© 2018 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 059/18 Zeugenschutz im Strafverfahren Zur Rechtslage in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 2 Zeugenschutz im Strafverfahren Zur Rechtslage in Deutschland Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 059/18 Abschluss der Arbeit: 22. März 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zeugenschutzprogramme 4 2.1. Voraussetzungen für die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm und dessen Fortführung 5 2.2. Konkrete Schutzmaßnahmen im Rahmen des Zeugenschutzprogramms 5 3. Zeugenschutz während laufender Strafverfahren 6 4. Kronzeugenregelungen 6 5. Herausforderungen beim grenzüberschreitenden Zeugenschutz 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 4 1. Einleitung Im deutschen Strafverfahren ist der Zeuge eines der wichtigsten Beweismittel. Ein Zeuge ist nach § 48 Absatz 1 Satz 2 StPO1 grundsätzlich zur Aussage verpflichtet. Zeugnis- beziehungsweise Aussageverweigerungsrechte bestehen nach §§ 52 ff. StPO lediglich für nahe Angehörige, Berufsgeheimnisträger , wie zum Beispiel dem Strafverteidiger, und für Zeugen, die sich durch ihre Aussage selbst belasten müssten. Das demgemäß grundsätzlich nicht fakultative Mitwirken eines Zeugen am Strafverfahren kann mitunter zu Gefährdungen seiner selbst oder seiner Angehörigen führen – etwa, wenn der oder die Angeklagten dem Bereich der organisierten Kriminalität zugeordnet werden.2 Um in diesem Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitsermittlung und Schutzbelangen sowohl die Zeugen selbst zu schützen als auch mittelbar die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens zu sichern, gibt es staatliche Zeugenschutzmaßnahmen.3 Hierbei ist zu unterscheiden zwischen dem Zeugenschutz im laufenden Strafverfahren und dem Zeugenschutz nach Beendigung oder außerhalb des Strafverfahrens. Der Zeugenschutz in Deutschland ist nicht auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt. Eine Kategorisierung etwa in gefährdete und besonders gefährdete Zeugen erfolgt nicht. Stattdessen haben Zeugenschutzmaßnahmen im jeweiligen Einzelfall verhältnismäßig und angemessen zu sein. 2. Zeugenschutzprogramme Den Zeugenschutz außerhalb des Strafverfahrens regelt in Deutschland vorrangig das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (ZSHG)4.5 Die für den Zeugenschutz zuständige Behörde wird durch § 26 BKAG 6 bestimmt. 1 Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 2 Einer Auswertung der Fallzahlen zum Zeugenschutz in den Jahren 2004 bis 2009 ergab, dass ca. 72 % der Zeugenschutzmaßnahmen dem Bereich der Organisierten Kriminalität zuzurechnen waren, vgl. Mischkewitz, Das staatliche Zeugenschutzprogramm in Deutschland – Übersicht, Analyse der Rechtslage und Problemfelder des polizeilichen Zeugenschutzes, 2014, S. 38. 3 Eisenberg, Zeugenschutzprogramme und Wahrheitsermittlung im Strafprozess, in: Weßlau/Wohlers (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Fezer, 2008, S. 193; Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 38. 4 Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3510), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 12 des Gesetzes vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122). 5 Maier, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 31 BtMG Rn. 35-40. 6 Bundeskriminalamtgesetz vom 7. Juli 1997 (BGBl. I S. 1650), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 1. Juni 2017 (BGBl. I S. 1354) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 5 2.1. Voraussetzungen für die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm und dessen Fortführung Voraussetzung der Aufnahme einer Person in ein Zeugenschutzprogramm ist nach § 1 Absatz 1 ZSHG das Vorliegen einer konkreten Gefahr für eine Person, ohne deren Angaben in einem Strafverfahren die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten aussichtlos oder wesentlich erschwert wäre. Diese Personen können mit ihrem Einverständnis in besonderer Weise geschützt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Eintritt eines Schadens an Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum aufgrund der Aussage wahrscheinlich erscheinen lassen. An dem Schutz können gemäß § 1 Absatz 2 ZSHG auch Angehörige des Zeugen oder ihm nahestehende Personen teilhaben. Ein Rechtsanspruch des Zeugen zur Aufnahme in ein Schutzprogramm besteht nach dem Wortlaut der Regelungen des ZSHG nicht. Auch auf einzelne Schutzmaßnahmen der Zeugenschutzdienststelle hat der Zeuge grundsätzlich keinen Anspruch. Die Entscheidung über Beginn, Art, Umfang und Beendigung solcher Maßnahmen setzt in jedem Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus, bei der insbesondere die Schwere der Tat, der Grund der Gefährdung, die Beschuldigtenrechte desjenigen, gegen den ausgesagt werden soll, und die Auswirkungen des Zeugenschutzes zu berücksichtigen sind. § 1 Absatz 4 ZSHG bestimmt, wann Zeugenschutzmaßnahmen beendet werden können. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Gefährdung wegfällt. Dagegen führt die Beendigung des Strafverfahrens nicht automatisch zum Wegfall des Zeugenschutzes. Das bedeutet, selbst wenn der Zeuge im Strafverfahren nicht mehr als Beweismittel in Betracht kommt, wird der Zeugenschutz aufrechterhalten, bis die konkrete Gefahr für den ehemaligen Zeugen entfällt. 2.2. Konkrete Schutzmaßnahmen im Rahmen des Zeugenschutzprogramms Die Zeugenschutzdienststellen sind nach § 5 ZSHG verpflichtet, die zu schützenden Personen mit Urkunden und Nachweisen auszustatten, anhand deren ein fiktiver Lebenslauf nachvollzogen werden kann (Tarnidentität). Gemäß § 4 ZSHG können die Zeugenschutzdienststellen gegenüber öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen (nicht aber gegenüber der Staatsanwaltschaft) jede Auskunft über personenbezogene Daten der zu schützenden Person verweigern, soweit dies für deren Schutz erforderlich ist. Da alle im Rahmen des Zeugenschutzes getroffenen Maßnahmen wie zum Beispiel die Ausstellung von Tarnpapieren, finanzielle Leistungen oder die Beendigung des Zeugenschutzes jederzeit verwaltungsgerichtlich überprüft werden können, sind die Zeugenschutzdienststellen zu einer lückenlosen Dokumentation verpflichtet. Eine Regelung hierzu findet sich in § 2 Absatz 3 ZSHG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 6 3. Zeugenschutz während laufender Strafverfahren Neben den Maßnahmen, die auf Grundlage des ZSHG zum Schutz gefährdeter Personen erfolgen, enthalten die StPO und das GVG7 verschiedene Möglichkeiten, um den Zeugenschutz im laufenden Strafverfahren zu gewährleisten. Darunter fallen etwa: – Der Angeklagte kann nach § 247 StPO vorübergehend aus der Hauptverhandlung entfernt werden. – Besteht Anlass zu der Besorgnis, dass durch die Angabe des Wohnortes der Zeuge oder eine andere Person gefährdet ist, so kann dem Zeugen gemäß § 68 Absatz 2 und 3 StPO gestattet werden, statt des Wohnortes seinen Geschäfts- oder Dienstort anzugeben; ferner kann der Vorsitzende dem Zeugen in der Hauptverhandlung gestatten, seinen Wohnort nicht anzugeben . – Richterliche, staatsanwaltschaftliche (§ 161a Absatz 1 Satz 2 StPO) und polizeiliche Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren können nach § 58a StPO aufgezeichnet werden; die Aufzeichnung einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kann auf § 247a Satz 4 StPO gestützt werden. Die Vorführung der so gefertigten Aufzeichnungen im Rahmen der Beweisaufnahme erfolgt auf Grundlage von § 255a StPO. – Gemäß §§ 223, 251 StPO kann das Gericht prüfen, ob einem Zeugen bei Berücksichtigung seiner persönlichen Belange das Erscheinen in der Hauptverhandlung oder die Aussage überhaupt zuzumuten ist. – Die Öffentlichkeit kann nach §§ 170 ff. GVG ausgeschlossen werden. 4. Kronzeugenregelungen Unter „Kronzeugen“ wird allgemein ein (mutmaßlicher) Straftäter verstanden, dem der Staat dafür , dass er offen sein Wissen über die Straftaten anderer preisgibt, Zugeständnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung oder Bestrafung wegen eigener Taten macht. Die Möglichkeit des Einsatzes eines Kronzeugen wird allgemein in § 46b StGB8 vorgesehen. Daneben existieren auch spezielle Kronzeugenregelungen. Für Rauschgiftkriminalität etwa in § 31 BtMG9, für ausgewählte Staatsschutzdelikte in § 153e StPO, für die Straftat „Bildung krimineller 7 Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 10 Absatz 6 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 8 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist. 9 Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1670) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/18 Seite 7 Vereinigungen“ in § 129 Absatz 7 StGB, für die Straftat „Bildung terroristischer Vereinigungen“ in § 129a Absatz 7 StGB, für Geldwäsche in § 261 Absatz 9 StGB.10 § 46b StGB bietet für Kronzeugen einen fakultativen Strafmilderungsgrund. Hat der Kronzeuge lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verwirkt, kommt sogar ein Absehen von Strafe in Betracht. § 46b StGB will Kooperationswilligen einen Anreiz zur Aufklärungs- und Präventionshilfe bieten, weil so konspirative Strukturen etwa im Bereich der organisierten Kriminalität aufgebrochen werden können. 5. Herausforderungen beim grenzüberschreitenden Zeugenschutz Die Umsiedlung von gefährdeten Zeugen an einen anderen Ort stellt eine Kernmaßnahme im Zeugenschutzkonzept dar. In der Regel genügt hier eine Umsiedlung innerhalb des jeweiligen Staatsgebietes. Denkbar ist jedoch auch, dass im Einzelfall nur die Umsiedlung in einen anderen Staat einen hinreichenden Schutz des Zeugen zu gewährleisten vermag.11 Internationale Angelegenheiten des Zeugenschutzes sollen dabei keine rechtshilfebedürftige bilaterale Zusammenarbeit darstellen, sondern der internationalen polizeilichen Kooperation zuzuordnen sein.12 Daraus ergäben sich verbesserte Möglichkeiten der Abwicklung internationaler Zeugenschutzmaßnahmen.13 In der Literatur wird in diesem Kontext festgestellt, dass der staatenübergreifenden Kooperation im Feld des Zeugenschutzes eine zunehmende Bedeutung zukomme: Internationale Strukturen Organisierter Kriminalität, zunehmende Vernetzung von Datensystemen und transnationale Gefährdungslagen aus länderübergreifenden Ermittlungsverfahren führten zur Zunahme internationaler Zeugenschutzfälle.14 Wenn auch bereits nach geltendem Recht ein solcher grenzüberschreitender Zeugenschutz möglich sei, wird bisweilen auch gesetzgeberischer Reformbedarf gesehen. So seien etwa „Regelungen notwendig, die beschleunigte Integrationsprozesse ermöglichen und den Behörden gleichzeitig Zuständigkeiten geben, die auf bilateraler Ebene Verpflichtungen zur Rücknahme der Person bei Problemen oder erneuter Straffälligkeit gewährleisten. Auch die Möglichkeit der Haftverbüßung für gefährdete ausländische Zeugen sollte im Zusammenhang mit Zeugenschutzmaßnahmen im ZSHG rechtlich normiert werden.“15 *** 10 Vgl. Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 70 ff. 11 Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 23. 12 Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 23 f. m.w.N. 13 Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 23. 14 Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 104, 165. 15 Mischkewitz (oben Fußn. 2) S. 165.