© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 071/20 Straßenverkehrsordnungsrechtliche Einzelfragen Innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h und (temporäre) Radfahrstreifen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 2 Straßenverkehrsordnungsrechtliche Einzelfragen Innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h und (temporäre) Radfahrstreifen Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 071/20 Abschluss der Arbeit: 30. Juni 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtliche Rahmenbedingungen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h 4 2.1. Streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen 5 2.1.1. Materielle Voraussetzungen 5 2.1.2. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen 7 2.2. Tempo 30-Zonen 8 3. Rechtliche Rahmenbedingungen einer Anordnung von innerörtlichen Radfahrstreifen auf Bundesstraßen 9 3.1. Materielle Voraussetzungen 10 3.1.1. Voraussetzungen der Generalklausel des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO 10 3.1.2. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 StVO 11 3.2. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen 12 3.3. Anknüpfungspunkte und Besonderheiten bei der Anordnung von (temporären) Radfahrstreifen im Zuge der COVID-19-Pandemie 12 3.3.1. Einzelne Anknüpfungspunkte beim Begriff der Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 1 StVO 14 3.3.2. Einzelne Anknüpfungspunkte nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und Nr. 6 StVO 16 3.3.3. Verfahrensrechtliche Besonderheiten 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 4 1. Einleitung Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht(vgl. § 1 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO)1). Zudem haben sich alle Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar , behindert oder belästigt wird (§ 1 Abs. 2 StVO). Gleichzeitig nimmt der sog. Verkehrsaufwand 2, also die Gesamtfahrleistung im Personen- und Güterverkehr, in der Bundesrepublik Deutschland stetig zu.3 Demnach konkurrieren immer mehr Verkehrsteilnehmer um das nur begrenzt zur Verfügung stehende öffentliche Straßenland. Um hier im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zwischen den Verkehrsteilnehmern untereinander aber etwa auch in Bezug zu Dritten zu erreichen und so insbesondere höhere Verkehrssicherheit zu gewährleisten, können die zuständigen Straßenverkehrsbehörden straßenrechtliche Anordnungen treffen, um regelnd in den Verkehr einzugreifen. Im Folgenden sollen diesbezüglich einzelne Fragestellungen, insbesondere zur Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 30 km/h auf Bundesstraßen innerhalb geschlossener Ortschaften (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2) sowie zur Anordnung von Radfahrstreifen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3) unter Berücksichtigung der Situation bei temporären Radfahrstreifen, sog. Pop-up Radwegen oder Pop-up Bike Lanes, überblicksartig näher beleuchtet werden. Dabei wird auch die Rechtslage im Hinblick auf Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen einbezogen. 2. Rechtliche Rahmenbedingungen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h Eine innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h ist grundsätzlich sowohl durch die Einrichtung einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung (vgl. Zeichen 2744) als auch durch die Einführung einer sog. Tempo 30-Zone (vgl. Zeichen 274.15) möglich. Zwar stellen beide Formen im Ergebnis eine für alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung dar, gleichwohl bestehen bei den Anordnungsvoraussetzungen Unterschiede . Nachstehend sollen daher beide Formen sukzessive überblicksartig dargestellt werden. 1 Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl. I S. 367), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 20. April 2020 (BGBl. I S. 814) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/stvo_2013/. 2 Zum Begriff des Verkehrsaufwands vgl. die Begriffsdefinition des Umweltbundesamts: „Wird die Fahrleistung mit der Zahl der beförderten Personen multipliziert, ergibt das den Verkehrsaufwand gemessen in Personenkilometern (Pkm). Wird die Fahrleistung des Güterverkehrs mit den beförderten Tonnen multipliziert, ergibt sich der Verkehrsaufwand gemessen in Tonnenkilometern (tkm)“, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt .de/service/glossar/v?tag=Verkehrsaufwand#alphabar (letzter Abruf dieses Links und aller weiteren: 30. Juni 2020). 3 Vgl. Erhebung und Datensatz des Umweltbundesamts: „Fahrleistungen, Verkehrsaufwand und Modal Split“, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleistungen-verkehrsaufwand-modalsplit #fahrleistung-im-personen-und-guterverkehr. 4 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 7, Nr. 49, Zeichen 274. 5 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 7, Nr. 49, Zeichen 274.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 5 2.1. Streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen Wer ein Fahrzeug führt, darf im Bereich einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung nicht schneller als mit der jeweils angegebenen Höchstgeschwindigkeit fahren (vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 7, Nr. 49, Zeichen 274, Ziffer 1). Die Anordnung einer solchen Beschränkung erfordert das Vorliegen der materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen in jedem Einzelfall. 2.1.1. Materielle Voraussetzungen Nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h stellt eine Beschränkung in diesem Sinne dar.6 „Maßnahmen aus Gründen der Verkehrssicherheit setzen eine Gefahrenlage voraus, die bei durchschnittlichen Verkehrsverhältnissen die Unfallsituation negativ beeinflussen kann. Nicht erforderlich ist eine unmittelbare (konkrete) Gefahr, vielmehr reicht die (abstrakte) Gefährlichkeit von Verkehrssituationen zu bestimmten Zeiten aus, um Eingriffe der Verkehrsbehörde auszulösen, z.B. durch den Ausbauzustand der Straßen, Kurven, […] erhebliche Verkehrsdichte “.7 Auch das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, dass es zur Annahme einer derartigen Gefahrenlage nicht des Nachweises bedarf, „daß jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist. Es genügt die Feststellung, die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder auf einer bestimmten Strecke einer Straße lege die Befürchtung nahe, es könnten - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten“.8 6 Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2001, Az.: 3 C 23.00, NZV 2001, 528, 529. 7 Vgl. Schurig, in: Kommentar zur Straßenverkehrsordnung mit VwV-StVO, 16. Auflage 2018, § 45, S. 725. 8 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1995, Az.: 11 B 23.95, NZV 1996, 86. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 6 Beschränkungen des Verkehrs aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs erfordern mithin eine sorgfältige Prüfung in jedem Einzelfall, ob der Eintritt eines schädigenden Ereignisses hinreichend wahrscheinlich ist.9 Erforderlich ist insoweit keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit , sondern genügend ist vielmehr eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit.10 Ob im konkreten Einzelfall eine Gefahrenlage vorliegt, die die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h rechtfertigt, bestimmt sich nach den besonderen örtlichen Verhältnissen und ist abhängig von einer Vielzahl von verschiedenen Faktoren.11 Zur Ordnung des Verkehrs gehören „der ruhende Verkehr sowie die Flüssigkeit und Leichtigkeit des fließenden Verkehrs. […] Entscheidend ist dabei weniger die Gewährleistung der Schnelligkeit als die Bewältigung des Massenverkehrs. Hierzu gehört vor allem eine homogene Verkehrsregelung in der Weise, dass möglichst viele KFZ den knappen Straßenraum benutzen können. Als Reflex ordnender Maßnahmen wird häufig auch eine Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht.“12 Sofern und soweit die Straßenverkehrsbehörden im konkreten Einzelfall nach Maßgabe der vorstehend beschriebenen Voraussetzungen zu dem grundsätzlichen Entschluss gelangen, eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h anzuordnen, ist ermessenskonkretisierend13 hinzukommend die Regelung des § 45 Abs. 9 StVO zu beachten. Denn diese gilt allgemein für die Einführung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen und ist daher auch für die Anordnung einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbegrenzung anzuwenden. Danach sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist (§ 45 Abs. 9 S.1 StVO). Gefahrzeichen dürfen dabei nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss (§ 45 Abs. 9 S.2 StVO). Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in § 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 S.3 StVO). Die Verwaltungsbehörden haben bei der Anordnung von Verkehrszeichen und anderen Verkehrseinrichtungen mithin sehr restriktiv zu verfahren und dürfen nur dort regelnd eingreifen, wo es aufgrund der besonderen Umstände unbedingt geboten ist und sofern und soweit die allgemeinen 9 Vgl. etwa Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Auflage 2020, § 45 StVO, Rn. 3. 10 Vgl. etwa OVG Koblenz, Urteil vom 25. August 2016, Az.: 7 A 10885/14.OVG, BeckRS 2016, 51816. 11 Vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. Februar 2016, Az.:12 LA 211/14, BeckRS 2016, 41542; Hühnermann , a.a.O., Rn. 7a. 12 Vgl. Schurig, a.a.O., S. 723. 13 Vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 45, Rn. 28a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 7 und besonderen Verhaltensregeln der Verordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen.14 Insbesondere im Bereich von Ortsdurchfahrten, einschließlich solcher von Bundesstraßen, führen diese Konkretisierungen mithin dazu, dass Tempolimits aus Gründen der Verkehrssicherheit nur dann angeordnet werden können, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Gefahrenlage gegeben ist, ein über das normale Maß hinausgehendes Unfallrisiko besteht und zudem keine alternative Möglichkeit gegeben ist, die örtliche Verkehrssicherheit zu verbessern.15 Einschränkungen erfährt dieser Grundsatz seit dem Inkrafttreten der Ersten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung, und der damit verbundenen Einführung des § 45 Abs. 9 StVO im Dezember 2016,16 wiederum durch § 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 6 StVO. Danach sind innerörtliche streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h auf Straßen des überörtlichen Verkehrs oder auf weiteren Vorfahrtstraßen im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern auch unabhängig vom Bestehen einer besonderen Gefahrenlage ausdrücklich zulässig. § 45 Abs. 9 S. 3 StVO gilt insoweit nicht. 2.1.2. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen Nach § 44 Abs. 1 S. 1 StVO liegt die sachliche Zuständigkeit zur Ausführung der StVO, mithin auch für Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO, grundsätzlich bei den Straßenverkehrsbehörden . Nach Maßgabe des Landesrechts kann die Zuständigkeit der obersten Landesbehörden und der höheren Verwaltungsbehörden im Einzelfall oder allgemein allerdings auch auf eine andere Stelle übertragen werden (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2 StVO). Über die Anordnung von Verkehrszeichen – und mithin auch Geschwindigkeitsbegrenzungen – darf entsprechend Rn. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu den §§ 39 bis 43 der StVO (VwV-StVO)17 nur in jedem Einzelfall und nur nach gründlicher Prüfung (ggf. unter Zuziehung ortsfremder Sachverständiger) entschieden werden. Gemäß VwV-StVO zu § 45 Abs. 1 bis 1e Rn. 8 bedarf die Straßenverkehrsbehörde zur Anbringung des entsprechenden, die Geschwindigkeit begrenzenden , Zeichens (Zeichen 274) weiterhin der Zustimmung der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle. Außerdem ist bei der Straßenbaubehörde gegebenenfalls eine Prüfung anzuregen, ob an Stelle von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen vorrangig durch verkehrstechnische oder bauliche Maßnahmen eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann (vgl. VwV-StVO zu § 45 Abs. 9 Rn. 72 i.V.m. VwV-StVO zu den §§ 39 bis 43 Rn. 1). 14 Vgl. etwa Hühnermann, a.a.O., Rn. 2. 15 Vgl. etwa die online-Zusammenstellung des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg: „Sicherheit – Tempolimits “, abrufbar unter: https://vm.baden-wuerttemberg.de/de/politik-zukunft/verkehrssicherheit/tempolimits /. 16 Erste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2848). 17 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung vom 26. Januar 2001 in der Fassung vom 22. Mai 2017 (BAnz AT 29.05.2017 B8), abrufbar unter: http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet .de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 8 Weiterhin führt die VwV-StVO zu § 45 Abs. 3 Rn. 54 aus, dass vor der Entscheidung über die Anbringung oder Entfernung jedes Verkehrszeichens und jeder Verkehrseinrichtung die Straßenbaubehörden und die Polizei zu hören sind und in Zweifelsfällen auch andere Sachverständige herangezogen werden sollen. Sofern nach § 5b Straßenverkehrsgesetz (StVG)18 ein Dritter der Kostenträger ist, soll auch dieser gehört werden. Verkehrsschilder, die – wie hier dargelegt – Ge- oder Verbote enthalten, stellen nach der Rechtsprechung Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung gemäß § 35 S. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG)19 dar.20 Eine vorherige Anhörung von gegebenenfalls betroffenen Bürgern muss daher nicht erfolgen; ein Begründungszwang entfällt (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 4, § 41 Abs. 3 S. 2 und § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG).21 2.2. Tempo 30-Zonen Die Errichtung einer Tempo-30-Zone, also eines Bereichs des öffentlichen Straßenverkehrs, innerhalb dessen sich alle Fahrzeuge höchstens mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h fortbewegen dürfen22, richtet sich demgegenüber maßgeblich nach § 45 Abs. 1c S. 1 StVO23. Danach können die zuständigen Straßenverkehrsbehörden innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde anordnen. Eine solche Zonen-Anordnung darf sich dabei nach § 45 Abs. 1c S. 2 StVO allerdings insbesondere weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes- Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen erstrecken. Maßnahmen nach § 45 Abs. 1c S. 1 StVO stehen ebenso wie streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkungen im straßenverkehrsbehördlichen Ermessen der zuständigen Behörde und sind 18 Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2008) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stvg/. 19 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 25 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/. 20 BVerwG, Urteil vom 23. September 2010, Az.: 3 C 37/09, NJW 2011, 246, 247. 21 Waldhoff, in: Allgemeines Verwaltungsrecht: Verkehrsschild als Allgemeinverfügung, Besprechung zu BVerwG, Urteil vom 23. September 2010, Az.: 3 C 37/09, JuS 2011, 953, 954. 22 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 7, Nr. 50, Zeichen 274.1. 23 Vgl. auch Hühnermann, a.a.O., Rn. 10a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 9 insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Grundrechte jedes Einzelnen begrenzt.24 Nach VwV-StVO zu § 45 Abs. 1 bis 1e Rn. 37 ff. soll die Anordnung von Tempo 30-Zonen daher nur „auf der Grundlage einer flächenhaften Verkehrsplanung der Gemeinde vorgenommen werden , in deren Rahmen zugleich das innerörtliche Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) festgelegt werden soll. Dabei ist ein leistungsfähiges, auch den Bedürfnissen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Wirtschaftsverkehrs entsprechendes Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) sicherzustellen. Der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (wie Rettungswesen, Katastrophenschutz , Feuerwehr) sowie der Verkehrssicherheit ist vorrangig Rechnung zu tragen. Zonen- Geschwindigkeitsbeschränkungen kommen nur dort in Betracht, wo der Durchgangsverkehr von geringer Bedeutung ist. Sie dienen vorrangig dem Schutz der Wohnbevölkerung sowie der Fußgänger und Fahrradfahrer. In Gewerbe- oder Industriegebieten kommen sie daher grundsätzlich nicht in Betracht.“ 3. Rechtliche Rahmenbedingungen einer Anordnung von innerörtlichen Radfahrstreifen auf Bundesstraßen Das Fahrrad erfährt als Verkehrsmittel – und mithin als gleichberechtigter Teilnehmer am Straßenverkehr 25 – eine immer größere Bedeutung. So nutzen nach Aussagen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) inzwischen über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung regelmäßig das Fahrrad und verzichten insbesondere bei kürzeren Distanzen zunehmend auf den Pkw.26 Zahlreiche Erhebungen gehen zudem davon aus, dass die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie diesen Trend noch verstärken.27 Um die Teilhabe der Fahrradfahrer am Verkehrsaufwand zu gewährleisten, sieht die StVO daher zu deren Schutz unter anderem besondere Zeichen und Verkehrseinrichtungen vor. Demnach können insbesondere auch sog. Radfahrstreifen , also mit einer durchgezogenen Linie (Verkehrszeichen 29528) von der Fahrbahn für Kraftfahrzeuge abgetrennte und mit dem Verkehrszeichen 23729 gekennzeichnete Streckenabschnitte , angeordnet werden. Nachfolgend sollen zunächst überblicksartig die rechtlichen Rahmenbedingungen der Anordnung solcher Radfahrstreifen im innerörtlichen Bereich von Bundesstraßen dargestellt werden (vgl. dazu nachfolgend Ziffern 3.1. und 3.2.). Sodann werden unter 24 Wolf, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, Stand: 30. April 2020, § 45 StVO, Rn. 11. 25 Vgl. Schurig, a.a.O., S. 725. 26 Vgl. etwa online-Artikel des BMVI: „Radverkehr“, abrufbar unter: https://www.bmvi.de/DE/Themen/Mobilitaet /Fahrradverkehr/fahrradverkehr.html. 27 Vgl. so etwa Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC): „Corona und Mobilität: Mehr Homeoffice, weniger Berufsverkehr“, abrufbar unter: https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien/mobilitaetstrends /corona-mobilitaet/. 28 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 9, Nr. 68, Zeichen 295. 29 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 5, Nr. 16, Zeichen 237. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 10 Ziffer 3.3. Anknüpfungspunkte und Besonderheiten bei der Anordnung von (temporären) Radfahrstreifen (oft auch als „Pop-up Radwege“ oder „Pop-up Bike Lanes“ bezeichnet) im Zuge der COVID-19-Pandemie näher beleuchtet. Da es sich in der verkehrsrechtlichen Praxis hierbei jeweils um einzelfallabhängige Anordnungsmaßnahmen handelt, bleibt die Darstellung auf für die einzelnen Fragen grundsätzliche Aspekte beschränkt. 3.1. Materielle Voraussetzungen Zum besseren Verständnis der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung eines Radfahrstreifens ist Ausgangspunkt zunächst die in § 2 StVO geregelte (verpflichtende) Straßenbenutzung durch Fahrzeuge. Zwar ist es nach § 2 Abs. 4 StVO insoweit auch Fahrradfahrern grundsätzlich gestattet , die Fahrbahnen zu nutzen, allerdings steht ihnen insoweit kein ausschließliches Nutzungsrecht an bestimmten Fahrstreifen zu. Die Anordnung eines Radfahrstreifens innerhalb geschlossener Ortschaften im Sinne des § 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 3 StVO ändert dies. Da es sich hierbei um einen Sonderweg für Radfahrer handelt, dürfen andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere Pkw, diesen nicht benutzen.30 Für die Anordnung von Radfahrstreifen kommen in materieller Hinsicht verschiedene Rechtsgrundlagen in Betracht, die nachfolgend sukzessive näher erörtert werden. So können die Straßenverkehrsbehörden zunächst nach der Generalklausel des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3.1.1.). Das gleiche Recht haben sie nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 StVO unter anderem hinsichtlich der zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen sowie zur Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 3.1.2.). 3.1.1. Voraussetzungen der Generalklausel des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO Wie oben unter Ziffer 2.1.1. dargelegt, können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 1 S. 1 StVO wird auf das oben unter Ziffer. 2.1.1. Gesagte verwiesen. Ob im konkreten Einzelfall eine Gefahrenlage vorliegt, die die Anordnung eines Radfahrstreifens rechtfertigt, bestimmt sich nach den besonderen örtlichen Verhältnissen und ist – wie oben dargelegt – abhängig von einer Vielzahl von verschiedenen Faktoren.31 30 Vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, Abschnitt 5, Nr. 16, Zeichen 237, Ziffer 2. 31 Vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. Februar 2016, Az.:12 LA 211/14, BeckRS 2016, 41542; Hühnermann , a.a.O., Rn. 7a. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 11 Sofern und soweit die Straßenverkehrsbehörden im konkreten Einzelfall nach Maßgabe der beschriebenen Voraussetzungen zu dem grundsätzlichen Entschluss gelangen, einen Radfahrstreifen anzuordnen, ist ermessenskonkretisierend32 insoweit ebenfalls die oben unter Ziffer 2.2.1. beschriebene Regelung des § 45 Abs. 9 S. 1 StVO zu beachten. Von den über die Vorgaben des § 45 Abs. 9 S. 1 StVO noch hinausgehenden strengen Regelungen33 des § 45 Abs. 9 S. 3 StVO sind Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften indes wiederum ausdrücklich ausgenommen (vgl. § 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 3 StVO). Eine entsprechende Anordnung ist mithin auch ohne die in § 45 Abs. 9 S. 3 StVO normierte besondere Gefahrenlage mit einem erheblichen Übersteigen des allgemeinen Risikos für von den nach § 45 StVO geschützten Rechtsgütern zulässig.34 3.1.2. § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 StVO Nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 StVO können die Straßenverkehrsbehörden den Verkehr zudem beschränken und verbieten, sofern die entsprechenden Maßnahmen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlich sind (Nr. 5) oder der Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen dienen (Nr. 6). Wann diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist jeweils anhand der konkreten verkehrlichen Situation zu bewerten. In Bezug auf Nr. 5 wird jedoch insbesondere vertreten, dass die Bestimmung es ermöglicht, Verkehrsbeschränkungen nicht nur im Interesse des Verkehrs, sondern auch zum Schutz von Rechtsgütern außerhalb des Verkehrs anzuordnen.35 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts soll diese Regelung demnach auch und gerade der Abwehr solcher Gefahren dienen, „die zwar vom Straßenverkehr ausgehen, die aber ‑ über die Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer hinausgehend bzw. hiervon unabhängig ‑ Dritte und allgemein die Umwelt beeinträchtigen“.36 Es sollen mithin auch solche Einschränkungen des Verkehrs möglich sein, „die nicht dem Verkehr selbst sondern anderen Rechtsgütern und rechtlich geschützten Interessen zugute kommen“.37 Die Sonderermächtigung der Nr. 6, wonach Beschränkungsanordnungen insbesondere auch zu Zwecken der verkehrsdienlichen Forschung und Erprobung verkehrlicher Maßnahmen erfolgen 32 Vgl. König, a.a.O., Rn. 28a. 33 Vgl. insoweit Schurig, a.a.O., S. 716. 34 Nach § 45 Abs. 9 S. 2. StVO ist das abseits der in § 45 Abs. 9 S. 3 StVO genannten Fälle nur dann der Fall, „wenn erstens aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die zweitens das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung des Lebens und der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer sowie des privaten und öffentlichen Sacheigentums erheblich übersteigt.“,vgl. Schurig, a.a.O., S. 715. 35 Vgl. König, a.a.O., Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 26. September 2002, Az.: 3 C 9/02, BeckRS 2002, 24229. 36 Vgl. König, a.a.O., Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 26. September 2002, a.a.O. 37 Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 12 können, ist erforderlich, weil Beschränkungen zu solchen Zwecken nicht unmittelbar der Verkehrssicherheit und/oder Ordnung dienen.38 Hiervon sollen zudem in der Regel insbesondere nur kurz befristete Maßnahmen umfasst sein.39 Eine Verkehrsbeschränkung die sich sowohl auf § 45 Abs. 1 S. 1 StVO als auch auf § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5oder Nr. 6 StVO stützt, kommt dabei grundsätzlich in Betracht.40 Sofern und soweit eine Anordnung auf Grundlage der vorstehend genannten Regelungen erfolgen soll, ist § 45 Abs. 9 StVO ebenfalls anzuwenden41. Das hierzu oben unter Ziffer 3.1.1. Gesagte gilt entsprechend. 3.2. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen Sachlich zuständig für die innerörtliche Anordnung von Radfahrstreifen auf Bundesstraßen sind entsprechend § 44 Abs. 1 StVO grundsätzlich die Straßenverkehrsbehörden42 (vgl. auch § 45 Abs. 3 StVO). Die eigentliche Umsetzung der Anordnung obliegt nach § 45 Abs. 5 StVO dem Baulastträger. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften. Nach VwV-StVO zu § 45 Abs. 1 bis 1e Rn. 1 sind vor jeder Entscheidung die Straßenbaubehörde und die Polizei zu hören. Eine Zustimmung der obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ist bei innerörtlichen Anordnungen von Radfahrstreifen nach VwV-StVO zu § 45 nicht vorgesehen. Nach VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 S. 2 Rn. 28 sind bei der Entscheidung , soweit örtlich vorhanden, zudem die flächenhafte Radverkehrsplanung der Gemeinden und die Träger der Straßenbaulast einzubeziehen. Zudem wird dort angeregt, zusätzlich Sachkundige aus Kreisen der Radfahrer, der Fußgänger und der Kraftfahrer zu beteiligen. 3.3. Anknüpfungspunkte und Besonderheiten bei der Anordnung von (temporären) Radfahrstreifen im Zuge der COVID-19-Pandemie Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie, den damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen , daraus unter anderem resultierenden Homeoffice-Modellen oder der Einführung von Kurzarbeit sowie der geringeren Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, kommt dem Fahrradverkehr vielerorts nochmals eine gesteigerte Bedeutung zu.43 So sind Berichten zufolge in den letzten Monaten unter anderem im Land Berlin, aber zum Beispiel auch in Schleswig-Holstein, (temporäre) 38 Vgl. König, a.a.O., Rn. 32. 39 Vgl. König, a.a.O., Rn. 32 m.w.N. 40 Vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 14. September 1988, Az.: 5 S 33/88, NZV 1989, 87. 41 Vgl. Schurig, a.a.O., S. 742. 42 In Berlin wäre dies beispielsweise nach Nr. 11 Abs. 3 ZustKat Ord die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. 43 Vgl. hierzu exemplarisch etwa Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC): „Corona und Mobilität: Mehr Homeoffice, weniger Berufsverkehr“, abrufbar unter: https://www.adac.de/verkehr/standpunkte-studien /mobilitaets-trends/corona-mobilitaet/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 13 Radfahrstreifen als sogenannte „Pop-up Radwege“ oder „Pop-up Bike Lanes“ eingerichtet worden .44 Obwohl unter dem Oberbegriff des Radwegs verschiedene Erscheinungsformen subsumiert werden können, ist davon auszugehen, dass unter dem Begriff der „Pop-up Radwege“ oder „Popup Bike Lanes“ insbesondere (zunächst) temporäre Radfahrstreifen verstanden werden.45 Denn wie oben dargelegt, ist nur auf diesen der Autoverkehr von einer Benutzung ausgeschlossen. Solche temporär angelegten Radfahrstreifen können durch vorläufig angebrachte Verkehrszeichen , Verkehrseinrichtungen und gelbe Markierungen vielerorts besonders schnell umgesetzt werden.46 Die Möglichkeit, im Einzelfall zudem einfach und schnell nachbessern zu können, kann den planerischen Vorlauf zusätzlich verkürzen.47 Die zur Umsetzung der jeweiligen Anordnung genutzten gelben Markierungen haben vorübergehenden Charakter. Sie heben etwaig bestehende weiße Markierungen auf.48 Die u. U. vorhandenen weißen Markierungen müssen daher für die temporären Maßnahmen nicht entfernt werden. Die temporären Anordnungen bzw. Radfahrstreifen kommen offenbar vor allem dann in Betracht, wenn keine komplexen Verkehrssituationen oder das Erfordernis baulicher Veränderungen längere Planungen bedingen.49 Anknüpfend an den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zu straßenrechtlichen Aspekten sogenannter Pop-up Bike Lanes an Bundesstraßen innerhalb von Ortschaften50 ist hervorzuheben, dass auch in Bezug auf die Anordnung von temporären Radfahrstreifen in Zeiten der COVID-19-Pandemie (weiterhin) einzig § 45 StVO als Rechtsgrundlage für deren Anordnung in Betracht kommt.51 Hinsichtlich der Anordnungsvoraussetzungen gilt mithin auch für im Zuge der COVID-19-Pandemie zu errichtende (temporäre) Radfahrstreifen das oben unter Ziffern 3.1. und 3.2. Gesagte entsprechend. Dies ergänzend sollen im Folgenden mögliche 44 Vgl. hierzu exemplarisch etwa RBB 24: „Pop-up-Radwege in Berlin umfassen bereits zehn Kilometer“, abrufbar unter: https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/04/pop-up-radweg-radsspurverkehrswende -verkehr-berlin.html; BUND Schleswig-Holstein: Pop-up-radwege – ein Zeichen der Zeit!, abrufbar unter: https://www.bund-sh.de/meldungen/detail/news/pop-up-radwege-ein-zeichen-der-zeit/. 45 Vgl. hierzu auch den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, WD 5 - 3000 - 057/20, „Straßenrechtliche Aspekte zu sogenannten Pop-up Bike Lanes an Bundesstraßen innerhalb von Ortschaften “. 46 Vgl. hierzu auch die Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 22. Mai 2020 auf eine Schriftliche Anfrage, Drucksache 18/23 336, abrufbar unter https://pardok.parlament-berlin.de/starweb /adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-23336.pdf. 47 Vgl. dazu auch die Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 26. Mai 2020, a.a.O. 48 Vgl. § 39 Abs. 5. S. 3 StVO. 49 Vgl. dazu auch die Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 26. Mai 2020, a.a.O. 50 Vgl. hierzu den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, WD 5 - 3000 - 057/20. 51 Vgl. so etwa auch Heppner, „Ein Virus macht Verkehrspolitik?“, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/einvirus -macht-verkehrspolitik/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 14 Begründungsansätze dargestellt werden, die im Zuge der COVID-19-Pandemie eine Anordnung von innerörtlichen Radfahrstreifen rechtfertigen könnten. 3.3.1. Einzelne Anknüpfungspunkte beim Begriff der Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 45 Abs. 1 S. 1 StVO Wie oben dargelegt, erlaubt § 45 Abs. 1 S. 1 i.V.m § 45 Abs. 9 S. 4 StVO die Anordnung von Radfahrstreifen weitgehend ohne Vorliegen einer qualifizierten Gefahrenlage.52 Mithin erfordert der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO lediglich die hinreichende Wahrscheinlichkeit von Schadensfällen im Straßenverkehr53 im Sinne einer das allgemeine Risiko deutlich übersteigenden Wahrscheinlichkeit. Insoweit erscheint zunächst denkbar, dass Ausgangspunkt für die Anordnung eines Radfahrstreifens im Einzelfall die Zunahme des Radverkehrs und das damit einhergehende gesteigerte Risiko von Schadensfällen ist. Hierfür ließe sich beispielsweise anführen, dass statistischen Erhebungen zur Folge insbesondere auch die Zahl der Kollisionen zwischen Radfahrern untereinander fortwährend ansteigt.54 Als einer der Gründe wird insoweit auch auf das veränderte Radverkehrsaufkommen im Allgemeinen sowie die diesem Aufkommen nicht mehr gewachsene Radverkehrsinfrastruktur hingewiesen.55 Sofern und soweit an einzelnen Orten keine oder nur unzureichende Kapazitäten für Fahrradfahrer zur Verfügung stehen, könnte mithin von den zuständigen Behörden argumentiert werden, dass hierdurch die Verkehrssicherheit schon aufgrund der bloßen Anzahl an Fahrradfahrern gefährdet ist. Entsprechend der oben unter Ziffer 2.1.1. genannten Definition erscheint es daher durchaus denkbar, dass ein Mehraufkommen an Fahrradfahrern bei durchschnittlichen Verkehrsverhältnissen die zu prognostizierende Unfallsituation tatsächlich derart negativ beeinflussen kann, dass im konkreten Einzelfall von einer das allgemeine Risiko deutlich übersteigenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auszugehen ist. Einen weiteren Anknüpfungspunkt für die Anordnung eines Radfahrstreifens könnten zudem infektionsschutzrechtliche Sonderregelungen darstellen. So sind in allen Bundesländern weiterhin physisch soziale Kontaktbeschränkungen vorgeschrieben, die etwa einen Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen einzelnen Personen vorschreiben56 (das nach § 5 Abs. 4 S. 3 StVO bestehende 52 Vgl. auch Heppner, a.a.O. 53 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 1995, Az.: 11 B 23.95, NZV 1996, 86. 54 Vgl. etwa Statistisches Bundesamt, „Kraftrad- und Fahrradunfälle im Straßenverkehr 2018“, abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle /unfaelle-zweirad-5462408187004.pdf?__blob=publicationFile. 55 Vgl. etwa Der Tagesspiegel vom 14. Dezember 2019, „Mehr Räder, mehr Kollisionen - Radfahrer verursachen mehr Unfälle“, unter Verweis auf Unfallforscher der Allianz AG sowie einen Langzeitvergleich der Unfalldaten des Statistischen Bundesamts, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/mehr-raeder-mehr-kollisionen -radfahrer-verursachen-mehr-unfaelle/25331294.html. 56 In Berlin etwa nach § 1 der Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin, abrufbar unter https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung /. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 15 straßenverkehrsrechtliche Abstandsgebot beim Überholen von Rad Fahrenden57 gilt hiervon unabhängig ). So erscheint es argumentativ grundsätzlich denkbar, einzelnen Fahrradfahrern – die sich ja anders als Pkw-Fahrer in aller Regel nicht in einem umschlossenen Raum befinden – auf Grundlage der gesetzlich gebotenen Abstandregelungen mehr Straßenfläche exklusiv zur Verfügung zu stellen.58 So wird argumentiert, dass das Einhalten eines solchen Abstands insbesondere bei engem Stadtverkehr ohne die entsprechenden Radwege ansonsten „regelmäßig nicht möglich “ sei und daher „zu riskanten Ausweichmanövern und Kollisionen führen“59 könne. In der verkehrsrechtlichen Praxis wird die Anordnung von Radfahrstreifen jedenfalls bereits ausdrücklich auch auf für das CORONA-Virus bestehende Eindämmungsmaßnahmen gestützt. So formuliert beispielsweise das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin: „Die Notwendigkeit für die schnelle Anordnung von Radfahrstreifen ergibt sich aus der Pandemiesituation als einer Gefahrenlage auch abseits des Verkehrsrechts: Da die existente Radverkehrsinfrastruktur nicht umfassend geeignet ist, die Abstands-Vorschriften der SARS-CoV- 2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung zu befolgen, liegt eine Gefährdung des höheren Rechtsgutes der körperlichen Unversehrtheit vor. Weiterhin ist die Rechtsordnung betroffen, da die Beschaffenheit der öffentlichen Infrastruktur bei erlaubtem Mobilitätsverhalten zu immanenten Verstößen gegen die Eindämmungsverordnung als öffentlich-rechtlicher Vorschrift führt.“60 Dem entgegnend wird teilweise angemerkt, der Verordnungsgeber hätte in Bezug auf § 45 Abs. 1 S. 1 StVO „freilich hauptsächlich ‚gewöhnliche‘ Verkehrsunfälle vor Augen gehabt“61. Da gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage indes noch nicht vorliegen, bleibt insoweit abzuwarten, ob die in der Vergangenheit von der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgte weite Ausdehnung der Begriffe der Sicherheit und Ordnung62 insoweit auch hier zur Anwendung gelangt. 57 Nach § 5 Abs. 4 S. 3 StVO beträgt der ausreichende Seitenabstand beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m. 58 Vgl. so etwa auch Heppner, a.a.O. 59 Vgl. Heppner, a.a.O. 60 Vgl. Pressemitteilung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, Nr. 63 vom 16. April 2020, abrufbar unter https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung .920730.php. 61 Vgl. so etwa Heppner, a.a.O. 62 Vgl. so etwa Schurig, a.a.O., S. 721 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1986, Az.: 7 B 141/85, NJW 1987, 1096. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 071/20 Seite 16 3.3.2. Einzelne Anknüpfungspunkte nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und Nr. 6 StVO Als möglicher Anknüpfungspunkt für die Anordnung von Pop-up Bike Lanes werden vereinzelt auch die Spezialregelungen der § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 StVO angeführt.63 Unter Zugrundelegung der oben unter Ziffer 3.1.2. aufgeführten Definitionsversuche erscheint eine straßenverkehrsbehördliche Bezugnahme hierauf allerdings auch im Zusammenhang mit der COVID-19- Pandemie nur in wirklichen Einzelfällen denkbar. So wäre hinsichtlich der Anwendbarkeit von Nr. 5 insbesondere darzulegen, warum am Straßenverkehr nicht teilnehmende Dritte und/oder die Umwelt von einer Anordnung besonders begünstigt würden. Hinsichtlich der Nr. 6 müsste demgegenüber der Erforschungscharakter einer Anordnung im Vordergrund stehen. Dies ist bei den gezielt zur (temporären) Erweiterung der straßenverkehrsrechtlichen Kapazitäten für Fahrradfahrer angeordneten Maßnahmen jedoch gerade nicht offensichtlich erkennbar. 3.3.3. Verfahrensrechtliche Besonderheiten Das Verfahren bei der Einrichtung von Pop-Up Bike Lanes entspricht (sofern es sich hierbei um Radfahrstreifen handelt) dem oben unter Ziffer 3.2. beschriebenen. Insbesondere stellen etwaig erlassene infektionsschutzrechtliche Sonderbestimmungen insoweit keine anderweitige Kompetenzverteilung dar. Die Voraussetzungen des § 45 StVO sind mithin sowohl bei einer befristeten als auch bei einer dauerhaften Anordnung einzuhalten. Hinsichtlich der Frage, ob zunächst vorübergehend errichtete Pop-Up Bike Lanes auch dauerhaft errichtet werden können, ist zu beachten, dass eine Befristung der Pop-Up Bike Lanes nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG zunächst grundsätzlich zulässig ist.64 Bei einer dauerhaften Einrichtung wäre hingegen eine neue Anordnung zu treffen, welche selbstverständlich ebenso den bereits dargestellten materiell-rechtlichen Voraussetzungen genügen muss.65 Sofern ein Verkehrszeichen, dessen Aufstellung befristet angeordnet wurde, allerdings nach Fristablauf nicht entfernt wird, tritt hierdurch nicht automatische dessen Nichtigkeit ein.66 Denn im Bereich der Straßenverkehrsordnung gilt für Verkehrszeichen grundsätzlich der Sichtbarkeitsgrundsatz. So bleibt ein Verkehrszeichen , dessen Aufstellung zunächst befristet angeordnet worden ist, auch nach Ablauf der Frist bis zu seiner Entfernung verbindlich.67 *** 63 So etwa der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (adfc): „Maßnahmenpaket Mobilität (nicht nur) für die Zeit unter SARS-CoV-2: Teil 1 Vorgezogene Realisierung von Radverkehrsnetz-Elementen #PopUpInfrastruktur“, abrufbar unter: https://www.adfc.de/fileadmin/user_upload/Presse/Dateien_fuer_die_Pressearbeit/Massnahmenpaket -1.pdf. 64 Vgl. ebenso Heppner, a.a.O. 65 Vgl. die Antwort der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 26. Mai 2020, a.a.O. 66 Vgl. Wern, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, Stand 12. Juni 2020, § 39 StVO, Rn. 10 m.w.N. 67 Vgl. Wern, in: Freymann/Wellner, a.a.O., Rn. 10 m.w.N.