AUSARBEITUNG Thema: Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG "mit und ohne Netz" Fachbereich VII Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Tel.: Verfasser: Abschluss der Arbeit: 13. März 2006 Reg.-Nr.: 3000 - 2. WF VII G- 060/06 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 4 2. Einleitung 7 3. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Vorstands 11 3.1. Subjektive Einstufung als Geheimnis 12 3.2. Objektive Einstufung als Geheimnis 13 3.3. Grenzen und Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflicht 14 3.4. Unternehmensinteresse als Grenze der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht 16 3.5. Ergebnis 17 3.6. Der parlamentsrechtliche Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen 18 4. Parlamentarische Kontrolle als Durchbrechung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht 19 4.1. Rechtliche Ausgangsbedingungen 20 4.2. Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung 20 4.2.1. Parlamentarische Kontrolle im Allgemeinen 21 4.2.2. Parlamentarische Kontrolle gegenüber (teil-)privatisierter Bundesunternehmen 23 4.3. Ergebnis 24 4.4. Berichtspflichten gemäß §§ 394, 395 AktG als Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht 25 5. Einzelfragen zum Aktienrecht 28 5.1. Kann sich die Deutsche Bahn AG auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag bei der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Entscheidung über eine Kapitalprivatisierung berufen, wenn eine solche Entscheidung gerade auch dem übergeordneten Interesse der DB AG dienen soll? 28 - 3 - 5.2. Erstreckt sich die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Vorstandes auch gegenüber dem lleineigentümer/Alleinaktionär einer Aktiengesellschaft – hier Deutsche Bahn AG? 28 5.3. Liegt ein strafrechtlicher Verstoß gegen § 404 AktG vor, wenn der Vorstand/ ein Mitglied des Vorstands den Alleineigentümer – hier die Bundesrepublik Deutschland – und/oder das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag, einen Ausschuss des Deutschen Bundestages – hier Ausschuss für Verkehr; Bau und Stadtentwicklung – oder ein Mitglied dieses Ausschusses über Geschäftsgeheimnisse unterrichtet? 28 5.3.1. Einstufung als Geheimnis 29 5.3.2. Tathandlung und rechtfertigende Einwilligung 29 5.3.3. Ergebnis 30 5.4. Ist die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen an diesen Personenkreis „eine unbefugte Offenbarung“ (§ 404 Abs. 1 AktG)? 30 5.5. Kann gegebenenfalls die Hauptversammlung als Beschlussorgan - vertreten durch den Alleineigentümer - den Vorstand verpflichten, den Eigentümer und/oder das Parlament, einzelne Ausschüssen oder Abgeordnete umfassend über Geschäftsgeheimnisse zu informieren? 30 - 4 - 1. Zusammenfassung a) Grundsätzlich besteht die Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG auch gegenüber dem Alleineigentümer bzw. Alleinaktionär einer Aktiengesellschaft, es sei denn, die Weitergabe von vertraulichen Informationen oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an den Alleinaktionär ist im Interesse der Aktiengesellschaft. b) Die Deutsche Bahn AG (DB AG) kann sich auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag bei der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Entscheidung über eine Kapitalprivatisierung n i c h t berufen, wenn die Offenlegung vertraulicher Informationen dem übergeordneten Interesse der DB AG dient. c) Bei objektiver Betrachtungsweise liegt es bei vernünftiger und sachkundiger Unternehmensführung im Interesse der DB AG, für einen beabsichtigen Börsengang neben der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag an der Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzesbeschlusses nach Art. 87e Abs. 3 GG - auch durch die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen - mitzuwirken. Es stellt daher keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG dar, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegenüber Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu offenbaren. d) Im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes unterliegt die Bundesregierung für ihr Verhalten – auch im Hinblick auf (teil-)privatisierte Bundesunternehmen – der parlamentarischen Kontrolle. Soweit es zur Ausübung einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle oder – wie hier zur Gesetzgebungstätigkeit nach Art. 87e GG – erforderlich ist, obliegt der Regierung gegenüber dem Parlament insgesamt, aber auch gegenüber einzelnen Abgeordneten eine Informationspflicht. e) Eine unmittelbare parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es um die Aufklärung von Missständen geht und daran ein öffentliches Interesse besteht. f) Die Bundesregierung ist verpflichtet – soweit das Aktiengesetz Berichtspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern an den Bund ermöglicht (§§ 394, 395 Aktg) -, die erhaltenen Informationen auch dem Deutschen Bundestag bzw. - 5 - seinen Ausschüssen zur Verfügung zu stellen, soweit dies für eine wirksame parlamentarische Kontrolle bzw. der Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes nach Art. 87e Abs. 3 GG erforderlich ist und das Parlament die entsprechenden Geheimschutzvorkehrungen gewährleistet. g) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dürfen, auch nach Beendigung ihres Mandats, ohne Genehmigung weder vor Gericht noch außergerichtlich Aussagen oder Erklärungen abgeben über Angelegenheiten, die auf Grund eines Gesetzes oder nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages der Verschwiegenheit unterliegen (§ 44d AbgG). h) Der Deutsche Bundestag hat nach § 17 seiner Geschäftsordnung eine Geheimschutzordnung beschlossen. Diese Geheimschutzordnung regelt die Behandlung aller Angelegenheiten, die durch besondere Sicherungsmaßnahmen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte geschützt werden müssen. Nach § 2a Abs. 2 der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages können Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs-, Steuer- oder sonstige private Geheimnisse , deren Kenntnis durch Unbefugter dem Interesse der DB AG abträglich sein könnte, als VERTRAULICH eingestuft werden. Darüber hinaus können derartige Geheimnisse oder Umstände auch als GEHEIM eingestuft werden, wenn deren Kenntnis durch Unbefugte dem Berechtigten schweren Schaden zu fügen würde. i) Eine Strafbarkeit von Abgeordneten kommt gemäß § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn sie der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Geschäftsgeheimnisse (teil-)privatisierter Bundesunternehmen unbefugt offenbaren . j) Der Vorstand der Deutschen Bahn AG würde sich nach § 404 StGB AktG regelmäßig nicht strafbar machen, wenn er den Alleineigentümer – hier Bundesrepublik Deutschland – und/oder das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag, einen Ausschuss des Deutschen Bundestages – hier Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – oder ein Mitglied dieses Ausschusses über Geschäftsgeheimnisse unterrichtet. Denn ist der Vorstand damit einverstanden, dass ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis einem Außenstehenden mitgeteilt wird, so stellt dies regelmäßig eine rechtfertigende Einwilligung dar. - 6 - k) Auch muss bereits in Zweifel gezogen werden, dass es sich beim Deutschen Bundestag, dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung oder einem Mitglied des Deutschen Bundestages bei dem hier in Rede stehenden Primon-Gutachten, dass auf Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 2004 in Auftrag gegeben worden ist, um „Außenstehende“ oder „sonst Unbefugte“ im Sinne des § 404 AktG handelt. - 7 - 2. Einleitung In seiner 114. Sitzung am 17. Juni 2004 hat der Deutsche Bundestag interfraktionell die Bundesregierung aufgefordert,1 - eine Grundsatzentscheidung über eine mögliche Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG (DB AG) erst dann zu treffen, wenn der nachhaltige wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens DB AG, insbesondere eine mehrjährige positive Gewinnentwicklung, feststeht;2 - vor einer Grundsatzentscheidung über eine mögliche Teilprivatisierung der DB AG die Verkehrs-, finanz- und haushaltsrechtlichen Chancen und Risiken der in Frage kommenden Privatisierungsmodelle (zumindest „Vertragsmodell “ und „Eigentumsmodell“) unter Einbeziehung externen Sachverstandes umfassend und ergebnisoffen zu prüfen und dem Deutschen Bundestag das Ergebnis dieser Prüfung zeitnah vorzulegen;3 - die zu prognostizierenden Auswirkungen der in Frage kommenden Privatisierungsmodelle auf den Schienenverkehrsmarkt zu analysieren und zu untersuchen , inwiefern die in Frage kommenden Privatisierungsmodelle das verkehrspolitische Ziel der Erreichung höherer Marktanteile der Schiene im Gesamtverkehrsmarkt und das ordnungspolitische Ziel der Stärkung von Wettbewerb auf der Schiene fördern; - sicherzustellen, dass anfallende Privatisierungserlöse in den Verkehrsträger Schiene zurückfließen. Dieser Beschluss des Deutschen Bundestages beruht auf einem im Ausschuss für Verkehr , Bau- und Wohnungswesen in seiner 46. Sitzung am 5. Mai 2004 einstimmig angenommenen Entschließungsantrag, der unter anderem damit begründet wurde, dass eine kapitalmarktorientierte Begutachtung der Privatisierungsvarianten „ohne Netz“ entsprechend der von Morgan Stanley erfolgten Untersuchung „mit Netz“ erforderlich sei. Alle Untersuchungen einschließlich des Abschlussberichts von Morgan Stanley müssten dem Deutschen Bundestag zugänglich gemacht werden. 1 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, Plenarprotokoll 15/114, S. 10347 (C) – 10443 (B). 2 Eine dauerhafte Rentabilität der DB AG dürfe nicht auf Leistungen des Bundes für den Ausbau der Schieneninfrastruktur beruhen; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 15/3268, S. 3. 3 Dabei sei insbesondere darzustellen, auf welche Weise die verfassungsrechtliche Infrastrukturverantwortung des Bundes auch nach einer Teilprivatisierung gewährleistet werden kann; vgl. Drucksache 15/3268 S. 3. - 8 - In Bezug auf den Bundeshaushalt sei zudem sicherzustellen, dass langfristige Festlegungen für künftige Haushaltsgesetzgeber und mögliche Prospekthaftungsansprüche künftiger Investoren gegen den Bund ausgeschlossen werden. In verkehrspolitischer Hinsicht müsse sichergestellt werden, dass der Bund auch künftig unter den Bedingungen einer materiellen Teilprivatisierung seine Infrastrukturverantwortung nach Art. 87e GG und seine verkehrspolitischen Ziele wahrnehmen könne. Ob eine materielle Teilprivatisierung der DB AG zu einem nachhaltigen Erfolg führe, hänge ganz wesentlich vom Stand des Konsolidierungsprozesses sowie von den wirtschaftlichen Perspektiven für das Unternehmen ab. Dazu bedürfe es einer mehrjährigen positiven Bewertung der Umsatz- und Gewinnentwicklung. Dies gelte in besonderer Weise bei einer Bewertung des „Vertragsmodells“ für die DB Netz AG. Sondereffekte, die z.B. durch neu hinzugetretene Beteiligungen oder durch die Veräußerung von Beteiligungen des Konzerns entstanden sind, seien gesondert auszuweisen.4 Im Hinblick auf diesen Beschluss des Deutschen Bundestages untersucht das Gutachten „Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG ‚mit und ohne Netz’“ (sog. Primon- Gutachten)5 im Auftrag der Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie das Bundesministerium der Finanzen, alternative Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG. Das Gutachten untersucht Strukturalternativen für eine mögliche Privatisierung der Deutschen Bahn im Hinblick auf - das Integrierte Modell („Vertragsmodell“), (Seite 261 ff.), - das Eigentumsmodell (Seite 300 ff.) mit Gestaltungsvarianten (Seite 338 ff.), - das Finanzholding-Modell (Seite 369 ff.) sowie das - sog. Getrennte Modell (Seite 399 ff.). Die Untersuchung der jeweiligen Modelle erfolgt insbesondere unter der Prüfung der Eisenbahninfrastruktur, Gestaltungsmöglichkeiten, einer rechtlichen Bewertung, Potenziale für strategische Verhaltensweisen, der Wettbewerbsentwicklung, der Prüfung der Kapitalmarktfähigkeit, der Haushalts- und Vermögenseffekte des Bundes sowie der jeweiligen Umsetzungsstufen. Auf den Seiten 436 bis 454 erfolgt schließlich eine Darstellung der Auswirkungen der jeweiligen Modelle im Vergleich; vorgestellt werden 4 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 15/3268, S. 6/7. 5 In der dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ursprünglich vorgelegten und weitgehend geschwärzten Fassung, abrufbar im Internet unter (Stand: 09.03.06): http://www.bmvbs.de/Verkehr/Schiene-,1862/Boersengang.htm. - 9 - - Untersuchungsergebnisse „Wettbewerb und Kundeninteresse“ (Seite 436 ff.), - Zusammenfassung Untersuchungsergebnisse „Kapitalmarktfähigkeit“ (Seite 439 ff.), - Untersuchungsergebnisse „Haushalts- und Vermögenseffekte des Bundes“ (Seite 444 ff.), - Untersuchungsergebnisse „Institutionelle Rahmenbedingungen“ (Seite 449 ff.) sowie eine - Bewertungsmatrix (Seite 454). Dem Gutachterteam unter der Führung von Booz/Allen/Hamilton wurden zur Erarbeitung dieser Untersuchungsgegenstände durch die DB AG Informationen, Daten und Zahlen in vier Kategorien zur Verfügung gestellt: - Kategorie A: Informationen, die offenkundig sind (kein Vertraulichkeitsbedarf), - Kategorie B: Informationen zur vertraulichen Verwendung durch den gesamten Kreis des Primon-Gutachterteams (darunter Finanzplanung in einer Zusammengefassten Zahlenaufmachung), - Kategorie C: Informationen zur vertraglichen Verwendung nur durch einen ausgewählten Kreis aus dem Primon-Gutachterteam (darunter Detailzahlen der Finanzplanung für ein sog. fiancial modelling) und - Kategorie D: Informationen zur vertraulichen Verwendung nur durch Booz/Allen/Hamilton.6 Unter Beachtung dieser Kategorien legte das Gutachterteam dem Ausschuss für Verkehr , Bau und Stadtentwicklung für seine Sitzung am 15. Februar 2006 das sog. Primon -Gutachten mit erheblichen Schwärzungen auf etwa 100 Seiten vor. Bereits an dieser Stelle ist festzustellen, dass dieses in dieser Sitzung zur Verfügung gestellte geschwärzte Gutachten nicht dem einstimmigen Beschluss des Deutschen Bundes vom 17. Juni 2004 entspricht. Hierbei kann es dahingestellt bleiben, ob das Gutachten unter der Bedingung erstellt wurde, dass nicht allen an dem Gutachten Beteiligten die gleichen Informationen bzw. das gleiche Zahlenmaterial zugänglich war oder auf „z.B. DB-Berechnungen zu Synergien und Trennungseffekte“7 beruht; entsprechendes gilt für von der DB AG selbst vorgegebene „z.B. Gewinnzahlen der Trennungsmo- 6 Vgl. Memorandum der RA Waldeck & Partner vom 11.01.2006, „Wahrung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bei der Weitergabe des Primon-Gutachtens“, S. 3/5 und 3/ 6 (nicht veröffentlicht ). 7 Vgl. Booz/Allen/Hamilton, Überblick Schwärzungen des Gutachtens „Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG ‚mit und Ohne Netz’“, vom 7.02.2006 (nicht veröffentlicht). - 10 - delle für die Jahre 2006 und 2009“ und „z. B. Gewinnzahlen für die Jahre 2006 bis 2009 des integrierten Modells“. Vielmehr erfüllt das vorgelegte Primon-Gutachten deshalb nicht den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 2004,8 da es den Abgeordneten nicht erlaubt, - die Ergebnisse - substantiiert - nachzuvollziehen, insbesondere aber die zu prognostizierenden Auswirkungen der in Frage kommenden Privatisierungsmodelle auf den Schienenverkehrsmarkt zu analysieren und - zu untersuchen, inwiefern die in Frage kommenden Privatisierungsmodelle das verkehrspolitische Ziel der Erreichung höherer Marktanteile der Schiene im Gesamtverkehrsmarkt und das ordnungspolitische Ziel der Stärkung von Wettbewerb auf der Schiene fördern. Ein „Gutachten“ leidet nicht nur an der Qualität, sondern wie hier an der Quantität der geschwärzten Seiten9 und Stellen. So wurden auf den Seiten 20, 283 bis 289, 293, 294, 440, 496, 538, 539 Ausführungen der Mittelfristplanung der DB AG geschwärzt; entsprechendes gilt für die Seiten 24, 28, 31, 35, 290 bis 292, 296, 470 zu Ausführungen, die es unter Annahmen oder z.B. Subtraktion bzw. Addition erlauben, auf Werte der Mittelfristplanung zurück zu schließen. Auf den Seiten 16, 194, 196, 197, 207, 208, 211 bis 214, 482 wurden Stellen geschwärzt , aus denen nicht ersichtlich oder nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen sie als „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ seitens der DB AG eingestuft wurden. Selbst Diskussionen von Annahmen zu „Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die ein Rückschließen auf strategische Weichenstellungen oder denkbare Maßnahmen zulassen “10 wurden auf den Seiten (wie bereits erwähnt) 198 bis 207 komplett geschwärzt sowie auf den Seiten 219, 312, 315, 317 bis 322, 324 bis 330, 333, 334, 335, 346, 350, 352 bis 362, 364, 365, 379 bis 392, 394 bis 397, 413, 415 bis 425, 427 bis 430, 432, 434. 8 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksache 15/3268, S. 3. 9 Vgl. Booz/Allen/Hamilton, Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“ (Primon-Gutachten), Januar 2006, komplett geschwärzte Seiten 198 – 207. 10 Beispielsweise die Evaluierung einzelner Verbesserungshebel und die kritische Reflexion derselben. - 11 - Gegenüber dem Gutachterteam wurden selbst Unterlagen als „vertraulich“ eingestuft und geschwärzt, deren Informationsgehalt – wenn auch mit erheblichem Aufwand – aus öffentlich zugänglichen Quellen darstellbar wäre.11 Das Primon-Gutachterteam unter der Führung von Booz/Allen/Mailton beruft sich hinsichtlich der umfangreichen Schwärzungen in seinem Gutachten auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht, die von der Deutschen Bahn AG dadurch herbeigeführt wird, indem sie selbst hergestellte Informationen und Zahlenmaterial als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis einstuft. Nachfolgend wird deshalb vor allem die im Zusammenhang mit der Verschwiegenheitspflicht relevante zentrale Vorschrift des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG im Einzelnen untersucht (Ziffer 3.) und die einzelnen Grenzen und Durchbrechungen unter besonderer Berücksichtigung des parlamentsrechtlichen Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (Ziffer 3.6) dargestellt. Im Hinblick auf die Verfassungsnorm des Art. 87e GG wird darüber hinaus dargestellt, welche parlamentarischen Kontroll- und Informationsrechte dem Deutschen Bundestag, seinen Ausschüssen und Mitgliedern gegenüber der Bundesregierung und unmittelbar gegenüber der DB AG zustehen (Ziffer 4.). Schließlich folgt unter Ziffer 5. eine Beantwortung von Einzelfragen zu diesem Komplex , in dessen Mittelpunkt eine Prüfung der Strafrechtsnorm des § 404 AktG steht. 3. Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Vorstands Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind nach dem Aktiengesetz zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten verpflichtet. Dies findet seinen Ausdruck insbesondere in den Vorschriften der §§ 93, 116, 404 des Aktiengesetzes (AktG)12. Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG sind die Vorstandsmitglieder einer AG verpflichtet , über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen durch ihre Tätigkeit im Vorstand bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Entsprechendes gilt auch für die Aufsichtsratsmitglieder nach § 116 Satz 1 AktG, der auf § 93 des AktG verweist. Darüber hinaus sind Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 116 Satz 2 AktG insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet. Diese Verschwiegenheitspflicht darf weder 11 Vgl. Booz/Allen/Hamilton, Überblick Schwärzungen des Gutachtens „Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG ‚mit und Ohne Netz’“, vom 07.02.2006 (nicht veröffentlicht), siehe Primon- Gutachten, S. 81. 12 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089) in der Fassung des Gesetzes zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz - BilKoG -) vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3408), geänderte §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 142 Abs. 7, 256 Abs. 7 Satz 2, 261a. - 12 - durch eine Satzung noch durch eine Geschäftsordnung gemindert oder geschärft werden .13 Zusätzlich sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch § 404 AktG strafrechtlich geschützt. Hiernach ist strafbar, wer ein Geheimnis der Aktiengesellschaft, namentlich ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtrates bekannt gegeben worden ist, unbefugt offenbart. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse nach dieser Strafvorschrift sind solche des § 93 des AktG. Nachfolgend wird deshalb untersucht, was Geschäftsgeheimnisse im Sinne des Abs. 1 Satz 3 des § 93 AktG sind. 3.1. Subjektive Einstufung als Geheimnis Durch die Verwendung der Begriffe „vertrauliche Angaben“ und „Geheimnisse der Gesellschaft“ ist der Inhalt der Schweigepflicht zunächst sehr weit gezogen. Zur genauen Bestimmung des Umfangs müssen die Rechtsbegriffe der Verschwiegenheitspflicht, die häufig unbestimmt sind, nach den anerkannten Regeln der Rechtswissenschaft ausgelegt werden. Erst dadurch wird es möglich, eine Aussage zu treffen, in welchen Fällen die Verschwiegenheitspflicht eingreift und in welchen nicht. Aus diesem Grund werden nachstehend zunächst die Tatbestandsmerkmale der Verschwiegenheitspflicht im Einzelnen erläutert. Vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft sind keine völlig synonymen Begriffe. Weder muss sich ein Geheimnis der Gesellschaft auf eine vertrauliche Angabe gründen noch braucht eine vertrauliche Angabe ein Geheimnis zu sein. Auch die sich ergebenden Rechtsfolgen bei Verletzung sind unterschiedlich. Aus Verletzung vertraulicher Angaben ergeben sich allein zivilrechtliche Folgen, während sich die Strafvorschrift des § 404 AktG nur auf Geheimnisse der Gesellschaft bezieht.14 Mithin besteht grundsätzlich ein qualitativer Unterschied zwischen vertraulichen Angaben und Betriebs - und Geschäftsgeheimnissen.15 Geheimnisse der Gesellschaft sind Tatsachen, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt, also nicht offenkundig sind, wenn sie nach dem bekundeten oder mutmaßlichen Willen der Gesellschaft geheim gehalten werden sollen und wenn an der Geheimhaltung ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse besteht. Für die Auslegung ist 13 BGHZ 64, 325 (327), (= NJW 1975, S. 1412). 14 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93 Rdnr. 45. 15 Trotz des unterschiedlichen Wortlauts der §§ 93 und 404 AktG können vertrauliche Angaben auch dann unter den Geheimnisbegriff des § 404 AktG fallen, wenn sie dem materiellen Geheimnisbegriff entsprechen. - 13 - dabei das Bestehen eines objektiven Unternehmensinteresses an der Tatsache maßgeblich . Wobei unter Tatsachen hier auch Ansichten, Meinungen und Wertungen verstanden werden. Als Beispiele hierfür wären zu nennen: Produktionsvorhaben, Fabrikationsverfahren , Erfindungsleistungen, Konstruktionen, Kalkulationen, Absatzplanung, Finanzpläne und Kundenlisten etc.16 Letztlich ist es der Vorstand, der das Unternehmensinteresse durch die Festlegung der Unternehmenspolitik mit konkretisiert, so dass er „Herr der Gesellschaftsgeheimnisse“ ist.17 3.2. Objektive Einstufung als Geheimnis Ob eine Tatsache ein Geheimnis ist, beurteilt sich objektiv nach dem Unternehmensinteresse . Maßgeblich ist daher nicht der Wunsch nach Geheimhaltung eines einzelnen oder der Geschäftsführung, sondern eine objektive Betrachtungsweise nach allgemeiner Meinung, die sich daran orientiert, was bei vernünftiger und sachkundiger Unternehmensführung im Interesse der Gesellschaft, im Hinblick auf ihren Nutzen und ihr Ansehen noch unbekannt bleiben sollte. Unter Berücksichtigung der bereits aufgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Vorstand der Deutschen Bahn AG zwar grundsätzlich berechtigt, gewisse Informationen und Zahlenmaterial als vertraulich bzw. als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis einzustufen. Gleichwohl kann dies nicht unsubstantiiert oder willkürlich in einem rechtsfreien Raum erfolgen, da sich der Geheimnisbegriff an einer objektiven Betrachtungsweise und am Unternehmensinteresse messen lassen muss. Daraus folgt, dass der Vorstand nach objektiven Kriterien festzustellen hat, ob eine Tatsache als Unternehmensgeheimnis zu qualifizieren ist und ob es im Unternehmensinteresse liegt, dass eine Tatsache geheim zu halten ist. 18 Andere Organe der Gesellschaft können sich in diesem Fall auf diese Entscheidung berufen und ihr vertrauen; dies gilt insbesondere für den Aufsichtsrat. Objektiv wird es aber gerade nicht dem billigen Ermessen des Vorstands anheim gestellt, eine Information, eine Tatsache oder Zahlenmaterial als Geheimnis zu qualifizieren. 16 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93 Rdnr. 46. 17 BGHZ 64, 325 (329). 18 Vgl. Mertens, Hans-Joachim in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 1996, Band 2, § 116 Rdnr. 43. - 14 - Gegebenenfalls macht sich der Vorstand bei einer Falscheinschätzung, ob vertrauliche Angaben und Informationen als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu behandeln sind, sogar schadensersatzpflichtig.19 Soweit der Vorstand der Deutschen Bahn AG Informationen, Daten und Zahlen – wie eingangs dargestellt – in vier Kategorien dem Primon-Gutachterkonsortium zur Verfügung gestellt hat, könnten zwar die Gutachter selbst und deren Hilfspersonal an diese Einstufung der Geheimhaltung oder Vertraulichkeit gebunden sein. Gegenüber dem Deutschen Bundestag, seinen Ausschüssen und Mitgliedern kann die Deutsche Bahn AG sich jedenfalls wie nachfolgend aufgezeigt wird, nicht auf die Verschwiegenheitspflicht aus § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG berufen. 3.3. Grenzen und Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflicht Überragender Sinn und Zweck der Schweigepflicht ist der Schutz der Interessen der Aktiengesellschaft.20 Daher müssen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bei Verstößen gegen die Verschwiegenheitspflicht mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen und sogar Strafverfolgung rechnen (§ 404 AktG). Anerkannt ist demgegenüber, dass diese Verschwiegenheitspflicht rechtsimmanent ihre Grenze darin findet, wenn durch die Wahrnehmung der Verschwiegenheitspflicht durch den Vorstand übergeordnete Unternehmensinteressen der Aktiengesellschaft konterkariert werden. Maßstab für das übergeordnete Unternehmensinteresse ist nicht allein die subjektive Einschätzung eines Vorstandes oder Vorstandsmitgliedes, sondern das, was bei vernünftiger und sachkundiger Unternehmensführung im Interesse der Gesellschaft geboten ist. Daneben bestehen zahlreiche Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflicht , vornehmlich durch öffentlich-rechtliche Vorschriften. Festzustellen ist nach ganz herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass die Schweigepflicht, beispielsweise des Vorstandes, dann zurücktreten muss, wenn das Interesse der Gesellschaft es erfordert, bestimmte Dinge zu offenbaren21 und sie wird ohnehin durchbrochen durch zahlreiche Auskunftsrechte von Behörden und Informationspflichten der Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats. Vor allem verlangen z. B. die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften über die ad-hoc-Publizität die unverzügliche 19 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93 Rdnr. 48. 20 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 3, § 93 Rdnr. 62. 21 BGHZ 64, 325 (330). - 15 - Bekanntgabe von kursbeeinflussenden Tatsachen, da hier das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft nachrangig ist.22 Des Weiteren kommen alle wirtschafts- und steuerrechtlichen Auskunftsrechte von Behörden als gerechtfertigte Preisgabe von Geheimnissen in Betracht.23 Die Verschwiegenheitspflicht hat jedenfalls rechtsimmanent ihre Grenzen und Durchbrechungen , wenn Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsinteressen des Vorstandes dem umfassenden, auch künftigen strukturellen und wirtschaftlichen Interesse der Aktiengesellschaft zuwider laufen. Die Verschwiegenheitspflicht eines Vorstandes tritt regelmäßig zurück, wenn im Unternehmensinteresse der Aktiengesellschaft tief greifende strukturelle Veränderungen (Verkauf, Beteiligung oder Börsengang) vorzunehmen sind. So ist beispielsweise eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bei sog. Due-Dilligence-Prüfungen24 („gründliche Durchleuchtung “) in der Literatur anerkannt,25 die bei einer Veräußerung des Unternehmens oder Beteiligungen in Betracht kommt. Auch hier besteht eine Konfliktlage zwischen dem Informationsinteresse des potentiellen Erwerbers einerseits und dem Schutzbereich des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG andererseits über die Weitergabe von internen Informationen durch den Veräußerer bzw. den Vorstand.26 Solange sichergestellt ist, dass die Auskünfte und Informationen auch beim potentiellen Erwerber vertraulich bleiben, ist der Vorstand in diesen Fällen auch zur Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berechtigt. Denn bei der grundsätzlichen Bindung an die Vertraulichkeitspflicht gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG hat der Vorstand 22 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93, Rdnr. 58. 23 Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93 Rdnr. 58. 24 Due Dligence bezeichnet die „gebotene Sorgfalt“ mit der beim Kauf bzw. Verkauf von Unternehmensbeteiligungen oder Immobilien das Vertragsobjekt im Vorfeld der Akquisition geprüft wird. Due-Deligence Prüfungen beinhalten insbesondere eine systematische Stärken-/Schwächen-Analyse des Kaufobjekts, eine Analyse der mit dem Kauf verbundenen Risiken sowie eine fundierte Bewertung des Objekts. Gegenstand der Prüfung sind etwa Bilanzen, personelle und sachliche Ressourcen, strategische Positionierung, rechtliche und finanzielle Risiken etc. 25 Vgl. Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93, Rdnr. 63 mit zahlreichen Literaturhinweisen. 26 Vgl. hierzu besonders Stoffels, Markus, Grenzen der Informationsweitergabe durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft im Rahmen einer „Due Deligence“, ZHR 2001, S. 362 (371 ff.). - 16 - vor allem die Aufgabe, die unternehmerischen Interessen der Aktiengesellschaft zu verfolgen.27 Auch der Bundesgerichtshof28 hat deutlich gemacht, dass die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht nicht im Sinne einer Vermutung für ein sachlich unbegrenztes Schweigegebot verstanden werden darf. Vielmehr muss die Verschwiegenheitspflicht im konkreten Fall mit stetem Blick auf das übergeordnete Unternehmensinteresse bestimmt werden und erfährt von dieser Seite auch seine Einschränkungen.29 Nach dieser Rechtsprechung kann die DB AG für die umfangreichen Schwärzungen in dem sog. Primon- Gutachten nicht die Verschwiegenheitspflicht aus § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG für sich in Anspruch nehmen. 3.4. Unternehmensinteresse als Grenze der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht Grundsätzlich gilt: „Wo es das Unternehmensinteresse gebietet zu reden, hört die Schweigepflicht auf.“ Unstreitig liegt vor allem im Hinblick auf den eingangs dargestellten Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 2004 im gegebenen Fall das Unternehmensinteresse auf der Hand. Für den von der Deutsche Bahn AG (DB AG) angestrebten Börsengang ist im Hinblick auf den darin liegenden Verkaufsvorgang eine Zustimmung des Gesetzgebers gemäß Art. 87e Abs. 3 GG erforderlich. Dementsprechend sind für den erforderlichen Gesetzgebungsakt und die damit einhergehende politische Willensbildungs - und Strukturdiskussion die Sachargumente und vor allem die Finanz- und Haushaltsauswirkungen 30 aufzubereiten. Auch die nach seinem Börsengang (IPO) der DB AG beim Bund verbleibende Infrastrukturgewährleistungspflicht nach Art. 87e Abs. 4 GG hinsichtlich Ausbau und Erhaltung des Schienennetzes veranlasst eine abwägende Betrachtung des Bedarfs an Zuführung von Haushaltsmitteln auf Basis der Kalkulation des Unternehmens, das derzeit und ggf. auch künftig die Infrastrukturgewährleistungspflicht im Auftrag und für Rechnung 27 Vgl. auch Memorandum der RA Waldeck & Partner vom 11.01.2006, „Wahrung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bei der Weitergabe des Primon-Gutachtens“, S. 3/5 (nicht veröffentlicht ): „Solche Pflichten zur Interessenwahrnehmung führen naturgemäß und immer wieder auch zu unternehmerischen Kontakten zu Dritten in der Weise, dass zum Nutzen des Unternehmens es sinnvoll ist, Informationen über das Unternehmen weiterzugeben.“ 28 Vgl. BGHZ 64, 325 ff. (330). 29 Vgl. auch Memorandum der RA Waldeck & Partner vom 11.01.2006, „Wahrung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bei der Weitergabe des Primon-Gutachtens“, S. 3/5 (nicht veröffentlicht ) unter Hinweis auf Stoffels, ZHR 165 (2001), 363 ff, 373 m.w.N. in Fußnote 44. 30 Vgl. hierzu auch Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Bericht nach § 99 BHO zur Finanzierung der Bundesschienenwege, BT-Drucksache 16/840 vom 08.03.2006. - 17 - des Bundes erfüllt. Haushaltspolitisch und –wirtschaftlich sind dafür auf der Grundlage der Finanzplanungszahlen des Unternehmens Strukturvarianten für die Erfüllung der Infrastrukturverpflichtung in Erwägung zu ziehen, ohne deren Prüfung der Bund als Anteilseigner zu den Kapitalmarktplanungen des Unternehmens nicht zustimmen können wird.31 Bereits unter diesen Gesichtspunkten muss es unter objektiver Betrachtungsweise und bei vernünftiger und sachkundiger Unternehmensführung im Interesse der DB AG liegen, nicht nur die Bundesregierung, sondern vor allem den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, der den für einen Börsengang notwendigen Gesetzesbeschluss des Plenums des Deutschen Bundestages nach Art 87e Abs. 3 GG vorbereiten muss, umfassend zu unterstützen und insbesondere umfassend zu informieren. 3.5. Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass es im Unternehmensinteresse der DB AG liegt, neben der Bundesregierung die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzesbeschlusses - auch durch die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen - zu unterstützen. Es stellt daher keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG dar, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegenüber Mitgliedern des Deutschen Bundestages zu offenbaren , insbesondere gegenüber dem für die Beratungen eines Gesetzes gemäß Art. 87e Abs. 3 GG federführend zuständigen Ausschuss. Denn nur die umfassende Kenntnis über die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen32 versetzt die Mitglieder des Deutschen Bundestages in die Lage, einen entsprechenden Gesetzesbeschluss herbeizuführen . Gleichwohl kann ein Bedürfnis der DB AG bestehen, bestimmte Informationen zwar den Mitgliedern des Deutschen Bundestages zur Verfügung zu stellen, gegenüber Dritten aber vertraulich oder geheim zu halten. Dies wird durch den nachfolgend darzustellenden parlamentsrechtlichen Geheimhaltungsschutz auch in Bezug auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sichergestellt. 31 So auch das Memorandum der RA Waldeck & Partner vom 11.01.2006, „Wahrung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bei der Weitergabe des Primon-Gutachtens“, S. 3/5 (nicht veröffentlicht ). 32 Vgl. hierzu auch § 96 GO BT zu Finanzvorlagen, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung oder ihres finanziellen Umfangs geeignet sind, auf die öffentlichen Finanzen des Bundes erheblich einzuwirken . - 18 - 3.6. Der parlamentsrechtliche Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Ein wirksamer Schutz privater Geheimhaltungsinteressen der DB AG im Rahmen der Gesetzgebungstätigkeit und der parlamentarischen Kontrolle des Deutschen Bundestages setzt voraus, dass dessen Mitgliedern die dazu erforderlichen Verschwiegenheitspflichten obliegen. Das freie Mandat der Abgeordneten umfasst neben Rechten auch Pflichten, was sich allgemein daraus ergibt, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Art. 38 Abs.1 Satz 2 GG). Die Pflicht zur Verschwiegenheit folgt aus der Mitwirkung bei der Gesetzgebungstätigkeit selbst und der Notwendigkeit einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle, wenn dies andernfalls, d.h. im Rahmen der grundsätzlichen Parlamentsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 GG), nicht gesichert werden kann, weil insbesondere vorrangige staatliche oder private Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Die nähere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der Abgeordneten obliegt im Rahmen der Verfassung der Gesetzgebung und dem parlamentarischen Geschäftsordnungsrecht .33 Allgemein unterliegen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages einer gesetzlich bestimmten Verschwiegenheitspflicht in Angelegenheiten, die aufgrund eines Gesetzes oder nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundestages der Verschwiegenheit unterliegen (§ 44d AbgG).34 Nach § 44d Abs. 1 AbgG dürfen Abgeordnete des Deutschen Bundestages, auch nach Beendigung ihres Mandats, ohne Genehmigung35 weder vor Gericht noch außergerichtlich Aussagen oder Erklärungen abgeben über Angelegenheiten, die auf Grund eines Gesetzes oder nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages der Verschwiegenheit unterliegen. Der Deutsche Bundestag hat nach § 17 seiner Geschäftsordnung eine Geheimschutzordnung beschlossen. Diese Geheimschutzordnung regelt die Behandlung aller Angelegenheiten , die durch besondere Sicherungsmaßnahmen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte geschützt werden müssen. Nach § 2a Abs. 2 dieser Geheimschutzordnung können Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs-, Steuer- oder sonstige private Geheimnisse, deren Kenntnis durch Unbefugte dem Interesse der DB AG abträglich sein könnte als 33 Zur umstrittenen Abgrenzung zwischen diesen beiden Möglichkeiten vgl. BVerfGE 70, 324 (361). 34 Der bisherige § 44c AbgG wurde § 44d mit Wirkung vom 18.10.2005 durch das Sechsundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 22.08.2005 (BGBl. I S. 2482). 35 Die Genehmigung erteilt der Präsident des Deutschen Bundestages. Sind Stellen außerhalb des Deutschen Bundestages an der Entstehung der geheim zu haltenden Angelegenheiten beteiligt gewesen , kann die Genehmigung nur im Einvernehmen mit ihnen erteilt werden (§ 44d Abs. 2 Satz 2 AbgG). - 19 - VERTRAULICH eingestuft werden. Darüber hinaus können derartige Geheimnisse oder Umstände auch als GEHEIM eingestuft werden, wenn deren Kenntnis durch Unbefugte der DB AG schweren Schaden zu fügen würde. Eine Strafbarkeit von Abgeordneten kommt gemäß § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht , wenn sie der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Geschäftsgeheimnisse beispielsweise von (teil-)privatisierten Bundesunternehmen unbefugt offenbaren. Jedenfalls liegt ein Beschluss des Deutschen Bundestages oder des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bisher nicht vor, nach dem es abgelehnt wird, als vertrauliche oder als geheim eingestufte Informationen der DB AG nicht nach der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages zu behandeln. 4. Parlamentarische Kontrolle als Durchbrechung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht Unter Ziffer 3. wurde im Ergebnis festgestellt, dass es im objektiven Unternehmensinteresse der DB AG ist an der Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes nach Art. 87e GG mitzuwirken und sich deshalb der Vorstand gegenüber dem Deutschen Bundestag nicht auf die Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG berufen kann. Nachfolgend soll untersucht werden, ob in diesem Zusammenhang dem Deutschen Bundestag, seinen Ausschüssen und Mitgliedern darüber hinaus umfassende parlamentarische Kontroll- und Informationsrechte gegenüber der DB AG selbst oder der Bundesregierung zustehen.36 Bereits an dieser Stelle ist grundsätzlich festzustellen, dass private Unternehmen der parlamentarischen Kontrolle nur ausnahmsweise unterliegen, wenn sie etwa aus staatlichen Mitteln gefördert oder steuerlich begünstigt werden und es um Missstände geht, an deren Aufklärung ein öffentliches Interesse besteht. In Betracht kommt insoweit die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gemäß Art. 44 GG, der das Parlament befähigt, sich unmittelbar selbst – ohne Einschaltung der Regierung – zu informieren.37 Vorstandsmitgliedern steht im Strafprozess kein Zeugnisverweigerungsrecht im Rahmen der gesetzlichen Schweigepflicht 36 Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat zu damit verbunden grundsätzlichen parlamentsrechtlichen Fragestellungen ein externes Gutachten vom 14.08.2003 bei zu dem Thema eingeholt: „Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen “ (nicht veröffentlicht), auf das nachfolgend Bezug genommen wird. 37 Vgl. , Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 7, Fußnote 3 unter Hinweis auf Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band II, 1998, Art. 44 Rdnr. 11 mit weiteren Nachweisen. - 20 - zu;38 entsprechendes dürfte deshalb bei Vernehmungen von Vorstandsmitgliedern vor einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gelten. 4.1. Rechtliche Ausgangsbedingungen Mit der Bahnreform im Jahre 1994 wurden die Bundeseisenbahnen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn, die bis dahin gemäß Art. 87 Abs. 1 GG a. F. in Behördenform geführt worden waren, in ein privatrechtlich organisiertes Wirtschaftsunternehmen , die Deutsche Bahn AG, umgewandelt. Verfassungsrechtliche Grundlage der Bahnreform ist Art. 87e GG, der am 23. Dezember 1993 in Kraft getreten ist.39 Die Umwandlung selbst erfolgte durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens.40 Alleinaktionär und –eigentümer ist bislang der Bund. Derzeit wird die Kapitalmarktplatzierung mit Börsennotierung der Deutsche Bahn AG vorbereitet. Diese bedarf gemäß Art. 87e Abs. 3 Satz 3 GG einer Zustimmung durch Gesetz. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, in welchem Umfang dem Deutschen Bundestag als Gesetzgebungsorgan Kontroll- und Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung bei der Kapitalmarktplatzierung der Deutsche Bahn AG zustehen. Hierbei stellt sich des Weiteren die grundsätzliche Frage, welche parlamentarischen Kontroll- und Informationsrechte der Deutsche Bundestag gegenüber der Bundesregierung allgemein und im Besonderen gegenüber (teil-)privatisierten Bundesunternehmen zustehen (Ziffer 4.2). Von besonderer Beutung bei der Ausübung parlamentarischer Kontrollrechte gegenüber privatisierten Bundesunternehmen ist hierbei, dass der von der DB AG angestrebte Börsengang im Hinblick auf den darin liegenden Verkaufsvorgang eine Zustimmung des Deutschen Bundestages nach Art. 87e GG erfordert. 4.2. Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung Nachfolgend wird zunächst der Umfang der parlamentarischen Kontroll- und Informationsrechte des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung dargestellt, um 38 Vgl. Kropff, Bruno/ Semler, Johannes, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, Band 3, § 93 Rdnr. 60 mit weiteren Nachweisen. 39 Art. 87e GG eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20.12.1993 (BGBl. I S. 2089). Nach dem ebenfalls neu eingefügten Art. 143a GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über alle Angelegenheiten, die sich aus dem Umwandlung der in bundeseigener Verwaltung geführten Bundeseisenbahnen in Wirtschaftsunternehmen ergeben. 40 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378), das Gesetz im Wesentlichen in Art 1: Gesetz zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen; Art. 2: Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (Deutsche Bahn Gründungsgesetz – DBGrG); Art. 3: Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes; Art. 4: Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz ); Art. 5: Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG). - 21 - anschließend auf die Problematik (teil-)privatisierter Bundesunternehmen in diesem Zusammenhang einzugehen. 4.2.1. Parlamentarische Kontrolle im Allgemeinen Das Handeln der Bundesregierung unterliegt in einem demokratischen System der Kontrolle durch das Parlament, d.h. auch ohne Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses oder eines Missstandes in dem jeweiligen Bereich.41 Der Deutsche Bundestag als Organ der Volksvertretung übt diese Kontrolle gestützt auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip im Sinne von Art. 20 GG aus. Das Bundesverfassungsgericht hebt in seinen Entscheidungen mehrfach hervor, dass eine derartige parlamentarische Kontrolle wirksam sein muss.42 Als Voraussetzung dafür ist der Deutsche Bundestag auf die erforderlichen Informationen angewiesen.43 Diese kann er nicht allein durch Selbstinformation gewinnen, vor allem nicht, wenn es um die parlamentarische Kontrolle der Regierung geht. Erst recht kann der Deutsche Bundestag Erkenntnisse nicht durch Selbstinformation erlangen, wenn er zur Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes nach Art. 87e Abs. 3 GG auf Fremdinformationen durch die DB AG und die Unterstützung durch die Bundesregierung angewiesen ist. Im Rahmen der organadäquaten und funktionsgerechten Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist deshalb der Informationsbedarf des Parlaments für eine wirksame Kontrollausübung – und wie hier zur Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes - grundsätzlich von der Bundesregierung zu befriedigen. Dem parlamentarischen Frage- und Informationsrecht entspricht eine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen.44 Dies gilt erst recht, wenn der Deutschen Bundestag in seinem eingangs wiedergegebenen Beschluss vom 17. Juni 2004 expressis verbis die Bundesregierung auffordert, vor einer Grundsatzentscheidung über eine mögliche Teilprivatisierung der DB AG die verkehrs-, finanz- und haushaltsrechtlichen Chancen und Risiken der in Frage kommen- 41 Vgl. hierzu , Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes , 1979, S. 326 ff. 42 Vgl. beispielsweise BVerfGE 67, 100 (130) und 77, 1 (48) mit weiteren Nachweisen. 43 Vgl. dazu insbesondere , Rechte des Bundestages und seiner Mitglieder gegenüber der Regierung, in : (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 52 ff. mit weiteren Nachweisen. 44 Vgl. BVerfGE 13, 123 /125); 57, 1 (5); 67, 100 (129); 105, 252 (270); 105, 279 (306); Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O.; S. 7 Fußnote 9 mit weiteren zahlreichen Nachweisen. - 22 - den Privatisierungsmodelle unter Einbeziehung externen Sachverstandes umfassend vorzulegen. Das Recht des einzelnen Abgeordneten auf Verschaffung der Informationen, die zu der wirksamen Ausübung seines Mandates erforderlich sind, ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 GG.45 Auch wenn das allgemeine Informationsrecht primär gegenüber dem Parlament besteht,46 hat der Abgeordnete auch gegenüber der Bundesregierung im Hinblick auf bestimmte, sachlich eingegrenzte Informationen ein Informationsrecht.47 Dies ergibt sich aus dem Informationsbedarf der parlamentarischen Minderheit und dem Schutz des einzelnen Abgeordneten. Ansonsten hinge die Ausübung des Informationsrechts von der Mehrheit des Bundestages ab und das Recht des einzelnen Abgeordneten wäre letztlich wertlos.48 Demnach hat in dem hier maßgeblichen Zusammenhang nicht nur der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, sondern jedes einzelne Mitglied des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung einen entsprechenden Anspruch, soweit wie es sein Mandat erfordert, die jeweils erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Umfang der Informationspflicht wird durch die verfassungsrechtlich begründete Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament bestimmt. Aus dem Demokratie - und Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 GG folgt, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und mittelbar vom Deutschen Bundestag ausgeübt wird. Diesem gegenüber ist die Bundesregierung daher zur Information verpflichtet. Die Verantwortlichkeit äußert sich dabei in einer Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament .49 Die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung setzt voraus, dass sich die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag auf alle Aufgabenbereiche ihrer Amtsführung bezieht. Damit ist nicht nur das hoheitliche Handeln der Regierung gemeint. Vielmehr unterliegt auch die privatwirtschaftliche Betätigung der Exekutive der parlamentarischen Kontrolle. Denn andernfalls könnte sich die Regierung der Kontrolle durch die Wahl einer bestimmten Rechtsform der Kontrolle entziehen, die dann vielfach leer laufen würde. Eine Grenze besteht allenfalls 45 Vgl. BVerfGE 70, 324 (335). 46 Vgl. BVerfGE 92, 130 (135). 47 Vgl. BVerfGE 92, 130 (136). 48 Vgl. , Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 8. 49 , Die parlamentarische Demokratie, HStR I 1987, § 23 Rn. 12. - 23 - in einem geschützten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, um dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Regierungshandelns Rechnung zu tragen.50 Ein Ermessensspielraum in dem Sinne, dass die Bundesregierung selbst darüber zu befinden hätte, welche Informationen sie preiszugeben gedenkt, besteht nicht. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Bundesregierung bestimmte Informationen dem Parlament vorenthalten würde und die Wirksamkeit der Kontrolle erheblich gefährdet wäre. Erfasst sind somit alle Aufgabenbereiche, für die die Regierung unmittelbar oder mittelbar ein zu stehen hat (vgl. § 105 GOBT i. V. m. Anlage 4, I, 2.). Ist im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle durch den Deutschen Bundestag der Umfang der Informationspflichten der Bundesregierung für ihren unmittelbaren Zuständigkeitsbereich weitgehend unstreitig, soll nachfolgend dargestellt werden, wie sich diese Informationspflichten bei (teil-)privatisierten Bundesunternehmen auswirken. 4.2.2. Parlamentarische Kontrolle gegenüber (teil-)privatisierter Bundesunternehmen Da sich die Informationspflicht der Bundesregierung und die parlamentarische Kontrolle auf alle Bereiche ihrer Amtsführung beziehen, kommt es nicht darauf an, ob ein hoheitliches Handeln vorliegt. Ebenso erfasst ist das privatwirtschaftliche Engagement der öffentlichen Hand, da sich der Bund ansonsten durch die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform der wirksamen Kontrolle entziehen könnte. Die Grenze seiner Kontrolle liegt erst bei einer völligen rechtlichen, wirtschaftlichen und personellen Unabhängigkeit eines Unternehmens von der Regierung.51 Fraglich ist allerdings, ob sich aus den Rechtsbeziehungen und der Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und der Deutsche Bahn AG eine Grenze der Informationspflicht ergeben kann. Der Deutschen Bahn AG obliegt die Erbringung von Transport- und Infrastrukturdienstleistungen , während der Bund für die Eisenbahnverkehrsverwaltung zuständig ist, deren Aufsicht das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesministerium der Finanzen wahrnimmt. Die Ausführung dieser Aufgaben unterliegt als Teil der Amtsführung der Bundesregierung - wie aufgezeigt - der parlamentarischen Kontrolle durch den Deutschen Bundestag und führt zu einer Informationspflicht der Bundesregierung. 50 BVerfGE 9, 268 (281); 67, 100 (139); 104, 151 (207). 51 Vgl. , Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 8 unter Hinweis auf: , Parlamentarisches Fragerecht und Persönlichkeitsschutz, ZParl 2001, 258 (277) sowie , Frage und Antwort im Parlament, 1992, S. 24 ff. - 24 - Die Erbringung der Transport- und Infrastrukturdienstleistungen durch die Deutsche Bahn AG ist keine hoheitliche, sondern eine privatrechtliche Tätigkeit. Die privatrechtliche Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen unterliegt grundsätzlich keiner parlamentarischen Kontrolle. Indessen kann sich der Bund dieser Kontrolle nicht durch Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Unternehmen entziehen. Die Verantwortlichkeit bleibt mithin solange bestehen, als das Unternehmen vom Bund in rechtlicher, wirtschaftlicher sowie personeller Hinsicht abhängig ist und ein Gesetzgebungsakt nach Art. 87e Abs. 3 GG noch aussteht. Für die Deutsche Bahn AG bedeutet dies, dass die Verantwortlichkeit der Regierung als Alleinaktionär und Alleineigentümer , insbesondere im Hinblick auf den Infrastrukturauftrag des Art. 87 Abs. 4 GG, für das Handeln des Unternehmens umfassend besteht und der parlamentarischen Kontrolle zugänglich bleibt. Im Rahmen der Beteiligungsverwaltung übt der Bund die Aktionärsrechte nach dem Aktiengesetz aus. Auch die Beteiligungsverwaltung, also die Wahrnehmung der Aktionärsrechte durch den Bund, insbesondere durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie das Bundesministerium der Finanzen, unterliegt der Informationspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag und damit der parlamentarischen Kontrolle. 4.3. Ergebnis Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag auf der Grundlage seines Beschlusses vom 17. Juni 2004 eine umfassende Informationspflicht hinsichtlich der durch die DB AG zu erbringenden Transport- und Infrastrukturdienstleistungen, der Eisenbahnverkehrsverwaltung und der Beteiligungsverwaltung obliegt. Der Beschluss des Deutschen Bundestags vom 17. Juni 2004 richtet sich an die Bundesregierung und auch die parlamentarische Kontrolle von (teil-)privatisierten Bundesunternehmen erfolgt grundsätzlich über die Bundesregierung durch Fremdinformationen und nur ausnahmsweise (durch einen Untersuchungsausschuss ) – bei einem öffentlichen Interesse an einer Missstandsaufklärung – unmittelbar durch Selbstinformation des Parlaments. Schließlich können auch in diesem Zusammenhang Geheimhaltungsinteresses der Deutsche Bahn AG relevant werden, die über § 44d AbgG, § 17 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in Verbindung mit § 2a der Geheimschutzordnung gewahrt werden; insoweit wird auf die Ausführungen oben zu Ziffer 3.6 verwiesen. - 25 - Unabhängig von diesem Ergebnis ist nachfolgend auf die Regelungen der §§ 394, 395 AktG hinzuweisen, die Ausnahmeregelungen zur Strafvorschrift des § 404 AktG darstellen und damit ebenfalls eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG darstellen. 4.4. Berichtspflichten gemäß §§ 394, 395 AktG als Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht Grundsätzlich sind Aufsichtratsmitglieder nach § 116 AktG in Verbindung mit § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG verpflichtet, Stillschweigen über ihnen anvertraute Informationen zu bewahren. Von diesem Grundsatz normieren die §§ 394, 395 AktG eine Ausnahme. Solche Ausnahmen sind auch im Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)52 und in der Bundeshaushaltsordnung (BHO)53 für die Rechnungsprüfung enthalten. Danach prüft der Bundesrechnungshof die Betätigung des Bundes bei privatrechtlich organisierten Unternehmen , an denen der Bund beteiligt ist (§§ 44 HGrG, 92 BHO). Soweit es für die Entlastung der Bundesregierung von Bedeutung ist, fasst der Bundesrechnungshof das Ergebnis seiner Prüfung jährlich in Bemerkungen zusammen, die er neben der Bundesregierung und dem Bundesrat auch dem Deutschen Bundestag zuleitet (§§ 46 HGrG, 97 BHO). Über Angelegenheiten von besonderer Bedeutung kann der Bundesrechnungshof den Deutschen Bundestag jederzeit unterrichten. Dies ist letztmalig am 8. März 2006 auf Drucksache 16/840 in einer Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes in seinem „Bericht nach § 99 BHO zur Finanzierung der Bundesschienenwege “ erfolgt. Von den beiden Sondervorschriften des Aktiengesetzes bei Beteiligung von Gebietskörperschaften , die auch für die Beteiligung des Bundes an der DB AG gelten, bestimmt § 394 AktG, dass Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen , es sei denn, es handelt sich um vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Aktiengesellschaft , deren Kenntnis für die Berichtszwecke nicht von Bedeutung sind. 52 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) vom 19.09.1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Art. 63 Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848). 53 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19.08.1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2809). - 26 - Die damit ermöglichte Lockerung der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtratsmitgliedern wird ihrerseits durch § 395 AktG begrenzt, indem Person, die mit der Beteiligungsverwaltung der Gebietkörperschaft oder der darauf bezogenen Prüfung betraut sind, über die ihnen aus den Berichten nach § 394 AktG bekannt gewordenen vertraulichen Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft – außer im dienstlichen Verkehr – ihrerseits Stillschweigen zu bewahren haben. Auch sind solche Angaben und Geheimnisse von der Veröffentlichung von Prüfungsergebnissen auszunehmen. Unbeschadet einzelner umstrittener Auslegungsfragen, insbesondere hinsichtlich einer möglichen Weisungsbindung der Aufsichtsratsmitglieder und der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Berichtspflicht,54 lässt die Regelung der §§ 394, 395 AktG erkennen, dass die an der Gesellschaft beteiligten Gebietkörperschaften über die auf ihre Veranlassung, d.h. von ihnen (mit-)entscheidend, bestellten Aufsichtsratsmitglieder in gleicher Weise über die Geschäftsführung des Vorstandes der Aktiengesellschaft unterrichtet sein sollten wie der Aufsichtsrat selbst, soweit es für die Wahrnehmung einer Überprüfung ihrer Beteiligungsverwaltung erforderlich ist. Ob und inwieweit zu den Personen, die mit der Prüfung der Beteiligungsverwaltung betraut und damit Adressaten der Berichte von Aufsichtsratmitgliedern sind, auch parlamentarische Gremien und einzelne Abgeordnete gehören, ist vor allem für die kommunale Ebene umstritten.55 Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung durch den Bundestag erfolgt vorrangig über Instrumente der Fremdinformation, d. h. durch Mitteilungen der Regierung an das Parlament, und nur ausnahmsweise, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles es gebieten, durch subsidiäre Instrumente der Selbstinformation des Parlaments bei der Regierung und der ihr zugeordneten vollziehenden Gewalt. Unabhängig davon, ob die Sondervorschriften der §§ 394, 395 AktG eine unmittelbare Berichterstattung von Aufsichtsratmitgliedern an parlamentarische Gremien und Abgeordnete zulassen oder nicht, lässt sich ihnen eine Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle und Verantwortlichkeit der Regierung für die Wahrnehmung und Prüfung der Beteiligungsverwaltung an privatisierten Bundesunternehmen nicht entnehmen. Vielmehr ermöglicht § 394 AktG die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht von Auf- 54 Vgl. , Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 26 unter Hinweis auf: Hüffer, Uwe, Aktiengesetz Kommentar, 5. Auflage 2002, § 394 Rdnr. 28 ff., 37 ff. und Strobel, Verschwiegenheits- und Auskunftspflicht kommunaler Vertreter im Aufsichtsrat öffentlicher Unternehmen, 202, S. 161 ff. 55 Vgl. Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 26 unter Hinweis auf: Schwintowski, Verschwiegenheitspflicht für politisch legitimierte Mitglieder des Aufsichtsrates, NJW 1990, S. 1009 ( 1014 ff.); Thode, Parlamentskontrolle und Geheimnisschutz bei öffentlichen Unternehmen, Die Aktiengesellschaft 1997, S. 547 (548 ff.). - 27 - sichtsratsmitgliedern für die Zwecke der Berichte, d. h. für die Wahrnehmung und Prüfung der DB AG durch die Beteiligungsverwaltung des Bundes. Damit wird auf das Recht der betreffenden Gebietskörperschaft verwiesen, für den Bund insbesondere auf die Amtsführung der Regierung und der ihr zugeordneten vollziehenden Gewalt und die darauf bezogene parlamentarische Verantwortlichkeit und Kontrolle. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen die zur Ausübung einer wirksamen Kontrolle und der Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes auch Art. 87e Abs. 3 GG erforderlichen Informationen zu verschaffen, d.h. auch soweit ihr diese aufgrund der Sondervorschriften der §§ 394, 395 AktG zugänglich sind. Dem weiteren Anliegen dieser Bestimmungen, die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht zu begrenzen, um vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Aktiengesellschaft zu schützen, ist nicht dadurch zu entsprechen, dass dem Deutschen Bundestag die für eine wirksame Kontrolle erforderlichen Informationen vorenthalten werden, sondern dadurch, dass das Parlament die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der vertraulichen Angaben und Geheimnisse gewährleistet.56 Diese Schutzpflicht obliegt dem Deutschen Bundestag als Staatsorgan (Art. 1 Abs. 3 GG) unabhängig von einer entsprechenden Schutzpflicht der Bundesregierung. Ihre Gewährleistung kann von der Bundesregierung auch zur Voraussetzung einer Information des Deutschen Bundestages gemacht werden.57 Wie bereits aufgezeigt, sieht die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages , insbesondere seine Geheimschutzordnung, eine entsprechende Gewährleistung dieser Schutzpflichten vor. Zusammenfassend ist deshalb auch an dieser Stelle festzustellen, dass die Bundesregierung verpflichtet ist – soweit das Aktiengesetz Berichtspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern an den Bund ermöglicht -, die erhaltenen Informationen auch dem Deutschen Bundestag bzw. seinen Ausschüssen zur Verfügung zu stellen, soweit dies für eine wirksame parlamentarische Kontrolle bzw. der Vorbereitung eines Gesetzgebungsaktes nach Art. 87e Abs. 3 GG erforderlich ist und das Parlament die entsprechenden Geheimschutzvorkehrungen gewährleistet. 56 Vgl. BVerfGE 67, 100 /143 f.); 70, 324 (359); 77, 1 (46 ff.); Parlamentarische Kontrolle (teil-)privatisierter Bundesunternehmen, a.a.O., S. 27 Fußnote 117 unter Hinweis auf: Rösch, Geheimhaltung in der rechtsstaatlichen Demokratie, 1999, S. 99 ff. 57 Vgl. BVerfGE 67, 100 (135 und 137). - 28 - 5. Einzelfragen zum Aktienrecht Nach den Ausführungen zu Ziffer 3. und 4. beantworten sich die nachfolgenden Fragen wie folgt, wobei eine eigenständige Prüfung der Strafvorschrift des § 404 AktG erfolgt. Die §§ 394, 395 AktG stellen Ausnahmeregelungen zu § 404 AktG dar, zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf Ziffer 4.4. Bezug genommen. 5.1. Kann sich die Deutsche Bahn AG auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag bei der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Entscheidung über eine Kapitalprivatisierung berufen, wenn eine solche Entscheidung gerade auch dem übergeordneten Interesse der DB AG dienen soll? Die Deutsche Bahn AG (DB AG) dürfte sich auf die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag bei der Vorbereitung einer gesetzgeberischen Entscheidung über eine Kapitalprivatisierung n i c h t berufen können, wenn die Offenlegung vertraulicher Informationen dem übergeordneten Interesse der DB AG dient. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf Ziffer 2. verwiesen. 5.2. Erstreckt sich die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Vorstandes auch gegenüber dem Alleineigentümer/Alleinaktionär einer Aktiengesellschaft – hier Deutsche Bahn AG? Grundsätzlich erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG auch gegenüber dem Alleineigentümer bzw. Alleinaktionär einer Aktiengesellschaft , es sei denn, die Weitergabe von vertraulichen Informationen oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an den Alleinaktionär ist im Interesse der Aktiengesellschaft. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf Ziffer 2. verwiesen. 5.3. Liegt ein strafrechtlicher Verstoß gegen § 404 AktG vor, wenn der Vorstand / ein Mitglied des Vorstands den Alleineigentümer – hier die Bundesrepublik Deutschland – und/oder das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag , einen Ausschuss des Deutschen Bundestages – hier Ausschuss für Verkehr ; Bau und Stadtentwicklung – oder ein Mitglied dieses Ausschusses über Geschäftsgeheimnisse unterrichtet? § 404 AktG verwendet mit dem Tatbestandsmerkmal des Geheimnisses einen umfassenden Begriff und erläutert diesen beispielhaft mit den Begriffen Betriebs- oder Gesellschaftsgeheimnis . Unter diesen Begriff fallen alle Geheimnisse der Gesellschaft, die zu ihrem Schutz im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit und ihres Ansehens nicht bekannt gegeben werden dürfen.58 Darunter fallen alle Tatsachen, die in dem Zusammenhang mit dem Betrieb und den Geschäften des Unternehmens stehen, nur einem eng 58 Vgl. Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz Kommentar, 1994, Band VI; § 404 Rdnr. 6. - 29 - begrenzten Personenkreis bekannt, also nicht offenkundig sind und nach dem bekundeten Willen des maßgeblichen Organs der Gesellschaft geheim gehalten werden sollen.59 5.3.1. Einstufung als Geheimnis Die Einstufung einer Tatsache als Geheimnis ist eine Maßnahme der Geschäftsführung, also des Vorstandes. Allein der Wille des Vorstandes macht allerdings eine bestimmte Tatsache noch nicht zu einem Geheimnis. Der Geheimhaltungswille muss auf einem berechtigen wirtschaftlichen Interesse beruhen und der Vorstand muss an der Geheimhaltung der geschützten Vorgänge im Interesse der Unternehmensführung objektiv interessiert sein.60 5.3.2. Tathandlung und rechtfertigende Einwilligung Tathandlung des § 404 Abs. 1 AktG ist das unbefugte Offenbaren eines Geheimnisses. Offenbart wird ein Geheimnis, wenn es einem Außenstehenden mitgeteilt oder sonst Unbefugten in einer Weise bekannt gemacht wird, welches ihm die Ausnutzung der geheim zu haltenden Tatsache in irgendeiner Weise ermöglicht. Aus den bisherigen Ausführungen zu Ziffer 3. muss zunächst in Zweifel gezogen werden , dass es sich beim Deutschen Bundestag, dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung oder einem Mitglied des Deutschen Bundestages bei dem hier in Rede stehenden Primon-Gutachten, dass auf Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Juni 2004 in Auftrag gegeben worden ist, um „Außenstehende“ oder „sonst Unbefugte “ im Sinne des § 404 AktG handelt. Selbst wenn man in Kenntnis des Art. 87e GG das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag , seine Ausschüsse oder Mitglieder als „Außenstehende“ im Sinne des Aktienrechts betrachtet, müsste der Vorstand der Deutschen Bahn AG als Täter im Sinne des § 404 AktG unbefugt handeln, als durch das Primon-Gutachten unberechtigt Geheimnisse preisgeben. Dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall; der Vorstand der Deutschen Bahn AG würde sich deshalb nicht nach § 404 AktG strafbar machen, wenn er das Primon-Gutachten ungeschwärzt dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Verfügung stellen würde. 59 Vgl. bereits BGH LM UWG § 17 Nr. 2; RGZ 149, 329 (334); RG JZ 1936, 2081; JW 1938, 3050; OLG Hamm GA 1959, 88. 60 So bereits BGH NJW 1960, S. 1999 (2000); RGSt. 29, 426 (430); RGZ 65, 333 (337); 149, 329 (333); OLG Celle GRUR 1969, S. 548; vgl. auch zum objektiven Interesse besonders BGHZ 80, 25 (35). - 30 - Unbefugt handelt ein Täter im Sinne des § 404 Abs. 1 AktG, wenn er unberechtigt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis preisgibt. Bei dem Tatbestandsmerkmal „unbefugt“ handelt es sich um ein allgemeines Verbrechensmerkmal, das die Rechtswidrigkeit des Offenbarens nur entfallen lässt, wenn eine Gegennorm das Handeln des Täters rechtfertigt . Unbefugt heißt nicht „ohne Einwilligung“, sondern ohne Rechtfertigung.61 Als Rechtfertigungsgrund kommt hier in erster Linie die Zustimmung oder Einwilligung des dazu berechtigten Organs der Aktiengesellschaft in Betracht. Ist der Vorstand oder das zuständige Vorstandsmitglied damit einverstanden, dass ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis einem Unbefugten oder Außenstehenden mitgeteilt wird, so ist das Offenbaren befugt. 5.3.3. Ergebnis Im Grundsatz ist daher festzustellen, dass sich der Vorstand bzw. ein autorisiertes Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bahn AG regelmäßig nicht nach § 404 StGB strafbar machen würde, wenn er den Alleineigentümer – hier Bundesrepublik Deutschland – und/oder das Verfassungsorgan Deutscher Bundestag, einen Ausschuss des Deutschen Bundestages – hier Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – oder ein Mitglied dieses Ausschusses über Geschäftsgeheimnisse unterrichtet. 5.4. Ist die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen an diesen Personenkreis „eine unbefugte Offenbarung“ (§ 404 Abs. 1 AktG)? Die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen an diesen Personenkreis stellt keine „unbefugte “ Offenbarung im Sinne des § 404 Abs. 1 AktG dar, da der Vorstand bzw. ein hierzu autorisiertes Vorstandsmitglied regelmäßig berechtigt ist, derartige Geschäftsgeheimnisse weiterzugeben. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen zu Ziffer 4.3. Bezug genommen. 5.5. Kann gegebenenfalls die Hauptversammlung als Beschlussorgan - vertreten durch den Alleineigentümer - den Vorstand verpflichten, den Eigentümer und/oder das Parlament, einzelne Ausschüssen oder Abgeordnete umfassend über Geschäftsgeheimnisse zu informieren? Der Begriff der Hauptversammlung wird im Aktienrecht an keiner Stelle definiert und darüber hinaus auch nicht einheitlich verwendet. Zum einen bezeichnet er im organisatorischen Sinne die ordnungsgemäße Zusammenkunft der Aktionäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zur Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte. Zum anderen ist unter der Hauptversammlung funktional neben Vorstand und Aufsichtsrat das 61 So bereits BGHSt 2, 194 (195). - 31 - dritte Organ einer Aktiengesellschaft zu verstehen. Dabei beinhaltet das Gesetz als gesellschaftsrechtlichen Verfassungsgrundsatz die „Gewaltenteilung“ zwischen den drei Organen, denen eine Reihe bestimmter Zuständigkeiten zugewiesen wird62. Die Aktionäre üben ihre Rechte in Angelegenheiten der Aktiengesellschaft in der Hauptversammlung aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (§ 119 Abs. 1 AktG). Als Handlungsorgan ist die Hauptversammlung hingegen nicht berufen. Denn nach § 76 Abs. 1 AktG hat vielmehr der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Darüber hinaus ist der Vorstand nach § 77 Abs. 1 AktG zur Geschäftsführung befugt. Ihm ist damit die Verantwortung als Entscheidungs- und Handlungszentrum der Gesellschaft übertragen63. Soweit diese Zuweisung reicht, ist eine Zuständigkeit von Aufsichtsrat und Hauptversammlung grundsätzlich ausgeschlossen. Grundsätzlich gehört die Entscheidung über die Offenbarung eines Geheimnisses zur laufenden Geschäftsführung. Im Rahmen seiner Leitungs- und Geschäftsführungsfunktion hat der Vorstand deshalb auch regelmäßig zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Unternehmensinformationen herausgegeben werden64. Die Beschlusskompetenzen der Hauptversammlung werden ihr durch § 119 AktG zugewiesen . Hiernach beschließt die Hauptversammlung nur in den im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen. Sie besitzt demnach keine Allgemeinzuständigkeit derart, dass sie alles zu regeln und zu beschließen hat, was Vorstand und Aufsichtsrat nicht ausdrücklich übertragen ist. Vielmehr werden der Hauptversammlung genau festgelegte und abschließende Zuständigkeiten zugewiesen65. Nach § 131 Abs. 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. Bereits an dieser Stelle ist bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage festzustellen , dass allein aus aktienrechtlichen Anspruchsnormen sich in der Hauptversammlung regelmäßig kein Recht des Alleinaktionärs Bundesrepublik Deutschland gegen den Vorstand der DB AG herleiten lässt, diesen zu verpflichten, das Parlament, einzelne Ausschüsse oder Abgeordnete über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfassend zu 62 Henn, Günter, Handbuch des Aktienrechts, § 20, S. 250. 63 Raiser, Thomas, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14, Rn. 1. 64 Otto, Großkommentar AktG, § 404, Rn. 19. 65 Henn, Günter, Handbuch des Aktienrechts, § 20, S. 251. - 32 - informieren. Nach den oben dargestellten Ausführungen stellt sich diese Frage aber in der Praxis auch nicht, da dem Bund bei bundeseigenen Unternehmen weit wirkungsvollere Rechte als solche in der Hauptversammlung zustehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird unter anderem auf die entsprechenden Ausführungen zu den §§ 42 ff., insbesondere §§ 52, 53, 54 HGrG und die §§ 65 ff. BHO, sowie die §§ 394, 395 AktG verwiesen, die die Bundesregierung in die Lage versetzen, dem Parlament, seinen Ausschüssen und Abgeordneten die jeweils erforderlichen Informationen für eine adäquate Vorbereitung von Gesetzgebungsakten, aber auch parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung zu stellen.