© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 080/16 Gefährdungshaftung für Emittenten Systematik der Gefährdungshaftung und ihre Übertragbarkeit auf Finanzmarktgeschäfte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 080/16 Seite 2 Gefährdungshaftung für Emittenten Finanzmarktgeschäfte Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 080/16 Abschluss der Arbeit: 18. Mai 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutz, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 080/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Gefährdungshaftung im System des deutschen Haftungsrechts 4 3. Übertragbarkeit der Dogmatik der Gefährdungshaftung auf Emittenten von Finanzinstrumenten 5 3.1. Vermögensschaden als geschütztes Rechtsgut 5 3.2. Andere einschlägige Haftungstatbestände 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 080/16 Seite 4 1. Einleitung Gegenstand dieses Sachstands ist die Frage, ob die Einführung einer Gefährdungshaftung für Emittenten von Finanzinstrumenten denkbar ist. Zunächst müssen dafür die dogmatischen Grundlagen der Gefährdungshaftung (2.) erläutert werden, um davon ausgehend die Möglichkeit der Übertragung dieser Grundsätze auf Finanzprodukte zu erörtern (3.). Dabei soll es auch darum gehen, welche alternativen Haftungstatbestände das deutsche Recht schon de lege lata bereithält, um Emittenten unter bestimmten Voraussetzungen für realisierte Risiken ihrer Produkte haftbar zu machen. 2. Die Gefährdungshaftung im System des deutschen Haftungsrechts Neben dem gesetzlichen Regelfall der Verschuldenshaftung kennt das deutsche Zivilrecht zwei weitere Haftungsmodelle, nämlich die Haftung für vermutetes Verschulden und die Gefährdungshaftung . Für die verschuldensabhängige Haftung gilt, dass der Geschädigte dem Schädiger nachweisen muss, dass dieser die deliktische Handlung, die zum Schaden geführt hat, verschuldet, also vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat (§ 276 BGB). Demgegenüber muss der Schädiger bei der Haftung für vermutetes Verschulden die Last tragen zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft.1 Bei der Gefährdungshaftung fehlt es gänzlich am Verschuldenserfordernis. Haftungsgrund ist keine konkrete Pflichtverletzung, sondern die Schaffung einer abstrakten Gefahr, die sich im Einzelfall verwirklicht hat. Derartige Haftungstatbestände finden sich typischerweise in Lebensbereichen , in denen eine Gefahr für einzelne oder die Allgemeinheit in Kauf genommen wird, da die jeweilige Tätigkeit oder der verwendete oder betriebene Gegenstand sozial erwünscht ist und trotz der damit verbundenen Risiken für wirtschaftlich sinnvoll gehalten wird.2 Schulbeispiele sind etwa die Fahrzeughalterhaftung nach § 7 StVG3 oder die Produkthaftung nach § 1 ProdHaftG4. Dabei richtet sich der Anspruch klassischerweise gegen denjenigen, der die Gefahr beherrscht und zugleich Nutzen aus ihr zieht.5 Aus der Sicht der ökonomischen Analyse des 1 Beispiele für eine Haftung für vermutetes Verschulden sind die Nutztierhalterhaftung (vgl. § 833 Satz 2 BGB) und die Haftung für Verrichtungsgehilfen (vgl. § 831 BGB). 2 Zu den Hintergründen vgl. Deutsch, Ernst: Allgemeines Haftungsrecht, 2. Auflage, Köln 1996, Rn. 634 ff. 3 Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 8. Juni 2015 (BGBl. I S. 904) geändert worden ist; abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/stvg/BJNR004370909.html (letzter Zugriff: 4. Mai 2016). 4 Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198), das zuletzt durch Artikel 180 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist; abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet .de/prodhaftg/BJNR021980989.html (letzter Zugriff: 4. Mai 2016). 5 Vgl. Wandt, Manfred: Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage, München 2012, § 21, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 080/16 Seite 5 Rechts spielt zudem eine Rolle, dass Halter von Fahrzeugen, Betreiber von Kraftwerken oder Hersteller von Arzneimitteln die von ihnen geschaffenen Risiken besser versichern können als diejenigen , bei denen der konkrete Schaden später eintritt.6 Als Folge dieser strikten Haftung, die weder an eine konkrete Pflichtverletzung noch an individuelles Verschulden des Verpflichteten anknüpft, ist dieser einem gegenüber der allgemeinen deliktischen Haftung deutlich erhöhten Haftungsrisiko ausgesetzt. Um eine allzu weitgehende Haftung auszuschließen, sehen die einschlägigen Gesetze in der Regel spezifische Haftungsausschlüsse vor. Hierzu werden etwa die Haftsumme auf Höchstbeträge begrenzt oder Fälle ausgeklammert, in denen der eingetretene Schaden nicht auf die Gefahr zurückzuführen ist, die das Inverkehrbringen oder der Betrieb eines Gegenstandes mit sich bringt (keine Haftung für höhere Gewalt).7 So verhält es sich zum Beispiel auch bei der Haftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG8, der gem. § 88 AMG nur bis zu bestimmten Höchstbeträgen haftet. 3. Übertragbarkeit der Dogmatik der Gefährdungshaftung auf Emittenten von Finanzinstrumenten Fraglich ist, ob sich das Konzept der Gefährdungshaftung auf Emittenten von Finanzinstrumenten übertragen lässt. Sicherlich lässt sich zwischen dem Arzneimittelhersteller oder dem Kernenergieanlagenbetreiber einerseits und dem Emittenten von Finanzinstrumenten andererseits insoweit eine Parallele ziehen, als sie alle eine Gefahrenquelle für Dritte schaffen, die grundsätzlich sozial gebilligt ist und von der Gesellschaft bewusst in Kauf genommen wird: Im Falle des Emittenten schafft dieser die Gefahr, dass er die durch die Ausgabe der Wertpapiere eingegangenen finanziellen Verpflichtungen nicht bedienen kann. Auf diese Weise können erhebliche Vermögensschäden bei den Käufern dieser Papiere und mitunter auch bei Dritten entstehen. Diese Feststellung lässt jedoch nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass der Emittent auch zweckmäßiger Adressat einer entsprechenden Gefährdungshaftung wäre. Zweifel hieran scheinen insbesondere aus zwei Gründen angebracht: 3.1. Vermögensschaden als geschütztes Rechtsgut Zum einen ist das deutsche Deliktsrecht prinzipiell streng rechtsgutsorientiert: Ersatzfähig sind nur solche Schäden, die unmittelbar an einem der von der jeweiligen Norm geschützten Rechts- 6 So etwa Looschelders, Dirk: Schuldrecht. Besonderer Teil, 10. Auflage, München 2015, Rn. 1440 m.w.N. 7 Wandt, Manfred: Gesetzliche Schuldverhältnisse, 5. Auflage, München 2012, § 21, Rn. 3. 8 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das durch Artikel 3 des Gesetzes vom 4. April 2016 (BGBl. I S. 569) geändert worden ist; abrufbar unter http://www.gesetze -im-internet.de/amg_1976/BJNR024480976.html (letzter Zugriff: 4. Mai 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 080/16 Seite 6 gut eingetreten sind. Bei dem Grundtatbestand der Verschuldenshaftung § 823 BGB sind dies Leben , Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder sonstige (absolute)9 Rechte. Primäre Vermögensschäden sind hingegen ausdrücklich nicht geschützt. Bei den Tatbeständen der Gefährdungshaftung ist der Kreis der geschützten Rechtsgüter meist noch enger. So deckt das Produkthaftungsgesetz etwa nur Schäden an Körper, Gesundheit und Sachen ab. Dies gilt beispielsweise auch bei der Umwelthaftung, der Halterhaftung und der Haftung des Anlagenbetreibers. Die Haftung des pharmazeutischen Unternehmers ist naturgemäß noch restriktiver und bezieht sich nur auf Schäden an Körper und Gesundheit. Eine ähnlich ausgestaltete Haftung des Emittenten hätte wohl nur wenig Nutzen, wenn sie lediglich einen derart kleinen Kreis von Rechtsgütern schützen würde: Denn bei den Schäden, die normalerweise von mangelhaften Finanzinstrumenten verursacht werden, handelt es sich in aller Regel um primäre Vermögensschäden: Der Schaden des Käufers besteht nämlich darin, dass sein Wertpapier erheblich oder sogar vollständig an Wert verliert. Solche Schäden sind nach deutschem Deliktsrecht jedoch nur im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung unter den strengen Voraussetzungen des § 826 BGB ersatzfähig. Erwähnenswert ist hier, dass auch bestimmtes Fehlverhalten auf dem Kapitalmarkt zu den Fallgruppen des § 826 BGB gehört,10 sodass möglicherweise einige der von einer etwaigen Gefährdungshaftung für Emittenten adressierten Fälle bereits unter diesen Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung fallen. Die Einführung einer Gefährdungshaftung für Emittenten wäre also ein tiefer Einschnitt des deutschen Gesetzgebers in die Dogmatik des Deliktsrechts und hätte wohl zudem unabsehbare praktische Folgen für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. 3.2. Andere einschlägige Haftungstatbestände Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass das geltende Recht bereits einige Ansatzpunkte bietet, Emittenten und sonstige Akteure des Finanzmarkts in Haftung zu nehmen. Neben dem bereits erwähnten § 826 BGB sind hier vor allem die Spezialtatbestände der Prospekthaftung (insbesondere § 21 WpPG) zu nennen.11 Es wäre daher noch eingehender zu prüfen, für welche Fallgestaltungen eine neu einzuführende Gefährdungshaftung für Emittenten eine nennenswerte und sinnvolle Ausweitung der bereits bestehenden Haftung schaffen würde. - Ende der Bearbeitung - 9 Beck'scher Online-Kommentar-Förster, § 823, Rn. 143. 10 Vgl. hierzu den Überblick über die Anwendung des § 826 BGB auf kapitalmarktrechtliche Fallgestaltungen in Beck'scher Online-Kommentar-Spindler, § 826, Rn. 67 ff. 11 Beck'scher Online-Kommentar-Spindler, § 826, Rn. 67.