© 2019 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 – 060/19 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund Fragen zur Rechtslage Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 2 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund Fragen zur Rechtslage Aktenzeichen: WD 7 - 3000 – 060/19 Abschluss der Arbeit: 25. April 2019 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau- und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Wie sind die Straftatbestände formuliert, die Straftaten mit antisemitischen Motiven erfassen? 4 2. Gibt es spezielle Straftatbestände, die ausschließlich antisemitisch motivierte Straftaten erfassen oder werden antisemitische Motive auf Rechtsfolgenseite erschwerend berücksichtigt? 4 3. Sofern es spezielle Straftatbestände für Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gibt, welchen Strafrahmen sehen diese vor? 4 4. Sofern die antisemitischen Motive eines Täters nach dem deutschen Strafrecht als erschwerender Umstand für die Strafzumessung anzusehen sind: Wie wirkt sich dies auf die Strafzumessung und auf eine mögliche Aufhebung der Strafe aus? 5 5. Wird im deutschen Strafrecht Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Vergleich zu anderen Hassverbrechen (etwa Straftaten gegen Muslime, Christen oder Homosexuelle) eine Sonderstellung eingeräumt? 6 6. Welche Maßnahmen wurden in Deutschland in den letzten fünf Jahren ergriffen, um Straftaten mit antisemitischem Hintergrund zu begegnen? 6 7. Gibt es aktuelle Gesetzesinitiativen oder Gesetzesentwürfe, durch die die Bekämpfung von antisemitischen Straftaten verbessert werden soll? 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 4 1. Wie sind die Straftatbestände formuliert, die Straftaten mit antisemitischen Motiven erfassen ? Im deutschen Strafrecht gibt es keinen speziellen, allein auf den Schutz vor antisemitischen Delikten gerichteten Straftatbeständen. Dementsprechend sind die einschlägigen Straftatbestände bei antisemitischen Delikten nicht spezifisch auf solche Verbrechen gerichtet, sie erfassen eine Vielzahl an Straftaten, unter anderem auch solche mit antisemitischen Motiven. 2. Gibt es spezielle Straftatbestände, die ausschließlich antisemitisch motivierte Straftaten erfassen oder werden antisemitische Motive auf Rechtsfolgenseite erschwerend berücksichtigt ? Da das deutsche Strafrecht keine speziellen Straftatbestände, die ausschließlich antisemitisch motivierte Straftaten erfassen, kennt, gelten die allgemeinen Straftatbestände. Die antisemitische Motivlage des Täters kann jedoch sowohl zur Verwirklichung eines Straftatbestands beitragen, als auch in den Rechtsfolgen berücksichtigt werden. Bestimmte Straftatbestände setzen unter anderem voraus, dass der Täter eine besonders verwerfliche Gesinnung hatte. Beispielsweise kann der Straftatbestand des Mordes dadurch verwirklicht werden, dass der Täter bei der Tötung mit „niederen Beweggründen“ gehandelt hat, § 211 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB)1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden als „niedere Beweggründe “ solche Motive bezeichnet, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind.2 Hiervon können auch Tötungen erfasst werden, die auf antisemitischen Motiven beruhen.3 Die antisemitischen Motive des Täters führen in solchen Fällen erst zur Verwirklichung der Voraussetzungen der Straftatbestände. Andererseits können antisemitische Motive auf der Rechtsfolgenseite sowohl bei der Zumessung der Strafe im Einzelfall als auch bei der Aussetzung bestimmter Strafen zur Bewährung berücksichtigt werden. 3. Sofern es spezielle Straftatbestände für Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gibt, welchen Strafrahmen sehen diese vor? Das deutsche Strafrecht kennt keine Straftatbestände, die speziell und ausschließlich auf die Erfassung von antisemitischen Straftaten gerichtet sind. 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.03.2019 (BGBl. I S. 350), abrufbar in englischer Sprache unter: https://www.gesetzeim -internet.de/englisch_stgb/index.html (Letzter Abruf: 23.04.2019). 2 Vgl. etwa Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.05.2015, Aktenzeichen: 3 StR 460/14, Neue Strafrechtszeitung Rechtsprechungsreport Strafrecht (NStZ-RR) 2015, 308 (309). 3 Schneider, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage 2017, § 211 StGB, Rn. 91. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 5 4. Sofern die antisemitischen Motive eines Täters nach dem deutschen Strafrecht als erschwerender Umstand für die Strafzumessung anzusehen sind: Wie wirkt sich dies auf die Strafzumessung und auf eine mögliche Aufhebung der Strafe aus? Antisemitische Motive eines Täters können auf der Rechtsfolgenseite einer Straftat erschwerend einbezogen werden. Dies gilt zunächst für die Strafzumessung im konkreten Einzelfall: Nach § 46 Abs. 1 StGB ist die Zumessung der Strafe im Einzelfall an der Schuld des Täters zu messen. Nach § 46 Abs. 2 StGB wägt das Gericht hierbei die gesamten Tatumstände, die für und gegen den Täter sprechen, ab und berücksichtigt insbesondere die Beweggründe und Ziele des Täters, „auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“. Werden Straftaten aus antisemitischer Gesinnung begangen, so wird dieses Motiv als Tatumstand, der gegen den Täter spricht, berücksichtigt und wirkt sich für ihn negativ auf die Zumessung der Strafe aus. Weiterhin kann ein antisemitisches Motiv des Täters auch die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung beeinflussen. Grundsätzlich können Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden, § 56 Abs. 1 StGB. Voraussetzung ist, dass nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne die Einwirkungen des Strafvollzugs künftig Straftaten begehen wird. Mithin wird eine Prognoseentscheidung getroffen, wobei unter anderem die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben und die Umstände der Tat zu beachten sind. Diese Grundsätze finden auch bei antisemitischen Straftaten Anwendung, die zu einer Verurteilung von weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe führen. Im Einzelfall ist zu erforschen, ob die politische Motivation des Täters nahelegt, dass er auch künftig straffällig werden wird. Beachtlich ist, dass antisemitische Straftaten als politisch motivierte Kriminalität vermehrt von Überzeugungstätern begangen werden, die wiederholt straffällig geworden sind. In einem solchen Fall ist nachzuweisen , dass der Täter seine Überzeugung aufgegeben hat oder zumindest trotz seiner Überzeugungen keine weiteren Straftaten begehen wird.4 Gleiches gilt für die Aussetzung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, soweit der Verurteilte mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßt hat. In diesem Fall ist darüber zu entscheiden, ob die restliche Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, § 57 StGB. Wiederum ist unter anderem anhand der Persönlichkeit, des Vorlebens und der Tatumstände im Wege einer Prognose zu ermitteln, ob künftige Straftaten zu erwarten sind. Eine lebenslange Freiheitsstrafe, die für den Mord (§ 211 StGB) und den besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 2 StGB) verhängt werden kann, kann nach fünfzehn Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Voraussetzung ist unter anderem, dass „nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet“. Nach der Rechtsprechung liegt eine besondere Schwere der Schuld vor, wenn sich die Schuld des Täters im Einzelfall besonders von anderen Tötungsdelikten abhebt.5 Mithin müssen im Einzelfall Umstände der 4 Groß, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage 2016, § 56 StGB, Rn. 28. 5 Vgl. etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.06.1992, Aktenzeichen: 2 BvR 1041/88, 2 BvR 78/89, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1992, 2947. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 6 Tat die besondere Schwere der Schuld rechtfertigen. Nach dem Bundesgerichtshof können solche Umstände etwa „eine besondere Verwerflichkeit der Tatausführung oder der Motive, mehrere Opfer bei einer Tat, die Begehung mehrerer Mordtaten oder - im oder ohne Zusammenhang mit dem Mord begangene – weitere schwere Straftaten“ sein.6 Ein antisemitisches Tatmotiv führt für sich genommen nicht automatisch zur Annahme der besonderen Schuldschwere und steht damit einer Aussetzung zur Bewährung nicht zwangsläufig im Wege. Vielmehr ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erforschen, ob die Schuld des Täters sich von anderen Tötungsdelikten wesentlich abhebt. 5. Wird im deutschen Strafrecht Straftaten mit antisemitischem Hintergrund im Vergleich zu anderen Hassverbrechen (etwa Straftaten gegen Muslime, Christen oder Homosexuelle) eine Sonderstellung eingeräumt? Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wird im deutschen Strafrecht im Vergleich zu anderen Hassverbrechen keine generelle Sonderstellung eingeräumt. Mithin sind antisemitisch motivierte Straftaten nicht grundsätzlich anders zu bestrafen als andere Hassverbrechen; die Strafzumessung hängt gleichermaßen von den Umständen des Einzelfalls ab. 6. Welche Maßnahmen wurden in Deutschland in den letzten fünf Jahren ergriffen, um Straftaten mit antisemitischem Hintergrund zu begegnen? Der Bundesgesetzgeber hat durch das „Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages“7, das am 01.08.2015 in Kraft getreten ist, den § 46 Abs. 2, Satz 2 StGB geändert, indem er die „rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstige menschenverachtenden“ Beweggründe des Täters als Strafzumessungsumstand ausdrücklich in den Gesetzeswortlaut aufgenommen hat. Dadurch soll klargestellt werden, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive eines Täters von den Gerichten in ihrem Strafmaß berücksichtigt werden müssen.8 Überdies wurden auf Bundesebene zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Prävention von Antisemitismus in Deutschland zu verbessern. So wurden etwa im Rahmen des Projektes „Demokratie Leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mehrere Modellprojekte zur Antisemitismusprävention entwickelt.9 Weiter wurde am 01.05.2018 eine Stelle für 6 Vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.11.1994, Aktenzeichen: GSSt 2/94, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1995, 407 (409) 7 Gesetz zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12.06.2015 (BGBl. I, S. 925), abrufbar in deutscher Sprache unter: http://dipbt.bundestag.de/extrakt /ba/WP18/620/62001.html (Letzter Abruf: 24.04.2019). 8 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT. Drs. 18/3007, Seite 14. 9 Vgl. die Informationen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum, Thema „Modellprojekte zur Prävention von aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus“ vom 12.01.2018, abrufbar in deutscher Sprache unter: https://www.bmfsfj.de/blob/122016/aa30eab3acda1d164fcd9fe66f0ae5bb/modellprojekte -zur-praevention-von-aktuellen-erscheinungsformen-des-antisemitismus-data.pdf (Letzter Abruf: 24.04.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 – 060/19 Seite 7 einen Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland im Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat seit dem 01.05.2018 eingerichtet. Dieser soll die Koordination zwischen Bundesministerien bei Maßnahmen, die den Antisemitismus bekämpfen sollen, optimieren.10 Darüber hinaus wurde 2017 von einem unabhängigen Expertenkreis, der auf Beschluss des Bundestages eingesetzt wurde, ein Bericht zum Thema „ Antisemitismus in Deutschland – Aktuelle Entwicklungen“ erarbeitet, der einen Überblick über die Entwicklungen und die Bekämpfung von Antisemitismus in Deutschland gewährt und Handlungsempfehlungen für künftige Maßnahmen gibt.11 Auch auf Landesebene wurden zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus ergriffen . So hat etwa das Land Berlin jüngst ein Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus -Prävention vorgestellt, nach dem unter anderem eine hauptamtliche Stelle für einen Antisemitismus-Beauftragten geschaffen werden soll, der als Ansprechpartner die Abstimmung mit dem Bund verbessern soll, die Landesprojekte zur Prävention koordinieren soll und alle drei Jahre einen Bericht über die Entwicklungen der Antisemitismus-Prävention vorstellen soll.12 7. Gibt es aktuelle Gesetzesinitiativen oder Gesetzesentwürfe, durch die die Bekämpfung von antisemitischen Straftaten verbessert werden soll? Den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages liegen keine Erkenntnisse über solche Gesetzesinitiativen oder Gesetzesentwürfe vor. *** 10 Vgl. die Information des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat zum Thema „Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus“, abrufbar in deutscher Sprache unter: https://www.bmi.bund.de/DE/ministerium/beauftragte/beauftragter-antisemitismus/beauftragter -antisemitismus-node.html (Letzter Abruf: 24.04.2019). 11 Vgl. den Bericht des Expertenkreises zum Thema „Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen“, Stand 2017, abrufbar in deutscher Sprache unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen /themen/heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland .pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Letzter Abruf: 24.04.2019). 12 Vgl. „Berlin gegen jeden Antisemitismus!- Das Berliner Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus -Entwicklung“, Informationen abrufbar in deutscher Sprache unter: https://www.berlin .de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2019/pressemitteilung.791667.php (Letzter Abruf: 24.04.2019).