© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 072/19 Strafbarkeit des Vergleichs von Schwangerschaftsabbrüchen mit Tatbeständen des Völkermordes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen über Schwangerschaftsabbrüche beurteilen sich insbesondere nach dem Strafgesetzbuch (StGB)1. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frage, inwiefern ein Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit Tatbeständen des Völkermordes oder mit unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft begangenen Taten strafbar ist. 2. § 130 Abs. 4 StGB Gemäß § 130 Abs. 4 StGB wird bestraft, wer „öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“. Billigen meint das ausdrückliche oder schlüssige Gutheißen der betreffenden Handlung. Verherrlichen umfasst das Berühmen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft als etwas Großartiges , Imponierendes oder Heldenhaftes. Rechtfertigen verlangt das Verteidigen der die NS-Gewalt - und Willkürherrschaft kennzeichnenden Verletzungen der Menschenrechte als notwendige Maßnahmen; dabei genügt es, wenn die Handlungsweise eines für die Menschenrechtsverletzung Verantwortlichen als richtig oder gerechtfertigt dargestellt wird.2 Kennzeichnend für die drei Tatbestandsvarianten ist demnach eine positive Konnotation (Aufwertung) der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Erfolgt ein Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft mit dem Ziel, Abtreibungen als verwerflich darzustellen, so wird die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gerade nicht als positives, sondern als negatives Vergleichsobjekt herangezogen. 3. § 130 Abs. 3 StGB Die strafrechtlichen Grenzen zulässiger Vergleiche von Schwangerschaftsabbrüchen mit Völkermorden ergeben sich vorrangig aus § 130 Abs. 3 StGB. Strafbar ist, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB)3 bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Bezugsobjekt der strafbaren Billigung, Leugnung oder Verharmlosung sind damit ausschließlich Völkermorde, die unter Herrschaft des Nationalsozialismus begangen worden sind. Diese Vorschrift ist im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nicht schon dann über- 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. 03. 2019 (BGBl. I S. 350); abrufbar unter http://www.gesetze-im-internet .de/stgb/BJNR001270871.html (letzter Abruf: 26.04.2019). 2 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 92 - 94. 3 Völkerstrafgesetzbuch vom 26. 06. 2002 (BGBl. I S. 2254), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. 12. 2016 (BGBl. I S. 3150); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb/BJNR225410002.html (letzter Abruf: 26.04.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 072/19 Seite 5 schritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen.4 Verharmlosung ist gegeben, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert.5 Dies ist beispielsweise bei Angabe einer zu geringen Opferzahl oder der Weglassung tatsächlicher Umstände des Völkermordes wie der Gaskammermorde gegeben .6 Häufig wird die Verharmlosung Ausdruck agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Missachtung sein, welche der Gesetzgeber allesamt erfassen wollte.7 Die Intention solchen Verharmlosens ist es, die erfassten Völkermorde abzuwerten. Indizien für die Tatbestandsmäßigkeit können insbesondere die äußeren Umstände der Aussage sein wie eine revisionistische Veranstaltung, aber auch inhaltliche Zusätze wie die Verbindung mit dem Vorwurf der finanziellen Erpressung Deutschlands durch das Judentum, also die qualifizierte Auschwitzleugnung.8 Steht eine relativierende Ausdrucksweise in Rede, ist der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Zuhörers oder Lesers durch genaue Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln.9 Eine klare Grenze zu ziehen, wird häufig auf Probleme stoßen.10 So wird eine Strafbarkeit von Vergleichen grundsätzlich für möglich gehalten, aber eine verfassungskonforme, enge Auslegung der Verharmlosung angemahnt.11 Eine Bezug- 4 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2018, 2861. 5 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 94. 6 Lohse, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2018, § 130 StGB Rn. 36; Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 82. Kritisch mit Blick auf den Wortlaut des Gesetzes Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Kommentar zum StGB, 5. Auflage 2017, § 130 Rn. 28. 7 Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 06. 04. 2000, 1 StR 502/99, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 2217¸Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 130 Rn. 82. 8 Stegbauer, Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2000, 281 (285). 9 BGH, Urteil vom 06.04.2000, 1 StR 502/99, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 2217. 10 Schittenhelm, in: Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Kommentar zum StGB, 30. Auflage 2019, § 130 Rn. 21. 11 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Kommentar zum StGB, 5. Auflage 2017, § 130 Rn. 28. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 072/19 Seite 6 nahme auf andere Genozide ist ohne weitere Elemente des Verharmlosens nicht tatbestandsmäßig .12 Dies ergibt sich schon aus der gesetzgeberischen Wertung des § 194 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB.13 Entscheidend ist letztlich stets der Kontext der Äußerungen.14 Verharmlosen muss immer Bezug nehmen auf die NS-Verbrechen selbst.15 Systematisch ist darauf hinzuweisen, dass § 130 Abs. 3 StGB nicht jeden Bezug auf die nationalsozialistische Gewalt - und Willkürherrschaft umfasst, sondern nur Handlungen im Sinne des § 6 Abs. 1 VStGB. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht.16 Der weitergehende § 130 Abs. 4 StGB dagegen enthält gerade nicht das Merkmal des Verharmlosen. Dies ist auch eine bewusste Entscheidung gewesen, weil Bedenken gegen eine zu weite Fassung aufkamen.17 Weiterhin muss das Verharmlosen – wie auch das Billigen oder Leugnen – geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Teilweise wird der Friedensgefährdung jede eigenständige Bedeutung abgesprochen.18 Andere Autoren sehen gerade bei der Tathandlung des Verharmlosens Restriktionsbedarf , der unter anderem durch das Tatbestandsmerkmal der Friedensgefährdung geleistet werden könne.19 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verlangt, dass bei der Begehungsvariante des Verharmlosens die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen ist.20 4. Zivilrechtliche Entscheidungen Ein Vergleich von Abtreibungen mit dem Holocaust durch die Wortneubildung „Babycaust“ ist zivilrechtlich nicht untersagt worden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wiege hier schwerer .21 Der Bundesgerichtshof (BGH) hat betont, dass es sich hier um eine Meinungsäußerung im 12 Rackow, in: Beck´scher Online-Kommentar zum StGB, 41. Edition, Stand: 01.02.2019, § 130 Rn. 34.4; Stegbauer, Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2000, 281 (285). 13 Stegbauer, Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2000, 281 (285). 14 Schittenhelm, in: Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Kommentar zum StGB, 30. Auflage 2019, § 130 Rn. 21. 15 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Kommentar zum StGB, 5. Auflage 2017, § 130 Rn. 28. 16 BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2018, 2861. 17 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Kommentar zum StGB, 5. Auflage 2017, § 130 Rn. 28. 18 Stegbauer, Der Straftatbestand gegen die Auschwitzleugnung - eine Zwischenbilanz, Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2000, 281 (285). 19 Ostendorf, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Kommentar zum StGB, 5. Auflage 2017, § 130 Rn. 29. 20 BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2018, 2861. 21 BGH, Urteil vom 30.05.2000, VI ZR 276/99, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 3421. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 072/19 Seite 7 Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden , fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, handele. Zugleich habe es sich in diesem Falle, wie aus dem Gesamtkontext ersichtlich, gerade nicht um eine echte Gleichsetzung gehandelt.22 Die Initiatoren einer Werbekampagne, in welcher ein Vergleich von Massentierhaltung mit einem unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord in Form des Satzes „Der Holocaust auf ihrem Teller“ erfolgt, wurden zivilrechtlich zur Unterlassung verurteilt.23 Das BVerfG hat Verfassungsbeschwerden hiergegen nicht zur Entscheidung angenommen.24 § 130 StGB war nicht Gegenstand der Entscheidungen. Das LG Berlin bezog sich ausdrücklich auf die „Babycaust“-Entscheidung25 und vertrat die Auffassung, dass die bildliche Darstellung weitaus intensiver sei als ein rein verbaler Vergleich.26 5. Fazit Die Grenzen zulässiger Meinungsäußerungen sind im Lichte der Meinungsfreiheit im Einzelfall zu bestimmen. § 130 Abs. 3 und Abs. 4 StGB stellen eine Aufwertung nationalsozialistischen Unrechts sowie die Abwertung der Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe. Inwieweit in der Missbilligung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Anstellung eines Vergleichs mit unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten eine Verharmlosung derselben liegt, kann nur unter eingehender Beachtung des Kontextes der Meinungsäußerung einzelfallabhängig entschieden werden. Auch die zivilrechtliche Judikatur ist hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Vergleiche nicht einheitlich. *** 22 BGH, Urteil vom 30.05.2000, VI ZR 276/99, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 3421. 23 LG Berlin, Urteil vom 22.04.2004, 27 O 207/04, BeckRS 2004, 14658. 24 BVerfG, Beschluss vom 20.02.2009, 1 BvR 2266/04, 1 BvR 2620/05, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2009, 3089. 25 BGH, Urteil vom 30.05.2000, VI ZR 276/99, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 3421. 26 LG Berlin, Urteil vom 22.04.2004, 27 O 207/04, BeckRS 2004, 14658.