© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 065/21 Einzelfragen zu Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen wegen Strafverfolgungsmaßnahmen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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GVG bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 4 1. Einleitung Hintergrund des Sachstandes sind verschiedene Einzelfragen zum Schadensersatz- und Entschädigungsrecht im Bereich der Strafverfolgung. Im Folgenden werden allgemein und summarisch verschiedene rechtliche Möglichkeiten aufgezeigt, Schadensersatz bzw. Entschädigung für eine Festnahme, Inhaftierung oder sonstige Strafverfolgungsmaßnahme gegen den Staat geltend zu machen. Gegenstand dieses Sachstands sind Ansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)1, Art. 34 des Grundgesetzes (GG)2, aus Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)3 sowie Entschädigungsansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)4. Schlussendlich wird der Rechtsschutz gemäß §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)5 bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beleuchtet. 2. Schadensersatzanspruch im Falle rechtswidriger Festnahme, Inhaftierung oder sonstiger rechtswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen 2.1. Amtshaftungsanspruch, § 839 BGB, Art. 34 GG Im Falle einer rechtswidrigen Festnahme oder Inhaftierung kommt ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG in Betracht, welcher vorsieht, dass der Staat den entstandenen 1 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1666) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html (letzter Abruf – auch für alle weiteren Internetlinks – 18.06.2021); englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 4 Abs. 5 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3719), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_bgb/englisch_bgb.html. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet .de/gg/BJNR000010949.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung (en) des Gesetzes durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. März 2019 (BGBl. I S. 404), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gg/englisch_gg.html. 3 Die Europäische Menschenrechtskonvention, in der Fassung der Protokolle Nr. 11 und 14 samt Zusatzprotokoll und Protokolle Nr. 4, 6, 7, 12, 13 und 16, abrufbar unter https://www.echr.coe.int/Documents/Convention _DEU.pdf; in englischer Sprache abrufbar unter https://www.echr.coe.int/Documents/Convention_ENG.pdf. 4 Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. März 1971 (BGBl. I S. 157), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. September 2020 (BGBl. I S. 2049) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/streg/BJNR001570971.html. 5 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gvg/BJNR005130950.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1648), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gvg/englisch_gvg.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 5 Schaden zu ersetzen hat.6 Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist, dass ein Amtswalter in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt und hierdurch einen Schaden verursacht, vgl. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so ist gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Inanspruchnahme nur möglich, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er gemäß § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet die Vorschrift des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB allerdings keine Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt gemäß § 839 Abs. 3 BGB nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Im Falle von rechtswidrig und schuldhaft vollzogenen sonstigen Strafverfolgungsmaßnahmen kommt ebenfalls ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG in Betracht, sofern dessen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen.7 Auch dürfte bereits die Einleitung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 152 Abs. 2 StPO grundsätzlich geeignet sein, einen Amtshaftungsanspruch auszulösen, wobei die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über das Einschreiten seitens des Gerichts im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern lediglich auf ihre „Vertretbarkeit“ hin überprüft wird.8 Die Rechtsfolgen der Amtshaftung richten sich nach §§ 249 ff., 842-846 BGB, wobei im Wesentlichen Geldersatz zu zahlen ist.9 Danach sind materielle Schäden ersatzfähig.10 Gemäß § 252 Satz 1 BGB erfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Unter den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB kommt weiterhin der Ersatz eines Schmerzensgeldes in Betracht.11 Nach dieser Vorschrift kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden, sofern wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit , der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist. Außerdem ist bei Amtspflichtverletzungen, die „mit einem Mindestmaß an Schwere eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG oder der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG hervorrufen, ein immaterieller Schaden ersatzfähig, wenn 6 Vgl. Meyer-Mews, Das Festnahmerecht – Ein Überblick, JA 2006, 206, 210; vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.08.2018, Az. 11 U 138/17, BeckRS 2018, 55241; Hartmann/Tieben, in: Amtshaftung, JA 2014, 401, 406. 7 Vgl. Meyer (Hrsg.), StrEG, 11. Auflage 2020, § 2 Rn. 9; Grommes, in: Graf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar OWiG, 30. Edition, Stand: 01.04.2021, § 2 StrEG Rn. 2. 8 Vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1988, Az. III ZR 255/86, NJW 1989, 96 ff. 9 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 93. EL Oktober 2020, Art. 34 Rn. 233, 234. 10 Grzeszick, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 47. Edition, Stand: 15.05.2021, Art. 34 Rn. 14. 11 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 93. EL Oktober 2020, Art. 34 Rn. 234. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 6 ein Genugtuungsbedürfnis vorliegt.12 Nach Art. 34 Satz 3 GG, § 40 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)13 ist der ordentliche Rechtsweg vorgeschrieben, womit die Zivilgerichte gemeint sind.14 2.2. Art. 5 Abs. 5 EMRK Weiterhin kommt im Falle rechtswidriger Festnahme oder Freiheitsentziehung ein Entschädigungsanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK gegen den Staat in Betracht.15 Danach hat jede Person, die unter Verletzung des Art. 5 EMRK von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, Anspruch auf Schadensersatz. Der Anspruch erfordert ein rechtswidriges Handeln und ist verschuldensunabhängig .16 Beispielsweise darf nach Art. 5 Abs. 1 EMRK die Freiheit einer Person lediglich in den in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a-f EMRK aufgelisteten Fällen (z. B. im Falle einer rechtmäßigen Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden. Hinsichtlich der Frage, ob die Freiheitsentziehung rechtswidrig war bzw. nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise vorgenommen wurde, ist zu beachten, dass sich eine Rechtswidrigkeit aus Bestimmungen des nationalen Rechts, aber auch aus einem willkürlichen Handeln ergeben kann.17 Der Anspruch umfasst einen Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.18 Er ist wiederum im Zivilrechtsweg geltend zu machen.19 12 Remus, in: Amtshaftung bei verzögerter Amtstätigkeit des Richters, NJW 2012, 1403, 1406. 13 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 15 Absatz 9 des Gesetzes vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/BJNR000170960.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 5 Absatz 24 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_vwgo/englisch_vwgo.html. 14 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 93. EL Oktober 2020, Art. 34 Rn. 305, 317. 15 Vgl. Meyer-Mews, Das Festnahmerecht – Ein Überblick, JA 2006, 206, 210; Lohse/Jakobs, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 5 EMRK Rn. 38. 16 Vgl. Meyer-Mews, Das Festnahmerecht – Ein Überblick, JA 2006, 206, 210; Brodöfel, in: Geigel, Haftpflichtprozess , 28. Auflage 2020, Kapitel 21. Öffentlich-rechtliche Ausgleichsansprüche Rn. 121. 17 Lohse/Jakobs, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, Art. 5 EMRK Rn. 3. 18 BGH, Urteil vom 29.04.1993, Az. III ZR 3/92, NJW 1993, 2927, 2930; OLG Celle, Beschluss vom 14.02.2012, Az. 2 Ws 32/12, BeckRS 2012, 11589. 19 OLG Celle, Beschluss vom 14.02.2012, Az. 2 Ws 32/12, BeckRS 2012, 11589. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 7 3. Entschädigungsansprüche im Falle rechtmäßiger Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem StrEG Für Fälle rechtmäßiger Strafverfolgungsmaßnahmen regelt das StrEG Entschädigungsansprüche.20 Teilweise wird auch ausgeführt, das StrEG gelte unabhängig von einem Verschulden „auch für rechtmäßig angeordnete und vollzogene Akte der Strafrechtspflege“.21 Im Folgenden werden einige ausgewählte Vorschriften des StrEG auszugsweise wiedergegeben22: „§ 1 Entschädigung für Urteilsfolgen (1) Wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird. (2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn ohne Verurteilung eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet worden ist. § 2 Entschädigung für andere Strafverfolgungsmaßnahmen (1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt. (2) Andere Strafverfolgungsmaßnahmen sind 1. die einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung und des Jugendgerichtsgesetzes, 2. die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 der Strafprozessordnung, 3. Maßnahmen des Richters, der den Vollzug des Haftbefehls aussetzt (§ 116 der Strafprozessordnung ), 4. die Sicherstellung, die Beschlagnahme, der Vermögensarrest nach § 111e der Strafprozessordnung und die Durchsuchung, soweit die Entschädigung nicht in anderen Gesetzen geregelt ist, 5. die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, 20 Vgl. Thode, Amtshaftung für Akte der Strafjustiz, DRiZ 2002, 417; Grommes, in: Graf (Hrsg.), Beck’scher Online- Kommentar OWiG, 30. Edition, Stand: 01.04.2021, § 2 StrEG Rn. 2. 21 Heuser, in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 8. Auflage 2020, 8. Teil Instanzübergreifende Fragen der Strafverteidigung, 34. Kapitel Rn. 2. 22 Die Fettungen im Text der Vorschriften wurden durch den Bearbeiter des Sachstands vorgenommen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 8 6. das vorläufige Berufsverbot. […] § 3 Entschädigung bei Einstellung nach Ermessensvorschrift Wird das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt, die dies nach dem Ermessen des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft zulässt, so kann für die in § 2 genannten Strafverfolgungsmaßnahmen eine Entschädigung gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht. § 4 Entschädigung nach Billigkeit (1) Für die in § 2 genannten Strafverfolgungsmaßnahmen kann eine Entschädigung gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, 1. wenn das Gericht von Strafe abgesehen hat, 2. soweit die in der strafgerichtlichen Verurteilung angeordneten Rechtsfolgen geringer sind als die darauf gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen. […] § 5 Ausschluss der Entschädigung (1) Die Entschädigung ist ausgeschlossen 1. für die erlittene Untersuchungshaft, eine andere Freiheitsentziehung und für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, soweit deren Anrechnung auf die verhängte Strafe unterbleibt, 2. für eine Freiheitsentziehung, wenn eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet oder von einer solchen Anordnung nur deshalb abgesehen worden ist, weil der Zweck der Maßregel bereits durch die Freiheitsentziehung erreicht ist, 3. für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und das vorläufige Berufsverbot, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis oder das Berufsverbot endgültig angeordnet oder von einer solchen Anordnung nur deshalb abgesehen worden ist, weil ihre Voraussetzungen nicht mehr vorlagen, […] (2) Die Entschädigung ist auch ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. […] § 6 Versagung der Entschädigung (1) Die Entschädigung kann ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 9 1. die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlasst hat, dass er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder 2. wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt worden ist, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat oder weil ein Verfahrenshindernis bestand. […] § 7 Umfang des Entschädigungsanspruchs (1) Gegenstand der Entschädigung ist der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden, im Falle der Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist. (2) Entschädigung für Vermögensschaden wird nur geleistet, wenn der nachgewiesene Schaden den Betrag von fünfundzwanzig Euro übersteigt. (3) Für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, beträgt die Entschädigung 75 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung. […]“ Über das Bestehen einer Entschädigungspflicht der Staatskasse dem Grunde nach entscheiden die Strafgerichte, vgl. §§ 8 und 9 StrEG.23 Über die Höhe des Anspruchs wird im Rahmen eines Betragsverfahrens entschieden, welches zunächst bei der Staatsanwaltschaft beantragt wird und im Falle einer Anfechtung der durch die Staatsanwaltschaft bzw. Landesjustizverwaltung getroffenen Entscheidung vor den Zivilgerichten geführt wird, vgl. §§ 10, 13 StrEG.24 4. Rechtsschutz gemäß §§ 198 ff. GVG bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren In den §§ 198-201 GVG sind Regelungen zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren enthalten. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sieht eine angemessene Entschädigung für Verfahrensbeteiligte vor, die infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleiden. Dabei kann es 23 Vgl. Thode, Amtshaftung für Akte der Strafjustiz, DRiZ 2002, 417, 418; Brodöfel, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess , 28. Auflage 2020, Kapitel 21. Öffentlich-rechtliche Ausgleichsansprüche Rn. 185. 24 Vgl. Brodöfel, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage 2020, Kapitel 21. Öffentlich-rechtliche Ausgleichsansprüche Rn. 185; Cornelius, in: Graf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, 39. Edition, Stand: 01.01.2021, § 10 StrEG Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 10 sich um einen materiellen oder immateriellen Nachteil handeln.25 Entgangener Gewinn ist allerdings nicht ersatzfähig; dieser kann gegebenenfalls ist im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs (vgl. Gliederungspunkt 2.1. dieses Sachstands) geltend gemacht werden, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen.26 Nach § 198 Abs. 2 GVG beträgt die Entschädigung bei immateriellen Nachteilen 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Das Gericht kann jedoch nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, sofern der Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Eine Klage zur Durchsetzung des Entschädigungsanspruchs kann nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. § 199 GVG enthält Regelungen im Hinblick auf den Rechtsschutz im Falle des Strafverfahrens. § 199 Abs. 1 GVG bestimmt, dass für das Strafverfahren einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage § 198 GVG nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 des § 199 anzuwenden ist. Dementsprechend wird die Anwendbarkeit des § 198 GVG auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren erstreckt, weshalb auch überlange Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einen Entschädigungsanspruch auslösen können.27 Während des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage tritt gemäß § 199 Abs. 2 GVG die Staatsanwaltschaft und in bestimmten Fällen bei Steuerstraftaten – vgl. § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung (AO)28 – die Finanzbehörde an die Stelle des Gerichts. Während des Ermittlungsverfahrens ist daher diesen gegenüber die Rügeobliegenheit nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG zu erfüllen.29 Hat ein Strafgericht oder die Staatsanwaltschaft die unangemessene Dauer des Verfahrens zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt, ist dies nach § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG (in Bezug auf die immateriellen Nachteile)30 eine ausreichende Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG. Eine Berücksichtigung kann insbesondere dadurch erfolgen, dass das Gericht in seiner Urteilsformel ausspricht, 25 Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 198 GVG Rn. 2c. 26 Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 198 GVG Rn. 2c. 27 Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 199 GVG Rn. 2. 28 Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), die zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 3. Juni 2021 (BGBl. I S. 1534) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/BJNR006130976.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 17 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2541), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_ao/englisch_ao.html. 29 Vgl. Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 199 GVG Rn. 3. 30 Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 199 GVG Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 065/21 Seite 11 dass ein bestimmter Teil der Strafe als bereits vollstreckt gilt.31 Sofern eine Kompensation im Strafprozess nicht erfolgen kann, insbesondere da eine Einstellung aus anderen Gründen als der Verfahrensverzögerung oder ein Freispruch erfolgt ist, kommt dagegen ein Entschädigungsanspruch wegen immaterieller Nachteile in Betracht.32 Zuständig für die Klage auf Entschädigung sind bei Entschädigungsverlangen gegen ein Land das Oberlandesgericht, bei Haftungsfragen des Bundes der Bundesgerichtshof, vgl. § 201 Abs. 1 GVG.33 Dabei sind gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO)34 über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug entsprechend anzuwenden . *** 31 Vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2008, Az. GSSt 1/07, NJW 2008, 860 ff.; Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 199 GVG Rn. 4. 32 Barthe, in: Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 8. Auflage 2019, § 199 GVG Rn. 4. 33 Graf, in: Graf (Hrsg.), Beck‘scher Online-Kommentar GVG, 11. Edition, Stand: 15.02.2021, § 201 GVG vor Rn. 1. 34 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) geändert worden ist, abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/zpo/BJNR005330950.html; englische Übersetzung, Stand: Die Übersetzung berücksichtigt die Änderung(en) des Gesetzes durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_zpo/englisch_zpo.html.