfasst ist oder die darin vorgesehenen Schwellenwerte nicht erreicht, kann er relevant im Hinblick auf die Grundfreiheiten , namentlich die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 ff. AEUV), die Personenfreizügigkeit (Art. 45 ff. und 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) sowie das Allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) sein.9 3 Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06. 05.2009 zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern, ABl. L 146 vom 10.06.2009, S. 1-36. 4 Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13.07.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, ABl. L 216 vom 20.08.2009, S. 76- 136. 5 Roth/Lamm: Die Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie in Deutschland, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau) 2012, S. 609 (609). 6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.2008 (ABl. Nr. C 115 S. 47), (ABl.2010 Nr. C 83 S. 47), (ABl.2012 Nr. C 326 S. 47),(ABl.2016 Nr. C 202 S. 47, ber. ABl. Nr. C 400 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 2 Änderungsbeschluss 2012/419/EU vom 11.07.2012 (ABl. Nr. L 204 S. 131) 7 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste , ABl. L 134 vom 30.04.2004, S. 1-113. 8 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 vom 30.04.2004, S. 114-240. 9 Vgl. im Einzelnen Weiner, Das Ende einer Ära? – Die Auswirkungen der Richtlinie 2009/81/EG auf die Vergabe von Aufträgen im Verteidigungsbereich und insbesondere Offsets, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2011, S. 401. Roth/Lamm: Die Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie in Deutschland, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau) 2012, S. 609 f. Kau, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 106 GWB Rdnr. 58 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 6 3. Nationale Vorgaben Bei der rechtlichen Bewertung aktueller Beschaffungsmaßnahmen des BMVG ist unter anderem die Rechtslage vor und nach der Umsetzung der sogenannten Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie zu unterscheiden. 3.1. Rechtliche Lage vor Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie Lange Zeit waren vergaberechtliche Belange lediglich haushaltsrechtlich als bloßes Innenrecht der Verwaltung geregelt. Erst mit dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26. August 199810 wurde das materielle Vergaberecht in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) integriert.11 Für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Beschaffungsvorgänge galten damit zwar grundsätzlich die allgemeinen Vergaberegeln. Sie waren dennoch weitgehend von vergaberechtlichen Regulierungen ausgenommen. Nach § 100 Abs. 2 GWB a.F. waren beispielsweise unter anderem solche Aufträge aus dem Anwendungsbereich des GWB ausgenommen, die in Übereinstimmung mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Deutschland für geheim erklärt wurden. § 100 Abs. 2 GWB a.F. nahm zudem solche Aufträge aus, die dem Anwendungsbereich des Art. 346 AEUV unterliegen, d.h. die eine Preisgabe von Auskünften erforderten, die deutschen Sicherheitsinteressen widersprechen.12 Das Verteidigungspaket der EU wurde von Deutschland zunächst nicht fristgerecht bis zum 30. Juni 2011 (Verbringungsrichtlinie) bzw. bis zum 21. August 2011 (Beschaffungsrichtlinie) in deutsches Recht umgesetzt. Die Einhaltung der Vorgaben wurde aber als Interimslösung bis zur vollständigen Umsetzung durch Runderlasse der jeweiligen Ministerien gewährleistet.13 Die schließlich erfolgte Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie durch Änderung des GWB am 14. Dezember 2011 und In-Kraft-Treten der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV)14 am 19. Juli 2012 stellt die bislang wichtigste Zäsur dar. Ausnahmetatbestände bestehen seitdem zwar weiterhin, sind aber eng auszulegen und dürfen vor dem Hinter- 10 BGBl I S. 2512. 11 Bunte/Stancke, Kartellrecht mit Vergaberecht und Beihilfenrecht, 3. Auflage 2016, S. 455 ff. 12 Roth/Lamm: Die Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie in Deutschland, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht (NZBau) 2012, S. 609 (610). 13 Weiner, Das Ende einer Ära? – Die Auswirkungen der Richtlinie 2009/81/EG auf die Vergabe von Aufträgen im Verteidigungsbereich und insbesondere Offsets, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2011 (10), S. 401 (402 Fn.11). 14 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, BGBl I 2012, 1509. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 7 grund des Art. 11 der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie nicht zur Umgehung EU-rechtlicher Vorgaben genutzt werden.15 § 44 VSVgV stellt klar, dass Vergabeverfahren, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren nach dem Recht zu Ende geführt werden, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens galt. In der Folgezeit wurden vor allem mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (VergRModG),16 welches zwischenzeitlich in Kraft trat, weitreichende Änderungen im Vergaberecht vorgenommen . Diese dienten vor allem der Vereinfachung der komplexen Struktur des deutschen Vergaberechts ,17 sowie der Umsetzung eines EU-Richtlinienpaketes, welches allerdings die bereits in das deutsche Recht integrierte Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie unverändert ließ.18 3.2. Rechtliche Lage nach Umsetzung der Verteidigungsgüter-Beschaffungsrichtlinie Die Ausnahmetatbestände des § 117 GWB erteilen solchen öffentlichen Aufträgen einen Dispens vom Vergaberecht, die wesentliche Sicherheitsinteressen tangieren, geheimhaltungsbedürftig sind oder die aufgrund internationaler Abkommen nach besonderen Vergabevorschriften zu vergeben sind. Zudem müssen die Aufträge Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, ohne dabei verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge im Sinne der Legaldefinition des § 104 GWB zu sein. § 117 GWB hat folgenden Wortlaut: „Bei öffentlichen Aufträgen und Wettbewerben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, ohne verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge zu sein, ist dieser Teil nicht anzuwenden, 1. soweit der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann, zum Beispiel durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Vergabeverfahrens zur Verfügung stellt, 2. soweit die Voraussetzungen des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllt sind, 15 Otting, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 145 GWB Rdnr. 4. 16 BGBl I 2016, 203. 17 Bunte/Stancke, Kartellrecht mit Vergaberecht und Beihilfenrecht, 3. Auflage 2016, S. 459. 18 Dobmann, Das neue Vergaberecht, Baden-Baden 2016, Rdnr. 1 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 8 3. wenn die Vergabe und die Ausführung des Auftrags für geheim erklärt werden oder nach den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern; Voraussetzung hierfür ist eine Feststellung darüber, dass die betreffenden wesentlichen Interessen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden können, zum Beispiel durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, 4. wenn der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, die Vergabe oder Durchführung nach anderen Vergabeverfahren vorzunehmen, die festgelegt sind durch a) eine im Einklang mit den EU-Verträgen geschlossene internationale Übereinkunft oder Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, oder ihren Untereinheiten über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen für ein von den Unterzeichnern gemeinsam zu verwirklichendes oder zu nutzendes Projekt, b) eine internationale Übereinkunft oder Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen, die Unternehmen betrifft, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland oder einem Staat haben, der nicht Vertragspartei des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums ist, oder c) eine internationale Organisation oder 5. wenn der öffentliche Auftraggeber gemäß den Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder internationalen Finanzierungseinrichtung einen öffentlichen Auftrag vergibt oder einen Wettbewerb ausrichtet und dieser öffentliche Auftrag oder Wettbewerb vollständig durch diese Organisation oder Einrichtung finanziert wird. Im Falle einer überwiegenden Kofinanzierung durch eine internationale Organisation oder eine internationale Finanzierungseinrichtung einigen sich die Parteien auf die anwendbaren Vergabeverfahren.“ Inwiefern bei einem Rüstungsprojekt die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift in Betracht kommen, entscheidet sich durch die Umstände des Einzelfalles. Die wesentlichen vergaberechtlichen Bestimmungen im Bereich der Rüstungsaufträge ergeben sich damit aus § 144 GWB in Verbindung mit den §§ 145 ff. GWB für die Vergabe von verteidigungs - oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber. Für Vergabeverfahren verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge gilt zudem nach Maßgabe ihrer §§ 1 und 2 die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV)19. 19 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 9 Die allgemeinere Vergabeordnung (VgV)20 und die Sektorenverordnung (SektVO)21 gelten dagegen für diesen Bereich nicht, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 VgV, § 1 Abs. 2 SektVO. § 103 Abs. 1 GWB definiert „öffentliche Aufträge“ als entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen , die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die §§ 99 und 100 GWB legen fest, wer „öffentlicher Auftraggeber“ und „Sektorenauftraggeber“ im Sinne des GWB ist. Gebietskörperschaften wie der Bund sind typischerweise öffentliche Auftraggeber .22 § 104 Abs. 1 GWB spezifiziert „verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge“ als öffentliche Aufträge, deren Auftragsgegenstand mindestens eine der folgenden Leistungen umfasst: - die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze, - die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze, - Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der in den Nummern 1 und 2 genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung oder - Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen , die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden. Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge werden näher in § 103 Abs. 2 – 4 GWB bestimmt. Lieferaufträge sind insbesondere „Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf oder Leasing, Mietverhältnisse oder Pachtverhältnisse mit oder ohne Kaufoption betreffen “, § 103 Abs. 2 Satz 1 GWB. bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG. 20 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge, BGBl I 2016, 624. 21 Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung, BGBl I 2016, 624, 657. 22 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 1) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016, S. 1246 (1248). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 10 In § 104 Abs. 2 GWB wird der Begriff der „Militärausrüstung“ im Sinne des § 104 Abs. 1 Nr. 1 GWB definiert als „jede Ausrüstung, die eigens zu militärischen Zwecken konzipiert oder für militärische Zwecke angepasst wird und zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt ist“. Der Begriff der Ausrüstung ist dabei weit zu verstehen: Es reicht aus, dass die betroffenen Gegenstände dem Nutzer unmittelbar oder mittelbar dienen, einen militärischen Zweck zu verfolgen. Umfasst sind sowohl körperliche als auch nicht körperliche Gegenstände wie Software , Rechte oder Energie.23 Eine militärische Zweckbestimmung liegt nur dann vor, wenn der betroffene Gegenstand für den militärischen Einsatz verwendet werden soll. Ein nur eventueller Einsatz zu solchen Zwecken reicht nicht aus. Die Art des Verwenders allein ist nicht maßgeblich. Beispielsweise genügt ein Auftrag durch die Bundeswehr allein noch nicht für eine militärische Zweckbestimmung, da diese auch zivile Zwecke wie die Hilfe bei Naturkatastrophen verfolgen kann.24 Die Zweckbestimmung muss von Anfang an objektiv nachprüfbar vorliegen und auch noch im Zeitpunkt des Zuschlages bestehen. Für rein zivile Zwecke und nicht (auch) für militärische Zwecke konzipierte Gegenstände (z.B. Socken, Essbesteck, Standard-Software, etc.) ist der Anwendungsbereich ungeachtet einer militärischen Zweckbestimmung durch den Auftraggeber nicht eröffnet.25 Die Ausrüstung muss zudem „zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt“ sein. Waffen sind in Anlehnung an § 1 Abs. 2 KrWaffKontrG alle Gegenstände, Stoffe und Organismen […], die geeignet sind, allein, in Verbindung miteinander oder mit anderen Gegenständen , Stoffen oder Organismen Zerstörungen oder Schäden an Personen oder Sachen zu verursachen und als Mittel der Gewaltanwendung bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Staaten zu dienen. Munition unterstützt die Funktion einer Waffe oder bringt sie überhaupt erst zur Entfaltung. Kriegsmaterial sind alle Gegenstände, die für die Verwendung im Kampfeinsatz oder zur Gefechtsausführung bestimmt sind (z.B. Panzer- und Gefechtsfahrzeuge, Militärflugzeuge und Kriegsschiffe, militärische Schutz- und Tarnausrüstung, Transport- und Pioniergerät, nicht jedoch z.B. Wohncontainer für die Übernachtung in einem Feldlager, Küchengerät, Möbel für die Einrichtung einer Kantine und Büromöbel).26 § 104 Abs. 3 GWB definiert den „Verschlusssachenauftrag“ im Sinne des § 104 Abs. 1 Nr. 2 und 4 GWB. § 145 GWB schränkt den Anwendungsbereich weiter ein. Danach sind die §§ 144 ff. GWB nicht anzuwenden auf die Vergabe von bestimmten verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen (z.B. solchen die den Zwecken nachrichtendienstlicher Tätigkeiten dienen, die im Rahmen gewisser Kooperationsprogramme beruhen etc.). 23 von Wietersheim, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 104 GWB Rdnr. 35. 24 von Wietersheim, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 104 GWB Rdnr. 36 f. 25 von Wietersheim, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 104 GWB Rdnr. 39 f., 42 ff. 26 von Wietersheim, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 104 GWB Rdnr. 46 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 11 Ausgenommen von jeglichen Vorgaben des Vergaberechts sind gem. § 107 Abs. 2 GWB zudem öffentliche Aufträge (auch verteidigungs- und sicherheitsspezifische) und Konzessionen, bei denen die Anwendung vergaberechtlicher Regeln den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Abs. 1 a) AEUV widerspricht, oder die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Abs. 1 b) AEUV unterliegen.27 Zu beachten ist ferner, dass von den vergaberechtlichen Bestimmungen nur solche öffentlichen Aufträgen erfasst sind, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert die Schwellenwerte gem. § 106 Abs. 2 Nr. 3 GWB (bei Liefer- und Dienstverträgen 418.000 EUR) übersteigt.28 4. Verfahrensarten Gemäß §§ 144, 146 GWB stehen öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von verteidigungsoder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen nur das „nicht offene Verfahren“ und das „Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb“ nach ihrer Wahl zur Verfügung. Das „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ und der „wettbewerbliche Dialog“ stehen danach nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund des GWB gestattet ist. 4.1. Das nicht offene Verfahren Das nicht offene Verfahren zeichnet sich gem. §§ 147 Satz 1, 119 Abs. 4 GWB als ein Verfahren aus, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert. 4.1.1. Bekanntmachung Das Verfahren beginnt nach einer internen Vorbereitung mit der EU-weiten Bekanntmachung, dass ein Vergabeverfahren durchgeführt werden soll. Details hierzu finden sich in § 18 VSVgV. Beispielsweise muss die Bekanntmachung nach dem Muster gemäß Anhang XIV der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 erstellt werden, § 18 Abs. 1 Satz 2 VSVgV. Auftraggeber müssen in der Bekanntmachung insbesondere angeben, welche Eignungsanforderungen gelten und welche Eignungsnachweise vorzulegen sind, ob gem. § 9 Abs. 4 VSVgV Anforderungen an die Vergabe von Unteraufträgen gestellt werden. Weitere Voraussetzungen sind in § 19 Abs. 1 VSVgV 27 Otting, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 117 GWB Rdnr. 5. 28 Kau, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 106 GWB Rdnr. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 12 geregelt. Auftraggeber legen in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen zudem ihre Anforderungen an die Versorgungssicherheit gem. § 8 VSVgV fest. Fristen für Anträge auf Teilnahme oder Angebote können nach Maßgabe des § 20 VSVgV festgelegt werden. Gem. § 21 Abs. 2 VSVgV können Auftraggeber Mindestanforderungen an die Eignung stellen, denen die Bewerber genügen müssen. Diese Mindestanforderungen müssen mit dem Auftragsgegenstand im sachlichen Zusammenhang stehen und durch ihn gerechtfertigt sein. Diese Mindestanforderungen müssen in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen angegeben werden. Die Zahl der geeigneten Bewerber, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden, darf zwar in der Bekanntmachung begrenzt werden, die Mindestzahl darf jedoch nicht niedriger als drei Bewerber sein, § 21 Abs. 3 VSVgV. Liegt die Zahl geeigneter Bewerber unter der Mindestzahl, steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers, ob er einen echten Wettbewerb für gewährleistet hält und das Verfahren fortführt, ob er eine zweite Bekanntmachung unter Nennung einer neuen Angebotsfrist veröffentlicht oder ob er das Verfahren nach den allgemeinen Regeln einstellt , § 21 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 VSVgV. 4.1.2. Eignungsprüfung der eingereichten Angebote Anschließend kommt es zu einer Prüfung der Eignung und ersten Auswahl der Bewerber. Die Eignungsanforderungen ergeben sich aus §§ 147 Satz 1, 122 Abs. 1 GWB, § 21 Abs. 1 VSVgV. Gem. §§ 147 Satz 1, 122 Abs. 1 GWB sind öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen zu vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind. Bei den Begriffen der „Fachkunde“ und „Leistungsfähigkeit“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Ein Unternehmen ist fachkundig, wenn das mit der Auftragsdurchführung betraute Personal über die für die ordnungsgemäße Vorbereitung und Ausführung der jeweiligen Leistung notwendigen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügt. Der Begriff der Leistungsfähigkeit erstreckt sich auf sämtliche Umstände, die Aufschluss darüber geben, ob ein Bieter bei vorausschauender Betrachtung in der Lage sein wird, die ihm durch einen Zuschlag und entsprechenden Vertragsabschluss erwachsenden Verbindlichkeiten zu erfüllen . Die Leistungsfähigkeit setzt also voraus, dass das Unternehmen in technischer, kaufmännischer , personeller und finanzieller Hinsicht so ausgestattet ist, dass es die Gewähr für die ordnungsgemäße Erbringung der geforderten Leistung bietet.29 § 123 GWB benennt zwingende Ausschlussgründe hinsichtlich der Eignung, die vor allem aus der rechtskräftigen Verurteilung einer unternehmensverantwortlichen Person wegen einer der dort genannten Straftaten resultieren können. § 124 GWB listet dagegen fakultative Ausschlussgründe auf (z.B. nachweisliche Verstöße gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen , Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, etc.). § 147 Satz 1 GWB ergänzt, dass bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen ein Unternehmen auch dann gem. § 124 Abs. 1 GWB von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. Der Nachweis, dass Risiken für die nati- 29 Opitz, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 122 GWB Rdnr. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 13 onale Sicherheit nicht auszuschließen sind, kann gem. § 147 Satz 2 GWB auch mit Hilfe geschützter Datenquellen erfolgen. Nach §§ 147 Satz 1, 125 GWB kann ein Unternehmen unter den dort genannten Voraussetzungen den jeweilig einschlägigen Ausschlussgrund beseitigen und seinen Ausschluss aus dem Verfahren vermeiden (sog. Selbstreinigung). Nach Maßgabe der §§ 23 Abs. 1, 24 Abs. 1VSVgV kann ein Ausschluss gem. §§ 123, 124 GWB in jedem Verfahrensabschnitt erfolgen. § 22 VSVgV enthält allgemeine Vorgaben zum Nachweis der Eignung und dem Nichtvorliegen von Ausschlussgründen. Speziellere Vorgaben finden sich für absolute Ausschlussgründe in § 23 Abs. 2 – 5 VSVgV und für fakultative Ausschlussgründe in § 24 Abs. 2 und 3 VSVgV. In den §§ 25 ff. VSVgV ist geregelt, inwiefern der Auftraggeber Nachweise bezüglich der Erlaubnis zur Berufsausübung, der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit, der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit und der Einhaltung von Normen des Qualitäts- und Umweltmanagements verlangen kann. 4.1.3. Aufforderung zur Abgabe eines Angebots Die Vergabeunterlagen müssen gem. § 16 Abs. 1 VSVgV alle Angaben umfassen, die erforderlich sind, um eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren oder zur Angebotsabgabe zu ermöglichen , und bestehen in der Regel aus - dem Anschreiben (Aufforderung zur Teilnahme oder Angebotsabgabe oder Begleitschreiben für die Abgabe der angeforderten Unterlagen), - der Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen ), einschließlich der Angabe der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung oder der absteigenden Reihenfolge der diesen Kriterien zuerkannten Bedeutung, sofern nicht in der Bekanntmachung bereits genannt, - den Vertragsunterlagen, die aus Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen bestehen , und - Name und Anschrift der Vergabekammer, die für die Nachprüfung zuständig ist. Die Leistungsbeschreibung, welche gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 VSVgV Teil der Vertragsunterlagen und damit der Vergabeunterlagen ist, ist näher in § 15 VSVgV geregelt. Danach ist sie gem. § 15 Abs. 1 VSVgV den Bietern und Bewerbern gleichermaßen zugänglich zu machen. Die Leistung ist gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 VSVgV so eindeutig und vollständig zu beschreiben, dass die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet ist. Gem. § 15 Abs. 8 VSVgV darf in der Leistungsbeschreibung grundsätzlich nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Güter begünstigt oder ausgeschlossen werden. Ferner sind gem. 15 Abs. 2 Satz 2 VSVgV technische Anforderungen im Sinne des Anhangs III Nr. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2009/81/EG zum Gegenstand der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen zu machen. Technische Anforderungen und Umwelteigenschaften können nach Maßgabe der § 15 Abs. 3 – 5 VSVgV durch die Auftraggeber bestimmt werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 14 § 29 VSVgV enthält in den nachfolgenden Absätzen weitere Vorgaben für die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots. Insbesondere muss die Aufforderung gem. § 29 Abs. 5 VSVgV mindestens enthalten: - den Hinweis auf die veröffentlichte Bekanntmachung; - den Tag, bis zu dem die Angebote eingehen müssen, die Anschrift der Stelle, bei der sie einzureichen sind, sowie die Sprache, in der sie abzufassen sind. Im Falle eines wettbewerblichen Dialogs ist diese Information nicht in der Aufforderung zur Teilnahme am Dialog , sondern in der Aufforderung zur Angebotsabgabe aufzuführen; - beim wettbewerblichen Dialog den Termin und den Ort des Beginns der Konsultationsphase sowie die verwendeten Sprachen; - die Liste der beizufügenden Eignungsnachweise im Falle des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb; - die Gewichtung der Zuschlagskriterien oder die absteigende Reihenfolge der diesen Kriterien zuerkannten Bedeutung, anhand derer das wirtschaftlichste Angebot bestimmt wird, wenn diese nicht bereits in der Bekanntmachung enthalten sind. 4.1.4. Öffnung der Angebote und Angebotsbewertung Die nach der Aufforderung eingereichten Angebote sind bis zu dem Eröffnungstermin ungeöffnet zu lassen bzw. unter Verschluss zu halten, § 30 Abs. 1 VSVgV. Die Öffnung der Angebote erfolgt nach § 30 Abs. 2 VSVgV unter Abwesenheit der Bieter. Anschließend werden die Angebote gem. § 31 VSVgV einer Prüfung unterzogen. Dabei werden sie gem. § 31 Abs. 1 VSVgV auf Vollständigkeit sowie auf fachliche und rechnerische Richtigkeit geprüft. Gem. § 31 Abs. 2 VSVgV werden ausgeschlossen: - Angebote, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Erklärungen und Nachweise enthalten; - Angebote, die nicht unterschrieben oder nicht mindestens durch fortgeschrittene elektronische Signatur im Sinne des Signaturgesetzes signiert sind; - Angebote, in denen Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen nicht zweifelsfrei sind; - Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind; - Angebote, die nicht form- oder fristgerecht eingegangen sind, es sei denn, der Bieter hat dies nicht zu vertreten; - Angebote von Bietern, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben; - Angebote von Bietern, die auch als Bewerber gemäß § 24 VSVgV von der Teilnahme am Wettbewerb hätten ausgeschlossen werden können; - Angebote, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Anschließend wird das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt. Auf dieses wird gem. §§ 147 Satz 1, 127 Abs. 1 Satz 1 GWB der Zuschlag erteilt. Grundlage dafür ist gem. §§ 147 Satz 1, 127 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 15 Abs. 1 Satz 2 GWB eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Dabei wendet der Auftraggeber gem. § 34 Abs. 2 Satz 1 VSVgV die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen angegebenen Zuschlagskriterien in der festgelegten Gewichtung oder in der absteigenden Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung an. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich gem. §§ 147 Satz 1, 127 Abs. 1 Satz 3 GWB nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung können gem. §§ 147, 127 Abs. 1 Satz 4 GWB neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. Die Zuschlagskriterien müssen gem. §§ 147 Satz 1, 127 Abs. 3 Satz 1 GWB, § 34 Abs. 2 Satz 2 VSVgV sachlich durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sein. Insbesondere können gem. § 34 Abs. 2 Satz 3 VSVgV folgende Kriterien erfasst sein: - Qualität, - Preis, - Zweckmäßigkeit, - technischer Wert, Kundendienst und technische Hilfe, - Betriebskosten, Rentabilität, Lebenszykluskosten, - Interoperabilität und Eigenschaften beim Einsatz, - Umwelteigenschaften, - Lieferfrist oder Ausführungsdauer und - Versorgungssicherheit. Verhandlungen sind im nicht offenen Verfahren unzulässig, § 11 Abs. 2 VSVgV. Auf Angebote, deren Preise in offenbarem Missverhältnis zur Leistung stehen, darf der Zuschlag nicht erteilt werden, § 33 Abs. 1 Satz 2 VSVgV. Erscheint ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangen die Auftraggeber gem. § 33 Abs. 1 S. 1 VSVgV vor Ablehnung dieses Angebots vom Bieter Aufklärung über dessen Einzelpositionen. Den Auftraggeber treffen allerdings Informationspflichten gegenüber den nicht erfolgreichen Bewerbern über die Entscheidung gem. §§ 147 Satz 1, 134 GWB und § 36 VSVgV noch bevor das Angebot angenommen wird. Im Fall verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer Aufträge können öffentliche Auftraggeber gem. §§ 147 Satz 1, 134 Abs. 3 Satz 2 GWB beschließen, bestimmte Informationen über die Zuschlagserteilung oder den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nicht mitzuteilen, soweit die Offenlegung den Gesetzesvollzug behindert, dem öffentlichen Interesse, insbesondere Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen, zuwiderläuft, berechtigte geschäftliche Interessen von Unternehmen schädigt oder den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnte. Die Annahme des wirtschaftlichsten Angebotes (Zuschlag) erfolgt gem. § 34 Abs. 1 VSVgV in Schriftform oder elektronisch mindestens mittels einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes, wobei bei Übermittlung durch Telefax die Unterschrift auf der Telefaxvorlage genügt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 16 4.1.5. Bekanntmachung über die Auftragserteilung und Benachrichtigung der Bewerber oder Bieter Gem. § 35 Abs. 1 VSVgV sind die Auftraggeber verpflichtet, die Vergabe eines Auftrags oder den Abschluss einer Rahmenvereinbarung innerhalb von 48 Tagen bekanntzumachen. Allerdings ist dies gem. § 35 Abs. 2 VSVgV nicht erforderlich, - soweit die Offenlegung den Gesetzesvollzug behindert, - dies dem öffentlichen Interesse, insbesondere Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen, zuwiderläuft, - die berechtigten geschäftlichen Interessen öffentlicher oder privater Unternehmen schädigt oder - den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnte. Inwiefern diese Voraussetzungen im Einzelnen vorliegen entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles, die einer Prüfung durch den Wissenschaftlichen Dienst nicht zugänglich sind. 4.1.6. Rechte und Pflichten in allen Verfahrensstadien Während aller Verfahrensstationen sind durch die Auftraggeber, Bewerber, Bieter und Auftragnehmer die Anforderungen an die Wahrung der Vertraulichkeit gem. § 6 VSVgV und bei Verschlusssachen Anforderungen an den Schutz von Verschlusssachen durch Unternehmen gem. § 7 VSVgV zu wahren. Zudem bestehen gem. § 43 VSVgV Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten . Ferner sind die Grundsätze des Vergabeverfahrens gem. § 10 VSVgV zu wahren. Als voreingenommen geltende Personen dürfen an dem Verfahren gem. § 42 VSVgV nicht mitwirken. Nach Maßgabe des § 37 VSVgV kann das Vergabeverfahren jederzeit aufgehoben und/oder eingestellt werden. Für Unteraufträge sind die §§ 38 ff. VSVgV zu beachten. 4.2. Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb Das Verhandlungsverfahren ist gem. §§ 147, 119 Abs. 5 GWB ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet , um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln. Auch nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 VSVgV gilt anders als beim nicht offenen Verfahren beim Verhandlungsverfahren kein Verhandlungsverbot. Anders als im nicht offenen Verfahren ist einerseits der Leistungsgegenstand noch nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten festgeschrieben und andererseits können auch Angebote geändert werden, nachdem sie abgegeben worden sind.30 Gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 VSVgV können die Auftraggeber vorsehen, dass das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb in verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen abgewickelt wird, um so die Zahl der Angebote, über die verhandelt wird, anhand der in der Bekanntmachung oder 30 Jasper, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 119 GWB Rdnr. 25. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 17 den Vergabeunterlagen angegebenen Zuschlagskriterien zu verringern. Wenn Auftraggeber dies vorsehen, müssen sie dies gem. §§ 11 Abs. 3 Satz 2, 18 Abs. 3 Nr. 3 VSVgV in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen angeben. In der Schlussphase des derartig phasenweise festgelegten Verfahrens müssen so viele Angebote vorliegen, dass ein echter Wettbewerb gewährleistet ist, sofern eine ausreichende Anzahl geeigneter Bewerber vorhanden ist, § 11 Abs. 3 Satz 3 VSVgV. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist für Liefer- und Dienstleistungsverträge gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 VSVgV, § 146 Satz 2 GWB nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig . § 12 Abs. 1 VSVgV regelt detailliert im Einzelnen die engen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb. Der wettbewerbliche Dialog ist bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 VSVgV, § 146 Satz 2 GWB wie auch das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. 5. Rechtsschutzmöglichkeiten Eine Vergabeentscheidung kann bei Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften mit dem Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern des Bundes oder der Länder gem. §§ 155 ff. GWB angegriffen werden. Dabei handelt es sich zunächst um kein gerichtliches Verfahren. Die Vergabekammern sind behördliches Einrichtungen, die durch Verwaltungsakt entscheiden, § 168 Abs. 3 Satz 1 GWB. Die Vergabekammer entscheidet, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern, § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB. Nach § 168 Abs. 2 S. 1 GWB darf allerdings ein bereits wirksam erteilter Zuschlag, auch wenn er vergaberechtswidrig zustande gekommen ist, im Nachprüfungsverfahren nicht mehr aufgehoben werden.31 Während des Nachprüfungsverfahrens darf der Auftraggeber den Zuschlag gemäß 169 Abs. 1 GWB jedoch grundsätzlich nicht erteilen. Ausnahmsweise kann ihm jedoch die Fortführung des Vergabeverfahrens und die Zuschlagerteilung vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB auf seinen Antrag oder den des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll, durch die Vergabekammer gestattet werden. Die Vergabekammer hat bei dieser Entscheidung insbesondere alle möglicherweise geschädigten Interessen, sowie das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers, die allgemeinen Erfolgsaussichten des Antragsstellers im Vergabeverfahren und bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen im Sinne des § 104 GWB zusätzlich besondere Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen, § 169 Abs. 2 Satz 2,3 und 4 GWB. 31 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 2) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016 (12), S. 1358 (1369). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 18 Ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts für den jeweiligen Beschaffungsvorgang nicht eröffnet , weil beispielsweise der Schwellenwert nicht erreicht wird, ist Rechtsschutz gegen die Entscheidung zur Annahme eines Angebots nach allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Unterlassungsklage denkbar. Diese wird aber kaum Erfolg haben, da der unterlegene Bieter hier nicht durch ein Zuschlagsverbot vor dem Vertragsschluss während des Verfahrens geschützt wird.32 Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Vergabekammern im Nachprüfungsverfahren ist die sofortige Beschwerde vor speziellen Vergabekammern des jeweils zuständigen Oberlandesgerichts , vgl. §§ 171 ff. GWB. Auch während des Verfahrens der sofortigen Beschwerde kann ausnahmsweise ein Fortgang des Vergabeverfahrens und Zuschlag vor der endgültigen Entscheidung gestattet werden, § 176 Abs. 1 GWB. Eine weitere Gerichtsinstanz gibt es grundsätzlich nicht. Möchte allerdings ein Oberlandesgericht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des BGH abweichen, ist die Sache unter Umständen dem BGH vorzulegen. 33 Die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO ist kein Rechtsmittel im Sinne der ZPO, was unter anderem bedeutet, dass sie keinen Suspensiveffekt hat. D.h. das Verfahren verhindert nicht, dass die mit ihr angegriffene Entscheidung rechtskräftig wird. Sie ermöglicht aber einem Gericht die Durchbrechung einer gegebenenfalls schon bestehenden Rechtskraft und die Selbstkorrektur von eigenen Urteilen und Beschlüssen, die nicht anfechtbar sind, aber auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) beruhen.34 Die Anhörungsrüge findet keine Anwendung auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte als dem Anspruch auf rechtliches Gehör (z.B. Willkürverbot, Gebot des gesetzlichen Richters).35 Abgesehen von einem Recht auf Stellungnahme nach § 321a Abs. 3 ZPO sind keine Einflussmöglichkeiten des Gegners der Anhörungsrüge auf das Verfahren zu dessen Beschleunigung vorgesehen. Ist die Rüge begründet, weil eine entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegt, hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist, § 321a Abs. 5 Satz 1 ZPO. Das Verfahren wird dann in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. Einreichung der Schriftsätze befand, § 321a Abs. 5 Satz 2 und 4 ZPO. Die Durchführung einer Anhörungsrüge ist unter Umständen eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde, selbst wenn die Verfassungsbeschwerde nicht (nur) auf eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG gestützt wird.36 Bei der Verfassungsbeschwerde handelt es sich um einen Rechtsbehelf, mit dem jedermann vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte 32 Kau, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 106 GWB Rdnr. 68. 33 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 2) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016 (12), S. 1358 (1371). 34 Saenger, in: Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 321a Rdnr. 1, 4. 35 Saenger, in: Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 321a Rdnr. 6. 36 Saenger, in: Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 321a Rdnr. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 19 verletzt zu sein. Ihre Voraussetzungen sind näher geregelt in Art 93 Abs. 1 Nr. 4 a) GG, § 13 Nr. 8a), 90 ff. BVerfGG. Auch eine Verfassungsbeschwerde hat keinen Suspensiveffekt.37 Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten im Bereich des Vergaberechts ist nicht ausgeschlossen, wenngleich die Hürden hierfür sehr hoch sind. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts berührt die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an einen Mitbewerber grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit des erfolglosen Bewerbers.38 Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bindet zwar staatliche Stellen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge , ein Verstoß wird jedoch nur bei „krassen Fehlentscheidungen“ angenommen.39 Und zumindest die eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten unterlegener Bieter im unterschwelligen Bereich wurden bisher als mit dem Verfassungsrecht vereinbar betrachtet.40 Im Übrigen kann ein unterlegener Bewerber stets nach Maßgabe der allgemeinen Haftungsregeln vor den ordentlichen Gerichten Schadensersatz verlangen, wenn er einen Schaden erlitten hat.41 In Betracht kommen insofern vor allem Ansprüche aus § 181 Satz 1 GWB, aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem verletzten Schutzgesetz (z.B. einer Norm des GWB, einer Grundfreiheit oder Art. 3 Abs. 1 GG), wobei unter Umständen auch ein vorrangiger Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG denkbar ist. Gegebenenfalls kommen auch Schadensersatzansprüche aus § 33 GWB in Betracht, wenn der Auftraggeber eine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, oder aus § 9 Satz 1 UWG, wenn der Wettbewerb durch Bevorzugung einzelner Bieter verfälscht wurde.42 6. Fazit Öffentliche Auftraggeber, wie das BMVg, können nur zwischen vier verschiedenen Vergabeverfahren für den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich wählen, sofern der Anwendungsbereich der §§ 144 ff. GWB eröffnet ist und kein Ausnahmetatbestand greift. Die Einbeziehung der Bewerber durch Verhandlungen oder im Sinne eines Dialoges ist dabei als Option vergaberechtlich denkbar. Ein Wettbewerb der Bewerber und Bieter kann dabei im Anwendungsbereich des Vergaberechts nur eingeschränkt begrenzt werden. Unterlegenen Bewerbern steht als primärer Rechtsschutz gegen die Vergabeentscheidung das Nachprüfungsverfahren, gegebenenfalls mit sich anschließender sofortiger Beschwerde, zur Ver- 37 Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 50. EL Januar 2017, § 95 Rdnr. 21. 38 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Februar 2008, Aktenzeichen 1 BvR 437/08. 39 BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, Aktenzeichen 1 BvR 1160/03; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Februar 2008, Aktenzeichen 1 BvR 437/08. 40 BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, Aktenzeichen 1 BvR 1160/03. 41 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 2) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016 (12), S. 1358 (1372). 42 Pünder/Buchholtz, Einführung in das Vergaberecht (Teil 2) – Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich, JURA 2016 (12), S. 1358 (1373). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 083/17 Seite 20 fügung. Während dieser Verfahren darf ein Zuschlag auf ein Angebot im Vergabeverfahren grundsätzlich nicht erteilt werden. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs wie der Anhörungsrüge oder einer Verfassungsbeschwerde hindert den Rechtskrafteintritt der Entscheidung der sofortigen Beschwerde nicht. § 117 GWB sieht besondere Ausnahmen für die Vergabe von solchen Aufträgen vor, die Verteidigungs - und Sicherheitsaspekte umfassen. Inwiefern die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift , insbesondere bei dem Abschluss von bilateraler, zwischenstaatlicher Verträge, gegeben sind, bedarf tatsächlicher Feststellungen im Einzelfall. Entsprechendes gilt für die in Betracht kommenden Rechtsschutzmöglichkeiten. In der Regel dürften sich wie auch immer geartete Kontakte zwischen Rüstungsfirmen und dem BMVg nicht als Teil eines förmlichen Vergabeverfahren im Sinne der §§ 144 GWB interpretieren lassen. ***