© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 078/18 Zum Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Das Facebook-Verfahren des Bundeskartellamts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 2 Zum Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Das Facebook-Verfahren des Bundeskartellamts Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 078/18 Abschluss der Arbeit: 19. April 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtsgrundlagen 4 3. Voraussetzungen des Missbrauchsverbots 6 3.1. Marktrelevantes Verhalten 6 3.2. Marktbeherrschende Stellung 7 3.3. Missbräuchliche Ausnutzung 8 3.3.1. § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB 8 3.3.2. § 19 Abs. 1 GWB 9 4. Verfahren und mögliche Sanktionen 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 4 1. Einleitung Das Bundeskartellamt hat mit Pressemitteilung vom 2. März 20161 bekanntgegeben, ein „Verfahren gegen Facebook wegen Verdachts auf Marktmachtmissbrauch durch Datenschutzverstöße“ eröffnet zu haben. Darin gehe es dem Verdacht nach, dass Facebook „durch die Ausgestaltung seiner Vertragsbestimmungen zu Verwendung von Nutzerdaten“, die möglicherweise gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoße, „seine mögliche marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke missbraucht.“ Am 19. Dezember 20172 hat das Bundeskartellamt bekanntgegeben, dass es zu der „Vorläufigen Einschätzung“ gelangt sei, dass in der Tat ein derartiger Missbrauch vorliege, jedenfalls im Hinblick auf „die Datensammlung außerhalb des sozialen Netzwerks von Facebook“. Das Unternehmen habe nunmehr Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und weitere Rechtfertigungsgründe und Lösungsvorschläge vorzutragen . Eine abschließende Entscheidung in der Sache werde nicht vor Frühsommer 2018 ergehen. Wie sich aus ebenfalls am 19. Dezember 2017 veröffentlichten „Hintergrundinformationen“3 ergibt, stützt das Bundeskartellamt seine vorläufige Einschätzung insbesondere auf § 19 Abs. 1 GWB4 sowie zwei diese Vorschrift konkretisierende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs5. 2. Rechtsgrundlagen Das europäische und das (darauf abgestimmte6) deutsche Wettbewerbsrecht ruhen auf drei Säulen : erstens, dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Kartellverbot), zweitens, der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontrolle) und, drittens, dem Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung“ (Missbrauchsverbot ).7 1 https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2016/02_03_2016_Facebook .html; letzter Zugriff am 16. April 2018. 2 Pressemitteilung vom 19. Dezember 2017 (https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Pressemitteilungen /2017/19_12_2017_Facebook.pdf?__blob=publicationFile&v=3; letzter Zugriff am 16. April 2018); 3 Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation /DE/Diskussions_Hintergrundpapier/Hintergrundpapier_Facebook.pdf?__blob=publicationFile&v=5; letzter Zugriff am 16. April 2018). 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618). 5 Und zwar BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – KZR 6/15 –, SchiedsVZ 2016, S. 218 ff. („Pechstein“) und BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14 –, BeckRS 2017, 104876 („VBL-Gegenwert II“). 6 Vgl. § 22 GWB sowie Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl Nr. L 1 S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) 487/2009 vom 25. Mai 2009 (ABl. Nr. L 148 S. 1). 7 Vgl. Volmar/Kranz, Einführung ins Kartellrecht unter Berücksichtigung der 9. GWB-Novelle, in: JuS 2018, S. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 5 Das Missbrauchsverbot ist in § 19 Abs. 1 GWB sowie (fast wortgleich) in Art. 102 Satz 1 AEUV8 niedergelegt.9 Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung kann gegenüber konkurrierenden Unternehmen stattfinden, z.B. durch niedrige Kampfpreise. Man spricht dann von Behinderungsmissbrauch. Als sog. Ausbeutungsmissbrauch kann sie aber auch Verhaltensweisen gegenüber den Verbrauchern umfassen, denen überhöhte Preise (Preishöhenmissbrauch ) oder ungünstige Geschäftsbedingungen (Konditionenmissbrauch) abverlangt werden.10 Spezielle Regelungen zum Ausbeutungsmissbrauch finden sich in § 19 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 GWB.11 Daneben bleibt aber die allgemeine Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB als Auffangtatbestand anwendbar. 12 „§ 19 Verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen (1) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten. (2) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen 1. […] 2. Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen , die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen; 8 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der konsolidierten Fassung vom 26. Oktober 2012 (ABl. Nr. C 326 S. 47). 9 Art. 102 Satz 1 AEUV setzt eine Binnenmarktrelevanz voraus; er lautet: „Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“ Zum Verhältnis von Art. 102 AEUV und § 19 GWB vgl. Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 1 GWB Rn. 59; Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 4. 10 Vgl. Volmar/Kranz, JuS 2018, S. 14 (16). 11 Für das Europarecht vgl. Art. 102 Satz 2 Buchstabe a AEUV, der besagt, dass der Missbrauch der beherrschenden Stellung in „der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen“ bestehen kann. Dies wird ebenfalls durch Vergleiche mit hypothetischen oder existenten Märkten festgestellt (vgl. Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht , 19. Edition, 1. Februar 2018, Art. 102 AEUV Rn. 31 f.). § 19 GWB und Art. 102 AEUV werden ohnehin zunehmend gleichlaufend ausgelegt (Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 4). 12 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 1 GWB Rn. 8, 82; Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 6 3. ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, als sie das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert, es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist; 4. […].“ 3. Voraussetzungen des Missbrauchsverbots 3.1. Marktrelevantes Verhalten Unter „Geschäftsbedingungen“ im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GWB bzw. Art. 102 Satz 2 AEUV fallen auch Regelungen über die Verarbeitung und Nutzung von Kundendaten, welche ein Unternehmen mit seinen Kunden vereinbart. Bei sozialen Netzwerken wie Facebook, bei denen die Mitgliedschaft nicht zahlungspflichtig ist, könnte indes der Einwand erhoben werden, dass es sich insoweit gar nicht um „Geschäftsbedingungen “ oder das Auftreten eines „Unternehmens als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder gewerblichen Leistungen“ auf einem „Markt“ handelt.13 Dem lässt sich aber zum einen entgegenhalten , dass die Netzwerkmitglieder durchaus eine Gegenleistung erbringen, nämlich gerade in Gestalt der dem Netzwerkbetreiber erteilten Erlaubnis, ihre Daten nutzen zu dürfen.14 Zum anderen kann darauf verwiesen werden, dass der Netzwerkbetreiber mithilfe der (von den Mitgliedern erlangten) Daten letztlich (von Dritten) Einnahmen, insbesondere Werbeeinnahmen, generieren möchte (sog. mehrseitiger Markt).15 Unabhängig davon, welchem Begründungsansatz – „Gegenleistung in Form von Daten“ oder „Durch Erwerbszwecke motivierte Unentgeltlichkeit“ – man insoweit bevorzugt: jedenfalls für das Missbrauchsverbot im GWB hat der am 1. Juni 2017 in Kraft getretene § 18 Abs. 2a GWB im Ergebnis Klarheit geschaffen.16 Nach dieser Norm steht der Annahme eines Marktes nicht entgegen, dass eine Leistung „unentgeltlich“ (verstanden als „ohne direkte monetäre Gegenleistung“)17 erbracht wird. Dementsprechend wird dieser Punkt in den „Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren“ des Bundeskartellamts vom 19. Dezember 201718 nicht einmal thematisiert. 13 Vgl. Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition, 1. Februar 2018, § 18 GWB Rn. 4; Art. 102 AEUV Rn. 80 in Bezug auf das europarechtliche Missbrauchsverbot. 14 In diesem Sinne Paal/Hennemann, Big Data im Recht, NJW 2017, S. 1697 (1699); Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition, 1. Februar 2018, § 18 GWB Rn. 6. 15 Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition, 1. Februar 2018, § 18 GWB Rn. 4 f. 16 Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition, 1. Februar 2018, § 18 GWB Rn. 2 ff.; Paal/Hennemann, NJW 2017, S. 1697 (1699). – Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber genau diese „Plattformfälle“ vor Augen hatte (vgl. BTDrs. 18/10207 S. 47 f.). 17 Vgl. BTDrs. 18/10207 S. 47. 18 Fundstelle oben bei 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 7 3.2. Marktbeherrschende Stellung Eine „marktbeherrschende Stellung“ liegt nicht nur dann vor, wenn das Unternehmen auf dem relevanten Markt ganz oder ohne Wettbewerber ist, sondern auch dann, wenn es keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerben überragende Marktstellung hat (§ 18 Abs. 1 GWB).19 Ein wichtiges, wenngleich nicht das einzige Kriterium, ist der Marktanteil des Unternehmens (vgl. § 18 Abs. 3 Nr. 1 GWB).20 Liegt dieser bei mindestens 40 % wird nach deutschem Wettbewerbsrechts eine marktbeherrschende Stellung vermutet (§ 18 Abs. 4 GWB).21 Die Schwierigkeit bei der Beantwortung der Frage nach einer marktbeherrschenden Stellung besteht häufig darin, den „sachlich und räumlich relevanten Markt“ (§ 18 Abs. 1 GWB) zu bestimmen . Ein Hemdenhersteller kann bei schwarzen Hemden einen Marktanteil von 80% haben, bei Hemden insgesamt beträgt er möglicherweise aber nur 20%. Er kann in einer bestimmten Region dominieren, erweitert man den Blickwinkel, kann der Marktanteil abnehmen. § 18 Abs. 2 GWB stellt insoweit ausdrücklich klar, dass der „räumlich relevante Markt“ nicht mit dem Geltungsbereich des GWB, also dem Staatsgebiet der Bundesrepublik, identisch sein muss.22 Er kann vielmehr weltweit, europaweit, bundesweit, regional oder lokal abzugrenzen sein.23 Kriterien für die Marktabgrenzung sind die „Homogenität der Wettbewerbsbedingungen“ und die „funktionale Austauschbarkeit“ des Produkts aus Sicht des Verbrauchers.24 Das Bundeskartellamt geht in seiner „Vorläufigen Einschätzung“ vom 19. Dezember 201725 „nach dem jetzigen Stand der Dinge davon aus, dass Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke marktbeherrschend ist.“ In räumlicher Hinsicht stellt es also auf den nationalen Markt 19 Im Europarecht gibt es keine Legaldefinition, auch bei Art. 102 AEUV ist aber nicht erforderlich, dass das Unternehmen ohne Wettbewerber ist (vgl. Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition , 1. Februar 2018, Art. 101 Rn. 15 ff.). 20 Für Art. 102 AEUV vgl. Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 19. Edition, 1. Februar 2018, Art. 101 Rn. 18 ff. 21 Für das europarechtliche Missbrauchsverbot in Art. 102 AUEV gibt es keinen vergleichbaren Richtwert. Der EuGH ist in einem Fall bereits bei einem Marktanteil von 50 % ohne weitere Prüfung sonstiger Kriterien von einer marktbeherrschenden Stellung ausgegangen. In einem anderen Fall hat er dagegen auch bei einem Marktanteil von 70 % noch weitere Kriterien geprüft (Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht , 19. Edition, 1. Februar 2018, Art. 101 Rn. 18). 22 Art. 102 Satz 1 AEUV stellt gewissermaßen in umgekehrter Richtung klar, dass nicht zwingend der gesamte Binnenmarkt zugrunde zu legen ist, sondern auch nur ein wesentlicher Teil desselben maßgebend sein kann. 23 Kühnen, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 18 GWB Rn. 51. 24 Vgl. Volmar/Kranz, JuS 2018, S. 14 (15) mit dem Beispiel aus der EuGH-Rechtsprechung, nach der es einen Markt ausschließlich für Bananen gebe und nicht nur für Obst allgemein. 25 Fundstelle oben bei 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 8 ab, was es damit begründet, dass „nach den Ermittlungen soziale Netzwerke von deutschen Nutzern überwiegend zur Vernetzung von Freunden und Bekannten im Inland genutzt werden.“26 In sachlicher Hinsicht grenzt es „Berufsnetzwerke wie Linkedin und Xing, Messaging-Dienste wie WhatsApp und Snapchat oder andere soziale Medien wie Youtube oder Twitter“ aus. Denn: „Auch wenn von diesen Diensten in Teilen Substitutionswettbewerb zu Facebook ausgeht, dienen sie doch aus Sicht des Nachfragers einem komplementären Bedarf.“ Als relevante Wettbewerber verblieben somit nur „Google+ sowie einige kleinere deutsche Anbieter sozialer Netzwerke“.27 3.3. Missbräuchliche Ausnutzung 3.3.1. § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB Ein „missbräuchliches Ausnutzen“ einer marktbeherrschenden Stellung in der Form des Konditionenmissbrauchs liegt vor, wenn die vom Unternehmen geforderten Geschäftsbedingungen zuungunsten des Verbrauchers von denjenigen abweichen, „die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden“ (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB), oder die „das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert , es sei denn, dass der Unterschied sachlich gerechtfertigt ist“ (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 GWB).28 Es ist also der Vergleich mit einem hypothetischen oder tatsächlichen Markt anzustellen.29 Sind dort die in Frage stehenden Geschäftsbedingungen nicht durchsetzbar, dann ist davon auszugehen , dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt hat. Dabei dürfen die einzelnen Vertragsbestandteile allerdings nicht isoliert betrachtet werden, vielmehr ist eine Gesamtschau erforderlich: Einzelne ungünstige Konditionen können durch andere Konditionen oder die Preisgestaltung kompensiert werden.30 Ferner wird den Unsicherheiten, welche das Vergleichsmarktkonzept mit sich bringt, durch einen Sicherheitszuschlag zugunsten des marktbeherrschenden Unternehmens Rechnung getragen. Die bei der Betrachtung mit dem Vergleichsmarkt festgestellte Abweichung muss also eine gewisse Erheblichkeit aufweisen.31 Die Frage, ob die in Frage stehenden Geschäftsbedingungen als solche rechtswidrig sind, weil sie z.B. gegen gesetzliche Bestimmungen des Verbraucher- oder Datenschutzes verstoßen, ist bei der Vergleichsmarktbetrachtung dagegen nicht unmittelbar von Bedeutung. Weder ist die Rechtswidrigkeit der Geschäftsbedingungen Voraussetzung für einen Konditionenmissbrauch nach § 19 26 Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 3 unter Punkt 5. 27 Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 3 unter Punkt 5. 28 Art. 102 Satz 2 Buchstabe a AEUV spricht von der „Erzwingung von unangemessenen […] Geschäftsbedingungen “. 29 Vgl. Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 69, 77; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 2 GWB Rn. 259, 286. 30 Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 68; Fuchs/Möschel, in: Immenga /Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 2 GWB Rn. 254 ff. 31 Loewenheim, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 74, 7; Fuchs/Möschel, in: Immenga /Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 2 GWB Rn. 275 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 9 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 GWB, noch vermag umgekehrt die Rechtswidrigkeit der Geschäftsbedingungen allein die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass sich auf einem Vergleichsmarkt mit wirksamem Wettbewerb für den Verbraucher günstigere Geschäftsbedingungen ergeben würden. Worauf es in erster Linie ankommt, ist die Betrachtung des Vergleichsmarktes. Dabei mag der Rechtswidrigkeit allerdings eine gewisse Indizwirkung zukommen. So könnte argumentiert werden , dass es unwahrscheinlich ist, dass sich Verbraucher unter funktionierenden Wettbewerbsbedingungen auf (zu ihrem Nachteil) rechtwidrige Geschäftsbedingungen einlassen. 3.3.2. § 19 Abs. 1 GWB Das Bundeskartellamt scheint seine „vorläufige Einschätzung“, dass Facebook seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze, indes nicht auf eine Vergleichsmarktbetrachtung nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB zu stützen, sondern auf die Generalklausel des § 19 Abs. 1 GWB.32 Diese kann, wie oben33 bereits erwähnt, als Auffangtatbestand ergänzend zu den speziellen Missbrauchstatbeständen des § 19 Abs. 2 GWB zur Anwendung kommen. Im Rahmen der Missbrauchsprüfung nach § 19 Abs. 1 GWB sind nun nach Auffassung des Bundeskartellamts auch „die auf Grundrechten beruhenden“, „harmonisierten europäischen Datenschutzwertungen , insbesondere nach der verabschiedeten, in den Mitgliedstaaten ab Mai 2018 unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)“ maßgeblich zu berücksichtigen.34 Gegen diese „zwingende[n] europäische[n] Datenschutzwertungen“ verstoße Facebook, „indem das Unternehmen die Nutzung des sozialen Netzwerks davon abhängig macht, unbegrenzt jegliche Zahl Art von Nutzerdaten aus Drittquellen sammeln und mit dem Facebook-Konto zusammenführen zu dürfen.“ Insbesondere die Datensammlung und -nutzung über Schnittschnellen sei „den Nutzern nicht bewusst“ und es sei nicht ersichtlich, dass hierzu deren „wirksame Einwilligung “ vorliege. Facebook müsse als marktbeherrschendes Unternehmen berücksichtigen, dass seine Nutzer nicht auf andere soziale Netzwerke ausweichen könnten. Stattdessen stelle es die Nutzer vor die Wahl, entweder das „Gesamtpaket“ zu akzeptieren oder auf die Nutzung des Dienstes zu verzichten.35 Seine vorläufige Einschätzung bezieht das Bundeskartellamt ausdrücklich zunächst nur auf Nutzerdaten, die aus Drittquellen stammen, seien es die konzerneigenen Dienste WhatsApp oder Instagramm, seien es die Webseiten und Apps anderer Betreiber, auf die 32 Vgl. Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 5 unter Punkt 9: „Dieser Prüfungsrahmen beruht insbesondere auf der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 19 Abs. 1 GWB. Hierfür sind insbesondere zwei BGH-Entscheidungen maßgeblich, die den Konditionenmissbrauch auf der Grundlage der Generalklausel entwickelt haben […] Ein Konditionenmissbrauch ist nach diesen Entscheidungen nicht nur unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB und nach dem dort vorgesehenen Vergleichsmarktkonzept zu prüfen .“ 33 Bei 2. 34 Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 5 f. unter Punkt 9. Wörtlich heißt es: „als Prüfungsrahmen zugrunde zu legen“ (a.a.O. S. 5.). In seiner Pressemitteilung über die Verfahrenseröffnung vom 2. März 2016 (oben bei 1.) stellte das Bundeskartellamt dagegen noch auf das „geltenden nationalen Datenschutzrecht “ ab. 35 Vorläufige Einschätzung vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 10 Facebook über Schnittstellen zugreifen könne. In Bezug auf die Datensammlung und -verwendung auf dem sozialen Netzwerk selbst „wird ausdrücklich offengelassen, ob auch hier Datenschutzverstöße und ein Missbrauch von Marktbeherrschung vorliegen oder nicht.“36 Die Heranziehung datenschutzrechtlicher Wertungen im Rahmen der Missbrauchsprüfung gemäß § 19 Abs. 1 GWB sieht das Bundeskartellamt durch zwei BGH-Entscheidungen jüngeren Datums abgesichert, nämlich „Pechstein“ aus dem Jahre 201637 und VBL-Gegenwert II“ aus dem Jahre 201738.39 In „Pechstein“ hat der BGH klargestellt, dass bei der Auslegung des § 19 GWB auch die betroffenen Grundrechtspositionen der Beteiligten in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung zu berücksichtigen seien. Das gelte insbesondere für Konstellationen, in denen einer der Beteiligten ein so starkes Übergewicht habe, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen und dabei über grundrechtlich verbürgte Positionen des anderen verfügen könne. Dann müsse über eine grundrechtssichernde Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln, zu denen neben §§ 138, 242, 307 und 315 BGB auch § 19 GWB gehöre, korrigierend eingegriffen werden. Auch im Falle einer Fremdbestimmung kann nach Auffassung des BGH allerdings noch eine Vereinbarkeit mit § 19 GWB gegeben sein, solange „die vertragliche Vereinbarung einen sachgerechten Interessenausgleich herstellt.“40 Für die Prüfung des § 19 GWB bedürfe es letztlich „einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes“.41 36 Vorläufige Einschätzung vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.). 37 BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – KZR 6/15 –, SchiedsVZ 2016, S. 218 ff. („Pechstein“). Darin ging es um eine von der International Skating Union (ISU) vorformulierte und von Eisschnellläufern, die an Wettkämpfen teilnehmen wollen, zu unterzeichnende Schiedsvereinbarung, die den Court of Arbitration for Sport (CAS) – unter Ausschluss des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten – als Schiedsgericht für Streitigkeiten über Doping- Verstöße vorsah. Der BGH sah im ISU ein marktbeherrschendes Unternehmen und in der Schiedsvereinbarung eine Geschäftsvereinbarung, verneinte im Ergebnis aber einen Verstoß gegen § 19 GWB, weil es an einem Missbrauch fehle. 38 BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14 –, BeckRS 2017, 104876 („VBL-Gegenwert II“). In „VBL-Gegenwert I“ hatte er noch entschieden, dass die Verwendung derartiger AGB unter den genannten Bedingungen ein Missbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB sein „kann“ (BGH, Urteil vom 6. November 2013 – KZR 58/11 –, BeckRS 2013, 20507 Rn. 65). 39 Vgl. Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 5 f. unter Punkt 9. 40 BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – KZR 6/15 –, SchiedsVZ 2016, S. 218 (224). In konkreten Fall hat das der BGH bejaht. Ein Sportler, der an internationalen Wettkämpfen teilnehmen wolle, habe zwar im Grunde keine andere Wahl, als die Vereinbarung zu unterschreiben, und handle insofern „fremdbestimmt“. Andererseits sei eine flächendeckende einheitliche Anwendung der Anti-Doping-Regeln für einen organisierten Sportbetrieb und im Interesse fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Athleten erforderlich (a.a.O. S. 224 f.). 41 BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 – KZR 6/15 –, SchiedsVZ 2016, S. 218 (223). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 11 In „VBL-Gegenwert II“ hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Vorschriften der §§ 307 ff. BGB42 über die Inhaltskontrolle von AGB widersprechen, einen Missbrauch im Sinne von § 19 Abs. 1 GWB darstelle, „wenn die Vereinbarung der unwirksamen Klausel Ausfluss der Marktmacht oder der großen Machtüberlegenheit des Verwenders ist.“43 Dies habe zum einen zur Folge, dass in solchen Fällen ein Missbrauch auch ohne Berücksichtigung eines Erheblichkeitszuschlags, wie er im Rahmen von § 19 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 GWB zugrunde zu legen ist44, angenommen werden könne. Denn die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel nach § 307 BGB setze, so der BGH, bereits eine Benachteiligung von einigem Gewicht voraus, so dass schon im Rahmen der Prüfung der Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB45 eine Erheblichkeitsprüfung erfolge.46 Zum anderen wird diese Rechtsprechung so gedeutet, dass ein Marktmachtmissbrauch angenommen werden könne, ohne dass es einer Gesamtbetrachtung des „Leistungsbündels“ bedürfe.47 Das Bundeskartellamt, indem es auf diese Rechtsprechung rekurriert, sieht in den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung ebenfalls Wertentscheidungen, die – wie die Grundrechte oder die §§ 307 ff. BGB – zumindest auch darauf ausgerichtet seien, eine gestörte Vertragsparität bzw. ein partielles Marktversagen aufzufangen und deshalb im Rahmen der Prüfung des § 19 Abs. 1 GWB berücksichtigt werden müssten: „Der Bundesgerichtshof hat hier eine Rechtsprechung entwickelt, wonach die Unangemessenheit von Konditionen auch anhand von Wertungen des Zivilrechts, etwa des AGB-Rechts, oder anhand einer grundrechtlichen Interessenabwägung überprüft werden kann. Dies gilt für alle gesetzlichen Wertungen, die den Schutz einer Vertragspartei in einer ungleichgewichtigen Vertragsposition bezwecken. Hieran anknüpfend prüft das Bundeskartellamt die Vertragskonditionen Facebooks anhand datenschutzrechtlicher Wertungen. Denn auch das Datenschutzrecht bezweckt den Schutz des Betroffenen vor ungerechtfertigten Datenverarbeitungen seiner personenbezogenen Daten durch die Marktgegenseite. Es soll gewährleisten, dass ein Nutzer 42 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787). 43 BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 – KZR 47/14 –, BeckRS 2017, 104876 („VBL-Gegenwert II“). In „VBL-Gegenwert I“ hatte er noch entschieden, dass die Verwendung derartiger AGB unter den genannten Bedingungen ein Missbrauch im Sinne des § 19 Abs. 1 GWB sein „kann“ (BGH, Urteil vom 6. November 2013 – KZR 58/11 –, BeckRS 2013, 20507 Rn. 65). 44 Siehe oben bei 3.3.1. 45 § 307 Abs. 1 BGB lautet: „Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.“ 46 BGH, Urteil vom 6. November 2013 – KZR 58/11 –, BeckRS 2013, 20507 Rn. 66 („VBL-Gegenwert I“). 47 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 Abs. 1 GWB Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 12 selbstbestimmt und freiwillig über den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten entscheiden kann.“48 4. Verfahren und mögliche Sanktionen Bei möglichen Verstößen gegen das Missbrauchsverbot des § 19 GWB können die Kartellbehörden von Amts wegen oder auf Antrag ein Verwaltungsverfahren einleiten (§ 54 GWB). Reicht die Wirkung des wettbewerbsbeschränkenden oder diskriminierenden Verhaltens oder einer Wettbewerbsregel über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus, ist das Bundeskartellamt zuständig (§ 48 Abs. 2 Satz 1 GWB). Entsprechendes gilt für mögliche Verstöße gegen das in Art. 102 AEUV statuierte Missbrauchsverbot, solange die EU-Kommission das Verfahren nicht an sich zieht (§ 50 Abs. 1, § 22 Abs. 3 GWB, Art. 11 Abs. 6 VO [EG] Nr. 1/2003).49 Das Bundeskartellamt muss dem Unternehmen, gegen das sich das Verfahren richtet, Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 56 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Dieses kann anbieten, die ihm nach vorläufiger Beurteilung der Kartellbehörde mitgeteilten Bedenken durch eine Verpflichtungszusage auszuräumen (§ 32b Abs. 1 Satz 1, § 32 Abs. 1 GWB). Sind die zugesagten Verpflichtungen nach Auffassung der Behörde geeignet, die Bedenken auszuräumen, so kann sie die Verpflichtungszusage durch Verfügung für bindend erklären (§ 32b Abs. 1 Satz 1 GWB). Durch eine solche Verbindlichkeitserklärung wird das Verwaltungsverfahren grundsätzlich beendet (§ 32b Abs. 1 Satz 2 GWB). Hält das Unternehmen die zugesagte Verpflichtung nicht ein, kann das Verfahren aber wieder aufgenommen werden (§ 32b Abs. 1 Nr. 2 GWB). Das Gleiche gilt, wenn die Verbindlichkeitserklärung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben des Unternehmens beruhte oder wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem wesentlichen Punkt geändert haben (§ 32b Abs. 1 Nr. 1 und 3 GWB). Kommt es nicht zu einer bindenden Verpflichtungszusage oder wird das Verfahren wieder aufgenommen und kommt das Bundeskartellamt zu dem Ergebnis, dass tatsächlich gegen das Missbrauchsverbot verstoßen wurde, erlässt es eine sog. Abstellungsverfügung (§ 32 Abs. 1 GWB). Darin kann es „alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind“ (§ 32 Abs. 2 Satz 1 GWB). Die Kartellbehörde kann also neben einem Verbot des missbräuchlichen Verhaltens auch ein Gebot zu einem aktiven Tun aussprechen.50 Verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen können z.B. in Vorgaben für künftige Vertragsschlüsse bestehen.51 Strukturelle Abhilfemaßnahmen sind dadurch 48 Hintergrundinformationen vom 19. Dezember 2017 (oben bei 1.) S. 4 unter Punkt 6. 49 In diesem Falle würde das Bundeskartellamt allerdings nicht nur in Bezug auf Art. 102 AEUV seine Zuständigkeit verlieren, sondern auch in Bezug auf § 19 GWB, da die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden ihr nationales Recht auf einen Sachverhalt mit zwischenstaatlichen Bezug nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 grundsätzlich nur zusammen mit den europäischen Wettbewerbsregeln anwenden dürfen (vgl. Ritter, in: Immenga /Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2012, Art. 11 VO 1/2003 Rn. 24; Kallfaß, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 11 VO 1/2003 Rn. 69, 77; siehe auch § 22 Abs. 2 GWB). 50 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 69. 51 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 69. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 13 gekennzeichnet, dass sie in die Unternehmenssubstanz eingreifen können. 52 Dazu zählen etwa die Veräußerung von Tochtergesellschaften oder Beteiligungen, die Trennung von Betriebsabteilungen oder einzelnen Vermögensgegenständen sowie die Aufgabe oder Veräußerung von Schutzrechten. 53 Im Kontext des Missbrauchsverbots ist insoweit allerdings zu beachten, dass dieses sich nicht gegen die marktbeherrschende Stellung als solche richtet, sondern nur gegen deren missbräuchliche Ausnutzung.54 Eine umfassende Entflechtung wird daher nur in Ausnahmefällen als Reaktion auf einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot in Betracht kommen.55 Das gilt umso mehr als Abhilfemaßnahmen struktureller Art ohnehin nur festgelegt werden dürfen, wenn keine verhaltensorientierte Abhilfemaßnahme von gleicher Wirksamkeit zur Verfügung steht oder wenn letztere im Vergleich zu Abhilfemaßnahmen struktureller Art mit einer größeren Belastung für das Unternehmen verbunden wäre (§ 32 Abs. 2 Satz 2 GWB). In der Abstellungsverfügung kann das Bundeskartellamt schließlich auch eine Rückerstattung der mit der missbräuchlichen Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung erwirtschafteten Vorteile anordnen (§ 32 Abs. 2a GWB). Der fahrlässige oder vorsätzliche Verstoß gegen das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV oder des § 19 GWB ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 81 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 GWB). Diese kann bei natürlichen Personen mit einer Geldbuße bis zu 1 Million Euro geahndet werden (§ 81 Abs. 4 Satz 1 GWB).56 Bei Unternehmen kann die Geldbuße höher sein (§ 81 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 GWB). Sie darf aber 10 % des Gesamtumsatzes des Unternehmens nicht überschreiten (§ 81 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GWB). Maßgebend ist der weltweite Gesamtumsatz, den das Unternehmen bzw. die wirtschaftliche Einheit, der es angehört (also der Konzern57), in dem Geschäftsjahr, das der Behördenentscheidung vorangegangen ist, erzielt hat (81 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 und 52 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 71. 53 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 71. 54 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 72. 55 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 72. 56 Bei fahrlässigem Handeln ist dieser Höchstbetrag gemäß § 17 Abs. 2 OWiG auf 500.000 Euro zu halbieren. Die bei mit dem Verstoß in Zusammenhang stehenden Aufsichtspflichtverletzungen dem Wortlaut der § 30 Abs. 2 Satz 3, § 130 Abs. 3 Satz 2 OWiG nach an sich vorgesehene Verzehnfachung des Höchstbetrages soll hingegen nicht greifen, weil diese Regelung nur für Straftaten gedacht sei (vgl. Meyer-Lindemann, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rn. 88). 57 BGH, Beschluss vom 26. 2. 2013 – KRB 20/12 –, NJW 2013, 1972 (1975 Rn. 66). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 078/18 Seite 14 Satz 3 GWB).58 Für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in seinem Geschäftsbereich ist das Bundeskartellamt zuständig (§§ 35, 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG59, § 81 Abs. 10 Nr. 3, § 82 GWB). Das Bußgeldverfahren ist aber nicht einfach ein möglicher Teilaspekt des Verwaltungsverfahrens , sondern von diesem zu unterscheiden. Das Verwaltungsverfahren richtet sich grundsätzlich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 54 Abs. 1 Satz 3 GWB), das Bußgeldverfahren nach den Verfahrensregelungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes60. Bestimmte Vermutungsregeln , etwa über das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung ab einem Marktanteil von 40 % (§ 18 Abs. 4 GWB), gelten im Verwaltungsverfahren, nicht aber im Bußgeldverfahren.61 Das gegenwärtig gegen Facebook geführte Verfahren ist laut der „Vorläufigen Einschätzung“ des Bundeskartellamtes vom 19. Dezember 201762 „ein Verwaltungsverfahren. Am Ende des Verfahrens kann es zu einer Einstellung des Verfahrens, Verpflichtungszusagen des Unternehmens oder einer Untersagung durch die Kartellbehörde kommen.“ Neben diesen öffentlich-rechtlichen Konsequenzen hat ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot auch zivilrechtliche Folgen haben. Betroffene Verträge können (müssen aber nicht) gemäß § 134 BGB nichtig sein.63 Mitbewerbern und sonstigen Marktbeteiligten, die durch den Verstoß beeinträchtigt sind, aber auch bestimmten Wirtschafts- und Verbraucherverbände stehen Beseitigungsund Unterlassungsansprüche zu (§ 33 GWB). Diese Verbände können auch die Herausgabe des durch den Verstoß erlangten wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt verlangen, wenn es sich um einen vorsätzlichen Verstoß zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern handelte und der Vorteil nicht bereits von der Kartellbehörde im Verwaltungs- oder Bußgeldverfahren abgeschöpft wurde (§ 34a Abs. 1 GWB).64 Schließlich gibt es bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen eine Anspruch auf Ersatz des daraus entstandenen Schadens (§ 34a Abs. 1 GWB). *** 58 Umstritten, ob und ggf. in welcher Auslegung die umsatzorientierte Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB verfassungsgemäß ist (vgl. Meyer-Lindemann, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 81 GWB Rn. 89 ff.). Der BGH hält die Norm für verfassungsgemäß, wenn man sie „nicht als Kappungsgrenze, sondern als Obergrenze eines Bußgeldrahmens“ verstehe (BGH, Beschluss vom 26. 2. 2013 – KRB 20/12 –, NJW 2013, 1972 [1973 Rn. 55]). 59 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. August 2017 (BGBl. I S. 3295). 60 Meyer-Lindemann, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 115. 61 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 77. 62 Siehe oben bei 1. 63 Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 19 GWB Rn. 78 f..; Meyer-Lindemann, in: Loewenheim u.a., Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 19 GWB Rn. 116. 64 Der Verweis auf § 33 Abs. 2 GWB beruht auf einem redaktionellen Versehen. Bei der Neustrukturierung der Absätze des § 33 GWB hat man offensichtlich versäumt, die Verweisung in § 33a Abs. 1 GWB anzupassen (vgl. BT- Drs. 18/10207, S. 16, 22, 55, 70).