© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 081/16 Die Missbrauchsaufsicht im Kartell- und Wettbewerbsrecht Der Begriff des marktbeherrschenden Unternehmens Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einführung Der Begriff der Marktbeherrschung ist für das Kartellrecht wesentlich, neben dem Missbrauchsverbot (§ 19 GWB1 bzw. Art. 102 AEUV2) ist er auch Anknüpfungspunkt für die Fusionskontrolle (§ 36 Abs. 1 GWB bzw. Art. 2 Abs. 2 FKVO Nr. 139/20043). Während sich europarechtliche und nationale Vorgaben im Bereich des Kartell- und Wettbewerbsrecht in der Regel entsprechen, hat der nationale Gesetzgeber im Bereich der Missbrauchsaufsicht strenge Anforderungen aufgestellt .4 Gegenstand der vorliegenden Arbeit sollen mithin die nationalen Vorschriften sein. § 18 Abs. 1 GWB definiert: „Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, wenn es als Anbieter oder Nachfrager auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist, oder wenn das Unternehmen eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat“ Hiervon ausgehend erfolgt die Prüfung einer marktbeherrschenden Stellung stets zweistufig. Zunächst wird der relevante Markt abgegrenzt um sodann auf dieser Basis auf einer zweiten Stufe die Feststellung der beherrschenden Stellung zu ermitteln.5 Liegt danach ein marktbeherrschendes Unternehmen vor, unterliegt dieses einer unmittelbaren Verhaltenskontrolle durch die Kartellbehörden . 2. Relevanter Markt Eine marktbeherrschende Stellung bzw. Macht lässt sich nach dem sogenannten Marktmachtprinzip nicht allgemein aus der Unternehmensgröße oder anderen abstrakten Kriterien ableiten. Eine solche kann sich vielmehr immer nur in konkret abgegrenzten relevanten Märkten entfalten .6 Dieser relevante Markt wird grundsätzlich in sachlicher (Produkt) und räumlicher (Gebiet) Hinsicht bestimmt, hinzu tritt in Ausnahmefällen auch noch eine zeitliche Komponente. 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203) geändert worden ist. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung aufgrund des am 01.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon. 3 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen „EG-Fusionskontrollverordnung“. 4 Den entsprechenden Gestaltungsspielraum eröffnet Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 VO 1/2003 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. 5 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 18 Marktbeherrschung, Rn.23 6 Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 18 Marktbeherrschung, Rn.22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 081/16 Seite 5 2.1. Sachlich-gegenständlich relevanter Markt Das Erfordernis den Markt in sachlich-gegenständlicher Art abzugrenzen, lässt sich aus dem Wortlaut in § 18 GWB „bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen“ herleiten. Für Angebotsmärkte hat sich zur Bestimmung das sogenannte Bedarfsmarktkonzept durchgesetzt.7 Dieses besagt, sämtliche Erzeugnisse, die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als gegeneinander austauschbar ansieht, sind marktgleichwertig.8 Vom Bedarfsmarktkonzept ausgehend werden sodann weitere Kriterien zur Bestimmung des sachlich-gegenständlichen Marktes herangezogen. So muss beachtet werden, dass es für einzelne Waren oder gewerbliche Leistungen unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten geben kann, welche dann Teilmärkte bilden.9 Ein weiteres Bestimmungsmittel ist die Kreuzpreiselastizität, die auf dem Gedanken beruht, dass sich die Ausweichmöglichkeiten der Nachfrager von bestimmten Waren oder gewerblichen Leistungen in ihren Reaktionen auf Preisbewegungen zeigen müssen. Führt eine geringe Preiserhöhung eines Gutes zu einer Abwanderung auf ein anderes, so deutet das auf Ausweichmöglichkeiten und damit auf einen gleichen sachlichen Markt hin.10 2.2. Räumlich-relevanter Markt Da eine marktbeherrschende Stellung nur in einem bestimmten Gebiet bestehen kann, muss der Markt zwangsläufig auch räumlich abgegrenzt werden. Eine Definition hierfür kann dem Art. 9 Abs. 7 FKVO entnommen werden, der zwar zum europäischen Fusionskontrollrecht gehört, jedoch auch für das deutsche Kartellrecht richtungweisend ist.11 Die räumliche Abgrenzung verfolgt den gleichen Zweck wie die Feststellung der sachlich-gegenständlichen Grenzen und vollzieht sich nach demselben Kriterium der Austauschmöglichkeiten aus der Sicht der Abnehmerdisponenten .12 Daneben behilft sich die Praxis mit dem konkreten Tätigkeitsgebiet des Unternehmers , welches nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik begrenzt ist. 7 Wiedemann in Handbuch des Kartellrechts, 2. Auflage 2008, § 23 Rn. 8; Bechthold/Bosch in Kartellgesetz: GWB, Kommentar, 8. Auflage 2015, § 18, Rn. 5. 8 So maßgeblich vom Kammergericht Berlin geprägt; Fuchs/Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 18 Marktbeherrschung, Rn.32 m.w.N. 9 Fuchs/Möschel a.a.O., § 18 Marktbeherrschung, Rn.41. 10 Fuchs/Möschel a.a.O., § 18 Marktbeherrschung, Rn.41. 11 So auch der Bundesgerichtshof in BGH Beschluss vom 16.01.2008 KVR 26/07; Fuchs/Möschel a.a.O., § 18 Marktbeherrschung, Rn. 52. 12 Fuchs/Möschel a.a.O., § 18 Marktbeherrschung, Rn. 53; Bechthold/Bosch in Kartellgesetz: GWB, Kommentar, 8. Auflage 2015, § 18, Rn. 23; Wiedemann in Handbuch des Kartellrechts, 2. Auflage 2008, § 23 Rn. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 081/16 Seite 6 2.3. Zeitlich-relevanter Markt Während bei der Bestimmung des relevanten Marktes der sachlich-gegenständliche und der räumliche stets zu prüfen sind, kommt es auf einen zeitlichen Aspekt nur in Ausnahmefällen an. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um Waren oder gewerbliche Leistungen geht, die nur für eine kurze Zeit im Angebot sind.13 3. Marktbeherrschende Stellung Ist der relevante Markt ermittelt, muss auf der zweiten Stufe geprüft werden, ob das Unternehmen auf diesem eine marktbeherrschende Stellung innehat. Für eine sogenannte Einzelmarktbeherrschung durch ein einzelnes Unternehmens bestimmt § 18 GWB dass eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, wenn das Unternehmen ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Maßgeblich hierfür ist eine sogenannte „Komplexbetrachtung“,14 welche auf bestimmten im Gesetz niedergelegten Indizien beruht, nämlich der Marktanteil des Unternehmens; seine Finanzkraft ; sein Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten; Verflechtungen mit anderen Unternehmen ; rechtliche und tatsächliche Schranken für den Marktzutritt durch andere Unternehmen; der tatsächliche und potenzielle Wettbewerb durch Unternehmen, die innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ansässig sind; die Fähigkeit, sein Angebot oder seine Nachfrage auf andere Waren oder gewerbliche Leistungen umzustellen sowie die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen. Daneben finden sich im Gesetz Vermutungsregeln , wonach bei einem Marktanteil von 40 Prozent die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens vermutet wird. Zwei oder mehrere Unternehmen (Oligopolmarktbeherrschung) sind marktbeherrschend, wenn zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen einer Einzelmarktbeherrschung erfüllen. Auch hier wird der Nachweis durch eine Vermutungsregelung erleichtert . 4. Einzelfallbetrachtung Ob bei einem Unternehmen von einer marktbeherrschenden Stellung auszugehen ist, bzw. wie stark die Stellung ist, kann mithin nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr muss anhand der dargestellten Kriterien eine umfassende Prüfung im Einzelfall durchgeführt werden, die die Möglichkeiten des Fachbereichs überschreiten würde. Als Anlage werden Statistiken zum Umsatz - und Transaktionsvolumen des Unternehmens PayPal (Europe) S.à r.l. & Cie, S.C.A. beigefügt . 13 Wiedemann in Handbuch des Kartellrechts, 2. Auflage 2008, § 23 Rn. 13. 14 Wiedemann in Handbuch des Kartellrechts, 2. Auflage 2008, § 23 Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 081/16 Seite 7 Hiervon ausgehend können jedoch die hier zum Beispiel für das Unternehmen PayPal (Europe) S.à r.l. & Cie, S.C.A. abgebildeten Statistiken zur Kenntnis genommen werden. Abbildung 1: Diese Statistik zeigt die Entwicklung der Quartalsumsätze von PayPal weltweit vom 1. Quartal 2010 bis zum 1. Quartal 2016. Im 4. Quartal 2014 belief sich der Umsatz auf mehr als 2,19 Milliarden US-Dollar. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 081/16 Seite 8 Abbildung 2: Diese Statistik zeigt die Entwicklung der Anzahl der bargeldlosen Transaktionen über PayPal weltweit seit dem 1. Quartal 2010. Im 4. Quartal 2014 wurden mehr als 1,14 Milliarden Bezahlvorgänge über PayPal abgewickelt . Abbildung 3: Diese Statistik zeigt das Ergebnis einer Umfrage in Deutschland zur Bewertung von Paypal als Finanzdienstleister . Die Befragung erfolgte im Rahmen des Instantly Brand Monitors. Im Jahr 2015 bewerteten rund 25 Prozent der Befragten Paypal als Anbieter von Finanzdienstleistungen neutral. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 081/16 Seite 9 Abbildung 4: Diese Statistik zeigt die Ergebnisse einer Umfrage zu häufig genutzten Bezahlmöglichkeiten im Online- Handel in Deutschland in den Jahren 2012 bis 2016. Im Jahr 2014 haben rund 40 Prozent der Befragten ihre bestellte Ware schon einmal mittels eines Online-Zahlsystems bezahlt.