© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 067/20 Tötungsdelikte an Frauen im Lichte des Art. 46 lit. a der Istanbul- Konvention Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fazit 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 4 1. Einleitung Zweck des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (sog. Istanbul-Konvention, im Folgenden: „IK“)1 ist nach dessen Art. 1 Abs. 1 lit. a unter anderem, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates der IK mit dem Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 17. Juli 2017 zugestimmt.2 Das Übereinkommen ist nach Hinterlegung der deutschen Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär des Europarats in Straßburg für Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft getreten.3 Art. 46 IK lautet auszugsweise: „Artikel 46 - Strafschärfungsgründe Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die folgenden Umstände, soweit sie nicht bereits Tatbestandsmerkmale darstellen, im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des internen Rechts bei der Festsetzung des Strafmaßes für die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten als erschwerend berücksichtigt werden können: a Die Straftat wurde gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin im Sinne des internen Rechts beziehungsweise gegen einen früheren oder derzeitigen Ehemann oder Partner im Sinne des internen Rechts oder von einem Familienmitglied, einer mit dem Opfer zusammenlebenden Person oder einer ihre Autoritätsstellung missbrauchenden Person begangen ; […]“ 1 Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht, Istanbul, 11.05.2011, deutsche Übersetzung abrufbar unter https://rm.coe.int/1680462535 (letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 23.07.2020). 2 Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 17. Juli 2017, abrufbar unter https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl217s1026.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl217s 1026.pdf%27%5D__1591714415421. 3 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 5. April 2018, abrufbar unter https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl218s0142.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl218s 0142.pdf%27%5D__1591714002817; Schutz von Frauen vor Gewalt, Deutschland ratifiziert Istanbul-Konvention , Meldung vom 12.10.2017, abrufbar auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/deutschland-ratifiziert-istanbul -konvention/119928. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 5 Im Folgenden soll zunächst erörtert werden, inwieweit Art. 46 lit. a IK in der deutschen Rechtsprechung bei der Bewertung von Tötungsdelikten Berücksichtigung findet (2.). Daran anknüpfend wird dargestellt, inwieweit Art. 46 lit. a IK in der Rechtsprechung ausgewählter Vertragsstaaten der IK bei Tötungsdelikten beachtet wird. Dabei werden auch etwaige Gesetzesanpassungen in diesen Ländern aufgezeigt, die erfolgt sind, damit diese Vorschrift bei der Bewertung von Tötungsdelikten ausreichend Berücksichtigung finden kann (3.). Abschließend wird dargestellt, wie Tötungsdelikte an Frauen nach der deutschen Rechtsprechung strafrechtlich bewertet werden. Dabei ist insbesondere darauf einzugehen, inwieweit bei Tötungen in Paarbeziehungen aufgrund der dahinterstehenden Motive eine Verwirklichung des Tatbestands des Mordes in Betracht kommt (4.). 2. Berücksichtigung des Art. 46 lit. a IK in der deutschen Rechtsprechung Aus der Formulierung „berücksichtigt werden können“ in Art. 46 lit. a IK ergibt sich laut der Denkschrift zur IK, dass die Vertragsparteien angehalten werden sollen, zu gewährleisten, „dass Richter und Richterinnen die genannten Strafschärfungsgründe abwägen können, ohne aber zu deren Anwendung verpflichtet zu sein“.4 Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB)5 ist in Deutschland die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Bei der Zumessung wägt das Gericht gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB namentlich die dort genannten Umstände in Betracht. Das Gericht muss gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Nach der Rechtsprechung soll „unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden“ sein, „was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist“.6 Alle Strafzumessungserwägungen vollständig aufzuzählen sei nicht möglich und nicht vorgeschrieben.7 Nach dem erläuternden Bericht zur IK ist verbindendes Element der in Art. 46 lit. a IK genannten Szenarien eine „Position als Vertrauensperson“, welche im Allgemeinen mit einer in der Vorschrift beschriebenen Beziehung einhergehe, „sowie der besondere psychische Schaden“, der Folge des Vertrauensbruchs sein könne, sofern im Rahmen einer solchen Beziehung schwere Straftaten begangenen werden.8 4 Denkschrift zur IK, Bundestags-Drucksache 18/12037, S. 83, abrufbar unter https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/120/1812037.pdf. 5 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648) geändert worden ist. 6 BGH, Urteil vom 02.08.2012, Az. 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337. 7 BGH, Urteil vom 02.08.2012, Az. 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337. 8 Erläuternder Bericht zur IK, Rn 236, abrufbar unter https://rm.coe.int/1680462535. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 6 Dieser Umstand soll ausweislich der Denkschrift zur IK nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 2 StGB strafschärfend berücksichtigt werden können.9 Auch in der Literatur wird vertreten, dass ein Vertrauensmissbrauch eine Tat als besonders verwerflich und eine Strafschärfung als angezeigt erscheinen lassen könne, wobei die „Beziehungen zwischen Täter und Opfer“ zur „Art der Ausführung“ im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB gehören sollen.10 In der Denkschrift zur IK wird beispielhaft ein Beschluss des BGH aus dem Jahre 2006 in einer Strafsache wegen versuchten Mordes angeführt.11 Das vorinstanzliche Landgericht hatte den in der Tat liegenden Vertrauensbruch des Angeklagten gegenüber seiner Tante der Entscheidung des BGH zufolge in rechtmäßiger Weise strafschärfend berücksichtigt.12 3. Umsetzung des Art. 46 lit. a IK in ausgewählten Vertragsstaaten13 3.1. Estland In Estland steht Art. 46 lit. a IK nach der Begründung des Gesetzes über die Ratifizierung der IK im Einklang mit § 58 Nr. 4) des estnischen Strafgesetzbuches. Danach wird die Begehung einer Straftat gegen eine Person, die in einem Dienstverhältnis oder einem Verhältnis finanzieller Abhängigkeit zum Täter steht, sowie gegen ein ehemaliges oder gegenwärtiges Familienmitglied des Täters, gegen eine Person, die mit dem Täter zusammenlebt oder eine Person, die in einem sonstigen familiären Verhältnis zum Täter steht, als erschwerender Umstand angesehen. 3.2. Frankreich Im französischen Strafrecht wird bei zahlreichen Straftaten der Umstand, dass die Straftat von einem Partner oder Ex-Partner begangen wurde, als Strafschärfungsgrund berücksichtigt. Dies gilt insbesondere auch im Falle einer Tötung. 9 Denkschrift zur IK, Bundestags-Drucksache 18/12037, S. 83, abrufbar unter https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/120/1812037.pdf. 10 Kinzig, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 46 Rn 18, 23. 11 Denkschrift zur IK, Bundestags-Drucksache 18/12037, S. 83, abrufbar unter https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/120/1812037.pdf. 12 BGH, Beschluss vom 19.12.2006, Az. 3 StR 464/06, BeckRS 2007, 477. 13 Die Angaben unter diesem Gliederungspunkt basieren auf den von den jeweiligen Parlamentsverwaltungen überwiegend in englischer Sprache übermittelten Informationen und einer Arbeitsübersetzung dieser Länderantworten . Bei der deutschen Wiedergabe der Rechtsvorschriften handelt es sich folglich nicht um amtliche Übersetzungen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 7 Für den Fall, dass im Gesetz bestimmte Strafschärfungsgründe aufgeführt werden – hier die Verübung der Straftat durch einen Ehe- oder Lebenspartner – wurde in der Rechtsprechung festgestellt , dass für diese Gründe die im französischen Strafgesetzbuch selbst, insbesondere in Art. 132-80,14 gegebene Definition anzuwenden ist.15 So hob der Kassationshof das Urteil des Berufungsgerichts auf, das einen Strafschärfungsgrund mit der Begründung ausgeschlossen hatte, dass aufgrund der seit einer Trennung verstrichenen Zeit nicht mit Sicherheit habe festgestellt werden können, dass die Gewalttat mit der früheren Lebensgemeinschaft der Konfliktparteien in Verbindung stand.16 Die erforderlichen Rechtsvorschriften wurden demnach erlassen und werden in der französischen Rechtsprechung kontinuierlich angewandt. Im französischen Recht werden Frauen durch verschiedene Gesetze vor Gewalt geschützt: Mit dem Gesetz vom 4. April 2006 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt in der Beziehung und gegen Minderjährige17 wurde Art. 132-80 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Dieser lautet: In den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen wird bei der Festsetzung des Strafmaßes für ein Verbrechen oder Vergehen die Verübung durch einen Ehepartner, Lebensgefährten oder eingetragenen Lebenspartner als strafschärfend berücksichtigt. Der in Absatz 1 vorgesehene Strafschärfungsgrund ist ebenfalls gegeben, wenn die Vorfälle von einem ehemaligen Ehepartner, Lebensgefährten oder eingetragenen Lebenspartner verübt werden. Die Bestimmungen dieses Absatzes sind anwendbar, sofern die Straftat aufgrund der Beziehung verübt wird, die zwischen Täter und Opfer bestand. Mit dem Gesetz wurde der Terminus „eingetragene Lebenspartner“ hinzugefügt, zusätzlich zu den bereits genannten Ehepartnern und Lebensgefährten. Zudem wurden die Strafschärfungsgründe durch das Gesetz auf Ex-Partner erweitert: ehemalige Ehepartner, Lebensgefährten oder Lebenspartner. 14 Artikel abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCodeArticle.do?idArticle=LEGI- ARTI000037289721&cidTexte=LEGITEXT000006070719&dateTexte=20180806. 15 Strafs. 17-85.791, 2. Mai 2018. 16 Strafs. 08-87.480, 7. April 2009. 17 Gesetz vom 4. April 2006 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt in der Beziehung und gegen Minderjährige , abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000422042&categorie Lien=id. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 8 Mit dem Gesetz vom 9. Juli 2010 zur spezifischen Gewalt gegen Frauen, zur Gewalt in der Beziehung und deren Auswirkungen auf Kinder18 wurde der Anwendungsbereich dieser Strafschärfungsgründe dahingehend erweitert, dass sie nicht mehr nur bei Verbrechen und Vergehen Berücksichtigung finden, sondern auch bei Ordnungswidrigkeiten. Durch das Gesetz vom 3. August 2018 zur verstärkten Bekämpfung sexueller und sexistischer Gewalt 19 findet der allgemeine Strafschärfungsgrund des Art. 132-80 des französischen Strafgesetzbuchs nun selbst bei Getrenntlebenden Anwendung. 3.3. Österreich Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl. für die Republik Österreich I Nr. 112/2015 wurde in den besonderen Erschwerungsgründen nach § 33 des österreichischen Strafgesetzbuchs 20 ein neuer Absatz 3 hinzugefügt, welcher der Umsetzung von Art. 46 IK dient. Der Anwendungsbereich dieser neuen Bestimmung wurde im Hinblick auf den Kreis der nach dem Übereinkommen zu erfassenden Delikte auf strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Schwangerschaftsabbruch, strafbare Handlungen gegen die Freiheit und gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung festgelegt. § 33 Abs. 3 Nr. 1 des österreichischen Strafgesetzbuchs dient dabei speziell der Umsetzung von Art. 46 lit. a des Übereinkommens, wobei der darin angeführte Personenkreis mit Ausnahme der ehemaligen Ehegatten, der ehemaligen eingetragenen Partner sowie der ehemaligen Lebensgefährten bereits von der Bestimmung des § 72 des österreichischen Strafgesetzbuchs (Definition der Angehörigen) umfasst war. Dementsprechend wurde in § 33 Abs. 3 Nr. 1 des österreichischen Strafgesetzbuchs auf dessen § 72 verwiesen und der Anwendungsbereich um die genannten ehemaligen Angehörigen erweitert. Durch das Gewaltschutzgesetz 2019, BGBl. für die Republik Österreich I Nr. 105/2019 wurde § 33 des österreichischen Strafgesetzbuchs einer inhaltlichen und strukturellen Änderung unterzogen und der bislang in § 33 Abs. 3 Nr. 1 des österreichischen Strafgesetzbuchs enthaltene Regelungsinhalt auf sonstige strafbare Handlungen unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung erweitert und in § 33 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des österreichischen Strafgesetzbuchs verankert. § 33 des österreichischen Strafgesetzbuchs lautet nunmehr auszugsweise: „Besondere Erschwerungsgründe 18 Gesetz vom 9. Juli 2010 zur spezifischen Gewalt gegen Frauen, Gewalt in der Beziehung und deren Auswirkungen auf Kinder, abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cid- Texte=JORFTEXT000022454032&categorieLien=id. 19 Gesetz vom 3. August 2018 zur verstärkten Bekämpfung sexueller und sexistischer Gewalt, abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000037284450&categorieLien=id. 20 Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl. für die Republik Österreich Nr. 60/1974 in der Fassung BGBl. für die Republik Österreich I Nr. 111/2019, abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer =10002296. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 9 § 33. (1) Ein Erschwerungsgrund ist es insbesondere, wenn der Täter […] (2) Ein Erschwerungsgrund ist es auch, wenn der Täter eine vorsätzliche strafbare Handlung nach dem ersten bis dritten oder zehnten Abschnitt des Besonderen Teils oder eine sonstige strafbare Handlung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung […] 2. gegen eine Angehörige oder einen Angehörigen (§ 72), einschließlich einer früheren Ehefrau , eingetragenen Partnerin oder Lebensgefährtin oder eines früheren Ehemanns, eingetragenen Partners oder Lebensgefährten oder als mit dem Opfer zusammenlebende Person; 3. unter Missbrauch einer Autoritätsstellung; […] begangen hat. (Anm.: Abs. 3 aufgehoben durch Art. 4 Z 2, BGBl. I Nr. 105/2019)“ § 72 des österreichischen Strafgesetzbuchs regelt: „Angehörige § 72. (1) Unter Angehörigen einer Person sind ihre Verwandten und Verschwägerten in gerader Linie, ihr Ehegatte oder eingetragener Partner und die Geschwister des Ehegatten oder eingetragenen Partners, ihre Geschwister und deren Ehegatten oder eingetragene Partner, Kinder und Enkel, die Geschwister ihrer Eltern und Großeltern, ihre Vettern und Basen, der Vater oder die Mutter ihres Kindes, ihre Wahl- und Pflegeeltern, ihre Wahl- und Pflegekinder, sowie Personen, über die ihnen die Obsorge zusteht oder unter deren Obsorge sie stehen, zu verstehen. (2) Personen, die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, werden wie Angehörige behandelt , Kinder und Enkel einer von ihnen werden wie Angehörige auch der anderen behandelt.“ Die in § 33 des österreichischen Strafgesetzbuchs angeführten besonderen Erschwerungsgründe sind beispielhaft aufgelistet und zwingend zu berücksichtigen.21 Das heißt nicht, dass immer eine 21 Ebner, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Stand: Mai 2020, § 33 Rn 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 10 Erhöhung des Strafmaßes erfolgen muss.22 Es besteht nur die Pflicht, die besonderen Erschwerungsgründe zu beachten.23 3.4. Polen Die Erfüllung des Art. 46 IK soll durch Art. 53 und Art. 115 § 2 des polnischen Strafgesetzbuchs gewährleistet werden; die in diesen Bestimmungen aufgeführten Umstände könnten als „erschwerend “ im Sinne der IK angesehen werden. In Bezug auf die Frage, ob Gesetzesänderungen erfolgt sind, damit Art. 46 lit. a IK bei der Bewertung von Tötungsdelikten ausreichend Berücksichtigung finden kann, bestünde keine Notwendigkeit zur Änderung der polnischen Rechtsvorschriften, da diese den Anforderungen der Konvention vollkommen entsprächen. Der Anwendungsbereich des Art. 53 des polnischen Strafgesetzbuchs sei weit gefasst und könne auf eine Vielzahl verschiedener Situationen (einschließlich der Ermordung von Angehörigen) angewandt werden. 3.5. Schweden In der schwedischen Rechtsprechung zu Mord oder Totschlag soll es keinen ausdrücklichen Verweis auf die IK gegeben haben. Was die Vereinbarkeit des schwedischen Rechts mit Art. 46 IK und die Verpflichtung zur Ergreifung notwendiger Maßnahmen in Bezug auf erschwerende Umstände anbelangt, so war die schwedische Regierung der Ansicht, dass Gesetzesänderungen nicht notwendig seien, da die Rechtsvorschriften diesbezüglich bereits mit der IK in Einklang stünden. Eine Zusammenfassung der Schlussfolgerungen der Regierung findet sich in einem Bericht, den Schweden am 4. September 2017 der Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (GREVIO) vorgelegt hat. Darin heißt es auszugsweise: […] Dennoch gibt es einige erschwerende Umstände, die in Kapitel 29, § 2 des schwedischen Strafgesetzbuches24 erwähnt werden und denen bei der Beurteilung der strafrechtlichen Wertigkeit einer Straftat besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden kann […] Nach Abs. 4 kann berücksichtigt werden, ob der Beschuldigte seine eigene Position ausgenutzt oder ein besonderes Vertrauen missbraucht hat. […] Dies vorausgeschickt, ist zu betonen, dass die in Kapitel 29, § 2 des schwedischen Strafgesetzbuches aufgezählten Umstände nicht erschöpfend sein sollen; alle relevanten Umstände 22 Ebner, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Stand: Mai 2020, § 33 Rn 1. 23 Ebner, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Stand: Mai 2020, § 33 Rn 1. 24 Strafgesetzbuch Schwedens, in englischer Sprache abrufbar unter https://www.government.se/49f780/contentassets /7a2dcae0787e465e9a2431554b5eab03/the-swedish-criminal-code.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 11 können als erschwerend angesehen werden. Das bedeutet, dass unabhängig davon, ob ein einzelner in Art. 46 IK genannter Umstand aufgelistet ist oder nicht, dieser nach der Gesetzgebung als erschwerend bewertet werden kann. […]25 3.6. Schweiz In der Schweiz sollen alle in Art. 46 IK aufgeführten Tatumstände grundsätzlich vom Gericht im Rahmen der Strafzumessung erschwerend berücksichtigt werden können (vgl. Art. 47 des schweizerischen Strafgesetzbuchs26). Eine Gesetzesänderung sei nicht erforderlich gewesen. 3.7. Spanien In Bezug auf die Frage, ob in Spanien Gesetze angepasst wurden, damit Art. 46 lit. a IK bei der Bewertung von Tötungsdelikten ausreichend Berücksichtigung finden kann, soll im Jahre 2015 eine umfassende Reform des Strafgesetzbuchs Spaniens27 erfolgt sein, um neue Elemente im Zusammenhang mit geschlechtsbezogener Gewalt einzuführen. So wurde ein „erschwerender Umstand " für die „Begehung der Straftat aus geschlechtsbezogenen Gründen“ geschaffen. Art. 22.4 des spanischen Strafgesetzbuchs lautet auszugsweise: Dies sind erschwerende Umstände: […] 4) Die Begehung der Straftat wegen rassistischer, antisemitischer oder anderer Arten von Diskriminierung aufgrund der Ideologie, Religion oder Glaubensvorstellung des Opfers, […], seines Geschlechts, […], aufgrund geschlechtsbezogener Gründe, […]. Die Expertengruppe der Beobachtungsstelle zu häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt (General Council of the Judiciary) betont die Bedeutung der Anwendung des geschlechtsbezogenen erschwerenden Umstandes auf alle Straftaten, bei denen der Angriff auf Frauen aufgrund ihres Geschlechts erfolgt, unabhängig davon, ob zwischen dem Angreifer und dem Opfer irgendeine Art von Beziehung besteht. Eine Analyse von 36 Urteilen, die zwischen 2016 und 2018 gefällt wurden, zeigt, dass in 67 Prozent der Fälle, in denen dieser erschwerende Umstand beantragt wurde, eine Anwendung desselben erfolgte und offenbart eine steigende Tendenz in Bezug auf die Anträge der Verfahrensbeteiligten. 25 Bericht Schwedens gemäß Art. 68 Absatz 1 der IK (Grundlagenbericht), S. 65 und 66, veröffentlicht am 07.09.2017, abrufbar unter https://rm.coe.int/state-report-on-sweden /168073fff6#__utma=1.739242518.1572350957.1593509546.1593516556.2&__utmb=1.2.10.1593516556&__ut mc=1&__utmx=-&__utmz=1.1593509546.1.1.utmcsr=google|utmccn=(organic)|utmcmd=organic|utmctr =(not%20provided)&__utmv=-&__utmk=209386642. 26 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (Stand am 1. Juli 2020), abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html#a47. 27 Strafgesetzbuch Spaniens, abrufbar unter https://www.boe.es/buscar/act.php?id=BOE-A-1995-25444. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 12 3.8. Vereinigtes Königreich Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist der Auffassung, dass es die Anforderungen von Art. 46 IK bereits erfülle.28 Änderungen des bestehenden Rechts mit dem Ziel, die Einhaltung von Art. 46 IK zu gewährleisten, hat es nicht gegeben. In England und Wales werden die Anforderungen des Art. 46 lit. a IK durch die vom Sentencing Council herausgegebene Richtlinie für Aburteilungen eingehalten, die die Gerichte bei der Verurteilung eines Straftäters beachten müssen: vgl. die Übergreifenden Grundsätze: Häusliche Gewalt – Endgültige Richtlinie, 2018 des Sentencing Councils.29 Die Endgültige Richtlinie gilt für alle Straftaten, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt begangen werden. Sie verlangt, dass das verurteilende Gericht bei der Beurteilung der Schwere des Delikts einen Vertrauensbruch berücksichtigt . Die Richtlinie führt aus: […] Der häusliche Kontext des strafbaren Verhaltens macht die Straftat schwerer, da es eine Verletzung des normalerweise zwischen Menschen in einer intimen oder familiären Beziehung bestehenden Vertrauens und der dort üblicherweise existierenden Sicherheit darstellt. […]30 Die Richtlinie nennt unter anderem einen Vertrauens- und einen Machtmissbrauch als erschwerenden Umstand.31 4. Mordmerkmale im Falle der Tötung von Frauen nach der deutschen Rechtsprechung Zu erörtern ist weiterhin, wie die Tötung von Frauen nach der deutschen Rechtsprechung im Allgemeinen strafrechtlich bewertet wird. Die vorsätzliche Tötung einer Frau erfüllt für sich genommen kein in § 211 Abs. 2 StGB genanntes Mordmerkmal. Allerdings ist fraglich, inwieweit bei Tötungsdelikten in Paarbeziehungen Motive wie Eifersucht, Besitzdenken, Angst vor dem Verlassenwerden usw. Mordmerkmale darstellen. 28 Vgl. Ratification of the Council of Europe Convention on Combating Violence Against Women and Girls and Domestic Violence (Istanbul Convention) – 2019 Report on Progress, Home Office, Oktober 2019, Annex A, S. 41, abrufbar unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/843509/CCS0919132732-001_Istanbul_Convention_2019_Report_Option_A_Web_Accessible .pdf. 29 Übergreifende Grundsätze: Häusliche Gewalt – Endgültige Richtlinie, 2018, Sentencing Council, abrufbar unter https://www.sentencingcouncil.org.uk/wp-content/uploads/Overarching-Principles-Domestic-Abuse-definitiveguideline -Web.pdf. 30 Übergreifende Grundsätze: Häusliche Gewalt – Endgültige Richtlinie, 2018, Sentencing Council, S. 3, abrufbar unter https://www.sentencingcouncil.org.uk/wp-content/uploads/Overarching-Principles-Domestic-Abuse-definitive -guideline-Web.pdf. 31 Übergreifende Grundsätze: Häusliche Gewalt – Endgültige Richtlinie, 2018, Sentencing Council, S. 3, abrufbar unter https://www.sentencingcouncil.org.uk/wp-content/uploads/Overarching-Principles-Domestic-Abuse-definitive -guideline-Web.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 13 Bei Tötungsdelikten in Paarbeziehungen kommt insbesondere das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB in Betracht. „Beweggründe sind niedrig, […] wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und damit besonders, d.h. in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind.“32 Sofern ein Motivbündel vorliegt, sind niedrige Beweggründe anzunehmen, „wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist“.33 Nach der Rechtsprechung des BGH kommen Gefühlsregungen wie Rache, Hass, Wut, aber auch Eifersucht lediglich dann als niedrige Beweggrunde in Betracht, wenn sie selbst auf niedrigen Beweggründen beruhen.34 Dies ist am ehesten der Fall, sofern sie „jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren“.35 Außerdem muss der Täter die tatsächlichen Umstände, welche die niedrigen Beweggründe ausmachen, „in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie – insbesondere auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen“ wie Verärgerung, Wut und Eifersucht – die Möglichkeit gehabt haben, diese „gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern“.36 Niedrige Beweggründe wurden beispielsweise in einem Fall bejaht, in dem die Hauptmotive des Angeklagten in Form der Eifersucht und der Weigerung, eine Trennung zu akzeptieren, Ausdruck der Einstellung waren, zu meinen, über seine Frau als sein Eigentum verfügen zu können.37 Hier hatte der Angeklagte geäußert, er bringe sie um, es sei ihm lieber, seine Frau sei tot, als dass sie einen anderen Mann habe.38 Auf der anderen Seite können, sofern sich die Intimpartnerin des Täters von diesem abgewendet hat, „auch Gefühle der Verzweiflung, der inneren Ausweglosigkeit und erlittenen Unrechts“ die Tat auslösen bzw. bestimmen, welche eine Beurteilung als „niedrig“ zweifelhaft erscheinen lassen .39 Im Falle eines in gewisser Hinsicht noch emotional nachvollziehbaren Motivbündels aus Enttäuschung , Eifersucht, narzisstisch geprägter Wut, großer Verzweiflung, aber auch aus endgültiger Verlustangst (der Angeklagte hatte die Erkenntnis und die Angst, dass seine Ehefrau sich endgültig von ihm trennt), wurden niedrige Beweggründe ebenfalls abgelehnt.40 32 BGH, Urteil vom 12.06.2013, Az. 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524 Rn 7. 33 BGH, Urteil vom 16.02.2012, Az. 3 StR 346/11, BeckRS 2012, 8733 Rn 10. 34 BGH, Beschluss vom 22.07.2010, Az. 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35. 35 BGH, Beschluss vom 22.07.2010, Az. 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35. 36 BGH, Urteil vom 01.03.2012, Az. 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692 Rn 14. 37 LG Köln, Urteil vom 03.07.2013, Az. 105 Ks 18/12, BeckRS 2013, 197475 Rn 180. 38 LG Köln, Urteil vom 03.07.2013, Az. 105 Ks 18/12, BeckRS 2013, 197475 Rn 180. 39 BGH, Urteil vom 12.06.2013, Az. 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525 Rn 7. 40 BGH, Urteil vom 01.03.2012, Az. 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692 Rn 13, 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 14 In diesem Zusammenhang sind auch die Fälle der sogenannten „Ehrenmorde“ erwähnenswert, bei denen die Täter die „Familienehre“ „retten“ wollen.41 Ob niedrige Beweggründe vorliegen, richtet sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge nach den „Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland“, nicht aber nach den „Anschauungen einer Volksgruppe, welche die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Wertegemeinschaft nicht anerkennt “.42 Dabei muss der Täter aber in der Lage sein, die durch die deutsche Rechtsordnung erfolgende Bewertung der Beweggründe als niedrig nachzuvollziehen.43 In einem Fall, in dem der Täter seine Schwester aufgrund ihres aus seiner Sicht ehrverletzenden Lebenswandels tötete, hatte ein Landgericht niedrige Beweggründe unter anderem mit der Begründung bejaht, diese seien in aller Regel gegeben, wenn der Täter allein einen Ehrenkodex als die Tötung legitimierend ansieht.44 Auch lägen niedrige Beweggründe in der Regel vor, wenn der Täter beispielsweise aufgrund seines Verständnisses von „Familienehre“ ein von ihm gefälltes „Todesurteil“ vollstreckt und sich dadurch über einen anderen Menschen und die Rechtsordnung erhebt.45 Weiterhin ist bei Tötungen von Frauen das ebenfalls in § 211 Abs. 2 StGB normierte Mordmerkmal der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs hervorzuheben. Dieses erfüllt nach dem BGH derjenige, der die Tötung zur geschlechtlichen Befriedigung nutzt.46 Erforderlich ist also, dass sich der Täter im Zeitpunkt des Tötungsentschlusses und der Tötungshandlung von sexuellen Motiven leiten lässt.47 Sind keine Mordmerkmale im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB einschlägig, kommt ein Totschlag nach § 212 StGB in Betracht. 5. Fazit Die Anforderungen des Art. 46 lit. a IK können von der deutschen Rechtsprechung bei der Bewertung von Tötungsdelikten im Rahmen der Strafzumessung durch die Anwendung des § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden. Zur Umsetzung des Art. 46 lit. a IK in den in dieser Ausarbeitung genannten Vertragsstaaten wurden zum Teil Gesetzesänderungen vorgenommen. Teilweise soll eine solche Änderung nicht notwendig gewesen sein, da die bestehende Rechtslage bereits im Einklang mit Art. 46 lit. a IK stehe. 41 Kühl, Der Umgang des Strafrechts mit Moral und Sitten, JA 2009, 833, 835. 42 BGH, Urteil vom 11.10.2005, Az. 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285 Rn 3. 43 Eschelbach, in: v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Beck`scher Online-Kommentar StGB, 46. Edition, Stand: 01.05.2020, § 211 Rn 33.3; BGH, Urteil vom 11.10.2005, Az. 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285 Rn 3. 44 LG Hamburg, Urteil vom 13.02.2009, Az. 621 Ks 17/08, BeckRS 2009, 5475. 45 LG Hamburg, Urteil vom 13.02.2009, Az. 621 Ks 17/08, BeckRS 2009, 5475. 46 BGH, Beschluss vom 10.05.2001, Az. 4 StR 52/01, NStZ 2001, 598, 599. 47 BGH, Beschluss vom 10.05.2001, Az. 4 StR 52/01, NStZ 2001, 598, 599. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 067/20 Seite 15 In Deutschland stellt ein Tötungsdelikt unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit des Opfers nur dann einen Mord dar, wenn im Einzelfall ein in § 211 Abs. 2 StGB genanntes Mordmerkmal erfüllt ist. In Betracht kommt in Paarbeziehungen insbesondere das Merkmal der niedrigen Beweggründe . ***