© 2020 Deutscher Bundestag WD 7 - 3000 - 057/20 Einzelfragen zum aktienrechtlichen Auskunfts- und Fragerecht im Zuge der COVID-19-Pandemie Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 2 Einzelfragen zum aktienrechtlichen Auskunfts- und Fragerecht im Zuge der COVID-19- Pandemie Aktenzeichen: WD 7 - 3000 - 057/20 Abschluss der Arbeit: 6. Mai 2020 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Einschränkungen des Frage- und Auskunftsrechts durch das COVID-19-G 4 3. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 6 3.1. Europarechtliche Erwägungen 6 3.2. Verfassungsrechtliche Erwägungen 7 Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 4 1. Einleitung Innerhalb einer aktienrechtlichen Hauptversammlung steht jedem Aktionär grundsätzlich ein umfangreiches Frage- und Auskunftsrecht zu. Ausgestaltung und Reichweite des Auskunftsrechts sowie die Anforderungen an die Erteilung der Auskunft sind dabei insbesondere in § 131 Aktiengesetz (AktG)1 geregelt. Durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVID-19-G)2 erfährt das aktienrechtliche Frageund Auskunftsrecht jedoch zeitlich befristete Einschränkungen, die im Folgenden überblicksartig dargestellt werden. Daran anschließend sollen mit den Einschränkungen im Zusammenhang stehende verfassungs- und europarechtliche Einzelfragen summarisch erörtert werden. 2. Einschränkungen des Frage- und Auskunftsrechts durch das COVID-19-G Nach § 131 Abs. 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Nach § 131 Abs. 2 S. 2 AktG kann die Satzung oder die Geschäftsordnung den Versammlungsleiter jedoch ermächtigen, das Frageund Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu bestimmen. Zudem enthält § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 AktG eine abschließende Auflistung von Fällen, in denen der Vorstand die Auskunft insgesamt verweigern darf.3 Als Reaktion auf die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Versammlungsbeschränkungen hat der Bundesgesetzgeber kurzfristig unter anderem zeitlich befristete Ausnahmebestimmungen für die Ermöglichung einer virtuellen Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre geschaffen.4 So soll im Bereich des Gesellschaftsrechts durch Art. 2 des COVID-19-G mit dem „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ die Handlungsfähigkeit von Unternehmen angesichts der Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten wiederhergestellt werden.5 Als Konsequenz schränkt Art. 2 § 1 Abs. 2 S. 2 COVID-19-G das Frage- und Auskunftsrecht in der Hauptversammlung ein. Der Vorstand kann danach nunmehr nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen entscheiden, welche Fragen er wie beantwortet. Zudem kann er vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege 1 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2637) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet .de/aktg/BJNR010890965.html (letzter Abruf: 04.05.2020). 2 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020, BGBl. 2020 I 569, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente /Bgbl_Corona-Pandemie.pdf;jsessionid =15F9E1AA490DFFB3F096B9CFFAD5E6BC.1_cid297?__blob=publicationFile&v=1 (letzter Abruf: 04.05.2020). 3 Vgl. Herrler, in: Grigoleit, Aktiengesetz, 1. Auflage 2013, § 131 AktG, Rn. 42. 4 Vgl. Wicke: „Die virtuelle Hauptversammlung während der Corona-Pandemie – aktienrechtlicher Ausnahmezustand “, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2020, 885. 5 Vgl. Wicke: „Die virtuelle Hauptversammlung während der Corona-Pandemie – aktienrechtlicher Ausnahmezustand “, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2020, 885. Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 5 elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Art und Umfang der zu erwartenden Fragestellungen sowie die konkreten Auswirkungen der erfolgten Einschränkungen sind bislang noch kaum absehbar. Auch die Gesetzesbegründung führt insoweit aus: „Es ist nicht vorherzusehen, in welchem Umfang und auf welche Weise von der Fragemöglichkeit Gebrauch gemacht werden wird. Denkbar ist eine Flut von Fragen und auch – wie bei sozialen Medien nicht unüblich – inhaltlich inakzeptablen Einwürfen. Die Verwaltung beantwortet die Fragen nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie hat also keinesfalls alle Fragen zu beantworten , sie kann zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Sie kann dabei Aktionärsvereinigungen und Institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Der Vorstand kann auch entscheiden, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung elektronisch (z.B. unter einer dafür angegebenen E-Mail-Adresse) einzureichen sind. Er kann die Fragemöglichkeit auf angemeldete Aktionäre beschränken, kann die Fragemöglichkeit aber auch ganz offen anbieten, wenn das organisatorisch einfacher ist. Fragen in Fremdsprachen braucht er nicht zu berücksichtigen. Die Beantwortung erfolgt „in“ der Versammlung – sofern nicht FAQ schon vorab auf der Website beantwortet sind. Wird die Versammlung nur mit Briefwahl und Vollmachtsstimmrecht durchgeführt , fallen natürlich alle Antragsrechte „in“ der Versammlung weg, diese kann es nur bei elektronischer Teilnahme von Aktionären geben.“6 Um dem verfassungsrechtlichen Rang des Fragerechts (Art. 14 Grundgesetz (GG)7) und den europarechtlichen Vorgaben (insbesondere aus Art. 9 der Aktionärsrechte RL 2007/36/EG8) Rechnung zu tragen, wird in ersten Literaturstimmen eine Beantwortung der insgesamt gestellten Fragen entsprechend dem Umfang einer Präsenzveranstaltung, ggf. durch Veröffentlichung auf der Internetseite der Gesellschaft, angeregt.9 Nach Art. 2 § 7 Abs. 2 COVID-19-G sind die vorstehend beschriebenen Sonderregelungen nur auf Gesellschafterversammlungen anzuwenden, die im Jahr 2020 stattfinden. Im Falle andauernder Auswirkungen der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus ist eine Verlängerung des Geltungszeitraums – im Verordnungswege – nach Art. 2 § 8 COVID-19-G höchstens bis zum 31. Dezember 2021 möglich. 6 BT-Drucks. 19/18110, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/181/1918110.pdf (letzter Abruf 04.05.2020). 7 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html (letzter Abruf: 05.05.2020). 8 RICHTLINIE 2007/36/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32007L0036&from=DE (letzter Abruf: 05.05.2020). 9 Vgl. etwa Wicke: „Die virtuelle Hauptversammlung während der Corona-Pandemie – aktienrechtlicher Ausnahmezustand “, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2020, 885, 888. Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 6 3. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht 3.1. Europarechtliche Erwägungen Nach Art. 9 der Richtlinie 2007/36/EG – die zuletzt durch die Richtlinie 2017/82810 geändert und bereits durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II)11 mit Wirkung zum 1. Januar 2020 umgesetzt wurde – hat jeder Aktionär das Recht, Fragen zu Punkten auf der Tagesordnung der Hauptversammlung zu stellen (Abs. 1). Nach Abs. 2 bestehen das Fragerecht und die Antwortpflicht jedoch ausdrücklich auch vorbehaltlich etwaiger Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten ergreifen oder den Gesellschaften zu ergreifen gestatten, um den ordnungsgemäßen Ablauf von Hauptversammlungen und ihre ordnungsgemäße Vorbereitung zu gewährleisten . Zudem können die Mitgliedstaaten festlegen, dass eine Frage als beantwortet gilt, wenn die entsprechende Information bereits in Form von Frage und Antwort auf der Internetseite der Gesellschaft verfügbar ist. Als ordnungsgemäß gilt insbesondere die allgemein für die Gesamtdauer einer ordentlichen HV etablierte Orientierungsgröße von 4 bis 6 Stunden.12 Die Erledigung von Fragen, deren Geltendmachung und Beantwortung den durch diesen Zeitraum gesetzten Umfang überschreitet, soll mithin auch in der Hauptversammlung abgelehnt werden können.13 Mehr sei den Aktionären, die diese Informationen verarbeiten müssen, auch im Internetzeitalter nicht zuzumuten.14 Sofern der vorstehend genannte Zeitrahmen voraussichtlich überschritten wird, ist daher zur Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufs eine Auswahlentscheidung geboten. Da sich Art. 9 Abs. 2 ARRL zu den Ermessensparametern nicht verhält, liegen diese im Umsetzungsermessen des nationalen Gesetzgebers .15 Zudem führen bereits die einleitenden Erwägungen der Richtlinie aus, dass zwar jeder Aktionär grundsätzlich die Möglichkeit haben sollte, Fragen zu Punkten auf der Tagesord- 10 RICHTLINIE (EU) 2017/828 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 17.05.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017L0828&from=DE (letzter Abruf: 05.05.2020). 11 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie vom 12. Dezember 2019, BGBL. I S. 2637), abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/BGBL_A- RUG_II.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (letzter Abruf: 06.05.2020). 12 Vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2010, Az.: II ZR 94/08, BGHZ 184, 239, Rn. 20. 13 Vgl. Noack/Zetzsche, „Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Pandemie-Gesetz 2020“, AG 2020, 265, Rn. 51 m.w.N. 14 Vgl. Noack/Zetzsche, „Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Pandemie-Gesetz 2020“, AG 2020, 265, Rn. 51 m.w.N. 15 Vgl. Noack/Zetzsche, „Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Pandemie-Gesetz 2020“, AG 2020, 265, Rn. 51 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 7 nung der Hauptversammlung zu stellen und Antworten auf diese Fragen zu erhalten; die Vorschriften darüber, wie und wann Fragen zu stellen und Antworten zu geben sind, sollten jedoch die Mitgliedstaaten festlegen können.16 3.2. Verfassungsrechtliche Erwägungen Eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit der zeitlich befristeten Regelungen des Art. 2 § 1 Abs. 2 S. 2 des COVID-19-Gesetzes ist nicht ersichtlich. Aktienrechtliche Informationsrechte genießen verfassungsrechtlichen Schutz.17 Gleichwohl betont auch das BVerfG, dass im Interesse des ordnungsgemäßen Ablaufs von Hauptversammlungen ein Rechtfertigungsgrund für zeitliche und inhaltliche Schranken des Auskunftsrechts bestehe: „Im Licht dieser Erfordernisse kann eine Hauptversammlung ihre Aufgabe als Entscheidungsforum und Sitz der Aktionärsdemokratie nur erfüllen, wenn der Versammlungsleiter dafür Sorge trägt, dass die zur Verfügung stehende Zeit möglichst gerecht verteilt und nicht durch Beiträge oder Fragen einzelner Aktionäre, die ersichtlich nicht auf Erkenntnisgewinn in Bezug auf einen zur Entscheidung anstehenden Tagesordnungspunkt gerichtet sind, verbraucht wird. Denn übermäßig lange oder erkennbar vom Thema abweichende Beiträge gehen stets zu Lasten der Rede- und Fragezeit anderer Hauptversammlungsteilnehmer. Gerade um des grundrechtlichen Schutzes der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte, insbesondere des Fragerechts , willen ist es deshalb erforderlich, dass die Zivilgerichte im Rahmen einer Anfechtungsklage oder eines Auskunftserzwingungsverfahrens auch einer missbräuchlichen Handhabung des Rede- und Fragerechts durch einzelne Aktionäre entgegentreten.“18 Sofern mehr Fragen eingereicht werden, als während der regulären Dauer einer Hauptversammlung beantwortet werden können, folgt daraus, dass sich die Auswahl der zu beantwortenden Fragen an Sacherwägungen ausrichten muss; Fragen dürfen nicht aus willkürlichen Erwägungen oder einem etwaigen Eigeninteresse an Vertuschung abgelehnt werden, jede andere Handhabung erscheint nicht ermessensgerecht.19 Sollte ein Fachgericht dennoch zu der Überzeugung gelangen, Art. 2 § 1 Abs. 2 S. 2 sei verfassungswidrig , so müsste es gem. Art. 100 Abs. 1 GG das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Überprüfung vorlegen, da nur dem BVerfG das Verwerfungsmonopol zusteht.20 Sollte eine Überprüfung durch das BVerfG, etwa im Rahmen einer solchen konkreten Normenkontrolle , ergeben, dass Art. 2 § 1 Abs. 2 S. 2 des Covid-19-Gesetzes verfassungswidrig wäre, 16 RICHTLINIE 2007/36/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32007L0036&from=DE (letzter Abruf: 05.05.2020). 17 Vgl. bereits BVerfG, Beschluss v. 20.09. 999, Az.: 1 BvR 636/95, AG 2000, 74. 18 Vgl. bereits BVerfG, Beschluss v. 20.09. 999, Az.: 1 BvR 636/95, Rn. 26, AG 2000, 74. 19 Vgl. etwa Noack/Zetzsche, „Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Pandemie-Gesetz 2020“, AG 2020, 265, Rn. 55 m.w.N. 20 Vgl. Wieland, in: Dreier Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 100 GG, Rn. 11-12. Wissenschaftliche Dienste WD 7 - 3000 - 057/20 Seite 8 hätte dies zur Folge, dass das BVerfG die Vorschrift für nichtig erklären (§ 82 Abs. 1 iVm § 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) 21) oder ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen würde (§ 82 Abs. 1 iVm § 79 Abs. 1 BVerfGG). Die Nichtigkeit wirkt auch in die Vergangenheit und führt rechtlich gesehen zu einem Zustand, als wäre das Gesetz niemals erlassen worden.22 Dies hätte zur Folge, dass zum Beispiel die Beurteilung der Auskunftspflicht trotz des durch das Covid-19-Gesetz eingeräumten Ermessens nach wie vor gerichtlich voll überprüfbar wäre oder das jeweilige Fachgericht auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG über eine etwaig angestrengte Anfechtungsklage entscheiden müsste.23 Über das konkrete Verfahren hinaus führt die Nichtigkeit einer Rechtsnorm gem. Art. 79 Abs. 2 BVerfGG nicht dazu, dass alle anderen auf ihrer Grundlage ergangenen Entscheidungen ungültig werden. Wenn ein Fachgericht bereits eine Entscheidung, beispielsweise über die Anfechtung eines Beschlusses, getroffen hat und zu einem späteren Zeitpunkt durch eine Entscheidung des BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festgestellt wird, so bleibt die Entscheidung des Fachgerichts wirksam, sofern und soweit sie unanfechtbar geworden ist.24 *** 21 Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bverfgg/BJNR002430951.html. (letzter Abruf: 05.05.2020). 22 Vgl. Geißler, in: Walter/Grünewald Beck’scher Online-Kommentar zum BVerfGG, 8. Edition, Stand 01.01.2020, § 81 BVerfGG, Rn. 19. 23 Vgl. Geißler, in: Walter/Grünewald Beck’scher Online-Kommentar zum BVerfGG, 8. Edition, Stand 01.01.2020, § 81 BVerfGG, Rn. 16. 24 Vgl. Karpenstein, in: Walter/Grünewald Beck’scher Online-Kommentar zum BVerfGG, 8. Edition, Stand 01.01.2020, § 79 BVerfGG, Rn. 26.