© 2021 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 061/21 Einzelfragen zu zivilprozessualen Beweismitteln Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 2 Einzelfragen zu zivilprozessualen Beweismitteln Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 061/21 Abschluss der Arbeit: 4. Juni 2021 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Rechtliche Relevanz von „Besucherlisten“ in Justizvollzugsanstalten 4 3. Grundlagen des zivilprozessualen Beweisrechts 5 4. Behördliche Schriftstücke als zivilprozessuale Beweismittel 6 4.1. Abgrenzung zwischen Urkunden- und Augenscheinsbeweis 6 4.2. Urkundenbeweis 7 4.2.1. Öffentliche Urkunden und Privaturkunden 7 4.2.2. Beweisantritt 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 4 1. Fragestellung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden mit der Prüfung mehrerer Einzelfragen in Bezug auf die zivilprozessuale Beweiseignung und Beibringung von Listen betraut , in denen Besucher von Häftlingen durch Justizvollzugsanstalten vermerkt werden. 2. Rechtliche Relevanz von „Besucherlisten“ in Justizvollzugsanstalten Soweit ersichtlich, existieren keine expliziten Regelungen zu „Besucherlisten“ im Sinne der Fragestellung . Soweit entsprechende Listen erstellt werden, dürfte jedoch das spezifische Datenschutzrecht der Länder im Bereich des Justizvollzugs berührt sein: Mit der Föderalismusreform 2006 ist die Regelung des in den Justizvollzugsanstalten insbesondere durchgeführten Straf- und Untersuchungshaftvollzuges in die ausschließliche Länderkompetenz verlagert worden.1 Auf Grundlage der neugewonnenen Gesetzgebungskompetenz haben seitdem alle Bundesländer eigene Straf- bzw. Justizvollzugsgesetze erlassen.2 Dabei ist der Datenschutz jeweils gesondert geregelt: in sechs Bundesländern in den „allgemeinen“ Landesjustizvollzugsgesetzen;3 zehn Bundesländer haben dagegen eigene Datenschutzgesetze für den Justizvollzug erlassen.4 In einzelnen Ländern gelten bei besonderen Vollzugsformen wie dem Jugendstrafvollzug oder der Sicherungsverwahrung darüber hinaus Sondervorschriften.5 Besondere Bedeutung für den Datenschutz im Justizvollzug erlangen dabei die speziellen, national umzusetzenden Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/680.6 So- 1 Seiler, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz, 46. Edition (Stand: 15. Februar 2021), Art. 74 GG, Randnummer 12. Einzig die ebenfalls in den Justizvollzugsanstalten durchgeführte, in aller Regel nur kurzzeitige Zivilhaft (Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft) ist in der Kompetenz des Bundes verblieben (Baier, Einfluss des europäischen Rechts auf den Justizvollzugsdatenschutz, Zeitschrift für Datenschutz (ZD) 2019, S. 545, 547 in Verbindung mit den dortigen Nachweisen). Vgl. insofern das Strafvollzugsgesetz des Bundes (StVollzG), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/stvollzg/ (letzter Abruf dieser und aller weiteren Internetquellen: 2. Juni 2021). 2 Überblick über die landesrechtlichen Regelungen unter https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata %2Fges%2FStVollzG%2Fcont%2FStVollzG%2Ehtm. 3 Baden-Württemberg (§§ 27 ff. JVollzGB I B-W), Bayern (Art. 196 ff. BayStVollzG), Brandenburg (§§ 121 ff. BbgJVollzG), Hessen (§§ 58 ff. HStVollzG), Niedersachsen (§§ 190 ff. NJVollzG) und Thüringen (§§ 119 ff. ThürJVollzGB). 4 Berlin (JVollzDSG Bln), Bremen (BremJVollzDSG), Hamburg (HmbJVollzDSG), Mecklenburg-Vorpommern (JVollzDSG M-V), Nordrhein-Westfalen (JVollzDSG NRW), Rheinland-Pfalz (LJVollzDSG), Sachsen (SächsJVollz DSG), Sachsen-Anhalt (JVollzGB IV LSA), Saarland (SaarlJVollzDSG) und Schleswig-Holstein (JVollzDSG SH). 5 Vgl. etwa für den Jugendstrafvollzug und die Sicherungsverwahrung in Hessen jeweils §§ 58 ff. HessJStVollzG und §§ 58 ff. HSVVollzG. 6 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 S. 89), aktuelle Fassung abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri=CELEX:32016L0680. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 5 weit die Vollzugsbehörden allerdings Daten zu anderen Zwecken als der Verhütung oder Verfolgung von Straftaten bzw. der Strafvollstreckung verarbeiten, ist daneben grundsätzlich der Anwendungsbereich der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO)7 eröffnet.8 Sowohl die Richtlinie (EU) 2016/680 als auch die DS-GVO regeln die Verarbeitung personenbezogener Daten.9 Unter den Begriff „Verarbeitung“ gefasst werden dabei u. a. die Speicherung, die Übermittlung und die Löschung personenbezogener Daten.10 Somit fielen auch die Erstellung, Verwahrung und Weitergabe der personenbezogenen Daten auf „Besucherlisten“ im Sinne der Fragestellung unter das Datenschutzrecht. Die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zum Datenschutz im Justizvollzug, die sich erheblich auf die Gestaltung der nationalen Normen auswirkt, ist bislang nicht in allen Bundesländern erfolgt.11 Die notwendige Umsetzung steht beispielsweise in Berlin noch aus.12 Dies sorgt im bundesweiten Gesamtbild für eine uneinheitliche Rechtslage. Demnach bedarf die genaue (datenschutz -)rechtliche Einordnung von „Besucherlisten“ von Justizvollzugsanstalten im Sinne der Fragestellung einer umfassenden Analyse des jeweiligen Landesjustizvollzugsdatenschutzrechtes . Eine vertiefte Auseinandersetzung mit einzelnen landesrechtlichen Regelungen liegt jedoch außerhalb der Grenzen der Auftragsbearbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Entsprechend kann eine nähere Prüfung vorliegend nicht erfolgen. 3. Grundlagen des zivilprozessualen Beweisrechts13 Um über eine Klage durch Anwendung des maßgeblichen Rechts entscheiden zu können, muss ein Zivilgericht von einem bestimmten Sachverhaltshergang überzeugt sein.14 Die hierzu insbe- Ausführlich dazu etwa Laubenthal, Strafvollzug, 8. Auflage 2019, Randnummern 1001 ff. 7 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG – Datenschutz-Grundverordnung (ABl. L 119 S. 1), aktuelle Fassung abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32016R0679. 8 Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie (EU) 2016/680. 9 Art. 1 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2016/680; Art. 1 Abs. 1 DS-GVO. 10 Art. 3 Nr. 2 Richtlinie (EU) 2016/680; Art. 4 Nr. 2 DS-GVO. 11 Vgl. Buermeyer/Bär, Beck’scher Online-Kommentar zum Strafvollzugsrecht Berlin, 9. Edition (Stand: 1. Dezember 2020), § 1 JVollzDSG Bln, Randnummer 7. 12 Ebenda, Einleitung und Randnummer 6. 13 Die folgenden Ausführungen zum Zivilprozessrecht beziehen sich auf das reguläre Erkenntnisverfahren und nicht auf besondere Verfahrensarten der Zivilprozessordnung (ZPO) wie den Urkunden- und Wechselprozess (§§ 592 ff. ZPO). 14 Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO – Zivilprozessordnung, 18. Auflage 2021, § 284 ZPO, Randnummer 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 6 sondere notwendigen Tatsachen werden grundsätzlich von den Parteien in den Prozess eingeführt (Beibringungsgrundsatz).15 Eine das Begehren einer Prozesspartei stützende Tatsachenbehauptung , deren Zutreffen aber von der anderen Partei bestritten wird, kann das Gericht in der Regel nur berücksichtigen, wenn es sich selbst von ihrer Richtigkeit überzeugt hat.16 Hierzu erhebt das Gericht Beweis innerhalb einer sogenannten Beweisaufnahme.17 In aller Regel richtet sich die Beweisaufnahme nach den Vorschriften der §§ 355 bis 484 Zivilprozessordnung (ZPO).18 Dort werden verschiedene Förmlichkeiten für die Beweisaufnahme festgelegt. Insbesondere wird die Beweisführung grundsätzlich auf fünf Beweismittel beschränkt (Strengbeweis):19 – Beweis durch Augenschein (§§ 371 ff. ZPO), – Zeugenbeweis (§§ 373 ff. ZPO), – Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO), – Beweis durch Urkunden (§§ 415 ff. ZPO), – Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO). Daneben ist die in der ZPO nur rudimentär geregelte, den amtsbekannten Kenntnisstand einer Behörde mitteilende amtliche Auskunft als eigenes Beweismittel anerkannt.20 Umstritten ist allerdings deren Zugehörigkeit zu den Strengbeweismitteln.21 4. Behördliche Schriftstücke als zivilprozessuale Beweismittel 4.1. Abgrenzung zwischen Urkunden- und Augenscheinsbeweis Vorprozessual erstellte behördliche Akten bzw. Schriftstücke können auf unterschiedliche Weise als unmittelbares Beweismittel Eingang in eine zivilprozessuale Beweisaufnahme finden. Dabei ist bei Schriftstücken allgemein die Abgrenzung zwischen Urkunden- und Augenscheinsbeweis 15 Ebenda. 16 Sinngemäß ebenda. 17 Sinngemäß ebenda. 18 Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/zpo/. Vgl. zu Sondervereinbarungen bzgl. der Beweisaufnahme, § 284 ZPO. 19 Vgl. hierzu und zur Abgrenzung vom sogenannten Freibeweis, Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO – Zivilprozessordnung , 18. Auflage 2021, § 284 ZPO, Randnummer 5. 20 Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kapitel 21, Randnummer 1. 21 Nachweise zum Streitstand etwa bei Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO – Zivilprozessordnung, 18. Auflage 2021, § 358a ZPO, Randnummer 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 7 zentral. Der Beweis durch Augenschein umfasst über seinen eigentlichen Wortsinn hinaus jede Tatsachenfeststellung, die auf einer Sinneswahrnehmung des Gerichtes basiert.22 Eine solche Sinneswahrnehmung geschieht jedoch denklogisch bei jedem Beweismittel, weswegen die anderen Beweismittel in ihrem Anwendungsbereich dem Augenscheinsbeweis als speziell vorgehen.23 Urkunden im Sinne der ZPO sind durch Schriftzeichen verkörperte Gedankenerklärungen.24 Ausgehend vom Merkmal der physischen Verkörperung ergeben sich bei Urkunden Sonderprobleme im Zusammenhang mit rein elektronischen „Schriftstücken“ und deren Ausdruck.25 Weitere Sonderregeln gelten für bestimmte eingescannte und kopierte Urkunden.26 Sofern ein hinreichend verkörpertes Urkundenobjekt vorliegt, ist Gegenstand des Urkundenbeweises die inhaltliche Erfassung einer Urkunde („Gedankenerklärung“). Für den Augenschein verbleibt damit lediglich deren äußerliche Wahrnehmung.27 Nach welchen Regeln sich die Beweiserhebung im Einzelfall richtet, hängt grundsätzlich von der Tatsachenbehauptung ab, für die eine Partei ein Schriftstück als Beweis anbietet (Beibringungsgrundsatz). Der Urkundenbeweis wird etwa angetreten, wenn eine Partei sich auf den gedanklichen Inhalt eines Schriftstückes beruft , z. B. welche Inhalte eines Vertrages zwei Parteien schriftlich festgehalten haben sollen. Dagegen trägt der Beweisführer dem Gericht die Inaugenscheinnahme eines Schriftstückes an, wenn das Schriftbild eines handgeschriebenen Dokumentes die Abfassung durch eine bestimmte Person beweisen soll.28 Sofern beispielsweise mittels einer – hinreichend als Urkunde verkörperten (s. o.) – „Besucherliste“ einer Justizvollzugsanstalt der Besuch oder Nichtbesuch einer Person unter Beweis gestellt werden soll, dürfte dies die inhaltliche Erfassung einer Urkunde nötig machen (Urkundenbeweis). 4.2. Urkundenbeweis 4.2.1. Öffentliche Urkunden und Privaturkunden Soweit nach obigen Grundsätzen das Beweismittel der Urkunde gegeben ist, richtet sich die Beweiserhebung im Zivilprozess nach den §§ 415 ff. ZPO. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen verschiedenen Arten von öffentlichen Urkunden (§§ 415, 417, 418 ZPO) und der Privaturkunde 22 Bach, in: Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, 40. Edition (Stand: 1. März 2021), § 371 ZPO, Randnummer 1. 23 Ebenda, Randnummer 2. 24 Definition vereinfacht nach Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, Vorbemerkungen zu §§ 415 – 444 ZPO, Randnummer 2 unter Bezugnahme auf die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), Urteil vom 28. November 1975 – V ZR 127/74 –, Randnummer 4 (zitiert nach juris). 25 Dabei gelten für öffentliche elektronische Dokumente Sonderregeln. Vgl. in Zusammenschau § 371 Abs. 1 Satz 2, § 371a Abs. 3 Satz 1 und § 416a ZPO. Vgl. hierzu ebenfalls Wagner, Das elektronische Dokument im Zivilprozess , Juristische Schulung (JuS) 2016, S. 29, 31 f. 26 Siehe für eingescannte öffentliche Urkunden § 371b ZPO, für kopierte öffentliche Urkunden § 435 Alternative 2 ZPO. Vgl. ebenso Wagner (Fußnote 25), S. 31. 27 Allgemein Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 284 ZPO, Randnummer 53. 28 Beispiel übernommen von ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 8 (§ 416 ZPO). Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind.29 Alle anderen Urkunden sind Privaturkunden.30 In der erwähnten Beispielskonstellation der „Besucherliste “ dürfte eine Justizvollzugsanstalt nach der auch im Zivilprozess maßgeblichen verwaltungsrechtlichen Behördendefinition („jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt “31) als Behörde zu qualifizieren sein. Denn als Teil der Landesjustizverwaltung nehmen Justizvollzugsanstalten hoheitliche Aufgaben war.32 Problematisch in Bezug auf die Eigenschaft einer „Besucherliste“ als öffentliche Urkunde könnte jedoch das Merkmal der Abfassung innerhalb der Grenzen der eigenen Amtsbefugnisse sein. Innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse („sachliche Zuständigkeit“) handelt eine Behörde nur, wenn die Tätigkeit der Behörde öffentlichen und nicht (vollständig) innerdienstlichen Zwecken dient.33 Der Gegensatz zum innerdienstlichen Zweck stellt in diesem Zusammenhang nach der Rechtsprechung die rechtliche Außenwirkung bzw. (Mit-)Bestimmung für den Verkehr nach außen dar.34 Sofern eine Justizvollzugsanstalt personenbezogene Daten aufgrund öffentlich-rechtlicher Befugnis aus dem Landesdatenschutzrecht verarbeitet, könnte dies für eine jedenfalls rechtliche Außenwirkung sprechen. Eine definitive Beantwortung der Frage der Rechts- und Zweckwirkung von „Besucherlisten“ in Justizvollzugsanstalten bedarf jedoch einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Justizvollzugsrecht der Länder, die die Wissenschaftlichen Dienste nicht leisten können.35 Dementsprechend muss vorliegend auch offenbleiben, inwiefern „Besucherlisten“ im Sinne der Fragestellung als öffentliche Urkunden im Sinne der ZPO anzusehen sind. Gemäß der weiten Definition der Privaturkunde als jede Urkunde, die keine öffentliche Urkunde ist (s.o.), kann im Einzelfall jedoch eine Einbeziehung als Privaturkunde in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang sind jedoch die grundsätzlich geringeren Beweiswirkungen von Privaturkunden im 29 Vgl. gesetzliche Definition in § 415 Abs. 1 ZPO. Zudem sind dort Urkunden von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises genannt. 30 Vgl. statt vieler Huber, in: Musielak/Voit, ZPO – Zivilprozessordnung, 18. Auflage 2021, § 416 ZPO, Randnummer 1. 31 § 1 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Vgl. für die Maßgeblichkeit dieser Norm bei den §§ 415 ff. ZPO, Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 415 ZPO, Randnummer 14. 32 Vgl. näher Laubenthal (Fußnote 6), Randnummern 42 und 52. 33 Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 415 ZPO, Randnummer 17; Huber, in: Musielak /Voit, ZPO – Zivilprozessordnung, 18. Auflage 2021, § 415 ZPO, Randnummer 8; Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung , 33. Auflage 2020, § 415 ZPO, Randnummer 4 unter Bezugnahme u. a. auf BGH, Urteil vom 19. Juni 1952 – III ZR 113/51 – (zitiert nach juris). 34 Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2004 – 11 LA 380/03 –, Randnummer 5 und Oberlandesgericht (OLG) Bamberg, Beschluss vom 8. Juni 2015 – 2 OLG 8 Ss 15/15 –, Randnummer 15 (beide zitiert nach juris). 35 Siehe bereits unter 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 9 Vergleich zu öffentlichen Urkunden zu beachten.36 So begründen Privaturkunden stets nur unmittelbare Beweiskraft dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind, nicht dagegen für die inhaltliche Richtigkeit des Erklärten.37 Letztere Beweiswirkung kommt aber etwa der sogenannten öffentlichen Zeugnisurkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO zu.38 4.2.2. Beweisantritt Der Urkundenbeweis wird durch die Vorlegung der Urkunde angetreten.39 Bei öffentlichen Urkunden genügt eine beglaubigte Abschrift.40 Die Vorlegung im Original ist in der gerichtlichen Praxis daneben nur notwendig, wenn der Prozessgegner die Vorlage einer einfachen Kopie rügt.41 Die §§ 421 ff. ZPO sehen Regelungen vor, sofern sich die fragliche Urkunde im Besitz des Prozessgegners oder von Dritten befinden sollte. Bei Urkunden in den Händen von Behörden, die nicht (selbst oder durch ihren Rechtsträger) am Prozess beteiligt sind, fungiert § 432 ZPO als Spezialvorschrift . Behauptet der Beweisführer die behördliche Verfügungsgewalt über eine Urkunde in diesen Fällen, wird der Beweis durch den Antrag angetreten, die Behörde um die Mitteilung der Urkunde an das Gericht zu ersuchen.42 Dies gilt jedoch nicht, falls die beweisführende Partei nach den gesetzlichen Vorschriften ohne Mitwirkung des Gerichts in der Lage ist, die Urkunde (bzw. eine beglaubigte Abschrift hiervon) zu beschaffen, etwa durch Geltendmachung etwaiger eigener Ansprüche gegenüber der Behörde.43 Sofern ein Antrag auf Mitteilung der Urkunde gemäß § 432 Abs. 1 ZPO statthaft ist, richtet sich das weitere Verfahren nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften.44 Insbesondere schafft § 432 Abs. 1 ZPO keine gesonderte Pflicht zur Vorlage durch die Behörde.45 Dabei gilt zwischen 36 Vgl. Wortlaut der §§ 415 ff. ZPO. Erläuternder Überblick bei Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, Vorbemerkungen zu §§ 415 – 444 ZPO, Randnummern 6 f. 37 Vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – V ZR 86/14 –, Randnummer 13 (zitiert nach juris). 38 Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, Vorbemerkungen zu §§ 415 – 444 ZPO, Randnummer 7. 39 § 420 ZPO. 40 § 435 Alternative 2 ZPO. 41 Vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2006 – IV ZR 145/05 –, Randnummer 22 mit weiterem Rechtsprechungsnachweis (zitiert nach juris). 42 § 432 Abs. 1 ZPO. 43 § 432 Abs. 2 ZPO. Beispiele für entsprechende Ansprüche bei Ahrens (Fußnote 20), Kapitel 30, Randnummer 53. 44 Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 432 ZPO, Randnummer 3. 45 Ahrens (Fußnote 20), Randnummer 59 mit weiterem Nachweis. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 10 dem ersuchenden Zivilgericht und der ersuchten Behörde der Grundsatz der Amtshilfe.46 Unter der sich bereits aus Art. 35 Grundgesetz (GG)47 ergebenden Amtshilfepflicht ist jede ergänzende Hilfe zu verstehen, die eine Behörde auf Ersuchen einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern.48 Daraus ergibt sich zum einen eine verfassungsunmittelbare Verpflichtung einer Behörde, zum anderen gilt für sie jedoch weiter der ebenfalls verfassungsmäßige Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.49 Die Amtshilfe kann nur so weit gehen, wie es die für die ersuchte Behörde geltenden Gesetze erlauben.50 Im Beispiel von Justizvollzugsanstalten als Teil der Landesjustizverwaltung ist somit insbesondere das entsprechende Landesrecht anzuwenden.51 Bezugnehmend auf die Darstellung unter 2. dürfte eine Weitergabe von „Besucherlisten“ zuvorderst vom jeweils geltenden Datenschutzrecht abhängen , das vorliegend jedoch nicht näher geprüft werden kann. Neben dem Beweisantritt nach § 432 ZPO kann das Gericht gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 ZPO auch Behörden um Mitteilung von Urkunden zur Vorbereitung jedes Termins einer mündlichen Verhandlung ersuchen. Die Vorschrift ermöglicht ebenfalls die gerichtliche Beiziehung kompletter behördlicher Akten, wenn und soweit sich eine Partei unter Angabe der erheblichen Aktenteile auf diese Akten bezogen hat.52 Die Stellung eines Ersuchens steht jedoch im gerichtlichen Ermessen.53 Falls ein Gericht ein Ersuchen stellt, richtet sich die behördliche Vorlagepflicht nach den bereits dargestellten Regeln der Amtshilfe.54 Eine erfolgte Beiziehung zur Terminsvorbereitung ist noch keine Beweisaufnahme. Einzelne Schriftstücke oder Aktenbestandteile werden nicht ohne weiteres zu Beweismitteln.55 Für eine 46 Feskorn, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 432 ZPO, Randnummer 3. Siehe auch bereits Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 23. August 1968 – IV C 235.65 –, Randnummer 21 (zitiert nach juris). 47 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/. 48 Weber, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 26. Auflage 2021, Stichwort „Amtshilfe“. 49 Allgemein ebenda, Stichwort „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“. 50 Vgl. statt vieler ausführlich Hebeler, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundsatzfragen der Amtshilfe, Juristische Arbeitsblätter (JA) 2019, S. 881, 885 f. 51 Vgl. klarstellend § 168 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die Mitteilung von Akten einer Behörde an ein Gericht eines anderen Bundeslandes. 52 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Nichtannahmebeschluss vom 6. März 2014 – 1 BvR 3541/13 –, Randnummer 22 mit weiteren Nachweisen (zitiert nach juris). 53 Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 273 ZPO, Randnummer 23. 54 Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 273 ZPO, Randnummer 8a. 55 Bacher, in: Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, 40. Edition (Stand: 1. März 2021), § 273 ZPO, Randnummer 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 061/21 Seite 11 sich anschließende, eventuelle beweismäßige Verwertung gelten die allgemeinen Voraussetzungen des Urkundenbeweises (hinreichender Antrag, Qualifizierung als (öffentliche) Urkunde etc.).56 * * * 56 Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 273 ZPO, Randnummer 7.