Zur Situation ehemaliger Heimkinder in den alten Bundesländern von 1945 bis in die 70er Jahre - Rechtliche Rahmenbedingungen hinsichtlich elterlicher Sorge, Fürsorgeerziehung und Heimeinweisung - - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 7 - 058/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zur Situation ehemaliger Heimkinder in den alten Bundesländern von 1945 bis in die 70er Jahre -Rechtliche Rahmenbedingungen hinsichtlich elterlicher Sorge, Fürsorgeerziehung und Heimeinweisung- Ausarbeitung WD 7 - 058/07 Abschluss der Arbeit: 19.03.2007 Fachbereich WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - - Zusammenfassung - Die Gesetze zur Regelung der Jugendfürsorge nach dem Krieg unterschieden sich sehr von heutigen Bestimmungen zur Erziehung, der Qualifikation von Heimerziehern, den Aufgaben und Pflichten der Eltern bzw. Sorgeberechtigten und der Kontrolle der Kinder - und Jugendheime. Deutlich wird, dass die Jugendfürsorge im RJWG/JWG bis zur Novelle von 1961 vom Wortlaut her noch sehr autoritär geprägt war. Bemerkenswert ist auch, dass maßgebliche Änderungen im BGB hinsichtlich der elterlichen Sorge sogar erst 1979 durchgeführt wurden. Die Vermutung liegt daher nahe, dass es auf Grund der hier relevanten Bundes- und Landesgesetze zu Gesetzeslücken bzw. Grauzonen kam, welche damit zu erheblichen Verstößen gegen das Kindeswohl geführt haben, was zum Beispiel aus vielen Fällen, die aus Presse und Öffentlichkeit in letzter Zeit bekannt geworden sind, hervorgeht. - 4 - Inhalt 1. Einleitung 5 2. Fürsorgeerziehung/Heimeinweisung 6 2.1. 1922-1961 7 2.1.1. Regelungen nach dem RJWG/JWG: 7 2.1.2. Regelungen nach dem BGB 9 2.2. Ab 1961 9 3. Heimaufsicht 10 4. Elterliche Sorge 11 5. Schutz der Pflegekinder 12 Literaturverzeichnis 14 - 5 - 1. Einleitung Das erste deutsche Gesetz hinsichtlich der rechtlichen Situation zur Jugendwohlfahrt, das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG), wurde am 09.07.1922 verabschiedet und trat am 01.04.1924 in Kraft.1 Während des Dritten Reiches wurde das Gesetz kaum angewendet , nach 1945 kam es zur Wiederaufnahme in den westlichen Besatzungszonen. Das RJWG wurde mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 zu Bundesrecht. Im Jahre 1953 wurde es in Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) umbenannt, inhaltlich hinsichtlich der hier relevanten Themen aber nicht geändert.2 Das RJWG/JWG war ein sog. Rahmengesetz. Dies bedeutet, dass der Bund die Rahmenbedingungen regelte und die Länder diese durch entsprechende Ausführungsgesetze, ministerielle Erlasse und Vollzugsvorschriften ergänzten. Deshalb kam es dazu, dass einzelne Bundesländer voneinander abweichende Regelungen treffen und sich die Landesgesetze und Verordnungen der einzelnen Länder voneinander unterscheiden konnten.3 Die Bundesregierung legte Ende 1960 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes“ vor, welches am 01.07.1962 in Kraft trat.4 1970 kam es zu Änderungen und Ergänzungen des JWG im Bereich des Vormundschaftswesens .5 Dieses wurde sodann zum 01.01.19916 durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)7 abgelöst, welches seit dieser Zeit im Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe)8 aufgeht. 1 Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt, RGBl. 1922, S.633. 2 Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes vom 28.08.1953, BGBl. I 1953, S. 1035; im Folgenden wird daher für die Zeit von 1922-1961 nicht zwischen RJWG und JWG unterschieden. 3 Länderausführungsgesetze sind z.B. bei Potrykus, Gerhard, Jugendwohlfahrtsgesetz-Kommentar von 1953, S. 399 ff. zu finden. 4 Neufassung des JWG vom 11. 08.1961, BGBl. I 1961, S. 1205 durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes mit der Bekanntmachung vom 16.08.1961, BGBl. I 1961, S. 1193; vgl. dazu auch: Carspecken, Ferdinand, in: „Probleme des Jugendwohlfahrtsgesetzes “ vom 11.8.1961, S. V. 5 Neufassung vom 06.08.1970, BGBl. I 1970, S. 1197 durch das Änderungs- und Ergänzungsgesetz für Jugendwohlfahrt, BGBl. I 1970, S. 920. 6 Bekanntgabe am 01.01.1991, BGBl. 1991, S. 1195. 7 Neufassung des JWG durch das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- Jugendhilferechts (KJHG) vom 26.06.1990, BGBl. I 1990, S. 1163. 8 Sozialgesetzbuch (SGB)-Achtes Buch (-VIII)-Kinder- und Jugendhilfe, neu gefasst durch Bek. v. 14.12.2006 (BGBl. I, S. 122). - 6 - Neben den Bestimmungen zum (Reichs)-Jugendwohlfahrtsgesetz ist seit der Einführung des Grundgesetzes vom 23.05.1949 auch der „Schutz von Ehe und Familie“ in Art. 6 GG von Bedeutung. Dort heißt es in Abs. 1: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Und in Abs. 2: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über deren Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ In der Literatur und Rechtsprechung wird daraus ein Gesetzesvorbehalt für Eingriffe des Staates in das Elternrecht, zum Wohle des Kindes, gerechtfertigt. Für einen schwerwiegenden Eingriff gegen den Willen der Erziehungsberechtigten, wie zum Beispiel den Entzug des Sorgerechts, werden in Art. 6 Abs. 2 GG die materiellen Voraussetzungen aufgestellt. Art. 6 Abs. 3 GG besagt: „Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“ Im Folgenden werden für die hier interessierende Zeit von 1945 bis in die 70er Jahre die maßgeblichen Regelungen RJWG/JWG hinsichtlich Heimeinweisung, Anordnung der Fürsorgeerziehung, elterliche Sorge und Heimaufsicht, beleuchtet und verglichen. 2. Fürsorgeerziehung/Heimeinweisung Die Fürsorgeerziehung wurde in den Paragraphen §§ 62-77 RJWG, ab 19539 durch die Paragraphen §§ 62 bis 78 JWG10 geregelt. Inhaltlich deckten sich RJWG und JWG hinsichtlich der Fürsorgeerziehung überwiegend. Mit der Einführung des BGB kamen neben den Bestimmungen im RJWG/JWG auch die Regelungen §§ 1666, 1838 BGB hinzu . Obgleich Kritik ausgeübt wurde hinsichtlich der Kompliziertheit, wurde die Fürsorgeerziehung auch nach der Novelle zum JWG im Jahre 1961 weiterhin zweigleisig geregelt , im BGB und im JWG. Mit der Novelle wurden dann sachliche Umgestaltungen 9 Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des RJWG ist am 28.8.1953 geändert worden und trat am 29.9.1953 in Kraft, BGBl. I S. 1035. 10 Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922 wurde durch die Novelle 1953 in Jugendwohlfahrtsgesetz umgeändert, siehe BGBl. I S. 1035. - 7 - durchgeführt und die Bezifferung der Paragraphen geändert. Die Fürsorgeerziehung wurde sodann in §§ 62-75b JWG geregelt. 2.1. 1922-1961 2.1.1. Regelungen nach dem RJWG/JWG: Nach § 62 RJWG/JWG diente die Fürsorgeerziehung: „…der Verhütung oder Beseitigung der Verwahrlosung und wird in einer geeigneten Familie oder Erziehungsanstalt unter öffentlicher Aufsicht und auf öffentliche Kosten durchgeführt.“11 Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei den sog. „Anstalten“ um Heime gehandelt hat. Der Begriff „Heim“ wurde im Gesetz zwar nicht verwendet, jedoch heißt es bei Hans Mutheus in seinen Erläuterungen zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz aus dem Jahr 1950 hinsichtlich der Fürsorgeerziehung: „Die FE als pädagogische Aufgabe hat das Ziel, gefährdeten oder verwahrlosten Minderjährigen in besonders ausgesuchten und überwachten Familien und Heimen mit allen Mitteln einer planmäßigen, zielbewussten und liebevollen Erziehung aus der Gefährdung oder Verwahrlosung herauszuhelfen;“12 Das Gesetz unterschied zwischen vorbeugender Fürsorgeerziehung, die die drohende Verwahrlosung verhüten (§ 63 I 1 JWG- Verschulden erforderlich) und der heilenden Fürsorgeerziehung, die eine bereits eingetretene Verwahrlosung beseitigen sollte (§ 63 I 2 JWG- Verschulden nicht erforderlich).13 Für Kinder/Jugendliche, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wurden die Voraussetzungen in § 63 RJWG/JWG festgelegt: „Ein Minderjähriger der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat ist durch Beschluss des Vormundschaftgerichts der Fürsorgeerziehung zu überweisen, 1. wenn die Voraussetzungen des § 1666 oder 1838 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorliegen und zur Verhütung der Verwahrlosung des Minderjährigen die anderweitige Unterbringung erforderlich ist… 2. wenn die Fürsorgeerziehung zur Beseitigung der Verwahrlosung wegen Unzugänglichkeit der Erziehung erforderlich ist. Die Fürsorgeerziehung darf nicht angeordnet werden, wenn sie offenbar keine Aussicht auf Erfolg bietet.“14 11 Potrykus, Gerhard, Kommentar zum Jugend-Wohlfahrtsgesetz, München/Berlin, 1953, S. 18. 12 Muthesius, Hans, Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, Stuttgart, 1950, § 62ff. 13 Potrykus, Gerhard, Kommentar zum Jugend-Wohlfahrtsgesetz, München/Berlin, 1953, S. 254ff. 14 -Anlage- 1. - 8 - Wann ein minderjähriges Kind als „verwahrlost“ im Sinne des § 63 JWG galt wurde nicht weiter im Gesetz definiert. Potrykus geht in seinem Kommentar zum Jugendwohlfahrtsgesetz davon aus, dass die Verwahrlosung im Umkehrschluss zu § 1 RJWG/JWG ein dem Erziehungsziel entgegengesetzter Entwicklungsprozess ist. § 1 RJWG/JWG: „Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.“15 §§ 65-68 JWG regelten das Verfahren bei Anordnung der vorläufigen und endgültigen Fürsorgeerziehung, die Eilzuständigkeit und die Aussetzung der Fürsorgeerziehungsverfahren . Demnach konnte das Vormundschaftsgericht von Amts wegen oder ein zuständiges Jugendamt einen Antrag stellen. Das zuständige Jugendamt musste vor der Beschlussfassung des Vormundschaftsgerichts den Minderjährigen, die Eltern und den gesetzlichen Vertreter hören. Das Antragsrecht konnte auch durch Landesrecht ausgedehnt werden. Der Beschluss musste sodann mit Gründen versehen werden und die für erwiesen erachteten Tatsachen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen (siehe § 65 III JWG). Die Ausführung der Fürsorgeerziehung und die Fürsorgeerziehungsbehörden wurden durch §§ 69, 71 JWG geregelt. Es galt, dass die freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung vom Landesjugendamt unter Beteiligung des Jugendamtes ausgeführt wurde . Sie wurde in der Regel in einer geeigneten Familie oder in einem Heim durchgeführt . Eine nicht nur vorläufig angeordnete Fürsorgeerziehung konnte widerruflich in der eigenen Familie des Minderjährigen unter Aufsicht des Landesjugendamtes fortgesetzt werden, wenn dadurch ihr Zweck nicht gefährdet wurde. Maßgeblich für die Entscheidung war dabei das leibliche Wohl des Minderjährigen, dieses sollte gewährleistet werden, § 69 Abs. 4 JWG. Gem. § 70 JWG konnte die Ausführung durch die Länder selbst geregelt und bestimmt werden. Das Bundesrecht enthielt nur wenige Rahmenbestimmungen, dadurch ergibt sich, dass die Ausführung der Fürsorgeerziehung hauptsächlich Ländersache und insofern für die Recherche an einem konkreten Fall die entsprechende Landesbestimmung heranzuziehen wäre. Die Fürsorgeerziehungsbehörde war auch gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen für alle Rechtsgeschäfte, die die Eingehung, Änderung oder Aufhebung des Dienst- oder Lehrvertrages oder die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag betrafen. Dazu verwaltete die Fürsorgeerziehungsbehörde auch den Arbeitsverdienst des Minderjährigen und hatte die Ermächtigung diesen auch für ihn zu verwenden. (§ 70 III JWG). 15 - Anlage 1-. - 9 - Die Fürsorgeerziehung endete spätestens mit der Vollendung des 19. Lebensjahres (§ 72 Satz 1 RJWG). 2.1.2. Regelungen nach dem BGB Nach § 1838 BGB konnte eine Erziehungshilfe/Unterbringung außerhalb der Familie durch das Vormundschaftsgericht angeordnet werden. „Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, dass der Mündel zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt untergebracht wird. Steht dem Vater oder der Mutter die Sorge für die Person des Mündels zu, so ist ein solche Anordnung nur unter den Voraussetzungen des § 1666 zulässig.“16 In § 1666 BGB heißt es: „Wird das geistige oder leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet, dass der Vater das Recht der Sorge…missbraucht, das Kind vernachlässigt…sich eines ehrlosen, sittlichen Verhaltens schuldig macht…hat das Vormundschaftsgericht geeignete Maßregeln zu treffen. Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, dass das Kind zum Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungsanstalt untergebracht wird.“17 Der im BGB und im RJWG noch verwendete Begriff der „(Erziehungs-)Anstalten“ war durch das JWG von 1961 durch die neutralere Bezeichnung „Heim(en)“ ersetzt worden .18 2.2. Ab 1961 § 64 JWG wurde neu gefasst. Dort hieß es nun: „Das Landesjugendamt ordnet für einen Minderjährigen, der das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Fürsorgeerziehung an, wenn sie erforderlich ist, weil der Minderjährige zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist. Fürsorgeerziehung darf nur angeordnet werden, wenn keine ausreichende andere Erziehungsmaßnahme gewährt werden kann.“19 16 - Anlage 4 -. 17 - Anlage 4 -. 18 Vgl. hierzu: Schutz von Pflegekindern und Heimkindern nach dem neuen Jugendwohlfahrtsgesetz, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 1962, S. 10f. 19 - Anlage 2 -. - 10 - Hinsichtlich der Antragsberechtigung regelte § 65 Abs. 1 JWG: „Das Vormundschaftsgericht entscheidet von Amts wegen oder auf Antrag. Antragsberechtigt sind das Jugendamt, das Landesjugendamt und jeder Personenberechtigte. Der Kreis der Antragsberechtigten kann durch Landesrecht erweitert werden.“20 Die Ausführung der Fürsorgeerziehung wurde nun in § 69 JWG geregelt. Abs. 1: „Freiwillige Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung werden vom Landesjugendamt unter der Beteiligung des Jugendamts ausgeführt.“ Abs. 2: „Freiwillige Erziehungshilfe und die Fürsorgeerziehung werden unter Aufsicht des Landesjugendamtes in der Regel in einer geeigneten Familie oder in einem Heim durchgeführt …die Aufsicht erstreckt sich darauf, dass das leibliche, geistige und seelische Wohl des Minderjährigen gewährleistet ist.“21 3. Heimaufsicht Im RJWG war die Heimaufsicht, ebenso wie die Heimerziehung, gar nicht geregelt. Sie wurde erst nach der Novelle von 1961 in Abschnitt VII, §§ 78, 79 des JWG, unter dem Titel „Heimaufsicht und Schutz von Minderjährigen unter 16 Jahren in Heimen“, eingefügt.22 Gem. § 78 Abs. 1 JWG führten die Jugendämter die Aufsicht über Heime und andere Einrichtungen, in denen „Minderjährige dauernd oder zeitweise, ganztägig oder für eine Teil des Tages, jedoch regelmäßig betreut werden oder Unterkunft erhalten.“ Die Aufsicht erstreckte sich gem. § 78 Abs. 2 Satz 1 JWG darauf, dass „…in der Einrichtung das leibliche, geistige und seelische Wohl der Minderjährigen gewährleistet ist. Die Selbständigkeit der Träger der Einrichtungen in Zielsetzung und Durchführung ihrer erzieherischen Aufgaben bleibt unberührt, sofern das Wohl der Minderjährigen nicht gefährdet wird.“23 20 - Anlage 2 -. 21 - Anlage 2 -. 22 In der Fassung vom 11.8.1961. 23 - Anlage 2 -. - 11 - Außerdem musste die Betreuung der Minderjährigen durch „geeignete Kräfte“ gesichert sein. Über die Voraussetzung der Eignung waren Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe anzustreben (§ 78 Abs. 3 JWG).24 Des Weiteren mussten die Heime gewisse Meldepflichten erfüllen (§ 78 Abs. 5 JWG) und konnten durch das jeweilige Landesjugendamt überprüft (§ 78 Abs. 5 JWG) bzw. geschlossen werden (§ 78 Abs. 7 JWG). Näheres zur Heimaufsicht konnte durch die Länder selbst nach § 78 Abs. 8 JWG geregelt werden. 4. Elterliche Sorge Die elterliche Sorge bzw. früher elterliche Gewalt wird seit 1900 in den §§ 1626ff. BGB geregelt. Durch die Sorgerechtsreform von 198025 wurde der bis dahin im BGB verwendete Begriff der „elterlichen Gewalt“ in „elterliche Sorge“ umbenannt. Maßgebliche inhaltliche Änderung bezogen auf das Sorgerecht waren die Neufassungen der §§ 1626, 1666 BGB. Nach der ursprünglichen Regelung vor 1980 galt in § 1626 BGB: „das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt.“26 Nach dem damaligen Gesetz war die elterliche Gewalt ein dem Interesse des minderjährigen , ehelichen Kindes dienendes gesetzliches Schutzverhältnis. Den Eltern kam zwar gemeinsam das Sorgerecht zu, jedoch hatte gem. § 1627 BGB der Vater die elterliche Gewalt hinsichtlich des Vermögens alleine inne: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen.“27 Die Mutter erhielt die gleichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des Kindes nur mit dem Tod des Vaters (§ 1626 Nr. 3 BGB). Durch die Neufassung des § 1626 BGB wird die elterliche Sorge viel genauer formuliert und beschrieben. Von den Eltern wird nun vor allem durch den Wortlaut eine gewisse 24 Vgl. Gräber, Fritz, Jugendwohlfahrtsgesetz-Kommentar, 2. Auflage, 1953, S. 276ff. 25 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge (SorgeRNG) vom 18.07.1980, Art 9 § 2; BGBl I 1979, 1061. 26 - Anlage 3 -. 27 - Anlage 3 -. - 12 - pädagogische Pflicht und Einfühlsamkeit abverlangt, welche auf die Fähigkeit, die Entwicklung und die Bedürfnisse des Kindes gerichtet waren: „Der Vater und die Mutter haben das Recht und die Pflicht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge ) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge). „Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern wachsende Fähigkeiten und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“28 Hinsichtlich der Personensorge lautete der Gesetzestext in § 1627 BGB: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen.“29 Dann in § 1631 BGB: „Die Personensorge umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“30 5. Schutz der Pflegekinder Der Schutz der Pflegekinder wurde schon in §19ff. RJWG normiert und im JWG prinzipiell aufrechterhalten. Er war weiterhin Aufgabe der Jugendämter (§ 4 Nr.1 JWG, § 3 Nr. 1 RJWG) und damit Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. § 12 Abs. 1 JWG, § 8 RJWG). Die Definition von Pflegekindern lautete nach § 19 RJWG/JWG: „Pflegekinder sind Kinder unter 14 Jahren, die sich dauernd oder nur für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, in fremder Pflege befinden, es sei denn, dass von vornherein feststeht, dass sie unentgeltlich in vorübergehende Bewahrung genommen werden.“31 Das Schutzalter von Pflegekindern wurde nach der Novelle von 1961 in Abschnitt IV §§ 27-31 JWG geregelt und auf 16 Jahre heraufgesetzt. 28 BGBl. I 1979, S. 1061. 29 - Anlage 3 -. 30 - Anlage 3 -. 31 - Anlage 1 -. - 13 - Die Pflegekinder wurden unterschiedlich behandelt, je nachdem wie sie aufgenommen und untergebracht waren. Das Pflegekind wurde entweder in Einzelpflege oder Familienpflege aufgenommen und von Pflegepersonen betreut (§§ 20, 23 RJWG) oder es wurde in einer sog. Anstalt untergebracht (§ 29 Abs. 1 und 2 RJWG) und befand sich sodann in Anstaltspflege. Die Bestimmungen über Aufsicht, Befreiungsvorschriften und Anzeigepflichten wurden in §§ 24-26 RJWG/JWG geregelt und galten auch für die in Anstalten untergebrachten Pflegekinder (§ 29 Abs. 2 RJWG). Es fehlten jedoch bundesrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der Beaufsichtigung von Anstalten, in denen Pflegekinder untergebracht waren. Im RJWG waren keine rechtlichen Möglichkeiten vorgesehen, den Betrieb einer Anstalt zu genehmigen, ihn auf Grund von Mängeln zu schließen oder zu überwachen. Die Anstalten konnten nur indirekt, auf dem Wege der Aufsicht über die in Pflegeanstalten untergebrachten Kinder, beaufsichtigt werden. Die Landesgesetzgeber waren zwar gemäß § 31 RJWG ermächtigt weitere Vorschriften zu erlassen, jedoch scheint dies teilweise nicht geschehen zu sein.32 Im JWG wurde der weite Begriff der Pflegekinder genauer definiert. Im RJWG wurde unter einem Pflegekind noch ein Kind verstanden, welches in Familienpflege oder aber in Anstaltspflege stand. Im JWG wurden dann durch die Jugendbehörde betreut und beaufsichtigt: a) Pflegekinder in Familienpflege ( § 27 Abs. 1 JWG), b) Heimkinder im Alter bis 16 Jahren unter entsprechender Anwendung der Bestimmungen über den Schutz von Pflegekindern (§ 79 Abs. 1 JWG ), c) Heime, in denen sich Minderjährige befanden, ohne dass für diese die Altersgrenze von 16 Jahren galt (§ 78 Abs. 1 JWG)33 32 Vgl. hierzu: Haarmann, Wennemar, Schutz von Pflegekindern und Heimkindern nach dem neuen Jugendwohlfahrtsgesetz, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, 1962, S. 8ff. 33 - Anlage 2 -. - 14 - Literaturverzeichnis Potrykus, Gerhard, Jugendwohlfahrtsgesetz-Kommentar, München/Berlin, 1953 Gräber, Fritz, Jugendwohlfahrtsgesetz Kommentar, 2. Auflage, Münster, 1953 Palandt, Otto, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz, 8. Auflage, München/Berlin, 1950 Palandt, Otto, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz, 22. Auflage, München/Berlin, 1963 Haarmann, Wennemar, Schutz von Pflegekindern und Heimkindern nach dem neuen Jugendwohlfahrtsgesetz, in: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt, Jahrgang 49 von 1962 Carspecken, Ferdinand, Probleme des Jugendwohlfahrtsgesetzes vom 11.8.1961, Berlin, 1962 Muthesius, Hans, Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, Stuttgart, 1950 Anlagenverzeichnis Anlage 1: - Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in der Fassung vom 09.07.1922 Anlage 2: - Neufassung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt vom 11.08.1961 Anlage 3: - Auszug aus Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1950 Anlage 4: - Auszug aus Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1963 Anlage 5: - Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge, BGBl. I 1979, S. 1061-1071.