© 2016 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 059/16 Vergaberechtsreform und Konzernprivileg Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 2 Vergaberechtsreform und Konzernprivileg Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 059/16 Abschluss der Arbeit: 28. April 2016 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Konzernprivileg 4 2.1. Begriff 4 2.2. Bisherige Rechtslage 5 3. Rechtslage nach der Reform 6 4. Fazit 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 4 1. Einleitung Durch das vom Bundestag am 17. Dezember 2015 beschlossene Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) wurde das deutsche Vergaberecht mit Wirkung vom 18. April 2016 geändert.1 Die Reform diente vor allem der Umsetzung der wesentlichen Regelungen der neuen Vergaberichtlinien2 der Europäischen Union.3 Die Umsetzung erfolgte auf gesetzlicher Ebene im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)4, dessen Vierter Teil umfassend überarbeitet und neu strukturiert wurde.5 Nachfolgend erfolgt eine summarische Prüfung der Frage, ob die Reform Auswirkungen auf das Konzernprivileg – insbesondere für die Deutsche Bahn – hat. 2. Konzernprivileg 2.1. Begriff Vor der Erteilung von öffentlichen Aufträgen soll grundsätzlich ein Vergabeverfahren durchgeführt werden. Das so genannte Konzernprivileg stellt eine Ausnahme zu diesem Regelfall dar, indem Sektorenauftraggeber in bestimmten Grenzen Aufträge an konzernzugehörige Unternehmen ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb vergeben können6. Zu den Sektorenauftraggebern, die Sektorentätigkeiten im Bereich der Verkehrsleistungen wahrnehmen, zählt auch die Deutsche Bahn AG. 7 1 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil I Nr. 8 Seite 203, ausgegeben zu Bonn am 23. Februar 2016. 2 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe , veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 94/1; Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 94/65; Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union L 94/243. 3 Vgl. Bundestags-Drucksache 18/6281, S. 1. 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/index.html. 5 Vgl. Bundestags-Drucksache 18/6281, S. 2. 6 Vgl. Drömann, Das Konzernprivileg im Lichte der neuen Sektorenkoordinierungsrichtlinie, NZBau 2015, 202, 202. 7 Vgl. BKartA Bonn, Beschluss vom 11. März 2004 – VK 1 - 151/03 (juris). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 5 2.2. Bisherige Rechtslage Bis zur vorliegenden Reform des Vergaberechts war das Konzernprivileg in § 100b Abs. 6 GWB (a.F.) geregelt.8 Danach galt der Vierte Teil des GWB nicht – für die Vergabe von Aufträgen an ein verbundenes Unternehmen oder – bei der Vergabe von Aufträgen durch ein Gemeinschaftsunternehmen im Sektorenbereich an ein mit einem dieser Sektorenauftraggeber verbundenes Unternehmen9. Dabei wurde über § 36 Abs. 2, 3 GWB (a.F.) auf §§ 17 f. des Aktiengesetzes (AktG)10 verwiesen, so dass für die Einordnung als verbundenes Unternehmen entscheidend war, ob die Unternehmen als einheitliches Unternehmen anzusehen waren. Das war dann der Fall, wenn die Unternehmen entweder voneinander abhängig (§ 17 AktG) oder Konzernunternehmen (§ 18 AktG) waren.11 Diese Ausnahmen kamen gemäß § 100 b Abs. 7 S. 1 GWB (a.F.) allerdings nur dann zur Anwendung , „… wenn mindestens 80 Prozent des von dem verbundenen Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Europäischen Union erzielten durchschnittlichen Umsatzes im entsprechenden Liefer- oder Bau- oder Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Lieferungen oder Leistungen für die mit ihm verbundenen Auftraggeber stammen.“ Für die sich daraus ergebende Umsatzberechnung wurde nicht nur nach Leistungssektor (Lieferungen , Bau- oder Dienstleistungen) unterschieden; die Literatur12 befürwortete vielmehr zusätzlich eine Differenzierung innerhalb des jeweiligen Leistungssektors nach Auftrags- bzw. Leistungsart und stützte dies auf die Formulierung „… aus der Erbringung dieser Lieferungen oder Leistungen …“13. Das Konzernprivileg kam demnach zur Anwendung, wenn ein Sektorenauftraggeber einen Auftrag an ein verbundenes Unternehmen vergab, dessen Umsatz bezogen auf diese konkrete Auftragsart bzw. Sparte zu mindestens 80 Prozent aus Tätigkeiten für den Sektorenauftraggeber stammte. 8 Vgl. Conrad, Das Konzernprivileg bei Sektorenaufträgen, AnwZert BauR 12/2015 Anm. 2, S. 2. 9 Vgl. Dreher, in: Immenga/Mestmäcker/Dreher, GWB, 5. Auflage 2014, § 100b, Rn. 33. 10 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2565), abrufbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/aktg/index.html. 11 Vgl. Conrad, Das Konzernprivileg bei Sektorenaufträgen, AnwZert BauR 12/2015 Anm. 2, S. 2 (juris). 12 Vgl. mit Beispielen Drömann, das Konzernprivileg im Lichte der neuen Sektorenkoordinierungsrichtlinie, NZBau 2015, 202, 206. 13 § 100 b Abs. 7 S. 1 GWB (a.F.) – Hervorhebung nicht im Original. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 6 3. Rechtslage nach der Reform Das Konzernprivileg für die Vergabe von Aufträgen an ein verbundenes Unternehmen ist nunmehr in § 138 GWB geregelt: „§ 138 Besondere Ausnahme für die Vergabe an verbundene Unternehmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, 1. die ein Sektorenauftraggeber an ein verbundenes Unternehmen vergibt oder 2. die ein Gemeinschaftsunternehmen, das ausschließlich mehrere Sektorenauftraggeber zur Durchführung einer Sektorentätigkeit gebildet haben, an ein Unternehmen vergibt, das mit einem dieser Sektorenauftraggeber verbunden ist. (2) Ein verbundenes Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist 1. ein Unternehmen, dessen Jahresabschluss mit dem Jahresabschluss des Auftraggebers in einem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens entsprechend § 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs nach den Vorschriften über die Vollkonsolidierung einzubeziehen ist, oder 2. ein Unternehmen, das a) mittelbar oder unmittelbar einem beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 des Sektorenauftraggebers unterliegen kann, b) einen beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 auf den Sektorenauftraggeber ausüben kann oder c) gemeinsam mit dem Auftraggeber aufgrund der Eigentumsverhältnisse, der finanziellen Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Bestimmungen dem beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 eines anderen Unternehmens unterliegt. (3) Absatz 1 gilt für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge, sofern unter Berücksichtigung aller Liefer -, Bau- oder Dienstleistungen, die von dem verbundenen Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Europäischen Union erbracht wurden, mindestens 80 Prozent des im jeweiligen Leistungssektor insgesamt erzielten durchschnittlichen Umsatzes dieses Unternehmens aus der Erbringung von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen für den Sektorenauftraggeber oder andere mit ihm verbundene Unternehmen stammen. (4) Werden gleiche oder gleichartige Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen von mehr als einem mit dem Sektorenauftraggeber verbundenen und mit ihm wirtschaftlich zusammengeschlossenen Unternehmen erbracht, so werden die Prozentsätze nach Absatz 3 unter Berücksichtigung des Gesamtumsatzes errechnet , den diese verbundenen Unternehmen mit der Erbringung der jeweiligen Liefer-, Dienst- oder Bauleistung erzielen. (…)“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 7 Anders als zuvor sind nunmehr in § 138 Abs. 2 GWB in Anlehnung an Art. 29 der Richtlinie 2014/25/EU zum einen Kriterien festgelegt, wann es sich um ein verbundenes Unternehmen handelt . So handelt es sich gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB zunächst immer um ein verbundenes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift bei einem „[…] Unternehmen, dessen Jahresabschluss mit dem Jahresabschluss des Auftraggebers in einem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens entsprechend § 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs nach den Vorschriften über die Vollkonsolidierung einzubeziehen ist“. Im Übrigen liegt gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB ein verbundenes Unternehmen immer dann vor, wenn zwischen dem Unternehmen und dem Auftraggeber ein beherrschender Einfluss i.S.d. § 100 Abs. 3 GWB besteht. Der Regelungsgehalt des GWB wurde insofern an das EU-Vergaberecht angepasst und das Merkmal der Vollkonsolidierung mit in das Gesetz aufgenommen.14 Sollte zwischen der Deutschen Bahn AG und ihren Konzernunternehmen keine Konsolidierung der Jahresabschlüsse stattfinden, wären es dennoch verbundene Unternehmen, sofern insoweit ein beherrschender Einfluss gemäß § 100 Abs. 3 GWB vorliegt. Damit hat § 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB auch die bisherige nationale Regelung des unmittelbaren oder mittelbaren beherrschenden Einflusses (bislang über § 36 Abs. 2 GWB [a.F.] i.V.m. § 17 AktG) beibehalten. Der Regelungsgehalt der zweiten Ausnahme hinsichtlich der Vergabe von Aufträgen durch ein Gemeinschaftsunternehmen im Sektorenbereich an ein mit einem dieser Sektorenauftraggeber verbundenes Unternehmen ist mit der Vorgängervorschrift identisch – hier wurde lediglich die Formulierung geändert. Auch das Kriterium des Mindestumsatzes von 80 Prozent hat der Gesetzgeber im Hinblick auf dessen Berechnung mit der Reform an die Richtlinienvorgabe angepasst. Beibehalten wurde die generelle Unterscheidung in die verschiedenen Leistungssektoren, nämlich der Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge und der Leistungs- bzw. Berechnungszeitraum der letzten drei Jahre. Allerdings wurde die Formulierung der neuen Vorschrift in § 138 Abs. 3 GWB so geändert, dass die von der Literatur befürwortete Differenzierung innerhalb des jeweiligen Leistungssektors nach Auftrags- bzw. Leistungsart15 vom neuen Wortlaut wohl nicht mehr getragen wird16: „Absatz 1 gilt für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge, sofern unter Berücksichtigung aller Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, die von dem verbundenen Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Europäischen Union erbracht wurden, mindestens 80 Prozent des im jeweiligen Leistungssektor insgesamt erzielten durchschnittlichen Umsatzes dieses Unternehmens aus der Erbringung von Liefer-, 14 Dass bei einer Konsolidierung der Jahresabschlüsse immer auch von einer Verbundenheit i.S.d. § 100b Abs. 6 Nr. 1 GWB (a.F.) auszugehen war, war allerdings auch bereits zuvor herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Conrad, Das Konzernprivileg bei Sektorenaufträgen, AnwZert BauR 12/2015 Anm. 2, S. 2 (juris). 15 Vgl. oben Fußnote 12. 16 Vgl. Bundestags-Drucksache 18/6281, Begründung zu Absatz 3, S. 124. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 059/16 Seite 8 Bau- oder Dienstleistungen für den Sektorenauftraggeber oder andere mit ihm verbundene Unternehmen stammen“17. In diesem Sinne wird bei der Umsatzberechnung nun wohl nicht mehr zusätzlich innerhalb des Leistungssektors nach konkreter bzw. vergleichbarer Auftragsart zu differenzieren sein, sondern es dürften alle Aufträge aus dem entsprechenden Leistungssektor zusammengenommen zur Umsatzberechnung beitragen. 4. Fazit Das vergaberechtliche Konzernprivileg besteht auch nach dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz grundsätzlich fort. § 138 Abs. 1 GWB ermöglicht auch weiterhin die direkte Vergabe von Liefer -, Bau- oder Dienstleistungsaufträgen eines Sektorenauftraggebers an ein verbundenes Unternehmen , ohne ein vorheriges Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Der geänderte Wortlaut in § 138 Abs. 3 GWB dürfte jedoch zu teilweise neuen Grundsätzen bei der Umsatzberechnung der verbundenen Unternehmen führen: Unter Wegfall der Binnendifferenzierung dürfte der Umsatz nunmehr unter Berücksichtigung aller Lieferungen, Bau- oder Dienstleistungen, die von dem verbundenen Unternehmen innerhalb der EU erbracht wurden, zu ermitteln sein. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 138 GWB im Einzelfall vor, wird auch die Deutsche Bahn AG weiterhin ohne vorheriges Vergabeverfahren Aufträge an verbundene Konzernunternehmen direkt vergeben können. - Ende der Bearbeitung - 17 Hervorhebungen nicht im Original.