© 2017 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 064/17 Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 2 Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 064/17 Abschluss der Arbeit: 10. Mai 2017 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die rechtliche Lage nach der Wiedervereinigung 4 2.1. Das 15. Strafrechtsänderungsgesetzes und das 5. Strafrechtsreformgesetz 4 2.2. Die Bemühungen nach der Wiedervereinigung, ein einheitliches Abtreibungsrecht zu schaffen 5 3. Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach heutigem Recht 7 3.1. § 218a Abs. 1 StGB – Kombiniertes Beratungs- und Fristenmodell 7 3.2. § 218a Abs. 2 StGB – Medizinisch-soziale Indikation 8 3.3. § 218a Abs. 3 StGB – Kriminologische Indikation 8 3.4. § 218a Abs. 4 Satz 1 StGB – Spätabtreibung 8 3.5. § 218a Abs. 4 Satz 2 StGB – Besondere Bedrängnis 9 3.6. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) 9 4. Gesamtbetrachtung 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 4 1. Einleitung In der diesem Sachstand zugrundeliegenden Anfrage geht es darum, einen Überblick über die strafrechtlichen Normen zum Schwangerschaftsabbruch zu geben. Die §§ 218 bis 219b Strafgesetzbuch (StGB) 1 regeln die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (Abtreibung); diese Regelungen beruhen auf einem Kompromiss, der nach der Wiedervereinigung gefunden wurde. 2. Die rechtliche Lage nach der Wiedervereinigung Nach der Wiedervereinigung stand der Gesetzgeber vor der Situation, dass in den neuen Bundesländern der Schwangerschaftsabbruch unter anderen Voraussetzungen zulässig war als in den alten Bundesländern. Während in den alten Bundesländern die sogenannte „Indikationslösung“ galt, enthielt das Strafgesetzbuch der DDR eine „Fristenlösung“2. Sowohl bei der Indikations- als auch bei der Fristenlösung geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt. Indikationsregelungen sind daran orientiert, ob es bestimmte Gründe, also Indikationen, dafür gibt, den Schwangerschaftsabbruch nicht zu bestrafen. 2.1. Das 15. Strafrechtsänderungsgesetzes und das 5. Strafrechtsreformgesetz Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat 1976 in § 218a StGB in der Fassung des 15. Strafrechtsänderungsgesetzes (15. StÄG)3 folgende vier Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch anerkannt : die medizinische Indikation (Gefahr für die gegenwärtige oder zukünftige körperliche und/oder psychische Gesundheit der Schwangeren), die embryopathische Indikation (Diagnose einer schwerwiegenden Behinderung des werdenden Kindes), die kriminologische Indikation (Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauchs) sowie die soziale Indikation (drohende Notlage für die Schwangere). 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/stgb/BJNR001270871.html [Stand 8. Mai 2017]. 2 Vgl. die §§ 153 ff. des StGB der DDR, Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik vom19. Dezember 1974, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1975, S. 13 ff. (43). 3 § 218a StGB in der Fassung des Fünfzehntes Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. Mai 1976 (15. StÄG), BGBl. I, S. 1213 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 5 Während für die medizinische Indikation keine Frist vorgegeben war, durfte der Schwangerschaftsabbruch bei der embryopathischen Indikation nur in den ersten 22 Wochen nach der Empfängnis und bei der kriminologischen und sozialen Indikation nur in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis vorgenommen werden, § 218a StGB (15. StÄG). Die Fristenlösung stellt dagegen nicht auf bestimmte Indikationen ab, sondern gibt den Schwangerschaftsabbruch innerhalb bestimmter Fristen straffrei. Eine solche Fristenlösung wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber mit dem 5. Strafrechtsreformgesetz (5. StrRG) vom 18. Juni 1974 einführen4. Nach § 218a StGB (5. StrRG) sollte der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straflos sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch verhindert, dass diese Fristenlösung in Kraft treten konnte. Es erklärte die Fristenregelung für (teilweise) verfassungswidrig . In den Leitsätzen 1 bis 3 des Urteils5 heißt es wie folgt: Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)6. Die Schutzplicht des Staates verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen. Diese Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter. Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht und der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden. 2.2. Die Bemühungen nach der Wiedervereinigung, ein einheitliches Abtreibungsrecht zu schaffen Bei den Verhandlungen zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gelang es nicht, die vom StGB der Bundesrepublik vorgesehene Indikationslösung auf das Beitrittsgebiet zu erstrecken . Deshalb galt nach der Wiedervereinigung für kurze Zeit in beiden Teilgebieten Deutschlands unterschiedliches partielles Bundesrecht. Im Einigungsvertrag wurde dem Gesetzgeber aufgegeben , „spätestens bis zum 31. Dezember 1992 eine Regelung zu treffen, die den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen vor allem durch rechtlich gesicherte Ansprüche für Frauen, insbesondere auf Beratung 4 § 218a StGB in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts (5. StrRG) vom 18. Juni 1975, BGBl. I, S. 1297. 5 BVerfG, 1. Senat, Urteil vom 25. Februar 1975, AZ.: 1 BvF 1/74, 1 BvF 2/74, 1 BvF 3/74, 1 BvF 4/74, 1 BvF 5/74 ... mehr, Juris sowie BVerfGE 39, 1-95 (Leitsatz 1-6 und Gründe), BGBl I 1975, 25 (Leitsatz 1-6). 6 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html [letzter Abruf: 10. Mai 2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 6 und soziale Hilfen, besser gewährleistet, als dies in beiden Teilen Deutschlands derzeit der Fall ist“.7 Der Gesetzgeber beschloss zunächst eine Regelung, wonach der Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig sein sollte, wenn die Mutter sich hatte beraten lassen und die Schwangerschaft in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis von einem Arzt unterbrechen ließ, § 218a Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz)8. Das BVerfG entschied, dass § 218a Abs. 1 „insoweit mit Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, als die Vorschrift den unter den dort genannten Voraussetzungen vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch für nicht rechtswidrig erklärt und in Nummer 1 auf eine Beratung Bezug nimmt, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes nicht genügt“9. In den Leitsätzen 2 bis 4 heißt es dazu: Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein. Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes. Der Schwangerschaftsabbruch muss für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein. Insoweit hat das BVerfG ausdrücklich seine bereits oben genannte Entscheidung von 1975 bestätigt. Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden. 7 Art. 31 IV des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II S. 889); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/einigvtr/gesamt.pdf [letzter Abruf: 10. Mai 2017]. 8 Änderung des § 218a StGB durch Art. 13 des Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinder-freundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz)vom 27. Juli 1992, BGBl. I, S. 1398 (1402). 9 BVerfG, 2. Senat, Urteil vom 28. Mai 1993, AZ.: 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92, Juris sowie BVerfGE 88, 203-366, BGBl I 1993, 820. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 7 Der Gesetzgeber hat daraufhin mit dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG)10 die Vorschriften überarbeitet und insbesondere die Anforderungen an das Beratungsziel als auch an das Beratungsverfahren verschärft, §§ 5-11 Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG)11. Auffällig ist, dass der Gesetzgeber in dem nunmehr geltenden § 218a Abs. 1 StGB nicht nur, wie vom BVerfG gerügt, die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ausschließt, sondern sogar die Tatbestandsmäßigkeit.12 3. Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach heutigem Recht Wie gesehen, ist die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (Abtreibung) in den §§ 218 bis 219b StGB geregelt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland grundsätzlich für alle Beteiligten (schwangere Frau, Ärztin/Arzt, Anstifter, Gehilfe) strafbar. Frauen haben dem Grunde nach also keinen Rechtsanspruch auf die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs. Ausnahmsweise nicht strafbar sind Schwangerschaftsabbrüche gemäß § 218a StGB unter den nachfolgend dargestellten Voraussetzungen: 3.1. § 218a Abs. 1 StGB – Kombiniertes Beratungs- und Fristenmodell In § 218a Abs. 1 StGB ist das sogenannte kombinierte Beratungs- und Fristenmodell geregelt. Danach ist bereits der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht verwirklicht, wenn: die Schwangere den Abbruch ernsthaft und einwilligungsfähig verlangt, und dem abtreibenden approbierten Arzt mit einer Beratungsbescheinigung nachweist, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle (Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle) beraten ließ und die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen13 nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird. 10 Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21. August 1995, BGBl. I, 1050 ff. 11 Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398), zuletzt geändert durch Artikel 14 Nummer 1 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/beratungsg /BJNR113980992.html [letzter Abruf: 10. Mai 2017]. 12 Auf diesen Widerspruch weist auch Eser hin, in: Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, Vorbemerkungen zu den §§ 218 bis 219b, Rn. 8. 13 Berechnung der 12 Wochen: Es ist die tatsächliche Anzahl von Schwangerschaftswochen gemeint; also die Zeit, die seit der Befruchtung vergangen ist. Nach der 40-Wochen-Rechnung beginnt eine Schwangerschaft am ersten Tag der letzten Periode – entsprechend dieser Rechnung gilt die 14. Schwangerschaftswoche als Grenze für einen Schwangerschaftsabbruch. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 8 Die Modalitäten der – für die Straffreiheit erforderlichen – Beratung sind im Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten14 (Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) geregelt, auf das § 219 StGB verweist. Liegt ein Fall des § 218a Abs. 1 StGB vor, ist nach dem gesetzlichen Wortlaut schon der Tatbestand einer Abtreibung nicht erfüllt. Wie bereits angemerkt , ist dies angesichts der oben zitierten Entscheidung des BVerfG auffällig. Im Einzelnen wird trotz des Wortlauts deshalb auch bestritten, dass es sich in § 218a Abs. 1 StGB um einen Tatbestandsausschluss handelt15. 3.2. § 218a Abs. 2 StGB – Medizinisch-soziale Indikation Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der mit der Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Abbruch unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angebracht ist, um eine Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf eine andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Auch erhebliche psychische Belastungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft können Grundlage für eine solche medizinische Indikation sein, wenn sie als schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes aufzufassen sind. Eine zu erwartende Behinderung des Kindes ist als solche – anders als in der alten Fassung des § 218a StGB – kein Indikationsgrund . Denkbar ist allerdings, dass sich aus der zu erwartenden Behinderung eine Gefahr für die Schwangere ergibt, etwa im Fall einer ernsthaften Suizidgefahr, und deshalb eine medizinisch -soziale Indikation (bezogen auf die Mutter, nicht auf das Kind) zu bejahen ist. Eine bestimmte Frist oder eine Beratungspflicht ist hier nicht vorgesehen. 3.3. § 218a Abs. 3 StGB – Kriminologische Indikation Nach § 218a Abs. 3 StGB ist ein mit Einwilligung der Schwangeren durch einen Arzt durchgeführter Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf einer rechtswidrigen Sexualstraftat nach §§ 176 bis 178 StGB beruht und seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind. 3.4. § 218a Abs. 4 Satz 1 StGB – Spätabtreibung Rechtswidrig, aber (nur) für die Schwangere straffrei ist ein bis zur 22. Woche seit Empfängnis erfolgter Schwangerschaftsabbruch, wenn er von einem Arzt vorgenommen wird und zuvor eine Beratung nach dem SchKG stattgefunden hat. 14 Schwangerschaftskonfliktgesetz vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398), zuletzt geändert durch Artikel 14 Nummer 1 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722); abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/beratungsg /BJNR113980992.html [Stand 8. Mai 2017]. 15 Zu diesem Streitstand ausführlich Eser, in: Schönke-Schröder, § 218a Rn. 12 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 064/17 Seite 9 3.5. § 218a Abs. 4 Satz 2 StGB – Besondere Bedrängnis Gemäß § 218a Abs. 4 Satz 2 StGB kann bei Abbrüchen durch Laien (medizinisch unerfahrene Personen) ohne Rechtfertigung und ohne Beratung von Strafe abgesehen werden, wenn eine besondere Bedrängnis der Schwangeren vorlag. Darunter ist eine Notsituation zu verstehen, die eine schwerere Belastung mit sich bringt, als sie in der Regel mit einer Schwangerschaft verbunden ist. Dazu zählt z.B. eine subjektiv ausweglos erscheinende persönliche oder soziale Lage.16 3.6. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) Die strafrechtlichen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch werden ergänzt durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz. Dieses gewährleistet den Anspruch auf eine umfassende Beratung bzw. eine spezielle Schwangerschaftskonfliktberatung. Insbesondere regelt es in den §§ 19 ff. SchKG den Anspruch von Frauen auf Übernahme der Kosten für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch, wenn ihnen die Aufbringung der Mittel aus wirtschaftlichen Gründen nicht zuzumuten ist. Weitere wesentliche Kernpunkte des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sind: – Anspruch auf Beratung für jede Frau und jeden Mann in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung sowie in allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen. Mit dem Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) 17 wurde zudem der Anspruch auf unbedingte anonyme Beratung im Schwangerschaftskonfliktgesetz gesetzlich verankert, der für alle anerkannten Schwangerschaftsberatungsstellen in Deutschland gilt. – Anforderungen an eine umfassende Aufklärung, Betreuung und Begleitung der Schwangeren im Vorfeld einer möglichen medizinischen Indikation, insbesondere bei einem auffälligen Befund nach Pränataldiagnostik. – Regelungen über Inhalt und Aufgabe der Schwangerschaftskonfliktberatung. Die Teilnahme an einer Schwangerschaftskonfliktberatung ist – neben weiteren Voraussetzungen – für die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs erforderlich. 4. Gesamtbetrachtung Das in §§ 218a ff. StGB und im SchKG normierte kombinierte Beratungs- und Indikationsmodell stellt einen Kompromiss zwischen dem zuvor in der Bundesrepublik Deutschland geltenden „Indikationsmodell “ und dem in der DDR geltenden „Fristenmodell“ dar. *** 16 Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 28. Auflage 2014, § 218a Rn. 24. 17 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2975), zuletzt geändert durch Artikel 20 Absatz 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234); abrufbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/kkg/BJNR297510011.html [Stand 8. Mai 2017].