© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Rechtliche Einzelfragen des illegalen Heimtierhandels Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 2 Rechtliche Einzelfragen des illegalen Heimtierhandels Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Abschluss der Arbeit: 22. Juni 2021 Fachbereiche: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung und Landwirtschaft Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung (WD 7) 4 2. Vermögensabschöpfung sowie Einziehung von Tieren und Tatmitteln (WD 7) 4 3. Strafrechtliche Testkäufe beim Handel mit lebenden Tieren (WD 7) 6 4. Verwaltungsrechtliche Testkäufe beim Handel mit lebenden Tieren (WD 5) 7 4.1. Hintergrund 7 4.1.1. Begriff und Verbreitung 7 4.1.2. Spezifische Rechtsgrundlagen 7 4.1.3. Rechtsprechung 8 4.1.4. Fragestellung 10 4.2. Tierschutzgesetz 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 4 1. Einleitung (WD 7) Der illegale Heimtierhandel nimmt auch in der Bundesrepublik Deutschland stetig zu.1 Zudem wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.2 Insbesondere wegen des anhaltend wachsenden Internethandels mit lebenden Tieren3 und der damit verbundenen Anonymität wird es den zuständigen Behörden zunehmend erschwert, straf- und ordnungsrechtlich gegen illegale Züchter und Händler vorzugehen. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend überblicksartig und kursorisch zunächst der Frage nachgegangen werden, welche straf- und ordnungsrechtlichen Möglichkeiten bestehen, bei Vergehen im Zusammenhang mit illegalem Tierhandel eine Vermögensabschöpfung beziehungsweise eine Einziehung von betroffenen Tieren anzuordnen (2. und 3., bearbeitet vom zuständigen Fachbereich WD 7). Im Anschluss daran soll die Frage beleuchtet werden, inwieweit in diesem Zusammenhang sogenannte Test- oder Scheinkäufe durch ermittelnde Behörden zulässig sind 4., bearbeitet vom zuständigen Fachbereich WD 5). 2. Vermögensabschöpfung sowie Einziehung von Tieren und Tatmitteln (WD 7) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit illegalem Heimtierhandel werden insbesondere von den §§ 17 und 18 Tierschutzgesetz (TierSchG)4 sanktioniert. Demnach ist es etwa strafbewehrt, einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen (§ 17 Nr. 2b TierSchG), bzw. wird mit Bußgeld belegt, eine erlaubnispflichtige Zucht ohne eine solche Erlaubnis zu betreiben (§ 18 Abs. 1 Nr. 5 TierSchG) oder ein Wirbeltier illegal einzuführen (§ 18 Abs. 1 Nr. 21a TierSchG). Sofern und soweit es im Zusammenhang mit illegalem Tierhandel zur Verwirklichung von Straftatbeständen kommt, gilt dabei in Bezug auf eine mögliche Vermögensabschöpfung folgendes: Die Abschöpfung des infolge einer Straftat unrechtmäßig erlangten Vermögens gewährleisten die §§ 73 ff. Strafgesetzbuch (StGB)5. Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, ordnet das Gericht daher insbesondere die Einziehung dieser Vermögenswerte an (§ 73 Abs. 1 StGB). Sinn und Zweck der Vorschriften ist es mithin, dem Täter den 1 Vgl. dazu etwa die Zusammenstellung des Deutschen Tierschutzbund e.V., Illegaler Heimtierhandel in Deutschland - Auswertung bekannt gewordener Fälle aus dem Jahr 2019 - Ausblick Auswertung bekannt gewordener Fälle aus dem Jahr 2020, S. 2, abrufbar unter: https://www.tierschutzbund.de/fileadmin/user_upload/Downloads /Hintergrundinformationen/Heimtiere/Illegaler_Heimtierhandel_in_Deutschland__2019_und_Ausblick _2020_Auswertung.pdf (letzter Abruf sämtlicher Links in diesem Dokument am 22. Juni 2021). 2 Vgl. ebenda. 3 Vgl. a.a.O., S. 12. 4 Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 280 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/index.html. 5 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 5 Anreiz zur Tatbegehung zu nehmen, da sich Straftaten in wirtschaftlicher Hinsicht nicht lohnen sollen.6 Im Bereich der Ordnungswidrigkeiten gelten für die Einziehung von Taterträgen § 17 Abs. 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)7 sowie die §§ 29a und 30 Abs. 5 OWiG.8 Die Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten richtet sich im Bereich des Strafrechts nach den § 74 ff. StGB. Obwohl hiervon etwa Tatmittel, wie Fahrzeuge, Zuchtanlagen sowie sonstiges (Transport-) Material erfasst sein können, greift die Regelung in Bezug auf die illegal gehandelten Tiere regelmäßig nicht. Zwar ist nach den §§ 74 ff. bei einer vorsätzlich begangenen Straftat grundsätzlich auch die Einziehung von Tieren möglich (auch Tiere sind Gegenstände im Sinne des Strafrechts9). Voraussetzung des § 74 Abs. 1 StGB ist jedoch, dass das Tier entweder als sogenanntes Tatprodukt durch die Straftat hervorgebracht wurde oder dass es als sogenanntes Tatwerkzeug zur Tatbegehung oder Tatvorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen ist.10 Dies ist beim illegalen Heimtierhandel in der Regel nicht der Fall, da das betroffene Tier in solchen Fällen lediglich den sogenannten Beziehungsgegenstand einer Straftat bildet. In Abgrenzung zum Tatwerkzeug sind Beziehungsgegenstände solche Sachen, „die zwar in die Tat verstrickt waren, dessen ungeachtet aber keinen spezifischen Sachzusammenhang zur Tat aufweisen “.11 Vom illegalen Heimtierhandel betroffene Tiere sind regelmäßig nur solche Beziehungsgegenstände , da sie letztlich nur passives Objekt der Tat darstellen, auf dessen Verhinderung der betreffende Tatbestand abzielt.12 Vor diesem Hintergrund sieht § 19 TierSchG eine Erweiterung der Einziehungsmöglichkeiten auf Tiere als Beziehungsgegenstände vor. § 19 TierSchG „erweitert die §§ 74 ff. StGB, indem er bei Tieren, die entgegen dem Verbot des § 17 getötet oder misshandelt worden sind, die Einziehung auch als bloße Beziehungsgegenstände zulässt. Dasselbe gilt für Tiere, die entgegen § 20 Abs. 3 6 Vgl. Heuchemer, in: BeckOK StGB, 49. Edition, Stand: 1. Februar 2021, § 73 StGB, Rn. 1 m.w.N. 7 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 9a des Gesetzes vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 448) geändert worden ist, abrufbar unter : https://www.gesetze-im-internet.de/owig_1968/index.html. 8 Vgl. Joecks/Meißner, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 73 StGB, Rn. 3 m.w.N. 9 Vgl. Schmitz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2021, § 242 StGB, Rn. 26. 10 Vgl. etwa Hirt/Maisack/Moritz, in: Kommentar zum Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 19 TierSchG, Rn. 1 m.w.N. 11 Vgl. Saliger, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 74 StGB, Rn. 11. 12 Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, in: Kommentar zum Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 19 TierSchG, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 6 oder § 20a Abs. 3 verbotswidrig gehalten oder betreut werden oder mit denen verbotswidrig gehandelt oder sonst berufsmäßig umgegangen wird.“13 Auch im Fall von durch illegalen Heimtierhandel verwirklichten Ordnungswidrigkeiten ist die Einziehung von Tieren auf Grundlage von § 19 TierSchG in Einzelfällen zulässig. Nach den §§ 22 ff. OWiG können zwar bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Ordnungswidrigkeit Gegenstände – auch bloße Beziehungsgegenstände – eingezogen werden, jedoch nur dort, wo das Gesetz dies ausdrücklich zulässt (§ 22 Abs. 1 OWiG). § 19 TierSchG ist ein solche Gesetz im Sinne von § 22 Abs. 1 OWiG und lässt bei bestimmten, in § 19 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 abschließend aufgezählten Ordnungswidrigkeiten die Einziehung der Tiere, auf die sich die Tat bezieht, zu.14 3. Strafrechtliche Testkäufe beim Handel mit lebenden Tieren (WD 7) Die strafprozessuale Zulässigkeit von behördlichen Test- und Scheinkäufen richtet sich – unterhalb der Schwelle verdeckter Ermittlungstätigkeit15 – nach den jeweiligen Gegebenheiten des Einzelfalls 16.Eine allgemeingültige Aussage zur Rechtmäßigkeit einzelner Ermittlungsmaßnahmen kann daher nicht getroffen werden. Obwohl aktuelle Presseberichte auch auf dem Gebiet des TierSchG vom Einsatz von Scheinkäufern berichten,17 wurde die insoweit zentrale Fragestellung der Grenzen rechtsstaatswidriger Tatprovokation bislang im Zusammenhang mit dem illegalen Heimtierhandel nicht näher thematisiert. Anhaltspunkte lassen sich jedoch insbesondere aus ähnlich gelagerten Fällen aus dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ziehen. Insoweit gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass nur dann von einem (noch) zulässigen tatprovozierenden Verhalten ausgegangen werden kann, solange sich der jeweilige Käufer bei der Durchführung des Test- oder Scheinkaufs auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt,18 und die betroffene Person dabei nicht derart beeinflusst, dass sie erst zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie ohne die erfolgte Einwirkung nicht begangen hätte19. Das OLG Bremen geht dementsprechend davon aus, dass eine unzulässige Tatprovokation dann 13 Vgl. ebenda. 14 Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, in: Kommentar zum Tierschutzgesetz, 3. Auflage 2016, § 19 TierSchG, Rn. 2. 15 Ein Einsatz verdeckter Ermittler i.S.d. §§ 110a ff. StPO kommt im Fall illegalen Heimtierhandels in der Regel nicht in Betracht, da es sich bei den in Betracht kommenden Straftaten nicht um solche Katalogstraftaten von erheblicher Bedeutung handelt, zu deren Erforschung Verdeckte Ermittler eingesetzt werden dürfen, vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1 StPO. 16 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017, Az.: 1 StR 320/17, NStZ 2018, 355 (357). 17 Vgl. etwa HL-live vom 17. Juni 2021, „Polizei, Tierheim und Stadt überführen Welpen-Händler“, abrufbar unter: https://www.hl-live.de/text.php?id=142259 sowie Thüringer Allgemeine vom 15. Juni 2021, „illegaler Affen- Verkauf aufgeflogen“, abrufbar unter: https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/erfurt/illegaler-affen-verkauf -in-erfurt-aufgeflogen-id232536931.html?service=amp. 18 Vgl. so etwa BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017, Az.: 1 StR 320/17, NStZ 2018, 355 (356) m.w.N. und unter Verweis auf § 6 Abs. 1 EMRK. 19 Vgl. Beukelmann, „Neues zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation“, NJW-Spezial 2018, 568. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 7 nicht vorliegt, „wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines „normalen” Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt“20, um etwaig auftretende Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen. Im Ergebnis spricht mithin vieles dafür, im Fall eines auf dem Gebiet des TierSchG initiierten Scheinkaufs davon auszugehen, dass ein solcher aus strafprozessualer Sicht zumindest solange zulässig ist, wie der Tatentschluss des (rechtswidrigen) Verkaufs von Tieren nicht erst durch die jeweilige Ermittlungsperson hervorgerufen wird, sondern dass ein solcher bereits vorher bestand und lediglich zum Zweck der Beweissicherung ausgenutzt wurde. 4. Verwaltungsrechtliche Testkäufe beim Handel mit lebenden Tieren (WD 5) 4.1. Hintergrund 4.1.1. Begriff und Verbreitung Test- und Scheinkäufe sind u. a. im Urheber- und Wettbewerbsrecht ein gängiges Instrument, mit dem private Akteure untereinander ihre Regeltreue überprüfen: „Testkauf ist der Erwerb eines Gegenstands zur Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes (→ unlauterer Wettbewerb) oder einer Verletzung eines → Immaterialgüterrechts. Solange hierbei keine unlauteren Mittel (zB arglistige Täuschung) eingesetzt werden, ist der Testkauf zulässig. Entsprechendes gilt für andere Maßnahmen zu den genannten Zwecken (zB die testweise Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder Testfotos).“21 Test- und Scheinkäufe könnten sich begrifflich derart unterscheiden lassen, dass ein Scheinkauf ein nur angebahnter, aber nicht abgeschlossener Testkauf ist. Im Folgenden wird der Begriff „Testkauf“ einheitlich für beide Formen verwandt. Test- und Scheinkäufe durch Behörden sind insbesondere im Bereich der Kontrolle von Alkoholverkauf und -ausschank, des Glücksspiels, des Finanzmarkts und der Besteuerung geläufig. 4.1.2. Spezifische Rechtsgrundlagen Eine ausdrückliche Ermächtigung zu verdeckten Testkäufen durch Behörden ist beispielsweise in dem am 3. Juni 2021 erlassenen Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zwecks Erwerbs von Finanzprodukten vorgesehen :22 20 OLG Bremen, Beschluss vom 31. Oktober 2011, Az.: 2 SsRs 28/11, NStZ 2012, 220. 21 Creifelds, Rechtswörterbuch, 26. Edition 2021. 22 BGBl. I S. 1534 (Hervorhebung durch Autor). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 8 „Zur Erfüllung ihrer Aufgaben […] kann die Bundesanstalt auch im Wege verdeckter Testkäufe Finanzprodukte erwerben und Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen.“ Der Gesetzgeber ging beim Erlass des FISG davon aus, dass Testkäufe bislang auch „aufgrund unzureichender gesetzlicher Grundlagen unterbleiben. Dies gilt insbesondere für Möglichkeiten der BaFin zur Durchführung verdeckter bzw. anonymer Testkäufe.“23 Auf europäischer Ebene eröffnet die Verordnung (EU) 2017/2394 zum grenzüberschreitenden Schutz von Verbraucherinteressen ebenfalls die Möglichkeit verdeckter Testkäufe:24 „Die zuständigen Behörden verfügen mindestens über die folgenden Ermittlungsbefugnisse, die es ihnen gestatten, […] Waren oder Dienstleistungen als Testeinkäufe zu erwerben, erforderlichenfalls mit verdeckter Identität […].“ 4.1.3. Rechtsprechung Die steuerrechtliche Rechtsprechung hat die allgemeinen Befugnisse der Steuerbehörden so ausgelegt , dass „Testkäufe bei einem Steuerpflichtigen ein probates Mittel zur Ermittlung des konkreten, in diesem Fall den Antragsteller betreffenden, besteuerungsrelevanten Sachverhalts sind. Entgegen der Ansicht des Antragstellers sind Testkäufe nicht mit verdeckten Ermittlungen vergleichbar . Es handelt sich vielmehr um eine allgemein übliche und besonders in Zivilverfahren im Bereich des Wettbewerbs- oder Urheberrechts gängige und grundsätzlich akzeptierte Maßnahme zur Beweissicherung. Aber auch gegen die Anwendung im Besteuerungsverfahren bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Gemäß § 88 Absatz 1 AO [Abgabenordnung] ermittelt die Finanzbehörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen. [...] Der Testkauf [...] ist [...] eine Augenscheinseinnahme im Sinne des § 92 Satz 2 Nummer 4 AO.“25 23 BT-Drs. 19/29879, Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, S. 166 ff.; siehe auch die Stellungnahme des Sachverständigen Veil im Gesetzgebungsprozess, S. 5, https://www.bundestag.de/resource /blob/833452/ab4d04c18afe2cfb4b8b7bd6f076ba7e/07-Veil-data.pdf. 24 Art. 9 Abs. 3 lit. d der Verordnung (EU) 2017/2394 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 v. 12.12.2017, ABl. 2017 L 345/1, https://eur-lex.europa .eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A02017R2394-20181203 (Hervorhebung durch Autor). 25 FG Niedersachsen, Beschl. v. 02.09.2004, 10 V 52/04, BeckRS 2004, 26018111 (Hervorhebung durch Autor), https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod .psml?doc.id=STRE200570898&st=null&showdoccase=1; siehe auch FG Münster, Urt. v. 17.09.2010, 4 K 1412/07 G U („Der Senat stellt hiermit nicht in Frage, dass Testkäufe grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Ermittlung des besteuerungsrelevanten Sachverhalts sein können“), http://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/muenster /j2010/4_K_1412_07_G_Uurteil20100917.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 9 Diese Rechtsprechung impliziert offensichtlich, dass die Beschränkungen für verdeckte Ermittlungen im strafrechtlichen Bereich auf die verwaltungsrechtliche Sachverhaltsaufklärung nicht übertragbar sind. Ferner hat die Rechtsprechung im Bereich des Jugendschutzes Verurteilungen gebilligt, die auf Testkäufen basieren. Diese Rechtsprechung bezieht sich auf polizeilich angeleitete, verdeckte Alkoholtestkäufe durch Jugendliche. Das Oberlandesgericht Bremen sieht keinen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn der Testkäufer die Schwelle zur Tatprovokation nicht überschreitet.26 Eine Tatprovokation liegt nicht vor, wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines „normalen“ Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt, um Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika. Die Verurteilung zu einer Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 9 Abs. 1 Jugendschutzgesetz war in diesem Fall damit offenbar unabhängig von der Frage, ob eine spezielle Rechtsgrundlage für den Testkauf als solchen erforderlich ist.27 Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren zu dieser Frage wurde beendet, ohne diese Frage zu klären.28 Es ist aber darauf hinzuweisen , dass der Verwaltungsgerichtshof Mannheim für die „Wirksamkeit“ von Restriktionen im Glücksspielbereich auf folgende Praxis hingewiesen hat:29 „Die Wirksamkeit dieser Restriktionen wird durch regelmäßige Schulungen und Kontrollen gewährleistet. [...] Zur konsequenten Einhaltung des Jugendschutzes werden regelmäßig Testkäufe in allen Annahmestellen durchgeführt. Bei Verstößen greift ein mehrstufiger Sanktionskatalog [...]. Kontrollen nehmen die Glücksspielaufsicht, die Staatliche Toto- und Lotto GmbH Baden-Württemberg und eine beauftragte externe Agentur vor: Das Regierungspräsidium nimmt eigene Kontrollen der Annahmestellen vor. Es kontrollierte [...] 2008 und 2009 insgesamt 198 Annahmestellen mit eigenem Personal. Dabei wurden demnach insgesamt 25 Verstöße festgestellt.“ 26 OLG Bremen Beschl. v. 31.10.2011, 2 SsRs 28/11, NStZ 2012, 220, https://openjur.de/u/251473.html.; die Zulässigkeit von verdeckten Testkäufen ebenfalls bejahend (zitiert nach Waßmer, NZWiSt 2012, 467, 468): Nikles /Roll/Spürck/Erdemir/Gutknecht, Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, § 28 JuSchG Rn. 15; Liesching, Jugendschutz , 4. Aufl. 2004, § 28 JuSchG Rn. 8; Erbs/Kohlhaas/Liesching, Strafrechtliche Nebengesetze, 152. Ergänzungslieferung Februar 2004, § 28 JuSchG Rn. 8; Wieser, Jugendschutz in der Öffentlichkeit, 2. Aufl. 2012, S. 70 ff.; Graf/Jäger/Wittig/Winkler, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 28 JuSchG Rn. 73; dagegen Strohs, GewA 2014, 342, 343 ff.; kritisch auch Waßmer, NZWiSt 2012, 467, 468 ff. 27 Kritisch insoweit Strohs, GewA 2014, 342; Waßmer, NZWiSt 2012, 467. 28 VG Hannover Urt. v. 19.07.2011, 6A 4944/10, BeckRS 2011, 56360, https://openjur.de/u/327097.html (verdeckter Alkoholtestkauf zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes). 29 VGH Baden-Württemberg Urteil vom 10.12.2009, 6 S 1110/07 („Sportwettenmonopol“), Rn. 34, http://lrbw.juris .de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=12430; ähnlich auch VG München (16. Kammer), Urt. v. 28.04.2009, M 16 K 08.2993, BeckRS 2009, 48582. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 10 Die Kommentierung zum Jugendschutzrecht geht im Übrigen überwiegend von einer Zulässigkeit von Testkäufen aus.30 4.1.4. Fragestellung Es stellt sich die Frage, ob Testkäufe als generelle Verwaltungskontrollen im Bereich des Tierschutzes zulässig sind. 4.2. Tierschutzgesetz Eine den vorgenannten Spezialnormen vergleichbare Regelung enthält das TierSchG nicht. Auch ist die Generalklausel des § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG nicht einschlägig. Danach trifft die zuständige Behörde „die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“ Ein verdeckter Testkauf ist aber eher keine Anordnung, also ein „Einschreiten durch Verwaltungsakt“31, sondern vielmehr ein Realakt. Jedoch erscheint es schlüssig, die vorgenannte steuerrechtliche Rechtsprechung (oben 4.1.3) auf das Tierschutzgesetz zu übertragen. Hierfür ließe sich auf die allgemeinen Bestimmungen der §§ 24 und 26 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)32 zurückgreifen, die insoweit im Wesentlichen den von den Finanzgerichten in Bezug genommenen Vorschriften des Steuerverfahrens entspricht . Nach § 24 VwVfG ermittelt die Behörde „den Sachverhalt von Amts wegen“. Hierzu bedient sich die Behörde „der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere [...] den Augenschein einnehmen.“ Es ist wohl unstrittig, dass § 26 VwVfG im Bereich des TierSchutzG anwendbar ist.33 Zwar stellt § 24 VwVfG „keine Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe gegenüber Beteiligten oder Dritten dar“.34 Jedoch scheiden nach der Rechtsprechung Grundrechtseingriffe bei einem Testkauf aus, sofern der Verkauf in einem unpersönlichen Rahmen stattfindet: 30 Zitiert nach Waßmer, NZWiSt 2012, 467, 468: Nikles/Roll/Spürck/Erdemir/Gutknecht, Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, § 28 JuSchG Rn. 15; Liesching, Jugendschutz, 4. Aufl. 2004, § 28 JuSchG Rn. 8; Erbs/Kohlhaas/Liesching , Strafrechtliche Nebengesetze, 152. Ergänzungslieferung Februar 2004, § 28 JuSchG Rn. 8; Wieser, Jugendschutz in der Öffentlichkeit, 2. Aufl. 2012, S. 70 ff.; Graf/Jäger/Wittig/Winkler, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht , 2011, § 28 JuSchG Rn. 73; dagegen Strohs, GewA 2014, 342, 343 ff.; kritisch auch Waßmer, NZWiSt 2012, 467, 468 ff. 31 Metzger in Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16a TierSchG Rn. 6. 32 Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt durch Artikel 15 Absatz 1 des Gesetzes vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/. 33 Siehe nur Metzger in Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16a TierSchG Rn. 3: „Das Verfahren richtet sich nach dem Verwaltungsverfahrensrecht der Länder (vgl. § 9 VwVfG) mit dem Grundsatz der Amtsermittlung (§§ 24, 26 VwVfG).“ 34 Heßhaus in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 51. Edition, Stand: 01.04.2021, § 24 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 067/21; WD 5 - 3000 - 051/21 Seite 11 „Durch den Testkauf wurden die Privatsphäre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin jedoch nicht berührt. Denn der Testkauf beschränkte sich auf den quasi mechanischen Verkaufsvorgang an der Kasse des Selbstbedienungssupermarkts, der weder einen sachlichen noch einen rechtlichen Bezug zur individuellen Persönlichkeit der Kassiererin hat, so dass ein Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin auch nicht ansatzweise erkennbar wäre.“35 * * * 35 VG Hannover Urt. v. 19.07.2011, 6A 4944/10, BeckRS 2011, 56360, https://openjur.de/u/327097.html (verdeckter Alkoholtestkauf zur Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Jugendschutzgesetzes) – Hervorhebung durch Autor.