© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 073/17 Das gemeindliche Vorkaufsrecht bei Unternehmenskäufen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 2 Das gemeindliche Vorkaufsrecht bei Unternehmenskäufen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 073/17 Abschluss der Arbeit: 6. Juni 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Urteil des BGH vom 27. Januar 2012 4 3. Das gemeindliche Vorkaufsrecht 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 4 1. Einleitung Im Rahmen von Immobilientransaktionen spielen neben zivilrechtlichen Vorkaufsrechten mitunter auch gemeindliche Vorkaufsrechte eine entscheidende Rolle. Während zivilrechtliche Vorkaufsrechte häufig durch Rechtsgeschäft begründet werden, handelt es sich bei den Vorkaufsrechten der Gemeinde um gesetzliche Vorkaufsrechte. Im Bereich der gesetzlichen Vorkaufsrechte kommt den gemeindlichen Vorkaufsrechten die größte praktische Bedeutung zu.1 Seit dem Bestehen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Vorkaufsrechte versuchen die Beteiligten von Immobilientransaktionen Vorkaufsrechte zu umgehen. „Eine einfallsreiche Kautelarpraxis “, so der Bundesgerichtshof2 (BGH) bereits 1991, habe „seit jeher Versuche unternommen, Vorkaufsrechte zu unterlaufen“. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe darauf sodann „mit einem unterschiedlichen - im Laufe der Zeit verfeinerten - Instrumentarium reagiert.“ Dieses Instrumentarium wurde auch in der Folgezeit durch die Rechtsprechung weiterentwickelt, um weiteren Umgehungsversuchen entgegenzuwirken. Durch Urteil vom 27. Januar 20123 entschied der BGH einen entsprechenden Rechtsstreit zu einem zivilrechtlichen Vorkaufsrecht (Ziffer 2.). Dem vorliegenden Sachstand liegt die Frage zugrunde , ob diese Rechtsprechung auch auf das gemeindliche Vorkaufsrecht anwendbar ist (Ziffer 3.). 2. Urteil des BGH vom 27. Januar 2012 Die Entscheidung befasst sich mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bei Vorliegen einer den Vorkaufsfall auslösenden kaufähnlichen Vertragsgestaltung. Nach dieser Rechtsprechung kann das zivilrechtliche Vorkaufsrecht auch bei einer Unternehmensveräußerung greifen, wenn der Verpflichtete die mit einem Vorkaufsrecht belastete Sache in eine von ihm beherrschte Gesellschaft einbringt und anschließend die Gesellschaftsanteile entgeltlich an einen Dritten überträgt. Die Entscheidung enthält die nachfolgenden tatbestandlichen Feststellungen mit der entsprechenden rechtlichen Würdigung.4 „Den Klägern gehört seit 1986 eine Eigentumswohnung nebst Stellplatz in Form eines Wohnungs - und Teilerbbaurechts. Zu ihren Gunsten bestand ein dingliches Vorkaufsrecht für alle Fälle des Verkaufs des Erbbaugrundstücks. 1 Schermaier, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Vorbem. zu §§ 463 ff. Rn. 13. 2 BGH, Urt. v. 11.10.1991, BGHZ 115, 335 = NJW 1992, 236. 3 BGH, Urt. v. 27.01.2012 (Az. V ZR 272/10), NJW 2012, 1354. 4 Zur Veranschaulichung wurden in Tatbestand und Entscheidungsgründen teilweise Passagen gekürzt und Stellen kursiv hervorgehoben. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 5 Über das Vermögen der ursprünglichen Eigentümerin des Erbbaugrundstücks (nachfolgend: Schuldnerin) wurde 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 3 als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser bot den Klägern einen ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigentumsanteil an dem Grundstück zum Kauf an. Das lehnten die Kläger ab, weil ihnen der Preis zu hoch erschien, während andere Wohnungserbbauberechtigte entsprechende Angebote akzeptierten. Mit notariellem Vertrag vom 24. März 2005 übertrug der Beklagte zu 3 das Eigentum an dem Erbbaugrundstück und an weiteren 86, ebenfalls mit Erbbaurechten belasteten Grundstücken unentgeltlich an die Beklagte zu 1, einer unmittelbar zuvor gegründeten GmbH & Co. KG. Mit weiterem notariellen Vertrag vom selben Tag übertrug der Beklagte zu 3 die Gesellschaftsanteile an der Beklagten zu 1 und an deren Komplementärin zum Preis von 25.000 € für die GmbH-Anteile und von 7,44 Mio. € für die Kommanditanteile auf die V. AG. Die Beklagte zu 1 verwaltet seither die Erbbaurechte für die V. AG. Die Kläger, die aufgrund der am 24. März 2005 geschlossenen Verträge den Vorkaufsfall für eingetreten halten, haben das Vorkaufsrecht ausgeübt. Ihre Klage, mit der sie von den Beklagten zu 1 und zu 3 unter anderem die Übertragung des ihrem Wohnungs- und Teilerbbaurecht entsprechenden Miteigentumsanteils an dem Erbbaugrundstück Zug um Zug gegen Zahlung von 14.860,79 € verlangen, ist in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte zu 3 beantragt, verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter.“5 Nach Ansicht des BGH steht den Klägern in dieser Konstellation ein Vorkaufsrecht zu. Eine interessengerechte Auslegung des § 463 BGB gebiete, „sie auch auf solche Vertragsgestaltungen zwischen dem Verpflichteten und dem Dritten anzuwenden, die bei materieller Betrachtung einem Kauf im Sinne des Vorkaufsrechts so nahe kommen, dass sie ihm gleichgestellt werden können, und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seines Erwerbs- und Abwehrinteresses "eintreten " kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen“.6 Eine kaufähnliche Vertragsgestaltung in diesem Sinne könne also auch dann gegeben sein, wenn der Verpflichtete die mit einem Vorkaufsrecht belastete Sache in eine von ihm beherrschte Gesellschaft einbringe und anschließend die Gesellschaftsanteile entgeltlich an einen Dritten übertrage .7 Maßgeblich sei auch hier, ob ein interessengerechtes Verständnis der gewählten Vertragsgestaltung zu dem Ergebnis führe, dass allen formellen Vereinbarungen zum Trotz der Wille der Vertragsschließenden auf eine Eigentumsübertragung (auch) der vorkaufsbelasteten Sache gegen Zahlung eines bestimmten Preises gerichtet gewesen sei.8 5 BGH, Urt. vom 27.01.2012, Rdnr. 4. 6 BGH, Urt. vom 27.01.2012, Rdnr. 8. 7 Vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 27.09.1990, NJW-RR 1992, 461. 8 So bereits BGH, Urt. v. 20.03.1998, NJW 1998, 2136. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 6 Dies sei vorliegend der Fall. Die Veräußerung eines Unternehmens, welches keinen anderen Zweck habe, als die in seinem Eigentum stehenden Grundstücke zu verwalten, stehe dem Verkauf dieser Grundstücke gleich. Werde ein Unternehmen erkennbar nur zwecks Verwertung der Grundstücke gegründet, so sei dieses nicht als selbständiges Unternehmen anzusehen. In diesem besonderen Fall kommt der BGH also zu dem Schluss, dass das zivilrechtliche Vorkaufsrecht auch bei einer Unternehmensveräußerung greifen kann, wenn ein Grundstück unmittelbar zuvor und nur zwecks Verwertung in die zu veräußernde Gesellschaft eingebracht wurde. 3. Gemeindliche Vorkaufsrecht Im Unterschied zu zivilrechtlichen Vorkaufsrechten handelt es sich bei den gemeindlichen Vorkaufsrechten der §§ 24 ff. Baugesetzbuch9 (BauGB) vor allem um ein sog. städtebauliches Planungsinstrument zur Sicherung der Bauleitplanung.10 Darüber hinaus dienen sie auch der Planrealisierung und der Sicherung weiterer städtebaulicher Maßnahmen. Das BauGB unterscheidet zwischen dem allgemeinen – kraft Gesetzes entstehenden – Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB und dem besonderen (Satzungs-)Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB. Letzteres wird von der Gemeinde durch eine Regelung in einer Satzung begründet. Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB gelten für das gemeindliche Vorkaufsrecht die Regelungen zum schuldrechtlichen Vorkaufsrecht nach §§ 463, 464 Abs. 2, 465 bis 468 und 471 BGB entsprechend . Nach § 24 Abs. 1 BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht grundsätzlich nur beim Kauf von Grundstücken zu. Erforderlich ist demnach ein wirksamer Grundstückskaufvertrag, der von einem Verkäufer mit einem Dritten über ein Grundstück abgeschlossen wird (sog. Vorkaufsfall). Verkauft also der Eigentümer ein Grundstück an einen Dritten, kann die Gemeinde unter bestimmten Voraussetzungen ihr Vorkaufsrecht ausüben. Hierdurch kommt ein Kaufvertrag zwischen dem „Verpflichteten“ (Verkäufer) und der Gemeinde zustande. Der Vertrag zwischen dem Verkäufer und der Gemeinde kommt dann zu den Bedingungen zustande, auf die sich der Verkäufer mit dem ursprünglichen Käufer geeinigt hatte. Andere Rechtsgeschäfte als der Grundstückskauf unterliegen nicht dem gemeindlichen Vorkaufsrecht . In der Praxis sind Veräußerungsverträge bei Grundstücken allerdings zuweilen vielschichtig und komplex. Sie können nicht immer nur einem Vertragstypus zugeordnet werden. Nach der Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte kommen Fallgestaltungen in Betracht, in de- 9 Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.09.2004 (BGBl. I S. 2414), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 04.05.2017 (BGBl. I S. 1057). 10 Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 123. EL Oktober 2016, § 24 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 073/17 Seite 7 nen ein Vorkaufsrecht ausgelöst wird, obwohl kein Kaufvertrag über ein Grundstück vorliegt. Dabei sind die Grundsätze der obergerichtlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte im Wesentlichen auf das gemeindliche Vorkaufsrecht nach dem BauGB übertragen worden.11 Kein Vorkaufsrecht besteht nach gefestigter Rechtsprechung aber in folgenden Fällen12: Grundstückstausch , Schenkung, gemischte Schenkung, Ringtausch, Bestellung eines Erbbaurechts, Erbbauauseinandersetzungsvertrag , Erbteilverkauf, Veräußerung eines ideellen Bruchteils an einem Grundstück an einen Miteigentümer, Einbringung eines Grundstücks in eine Gesellschaft, Übertragung von Anteilen einer Gesellschaft, auch wenn ein Grundstück der einzige Vermögensgegenstand der Gesellschaft ist13. Umstritten14 bleibt in diesem Zusammenhang, nach welchen Kriterien kaufähnliche Verträge generell als Umgehungsgeschäfte zu bewerten sind. Ob im Einzelfall ein Vertrag als kaufähnlich anzusehen ist, wird vom BGH durch Vertragsauslegung und nach den im Urteil vom 27. Januar 2012 (vgl. hierzu Ziffer 2.) dargestellten Maßstäben ermittelt. Veräußerungsverträge, die ausschließlich den Zweck haben, das gemeindliche Vorkaufsrecht zu vereiteln, dürften nach diesen Maßstäben als Umgehungsgeschäft zu bewerten sein und somit ein Vorkaufsrecht der Gemeinde auslösen.15 *** 11 Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 123. EL Oktober 2016, § 24 Rn. 53; Vogt, Umgehung des Vorkaufsrecht, in: FS Wenzel zum 65. Geburtstag, 2005, S. 459 f.. 12 Vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch 13. Auflage 2016, § 24 Rn. 16; Grziwotz, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck’scher Online-Kommentar, BauGB, Stand: 1. Mai 2017, § 24 Rn. 2. 13 Grziwotz, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck’scher Online-Kommentar, BauGB, Stand: 1. Mai 2017, § 24 Rn. 2. 14 Vgl. zum Streitstand die eingehende Darstellung bei Schermaier, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 463 Rn. 27 ff. 15 Grziwotz, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck’scher Online-Kommentar, BauGB, Stand: 1. Mai 2017, § 24 Rn. 3; Preuß, in: Schreiber, Handbuch Immobilienrecht, Kapitel 15 Rn. 67.