© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 079/17 Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 079/17 Seite 2 Unterhalt für im EU-Ausland lebendes Kind Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 079/17 Abschluss der Arbeit: 1. Juni 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 079/17 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wurde, welches Recht zur Bestimmung der Höhe des Kindesunterhaltes anwendbar ist, wenn der Unterhaltsverpflichtete in Deutschland lebt und das unterhaltsberechtigte Kind seinen Wohnsitz im EU-Ausland hat. 2. Anzuwendendes materielles Unterhaltsrecht Gemäß Art. 15 EuUntVO1 bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks und dem Vereinigten Königreich)2 nach den Regelungen des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsprotokoll 2007 - HUP 2007). Das Haager Unterhaltsprotokoll 2007 regelt selbst kein internationales Unterhaltsrecht, sondern bestimmt vielmehr, welches nationale Unterhaltsrecht bei Fällen mit Auslandsbezug zur Anwendung kommen soll. Art. 3 Abs. 1 HUP 2007 sieht als allgemeine Regel für das anzuwendende Recht vor, dass für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend ist, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vorliegend bedeutet dies, dass in der Regel das Recht des EU-Mitgliedstaates anwendbar ist, in dem das unterhaltsberechtigte Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist nach Art. 3 Abs. 2 HUP 2007 das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden. Für die Geltendmachung von Kindesunterhalt sieht Art. 4 HUP 2007 zudem besondere Regeln vor. Ruft beispielsweise das unterhaltsberechtigte Kind die zuständige Behörde des Staates an, in dem der Unterhaltsverpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vorliegend also Deutschland, so ist das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht, also deutsches Unterhaltsrecht, anzuwenden (lex fori), Art. 4 Abs. 3 HUP 2007. Darüber hinaus können die Beteiligten nach Art. 7 Abs. 1 HUP 2007 für ein bestimmtes Verfahren in einem bestimmten Staat das Recht dieses Staates (lex fori) als auf die Unterhaltspflicht anzuwendendes Recht wählen. 3. Unterhaltshöhe für im EU-Ausland lebendes Kind Unabhängig vom anzuwendenden Recht sind bei der Bemessung des Unterhaltsbetrags die Bedürfnisse der berechtigten Person und die wirtschaftlichen Verhältnisse der verpflichteten Person sowie etwaige der berechtigten Person anstelle einer regelmäßigen Unterhaltszahlung geleistete Entschädigungen zu berücksichtigen, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas anderes bestimmt (Art. 14 HUP 2007). 1 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen. 2 Vgl. Art. 3 Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (2009/941/EG); Dose, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 9 Auslandsberührung, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 079/17 Seite 4 Bestimmt sich die Unterhaltspflicht nach deutschem Recht, so ist zunächst der Bedarf des im Ausland lebenden unterhaltsberechtigten Kindes zu ermitteln. Maßgebend für die Ermittlung des Kindesunterhalts ist § 1610 Abs. 1 BGB. Dabei ist der Bedarf zunächst nach deutschen Verhältnissen zu ermitteln, und zwar so, als ob beide Beteiligten in Deutschland leben würden. Im Anschluss ist der Bedarf entsprechend anzupassen. Der nach der Düsseldorfer Tabelle errechnete Bedarf kann dabei auf den Betrag herauf- oder herabgesetzt werden, den das Kind in seinem Aufenthaltsstaat benötigt, um die entsprechende Lebensstellung zu erhalten.3 Es ist also festzustellen , welchen Betrag der Unterhaltsberechtigte benötigt, um in dem Land, in dem er lebt, dieselbe Kaufkraft zur Verfügung zu haben.4 Die Bedürftigkeit des Kindes ist dabei insbesondere nach den Verhältnissen in dem Land zu bestimmen , in dem es wohnt, und die Leistungsfähigkeit des verpflichteten Elternteils vor allem nach den Verhältnissen in seinem Lebensbereich. Lebt jedoch der unterhaltspflichtige Elternteil in einem Staat, in dem ein höherer Lebensstandard herrscht, so hat das Kind grundsätzlich ein Anrecht darauf, an diesem höheren Lebensstandard teilzuhaben. Das unterhaltsberechtigte Kind ist nicht auf den Betrag beschränkt, der in seinem Aufenthaltsstaat an Kinder üblicherweise als Unterhalt gezahlt wird.5 Wie genau die Anpassung zu erfolgen hat, ist gesetzlich nicht geregelt und wird auch innerhalb der Rechtsprechung unterschiedlich gehandhabt. In der Vergangenheit hatten Rechtsprechung und Literatur eine Korrektur des Bedarfs in der Regel anhand der so genannten Verbrauchergeldparitäten vorgenommen, die vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wurden; diese Statistik ist jedoch 2009 eingestellt worden.6 Seitdem werden verschiedene Anpassungsmethoden herangezogen , zum Beispiel anhand der Ländergruppeneinteilung des BMF, des von Eurostat ermittelten „vergleichenden Preisniveaus des Endverbrauchs der privaten Haushalte einschließlich indirekter Steuern“ (Kaufpreisparitäten) oder mittels Teuerungsziffern.7 Der Bedarf kann auch aus einer Kombination unterschiedlicher Anpassungsmethoden ermittelt werden.8 3 Unger/Unger, FPR 2013, 19, 21. 4 Dose, in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Aufl. 2015, § 9 Auslandsberührung , Rn. 36. 5 Henrich, in Heiß/Born, Unterhaltsrecht, 51. EL Januar 2017, Dritter Teil Unterhaltsansprüche in Fällen mit Auslandsberührung , 34. Kapitel Unterhaltsansprüche von Kindern, Rn. 33 f. 6 OLG Stuttgart, NZFam 2014, 264, 265. 7 S. für die Darstellung der einzelnen Methoden: BGH, NJW 2014, 2785, 2787; OLG Stuttgart, NZFam 2014, 264, 265 f.; AG Karlsruhe, FamRZ 2015, 1201; Henrich, in Heiß/Born, Unterhaltsrecht, 51. EL Januar 2017, Dritter Teil Unterhaltsansprüche in Fällen mit Auslandsberührung, 31. Kapitel Unterhaltsansprüche von Ehegatten oder Lebenspartnern, Rn. 46 ff.; Unger/Unger, FPR 2013, 19, 21 ff. 8 OLG Stuttgart, NZFam 2014, 264, 266. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 079/17 Seite 5 Bei Ländern mit gleichem Lebensstandard kann die Unterhaltshöhe in der Regel nach den deutschen Unterhaltstabellen bestimmt werden.9 Ist von einem deutschen Gericht materiell-rechtlich ausländisches Recht anzuwenden, ist die Düsseldorfer Tabelle nicht unmittelbar anwendbar. Sie kann jedoch gegebenenfalls zur Orientierung herangezogen werden. Auch hier können die Sätze jedoch nicht unbedingt direkt übernommen werden, da diese die Lebensverhältnisse in Deutschland widerspiegeln, sondern es hat eine entsprechende Anpassung zu erfolgen.10 *** 9 Henrich, in Heiß/Born, Unterhaltsrecht, 51. EL Januar 2017, Dritter Teil Unterhaltsansprüche in Fällen mit Auslandsberührung , 34. Kapitel Unterhaltsansprüche von Kindern, Rn. 33. 10 OLG Stuttgart, NZFam 2014, 264, 265.