© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 082/20 Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern gegenüber Aktionären Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 2 Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern gegenüber Aktionären Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 082/20 Abschluss der Arbeit: 8. Juli 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Haftung des Vorstandes gegenüber den Aktionären 4 2.1. §§ 93 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 AktG 5 2.2. § 117 Abs. 2 AktG 5 2.3. § 823 Abs. 1 BGB 5 2.4. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB 6 3. Haftung des Aufsichtsrates gegenüber den Aktionären 6 3.1. § 93 Abs. 2 Satz 1 und § 93 Abs. 3 AktG 7 3.2. § 117 Abs. 2 AktG 7 3.3. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB 7 4. Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber den Aktionären 7 4.1. § 323 HGB 8 4.2. § 823 Abs. 1 BGB 8 4.3. § 823 Abs. 2 BGB, § 323 HGB 9 4.4. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 263, 264a StGB, §§ 403, 404 AktG 9 4.5. § 826 BGB 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 4 1. Einleitung Wenn über das Vermögen einer börsennotierten Aktiengesellschaft (AG) das Insolvenzverfahren eröffnet wird, kann dies für die Aktionäre mitunter zu schwerwiegenden finanziellen Schäden, eventuell sogar einem Totalverlust des Investments, führen. Insbesondere bei erheblichen und unvorhergesehenen Kursverlusten, die letztlich binnen kurzer Zeit einen Insolvenztatbestand begründen, stellt sich dabei auch für viele Privatanleger1 oder Investmentvermögen2 die Frage, ob in einem solchen Fall gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft, ihren Organen oder sonstigen Dritten in Betracht kommen. Bereits an dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nach ihren Verfahrensgrundsätzen keine Einzelfallprüfung vornehmen. Eine rechtliche Detailprüfung einzelner Pflichtverletzungen oder bestimmter Insolvenzszenarien kann daher nicht erfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen beinhalten vielmehr eine summarische Darstellung von Einzelaspekten einer möglichen aktienrechtlichen und/oder zivilrechtlichen Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfern, die abstrakt und überblicksartig dargestellt werden. 2. Haftung des Vorstandes gegenüber den Aktionären Die AG ist eine Kapitalgesellschaft mit dualistischer Struktur: Die operative Führung obliegt dem Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG3), dessen Kontrolle dem Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG).4 Drittes Organ der AG ist die Hauptversammlung, die sich aus den Anteilseignern (Aktionären) zusammensetzt (§ 118 Abs. 1 AktG). Die Hauptversammlung bestellt den Aufsichtsrat (§ 101 AktG), der Aufsichtsrat wiederum bestellt den Vorstand (§ 84 AktG). Nur wenige Sonderbestimmungen des AktG sehen unmittelbare Ansprüche der Aktionäre gegenüber Vorstandsmitgliedern vor. Dies macht deutlich, dass das Aktienrecht im Regelfall von der Anspruchsinhaberschaft der Gesellschaft (Haftungskonzentration5) und nur im Ausnahmefall 1 Nach § 1 Abs. 19 Nr. 31 Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) sind Privatanleger alle Anleger, die weder professionelle noch semiprofessionelle Anleger sind. 2 Nach § 1 Abs. 1 KAGB ist Investmentvermögen jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren. 3 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2637) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/aktg/ (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren: 8. Juli 2020). 4 Vgl. Kortstock, in: Nipperdey Lexikon Arbeitsrecht, 20. Edition 2013, Aktiengesellschaft. 5 Nach dem für das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht prägenden Prinzip der Haftungskonzentration führen Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter grundsätzlich nur zu einer Innenhaftung, vgl. Steffek, Juristische Schulung (JuS) 2010, S. 235, 236; Wellhöfer, in: Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, 1. Auflage 2008, § 1, Rn. 35. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 5 von Ansprüchen der Aktionäre gegenüber den Mitgliedern der Geschäftsführungsorgane ausgeht.6 2.1. §§ 93 Abs. 2 Satz 1, 93 Abs. 3 AktG §§ 93 Abs. 2 Satz 1 und 93 Abs. 3 AktG normieren die Haftung des Vorstands gegenüber der Gesellschaft. Den Aktionären gegenüber haften die Vorstandsmitglieder folglich nicht unmittelbar nach diesen Tatbeständen. Die Anteilsinhaber können lediglich eine Klage der Gesellschaft gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder nach § 147 AktG initiieren oder die Ansprüche der Gesellschaft gemäß § 148 AktG nach Zulassung durch das Gericht im eigenen Namen – allerdings gerichtet auf Leistung an die Gesellschaft – geltend machen.7 § 93 Abs. 2 AktG ist auch nicht Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)8, da § 93 Abs. 1 und 2 AktG ausschließlich dem Schutz der Gesellschaft vor unsorgfältiger Geschäftsführung durch den Vorstand dient.9 2.2. § 117 Abs. 2 AktG Eine Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber Aktionären kann sich jedoch aus § 117 Abs. 2 AktG ergeben. Nach § 117 Abs. 1 AktG ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft Organmitglieder oder leitende Angestellte der Aktiengesellschaft dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln. Gegenüber den Aktionären ist er zum Schadensersatz verpflichtet, wenn ihnen ein Schaden entstanden ist, der über die Schädigung der Gesellschaft hinausgeht. Die Mitglieder des Vorstands haften neben dem nach § 117 Abs. 1 AktG Ersatzpflichtigen gemäß § 117 Abs. 2 AktG als Gesamtschuldner, wenn sie unter Verletzung ihrer Pflichten gehandelt haben und keinen Entlastungsbeweis erbringen können (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG).10 2.3. § 823 Abs. 1 BGB Die Aktie, also die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft, ist als sonstiges Recht im Sinne von §§ 823 Abs. 1 BGB anerkannt.11 Im Verhältnis der Aktionäre zu den Vorstandsmitgliedern liegt bei pflichtwidriger Schädigung durch Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands jedoch kein 6 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 93 AktG, Rn. 168; Wellhöfer, in: Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, 1. Auflage 2008, § 3, Rn. 4. 7 Vgl. Wiesner/Kraft, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 4. Auflage 2015, § 26, Rn. 1 ff. 8 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juni 2020 (BGBl. I S. 1245) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/. 9 Vgl. dazu Bundesgerichtshof (BGH), Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1990, S. 1725, 1730; BGH, NJW 1979, S. 1829. 10 Vgl. Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 4. Auflage 2015, § 27, Rn. 7. 11 Vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1990, Az.: II ZR 179/89, NJW 1990, S. 2877, 2878. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 6 zum Schadensersatz verpflichtender Eingriff in die Mitgliedschaft vor, da die Mitgliedschaft kein Recht auf rechtmäßiges Verhalten der Vorstandsmitglieder enthält.12 2.4. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt den Verstoß gegen ein Gesetz voraus, das den Schutz des Aktionärs bezweckt. Ein solches Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre ist die Vorschrift des § 92 Abs. 1 AktG (Anzeigepflicht des Vorstands bei Verlusten in Höhe der Hälfte des Grundkapitals).13 Den Schutz bei falschen Angaben und unrichtigen Darstellungen betreffend die Verhältnisse der Gesellschaft durch den Vorstand bezwecken die Vorschriften des § 399 AktG14 und des § 400 AktG15, die ebenfalls Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellen.16 Nach § 826 BGB sind Vorstandsmitglieder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügen; andere im Sinne des § 826 BGB können auch Aktionäre sein.17 Wann ein Schaden vorsätzlich herbeigeführt wird, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Der BGH hat in der Vergangenheit jedoch beispielsweise die vorsätzliche Veröffentlichung einer bewusst unwahren Ad hoc- Mitteilung18 als einen Fall der sittenwidrigen Schädigung von Aktionären angesehen.19 3. Haftung des Aufsichtsrates gegenüber den Aktionären Der Aufsichtsrat trägt generell ein geringeres Außenhaftungsrisiko als der Vorstand, was daran liegt, dass er ein reines Innenorgan ist und nach außen regelmäßig nicht in Erscheinung tritt. Aus diesem Grunde hat der Aufsichtsrat auch weniger Gelegenheit, in geschützte Rechtspositionen Dritter einzugreifen und die Außenhaftungstatbestände zu verwirklichen.20 12 Vgl. Wiesner/Kraft in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 4. Auflage 2015, § 26, Rn. 64 m.w.N. 13 Vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 92 AktG, Rn. 43. 14 Vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1988, Az.: II ZR 243/87, NJW 1988, S. 2794, 2795 15 Vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2001, Az.: II ZR 178/99, NJW 2001, S. 3622, 3624. 16 Vgl. Müller-Michaels, in: Hölters, Aktiengesetz, 3. Auflage 2017, § 399 AktG, Rn. 2 und § 400 AktG, Rn. 2. 17 Vgl. Koch Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 14. Auflage 2020, § 93 AktG, Rn. 62. 18 Emittenten von Finanzinstrumenten, die an einem regulierten Markt oder einem organisierten Handelssystem gehandelt werden, sind dazu verpflichtet, Insiderinformationen (z.B. Gewinneinbrüche, Dividendenvorschläge) unverzüglich (ad hoc) publik zu machen, vgl. Hakenberg, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 24. Edition 2020, Ad-hoc-Publizität. 19 Vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004, Az.: II ZR 402/02, NJW 2004, S. 2971. 20 Vgl. Patzina, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, 1. Auflage 2010, Kap. 7, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 7 3.1. § 93 Abs. 2 Satz 1 und § 93 Abs. 3 AktG Die Regelungen des § 93 AktG über die Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft gelten nach § 116 AktG sinngemäß für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, so dass auf die Ausführungen unter 2.1. verwiesen werden kann. Die Aktionäre können die Ansprüche geltend machen, Anspruchsberechtigte ist jedoch die Gesellschaft. § 823 Abs. 2 BGB ist mangels Schutzgesetzcharakter des § 93 Abs. 2 Satz 1 und des § 93 Abs. 3 nicht einschlägig.21 3.2. § 117 Abs. 2 AktG Die Regelung des § 117 Abs. 2 AktG gilt auch für Aufsichtsratsmitglieder. Wenn also ein Aufsichtsratsmitglied vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft eine Schädigung der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre durch Angehörige der Verwaltung veranlasst, ist es nach § 117 AktG gegenüber der Gesellschaft und den Aktionären ersatzpflichtig.22 3.3. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB Eine unmittelbare Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern aus unerlaubter Handlung gegenüber Aktionären und Gesellschaftsgläubigern kann nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verletzung eines Schutzgesetzes begründet sein. Entsprechende Schutzgesetze sind etwa die unter 2.4. erwähnten §§ 399 und 400 AktG, die auch für Aufsichtsratsmitglieder gelten.23 Auch aus § 826 BGB kann sich bei fehlerhaften Kapitalmarktinformationen eine Haftung des Aufsichtsrates gegenüber den Anlegern ergeben.24 4. Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber den Aktionären Nach § 316 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB)25 sind der Jahresabschluss und der Lagebericht von Kapitalgesellschaften, die nicht kleine im Sinne des § 267 Abs. 1 HGB26 sind, 21 Vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 116 AktG, Rn. 82. 22 Vgl. Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 4. Auflage 2015, § 33, Rn. 69 ff. 23 Vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 116 AktG, Rn. 82. 24 Vgl. Patzina, in: Patzina/Bank/Schimmer/Simon-Widmann, Haftung von Unternehmensorganen, 1. Auflage 2010, Kap. 7, Rn. 91. 25 Handelsgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 184 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/hgb. 26 Nach § 267 Abs. 1 HGB sind kleine Kapitalgesellschaften solche, die mindestens zwei der drei nachstehenden Merkmale nicht überschreiten: 6 000 000 Euro Bilanzsumme; 12 000 000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; Im Jahresdurchschnitt fünfzig Arbeitnehmer. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 8 durch einen Abschlussprüfer zu prüfen.27 Hat keine Prüfung stattgefunden, so kann der Jahresabschluss nicht festgestellt werden (§ 316 Abs. 1 Satz 2). Bei der AG tritt der Wirtschaftsprüfer mithin in der Regel in seiner Kernbereichsfunktion28 als Abschlussprüfer in Erscheinung. 4.1. § 323 HGB In Bezug auf die Haftung von Wirtschaftsprüfern, die etwa im Rahmen einer Pflichtprüfung unrichtige Bilanzen testieren, wird deren Verantwortlichkeit durch § 323 Abs. 1 HGB auf die Haftung gegenüber der zu prüfenden Kapitalgesellschaft und einem mit dieser verbundenen Konzernunternehmen beschränkt.29 Auf den Haftungstatbestand des § 323 Abs. 1 Satz 2 HGB können sich Dritte – also etwa Gläubiger des geprüften Unternehmens oder Anleger, die ihre Investitionsentscheidung aufgrund eines unrichtigen Jahresabschlusses getroffen haben, mithin grundsätzlich nicht berufen.30 Auch der BGH, der sich diesbezüglich in verschiedenen Entscheidungen im Einzelfall mit dem Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter31 auseinandergesetzt hat, lehnt eine grundsätzliche Haftungserstreckung auf die Anleger der geprüften Kapitalgesellschaften im Ergebnis ab.32 Sofern die Parteien des jeweiligen Prüfungsvertrages den Schutzbereich des Vertrages daher nicht ausnahmsweise privatautonom (vgl. § 311 Abs. 1 BGB) ausdrücklich auch auf etwaig geschädigte Dritte erweitert haben, scheidet ein entsprechender Anspruch daher aus. 33 In jedem Fall ist die Haftung des Abschlussprüfers nach § 323 Abs. 2 HGB bei Fahrlässigkeit auf einen Höchstbetrag von 1 Million Euro, bei einer Aktiengesellschaft, deren Aktien zum Handel an einem regulierten Markt zugelassen sind, auf 4 Millionen Euro pro Prüfung begrenzt. 4.2. § 823 Abs. 1 BGB Verletzt der Abschlussprüfer vorsätzlich oder fahrlässig eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter, ist er grundsätzlich zum Ersatz des hierdurch kausal verursachten Schadens 27 Vgl. Müller, in: Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, 1. Auflage 2008, § 21, Rn. 2. 28 Vgl. zu anderen Einsatzbereichen von Wirtschaftsprüfern etwa Schultheiß, die Dritthaftung von Wirtschaftsprüfern nach dem KAGB, Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (BKR) 2015, S. 133 ff. 29 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 134. 30 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 134. 31 Vgl. hierzu ausführlich Ebke, in: Münchener Kommentar zum HGB, 3. Auflage 2013, § 323 HGB, Rn. 132 ff. m.w.N. 32 Vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2006, Az.: III ZR 256/04, NJW 2006, S. 1975 m.w.N. 33 Vgl. Ebke, in: Münchener Kommentar zum HGB, 3. Auflage 2013, § 323 HGB, Rn. 148. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 9 verpflichtet.34 Das Vermögen als solches gehört allerdings nicht zu den von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern.35 „Aus diesem Grunde sind bspw Nachteile Dritter, die diese dadurch erleiden, dass sie im Vertrauen auf die Richtigkeit eines geprüften Abschlusses ein Recht an/ggü der geprüften Gesellschaft […] erwerben, das sich nach Erwerb als nicht werthaltig erweist, keine nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähigen Schäden, da das Beteiligungs- oder Gläubigerrecht in seinem rechtlichen Bestand unberührt besteht und lediglich eine wertmäßige Vermögensminderung beim Erwerber vorliegt.“36 4.3. § 823 Abs. 2 BGB, § 323 HGB Erfolgt die Prüfung nicht (auch) im Interesse konkreter Einzelinvestoren, kommt für die Aktionäre nur eine Deliktshaftung in Betracht.37 § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 HGB scheidet insoweit als Anspruchsgrundlage aus, weil § 323 HGB wie oben dargelegt nur Ansprüche der zu prüfenden Kapitalgesellschaft und mit dieser verbundenen Konzernunternehmen begründen kann. Die Vorschrift stellt mithin kein Schutzgesetz zugunsten von Anlegern dar.38 4.4. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 263, 264a StGB, §§ 403, 404 AktG Eine Haftung des Wirtschaftsprüfers kann dem Grunde nach gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m §§ 263, 264a Strafgesetzbuch (StGB)39 bzw. §§ 403, 404 AktG begründet sein.40 Diese Regelungen setzen allerdings vorsätzliches (betrügerisches) Handeln voraus und sanktionieren gerade nicht die fehlerhafte Prüfung als solche.41 Ob und inwieweit dem im konkreten Fall agierenden Wirtschaftsprüfer ein solcher Vorsatz tatsächlich nachgewiesen werden kann, ist in jedem Einzelfall zu bewerten. 34 Vgl. Schmidt/Feldmüller, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 173. 35 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. November 1982, Az.: II ZR 206/81, NJW 1983, S. 2313, 2314. 36 Vgl. Schmidt/Feldmüller, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 173. 37 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 136 m.w.N. 38 Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. November 1998, Az.: 8 U 59/98, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG) 1999, S. 901, 903. 39 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juni 2020 (BGBl. I S. 1247) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/. 40 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 136 m.w.N. 41 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 136 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 082/20 Seite 10 4.5. § 826 BGB Eine Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Aktionären kann sich jedoch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB ergeben. „Für geschädigte Anleger bleibt somit § 826 [BGB – Anm. d. Verf.] die einzige Option. Die bloße Fehlerhaftigkeit des Testats löst zwar nicht die Haftung aus, ein Abschlussprüfer jedoch, der einer als unrichtig erkannten Bilanz das Testat erteilt, macht sich Dritten gegenüber nach § 826 [BGB – Anm. d. Verf.] schadensersatzpflichtig. Gleiches gilt, wenn er sich seiner Aufgabe leichtfertig entledigt, sein Testat gleichsam „ins Blaue hinein“ erteilt und dadurch seine Rücksichtslosigkeit gegenüber möglichen Adressaten des Gutachtens offenbart hat oder wenn er sich der Einsicht in die Unrichtigkeit seines Bestätigungsvermerks verschlossen hat. Ein klarer Fall von Leichtfertigkeit liegt vor, wenn ein Testat erteilt wird, obwohl überhaupt keine Prüfung durchgeführt wurde oder die Ergebnisse eines Dritten ungeprüft übernommen wurden, aber auch dann, wenn die Buchhaltung des Mandanten wesentliche Lücken aufwies oder relevante Informationen fehlten, so dass die Ordnungsmäßigkeit der Bilanz redlicherweise nicht hätte festgestellt werden dürfen. Die Angaben des Mandanten bzw. der Geschäftsführung darf der Prüfer grundsätzlich ungeprüft zugrunde legen, muss allerdings Verdachtsmomenten für Manipulationen und Unterschlagungen konsequent nachgehen. Für den Schädigungsvorsatz ist nicht erforderlich, dass der Wirtschaftsprüfer eine konkrete Person als Geschädigten vor Augen hat, sondern es reicht aus, wenn er sich vorstellt, der Abschluss könne Dritte zu nachteiligen Vermögensdispositionen veranlassen, etwa einen Geldgeber zur Vergabe eines Kredits […]. Schließlich ist zu beachten, dass zwar die Dritthaftung aufgrund Vertrags, nicht aber diejenige aus Delikt, auf die in § 323 Abs. 2 HGB normierten Höchstgrenzen beschränkt ist, so dass § 826 [BGB – Anm. d. Verf.] selbst bei Einbeziehung des Dritten in den Schutzumfang des Prüfauftrags weiterhin erhebliche praktische Bedeutung für die Haftung der Wirtschaftsprüfer behält.“42 Maßgeblich sind indes auch hier die konkreten Umstände des Einzelfalls.43 *** 42 Vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB, Rn. 136 m.w.N. 43 Vgl. Schmidt/Feldmüller, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, 12. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 183 ff. m.w.N.