© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 066/17 Besatzobergrenzen in der Tierhaltung Rechtliche Steuerungsmöglichkeiten des Bundes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 2 Besatzobergrenzen in der Tierhaltung Rechtliche Steuerungsmöglichkeiten des Bundes Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 066/17 Abschluss der Arbeit: 26. Mai 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzesinitiative im Bundesrat 5 3. Leitlinien für eine Nutztierhaltung 6 4. Begriff der Landwirtschaft 6 5. Landwirtschaftl. Tierhaltung (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) 9 6. Gewerbliche Tierhaltung (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) 10 7. Parlamentarische Initiativen 11 8. Fazit 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 4 1. Einleitung Die Forderung, die Nutztierhaltung wieder (mehr) an die landwirtschaftliche Fläche zu koppeln, wird seit Jahren in unterschiedlichen parlamentarischen Initiativen1, aber auch von außerparlamentarischen Akteuren immer stärker erhoben. Umstritten ist, wie eine entsprechende Regelung konkret ausgestaltet sein könnte und wie sich diese dann möglicherweise auf die bestehenden Rahmenbedingungen der Tierhaltungen auswirken würde.2 Insbesondere die Einführung von Bestandsobergrenzen für die Nutztierhaltung wurde seit Mitte der 60iger Jahre in zahlreichen parlamentarischen Initiativen gefordert.3 Der vorliegenden Ausarbeitung liegen deshalb Fragen des Auftraggebers zugrunde, wie etwa: Wie können Viehbestandsobergrenzen pro Betriebsstandort oder für eine Region eingeführt werden? Wie kann die Tierhaltung an die Fläche gekoppelt werden? Reichen dazu Flächennachweise aus, auch wenn die Flächen viele Kilometer weit entfernt liegen? Sollte das einzelbetrieblich geschehen oder in Betriebsverbünden? Wäre eine regionale Obergrenze zielführender und wie würde sich das auf den einzelnen Agrarbetrieb auswirken? In welchen Gesetzen wären solche Flächenbindungen wie zu verankern? Welche vergleichbaren Regelungen gibt es in anderen EU-Mitgliedsstaaten ? Vor diesem Hintergrund wird zunächst auf eine Gesetzesinitiative im Bundesrat aus dem Jahre 1994 verwiesen (Ziffer 2.). Anschließend werden die neueren Leitlinien und Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik (WBA) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für eine künftige Nutztierhaltung vorgestellt (Ziffer 2.). Hier erfolgen auch in gedrängter Form Hinweise auf die aktuelle Novellierung des Düngemittelrechts und auf die Viehbestandsobergrenzen in den Niederlanden. Dem schließen sich Ausführungen zu planungsrechtlichen Regelungen an (Ziffer 5 bis 7). 1 Vgl. bspw. BT-Drucks. 11/1986: Flächengebundene Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und der Umwelt; BT-Drucks. 18/3732: Die Zukunft der Tierhaltung - artgerecht und der Fläche angepasst; BT-Drucks. 18/11454, S. 4 und 8. 2 Vgl. hierzu im Einzelnen die Ansätze von Jäckle, Viehbesatzgrenze oder ausgeglichene Nährstoffbilanz?, Der kritische Agrarbericht 2002, S. 234 ff; Spandau, Wieviel Ackerfläche brauchen Schweinehalter?, top agrar 5/2002, S. 6 ff. 3 Vgl. im Einzelnen die Nachweise, BT-Drucks. 11/1986, S. 2. unter anderem mit Hinweisen auf BT-Drucks. V/353, BT-Drucks. 10/89, 10/1190, 10/1188, 10/2822. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 5 2. Gesetzesinitiative im Bundesrat Bereits im Jahre 1994 hat das Land Niedersachsen eine Gesetzesinitiative gestartet und den „Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Konzentration und zur Sicherung der Flächenbindung in der Tierhaltung“ vorgelegt.4 Der Gesetzentwurf sollte dem Ziel dienen, die Wettbewerbsfähigkeit einer flächengebundenen Tierhaltung gegenüber der industriemäßig betriebenen Tierproduktion zu stärken. Auch wurde angestrebt, die hohe räumliche Konzentration im Bereich der Tierhaltung zurückzuführen und die damit verbundenen ökologischen Risiken nachhaltig zu mindern. Im Einzelnen zielte der Gesetzentwurf darauf, dass flächenunabhängig produzierende Tierhaltungsbetriebe von bestehenden steuerlichen Vorteilen und staatlichen Förderungen ausgeschlossen werden. Daneben sollten die Privilegien in bestimmten Ordnungsgesetzen, wie beispielsweise dem Baugesetzbuch (Bauen im Außenbereich) oder dem Landpacht- und Grundstückverkehrsgesetz entzogen werden.5 Die Definition der flächengebundenen Tierhaltung erfolgte über das Kriterium „Umfang der Tierhaltung je Hektar“. Der Bundesrat hat auf der Grundlage von Ausschussberatungen letztlich beschlossen , den Gesetzentwurf nicht beim Deutschen Bundestag einzubringen.6 Zwischenzeitlich ist eine Einschränkung der Privilegierung gewerblich betriebener Tierhaltungsanlagen durch eine Änderung des § 35 Abs. Nr. 4 BauGB erfolgt.7 Die Länder Nordrhein-Westfalen , Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Thüringen haben in diesem Zusammenhang ergänzende Erlasse eingeführt.8 4 Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen, Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Konzentration und zur Sicherung der Flächenbindung in der Tierhaltung, BR-Drucks. 1989/94. 5 Zur Änderung des § 35 BauGB wird insbesondere auf BR-Drucksache 1089/94 ff. verweisen. 6 Stenographischer Bericht 688. Sitzung am 22.09.1995, Plenarprotokoll 688, S. 396 (B). 7 BGBl. 2013 I S. 1548. 8 Vgl. hierzu die Nachweise bei Arnold, Aktuelle Probleme der bau- und immissionsschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen von Tierhaltungsanlagen, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2017, S. 497 (498), Fn. 4 bis 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 6 3. Leitlinien für eine Nutztierhaltung Der WBA hält die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht zukunftsfähig und hat Leitlinien und Empfehlungen für eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung entwickelt. Er ist in seinem Gutachten9 der Auffassung, dass die hierbei gesetzten Ziele nur gemeinsam durch Anstrengungen von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu erzielen seien. Zur Erreichung der Schutzziele in den Bereichen des Umweltschutzes (Naturschutz, Wasserschutz und Klimaschutz) hält der WBA unter anderem Anpassungen im Düngerecht10 für dringend erforderlich. Nach Ansicht des WBA seien die negativen Umwelteffekte der Tierhaltung ein Problem der unzulänglichen Umsetzung von Emissionsvermeidungsstrategien und zeigten sich vor allem in Regionen mit hoher Viehdichte. Versuche der räumlichen Entzerrung hätten sich aufgrund der positiven ökonomischen Clustereffekte auf der einen sowie Anwohnerprotesten in Regionen mit bislang geringer Viehdichte auf der anderen Seite als schwierig erwiesen. Sollten die empfohlenen Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes nicht zu den erwünschten Ergebnissen führen, sieht der WBA mittelfristig keine Alternative zur Reduktion von Tierbeständen in den gegenwärtigen „Ballungsregionen“ der Tierhaltung. Entsprechend dem niederländischen Modell sollten dann regionale Bestandsobergrenzen eingeführt werden. Aufgrund der hohen Bedeutung für die Biodiversität empfiehlt der WBA Maßnahmen fortzuführen oder auch auszuweiten, die eine gesellschaftlich erwünschte Nutzung von ertragsschwachen Grünlandstandorten sicherstellen. Neben der Einführung von regionalen Bestandsobergrenzen durch ein eigenständiges Gesetz, kommen Änderungen in bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen in Betracht. 4. Begriff der Landwirtschaft Die Landwirtschaft ist in § 201 BauGB legaldefiniert und wird damit zu einem planungsrechtlichen Begriff. Diese Vorschrift über den Begriff der Landwirtschaft geht zurück auf § 146 eines Baugesetzbuches aus dem Jahre 1960 (BBauG 1960).11 Grund für die Einführung einer derartigen Vorschrift war, dass es zweckmäßig erschien, eine allgemeine Bestimmung des Begriffs „Landwirtschaft “ in das Bundesbaugesetz aufzunehmen. Die Vorschrift lehnte sich dabei an § 1 Abs. 2 9 BMEL (Hrsg.), Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung, März 2015, Zusammenfassung, S. 2; zuletzt abgerufen am 15.05.2017: http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik /GutachtenNutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile . 10 Vgl. hierzu auch die gemeinsame Mitteilung der Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik und für Düngungsfragen beim BMEL und des Sachverständigenrates der Bundesregierung: „Reform der Düngegesetzgebung dringend erforderlich: Zentrale Umweltziele werden nicht erreicht“; zuletzt abgerufen am 15.05.2017: http://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/PM-GemStellungnahmeDuengeverordnung .html. 11 Der Regierungsentwurf eines Bundesbaugesetzes (BT-Drs. III/336) enthielt noch keine Begriffsbestimmung der Landwirtschaft. Aufgrund eines Vorschlags des 24. Bundestagsausschusses wurde die Vorschrift des § 146 über den Begriff der Landwirtschaft in das Bundesbaugesetz aufgenommen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 7 des Grundstücksverkehrsgesetzes (GrdstVG)12 aus dem Jahre 1961 an. Das GrdstVG ist zwar im Laufe der Zeit verschiedentlich geändert worden.13 § 1 Abs.2 GrdstVG lautet aber seitdem unverändert : „Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzes ist die Bodenbewirtschaftung und die mit der Bodennutzung verbundene Tierhaltung, um pflanzliche oder tierische Erzeugnisse zu gewinnen , besonders der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft, der Erwerbsgartenbau , der Erwerbsobstbau und der Weinbau, sowie die Fischerei in Binnengewässern.“ Die Vorschrift ging von den damaligen Produktionsmethoden eines landwirtschaftlichen Betriebes aus, der das Futter für die Tierhaltung überwiegend selbst produziert. Entsprechendes gilt für den § 146 BBauG 1960, der in der Folgezeit mehrfach novelliert wurde. Der geltende § 201 BauGB wurde im Jahre 2004 zuletzt geändert. Hiernach ist Landwirtschaft im Sinne des BauGB insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich der Tierhaltung. Eine landwirtschaftliche Tierhaltung liegt allerdings nur dann vor, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden landwirtschaftlichen Flächen erzeugt werden kann. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzbuchs ist insbesondere der Ackerbau, die Wiesenund Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die berufsmäßige Binnenfischerei.“ Das für die Tierhaltung erforderliche Futter muss überwiegend, d.h. zu mehr als 50 %, auf den betreffenden Flächen erzeugt werden können.14 Die Verarbeitung des erzeugten Futters und ihre Verwendung außerhalb des Betriebs sind allerdings nicht ausgeschlossen. Die amtliche Begründung zu § 201 BauGB, mit der die Wechselbeziehung zwischen Tierhaltung und Futtermittelanbau (landwirtschaftlicher Bodenfläche) aufgehoben wurde, hat folgenden Wortlaut: „Mit der vorgesehenen Regelung soll in Anpassung an die geänderten landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen der Begriff der Landwirtschaft verdeutlicht werden. Nach der geltenden und insoweit inhaltlich unverändert beizubehaltenden Regelung in § 201 liegt Landwirtschaft im Zusammenhang mit Tierhaltung und Tierzucht nur vor, wenn sie „auf überwiegend eigener Futtergrundlage“ erfolgt. Daraus wird teilweise gefolgert, dass nicht nur das Futter für die Tiere zu mehr als der Hälfte auf den zum landwirtschaftlichen 12 Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstückverkehrsgesetz - GrdstVG) vom 28. 07. 1961 (BGBl. I S. 1091), zuletzt geändert durch Art. 108 des Gesetzes vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586); zuletzt abgerufen am 16.05.2017: https://www.gesetzeim -internet.de/grdstvg/BJNR010910961.html. 13 Vgl. hierzu Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand: Okt. 2017, § 201 Rdnr. 1. 14 BVerwGE 34, 1 = BRS 22 Nr. 68; NJW 1981, 139; NVwZ 1986, 203; BauR 2985, 544; NVwZ 1986, 200; 1986, 916. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 8 Betrieb gehörenden Flächen erzeugt (flächenbezogene Tierzucht), sondern auch tatsächlich verfüttert werden muss (konkrete Betrachtungsweise). Diese Betrachtung entspricht nicht den heutigen Abläufen in der Landwirtschaft. Auch in flächenbezogenen Tierhaltungen wird das erzeugte Futter verarbeitet, bevor es an die Tiere verfüttert wird. Die vorgeschlagene Änderung soll dies berücksichtigen. Es soll ausreichen, wenn genügend landwirtschaftlich genutzte Flächen, die zum landwirtschaftlichen Betrieb gehören, zur (überwiegenden ) Futtererzeugung vorhanden sind. Auf die unmittelbare Verfütterung des erzeugten Futters an die Tiere soll es für den baurechtlichen Begriff der Landwirtschaft nicht ankommen (abstrakte Betrachtungsweise). Die vorgeschlagene Änderung des Begriffs der Landwirtschaft umfasst durch die Bezugnahme auf Tierhaltung den bisher gesondert aufgeführten Begriff der Pensionstierhaltung; er kann daher entfallen.“15 Die Neuformulierung des § 201 BauGB im Jahre 2004 stellt damit die Entkoppelung (abstrakte Futtergrundlage) der bis dahin vorherrschenden wechselseitigen Verknüpfung von Tierhaltung sowie Ackerbau, Wiesen- und Weidewirtschaft dar. Es wird daher bereits aus Kreisen der Landwirtschaft die grundlegende Frage in den Raum gestellt, warum, wenn das Futter für die gehaltenen Tiere schon nicht selbst produziert werden muss, überhaupt noch die Forderung aufgestellt wird, dass der Tierproduzent in einem bestimmten Umfang auch Bodenbewirtschaftung betreiben muss. In diesem Zusammenhang wird zudem darauf verwiesen, dass die Definition der Landwirtschaft in § 201 BauGB zwar eine abstrakte Futtergrundlage für die Tierhaltung erfordert, aber keine Regelungen zur Entsorgung oder Verwendung des hieraus erzeugten Düngers (z.B. Gülle) enthalte.16 Grundsätzlich dürfte es dem Gesetzgeber im Ergebnis möglich sein, den Begriff der Landwirtschaft durch Kriterien für eine ökologisch/biologische Tierhaltung17 zu konkretisieren. Auch wäre es wohl zulässig, hierbei insbesondere an die früheren gesetzlichen Regelungen zur eigenen Futtermittelerzeugung anzuknüpfen. Wie im Einzelnen die Regelungen auszugestalten sind, bleibt wohl einem weiten gestalterischen Ermessensspielraum des Gesetzgebers überlassen. In Betracht kommen auch Übergangsfristen für entsprechende Betriebsumstellungen. Zumindest erscheint es erforderlich, den § 201 BauGB in Verbindung mit § 35 BauGB im Hinblick auf die landwirtschaftliche Tierhaltung einer grundlegenden Gesetzesevaluation zu unterziehen . Hierbei ließen sich auch bestehende rechtliche Unsicherheiten18 im Zusammenhang mit 15 BT-Drucks. 15/2250, S. 62. 16 Vgl. hierzu Nies, Auswirkungen der BauGB-Novelle auf die Genehmigung von Tierhaltungsanlagen, Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes (Agrar- und Umweltrecht ) 2014, S. 201 (203) 17 Bspw. im Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 889/2008 der Kommission vom 05.09.2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen hinsichtlich der ökologischen/biologischen Produktion , Kennzeichnung und Kontrolle (ABl. L 250 vom 18.09.2008, S. 1); zuletzt abgerufen am 22.05.2017: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32008R0889. 18 Vgl. hierzu im Einzelnen Nies, Auswirkungen der BauGB-Novelle auf die Genehmigung von Tierhaltungsanlagen , Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes (Agrarund Umweltrecht) 2014, S. 201 (206) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 9 dem Erfordernis der Bodenbewirtschaftung und der abstrakten Futtergrundlage einer Überprüfung in der Praxis zuführen. 5. Landwirtschaftl. Tierhaltung (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bezeichnet solche Vorhaben (z. B. Tierhaltungsanlagen) im Außenbereich als zulässig oder privilegiert, die einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen , die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es 1. einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, […]“ Für den Begriff des landwirtschaftlichen Betriebs ist die Begriffsbestimmung des § 201 BauGB über die Landwirtschaft maßgeblich. Eine Tierhaltung (Vorhaben) ist damit unter anderem nur dann zulässig, wenn sie einem landwirtschaftlichen Betrieb „dient“. Die erforderliche „dienende Funktion“ des Vorhabens ist durch die Rechtsprechung näher konkretisiert worden und eher unter räumlichen Gesichtspunkten der Zuordnung zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gesehen worden.19 Danach verlangt das Merkmal des Dienens, dass das Vorhaben äußerlich erkennbar (räumlich funktional) durch seine Zuordnung zu den vorhandenen Betriebsgebäuden geprägt wird.20 Ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem Betriebszweig Tierhaltung und dem Ackerbau muss wohl nicht bestehen. Die landwirtschaftliche Bodennutzung kann in der Praxis völlig unabhängig von Tierhaltung und umgekehrt erfolgen. Während landwirtschaftliche Produkte aus der Flächenbewirtschaftung anderweitig vermarktet werden können, kann die Futterbeschaffung über externe Lieferanten erfolgen. Auch der in der Tierhaltungsanlage durch die Futterverwertung entstehende Dünger muss nicht als solcher den zugehörigen landwirtschaftlichen Flächen „dienen“ und auf diese aufgebracht werden. Möglich ist es, diesen Wertstoff in Biogasanlagen einzusetzen, oder anderweitig extern zu entsorgen. Für die Bodenbewirtschaftung wird ohnehin Kunstdünger eingesetzt. Die dienende Funktion einer Tierhaltungsanlage für die landwirtschaftlichen Betriebe im Sinne einer funktionalen Wechselbeziehung könnte bereits in Anlehnung an die Vorgängerregelungen in § 201 BauGB zum Ausdruck gebracht werden. 19 Vgl. hierzu bspw. Söfker, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck’scher Online-Kommentar (Stand: 16.01.2017), § 35 Rdnr. 12 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Arnold, Aktuelle Probleme der bau- und immissionsschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen von Tierhaltungsanlagen, NVwZ 2017, S. 497 (498). 20 Seit BVerwGE 31, 138. Vgl. im Einzelnen hierzu Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar (Stand: Oktober 2016), § 35 Rdnr. 34a bis 34c mit zahlreichen Nachweisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 10 6. Gewerbliche Tierhaltung (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) Mit der Änderung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Jahre 2013 wurden neue Rahmenbedingungen und Größenangaben für die gewerbliche Tierhaltung eingeführt. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: (1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen , die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es […] 4. wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, Gewerbliche Tierhaltungsanlagen der Intensivtierhaltung und -aufzucht werden von Rechtsprechung und Praxis regelmäßig dem § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zugeordnet.21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) dürfte es aber auch bereits nach geltender Rechtslage zulässig sein, gewerbliche Tierhaltung planungsrechtlich in beispielsweise Sonder-, Industrie- oder Gewerbegebieten vorzusehen.22 Hierzu könnten die Gemeinden auch raumordnungsrechtlich 23, ähnlich wie für Windkraftanlagen, in Regionalplänen angehalten werden und so die Intensivtierhaltung in wenigen Vorranggebieten konzentriert werden. Raumordnungsrechtliche Ansätze für die Planung von Tierhaltungsanlagen werden auch in Österreich verfolgt.24 21 Vgl. Söfker, in: Spannowsky/Uechtritz, Beck’scher Online-Kommentar (Stand: 16.01.2017), § 35 Rdnr. 32 mit dem Hinweis „seit BVerwG NVwZ 1984, 169“. 22 Vgl. hierzu Nies, Auswirkungen der BauGB-Novelle auf die Genehmigung von Tierhaltungsanlagen, Agrar- und Umweltrecht 2014, S. 201 (206) 23 Vgl. hierzu Henschke/Kühlbach/Nies/Zeller, in, Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (Hrsg); Kommunen und Tierhaltung im Interessenkonflikt (2011); zuletzt abgerufen am 23.05.2017: https://www.ktbl.de/fileadmin/user_upload/artikel/Management/Tierhaltung-und-Kommune/Tierhaltung-und- Kommunen.pdf. Siehe auch Erlass des Ministeriums für Landentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen- Anhalt von Dezember 2009 (nicht veröffentlicht); Sachsen-Anhalt LT-Drucks. 6/403. 24 Vgl. hierzu Bischof, Die Auswirkung gesetzlicher Veränderungen in Bau- und Raumordnung auf landwirtschaftliche Betriebe in der Steiermark (2009), S. 63 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 11 Als sogenannte sonstige Sondergebiete kommen beispielsweise Landschaftsbereiche in Betracht, die der Nutzung erneuerbarer Energie, wie Wind- und Sonnenenergie, dienen (vgl. § 11 Abs. 2 BauNVO). Denkbar wäre es, auch die gewerbliche Tierhaltung in diese Vorschrift ausdrücklich aufzunehmen. 7. Parlamentarische Initiativen Zur landwirtschaftlichen und gewerblichen Tierhaltung wurde zuletzt anlässlich der dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt25 ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 18/11454 vorgelegt. Hierin wurde gefordert, die Tierhaltung artgerecht und der Fläche anzupassen.26 Bereits im Jahre 2015 wurde die Bundesregierung in einem Antrag auf Drucksache 18/3732, Seite 2/3 aufgefordert, die ökologische Verträglichkeit der Tierhaltung zu verbessern, indem sie - nur für Intensivtierhaltungsanlagen, die keine förmliche Genehmigung nach dem Bundes- Immissionsschutzgesetz (BImSchG) benötigt, die Privilegierung nach § 35 des BauGB beibehält ; - eine Flächenbindung für Tierhaltungsanlagen in das BauGB einführt, die es den Gemeinden ermöglicht, das Wachstum von Intensivtierhaltungsanlagen auf zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche auf dem Gemeindegebiet zu begrenzen; - die aus Tierplatzzahlen bestehenden Schwellenwerte des Anhangs der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV)27, die die Durchführung eines förmlichen oder vereinfachten Genehmigungsverfahrens auslösen und - die bestehenden Schwellenwerte der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)28, die über die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) entscheiden, jeweils um 50 Prozent gegenüber der jeweils bestehenden Regelung reduziert; - eine gesetzliche Basis für eine flächengebundene Tierhaltung für gewerbliche Betriebe schafft, die mit Tierplatzzahlen absolute Obergrenzen für Anlagen definiert; 25 BT-Drucks. 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr. 7, 18/11439. 26 BT-Drucks. 18/11454 27 Vom 02.05.2013 (BGBl. I S. 973, 3756), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 09.01.2017 (BGBl. I S. 42) 28 Vom 24.02.2010 (BGBl. I S. 94), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 4 des Gesetzes vom 05.05.2017 (BGBl. I S. 1074). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 7 - 3000 - 066/17 Seite 12 - zum Schutz vor schädlichen Emissionen aus der Tierhaltung die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA – Luft)29anpasst und darin eine bundesweite Filterpflicht für große Mastanlagen einführt. 8. Fazit Im Ergebnis erscheint es geboten, den Begriff der Landwirtschaft in § 201 BauGB einer Gesetzesevaluation mit dem Ziel zuzuführen, diese planungs- und raumordnungsrechtliche Definition um nachhaltige Kriterien zu konkretisieren. 29 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes–Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) Vom 24. Juli 2002 (GMBl. 2002, Heft 25 – 29, S. 511 – 605), zuletzt abgerufen am 23.05.2017: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1/dokumente /taluft_stand_200207241.pdf.